Merke: Migration bedeutet nicht nur, seine Heimat bzw. sein Geburtsland zu verlassen, sondern ebenfalls vertraute – auch stützende Systeme – hinter sich zu lassen und sich in neue hineinzufinden! Migration ist eine Erfahrung, in der sich eine Familie oder ein Individuum auf eine Reise durch viele Phasen und soziale Systeme begibt und sich dabei eine neue Heimat schafft (vgl. Eimmermacher et al. 2004, S. 9; von Wogau 2004, S. 46).

eBook - ePub
Verfügbar bis 5 Dec |Weitere Informationen
Seelische Gesundheit von Menschen mit Migrationshintergrund
Wegweiser für Pflegende
- 153 Seiten
- German
- ePUB (handyfreundlich)
- Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub
Verfügbar bis 5 Dec |Weitere Informationen
Seelische Gesundheit von Menschen mit Migrationshintergrund
Wegweiser für Pflegende
Über dieses Buch
In Deutschland leben derzeit ca. 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Ihr Zugang zum Gesundheitswesen gestaltet sich schwierig. Vor allem bei Diagnostik und Behandlung psychischer Störungen tauchen Fragen auf, da kulturell bedingte Unterschiede, Vorurteile und Kommunikationsprobleme einen Dialog hemmen. Pflegende stehen im Stationsalltag oft vor Rätseln. Dieses Buch bietet grundlegende Informationen zum Thema Migration, beleuchtet den Zusammenhang von Migration und (seelischer) Gesundheit und geht konkret auf seelische Störungen bei Migranten ein. Es thematisiert den Umgang mit dem Fremden und setzt mit vielen Beispielen und Tipps die Konzepte der kultursensiblen Pflege in ein praxisnahes Licht.
Häufig gestellte Fragen
Ja, du kannst dein Abo jederzeit über den Tab Abo in deinen Kontoeinstellungen auf der Perlego-Website kündigen. Dein Abo bleibt bis zum Ende deines aktuellen Abrechnungszeitraums aktiv. Erfahre, wie du dein Abo kündigen kannst.
Derzeit stehen all unsere auf mobile Endgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Perlego bietet zwei Pläne an: Elementar and Erweitert
- Elementar ist ideal für Lernende und Interessierte, die gerne eine Vielzahl von Themen erkunden. Greife auf die Elementar-Bibliothek mit über 800.000 professionellen Titeln und Bestsellern aus den Bereichen Wirtschaft, Persönlichkeitsentwicklung und Geisteswissenschaften zu. Mit unbegrenzter Lesezeit und Standard-Vorlesefunktion.
- Erweitert: Perfekt für Fortgeschrittene Studenten und Akademiker, die uneingeschränkten Zugriff benötigen. Schalte über 1,4 Mio. Bücher in Hunderten von Fachgebieten frei. Der Erweitert-Plan enthält außerdem fortgeschrittene Funktionen wie Premium Read Aloud und Research Assistant.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja! Du kannst die Perlego-App sowohl auf iOS- als auch auf Android-Geräten verwenden, um jederzeit und überall zu lesen – sogar offline. Perfekt für den Weg zur Arbeit oder wenn du unterwegs bist.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Ja, du hast Zugang zu Seelische Gesundheit von Menschen mit Migrationshintergrund von Thomas Hax-Schoppenhorst,Stefan Jünger im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Medicine & Nursing. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.
Information
1 Migration – ein Überblick
1.1 Begriffsbestimmung
Um bei dieser komplexen Thematik den Überblick zu bewahren, sind klare Definitionen erforderlich. Auf die Frage, wer ein Migrant ist, gibt Machleidt (2007, S. 3) die vielleicht eingängigste Antwort: „Migranten sind Überschreiter von Kulturgrenzen und Wanderer zwischen ethnischen Welten. Migranten sind die Symbolfiguren des Fremden schlechthin. Was aber ist Migration und wer ist ein Migrant? Wir kennen die Definition schon lange: Migration bedeutet die Verlagerung des ständigen Aufenthaltsortes für lange Zeit oder auf Dauer in eine andere Kultur. Migration geht mit dem Verlassen der Ursprungskultur und dem prozessualen Hineinwachsen in die Aufnahmekultur einher. Migranten sind demnach alle Personen, die ihren Wohnsitz freiwillig oder unter Zwang in ein anderes Land verlegen wie Aus-, Zu-, Abwanderer, Arbeitsmigranten (Gastarbeiter), (Spät-)Aussiedler, Exilanten, Vertriebene, Kriegsflüchtlinge, Kontingentflüchtlinge, Asylsuchende, politisch Verfolgte, illegale Zuwanderer und Remigranten.“
Verschiedene Schicksale
Unter dem Begriff werden demzufolge „sehr unterschiedliche Lebensschicksale mit äußerst heterogenen Bedingungen, Motivationen und Erfahrungen zusammengefasst, die lediglich als dünne Gemeinsamkeit haben, nicht der Mehrheitsgesellschaft anzugehören, sondern primär aus einer anderen Region, einem anderen Land bzw. einem anderen kulturellen Umfeld zu kommen.“ (Assion 2005, S. 133).
Die Gruppe der Migranten unterscheidet sich also u. a. hinsichtlich der folgenden Aspekte (vgl. Kizilhan 2007, S. 55):
- sozioökonomischer Status
- Aufenthaltsdauer im Aufnahmeland (1., 2., 3. Generation)
- Wanderungsmotive (Familienzusammenführung, Arbeitsmarkt, Flucht, traumatische Erfahrungen etc.)
- Rechtsstatus
- kulturelle Hintergründe

Migrationshintergrund
Mit Blick auf die historischen und aktuellen Entwicklungen fand in Deutschland der Begriff „Menschen mit Migrationshintergrund“ zunehmend Anwendung, der deutlich weiter greift.

Definition: Einen Migrationshintergrund haben Ausländer, im Ausland Geborene und nach dem 1. Januar 1950 Zugewanderte, Eingebürgerte sowie Kinder, bei denen mindestens ein Elternteil in eine der genannten Kategorien fällt.

Abb. 1: Personengruppe mit Migrationshintergrund (Quelle: Robert Koch-Institut 2008, S. 11)
Zahlen im Überblick
Im Jahr 2007 (vgl. Bundesministerium des Innern 2008, S. 15 ff.) hatten 15,1 Mio. der insgesamt 82,4 Mio. Einwohner in Deutschland einen solchen Migrationshintergrund. Davon waren etwa 7,8 Mio. Deutsche und ca. 7,3 Mio. Ausländer. Der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung lag bei 18,4 %.
Eine Differenzierung der Personen mit Migrationshintergrund zeigt, dass die größte Gruppe mit 36,9 % Menschen mit eigener Migrationserfahrung stellen, d. h. die selbst nach Deutschland zugewandert sind. 11,3 % der Personen mit Migrationshintergrund sind Menschen, die in Deutschland geboren wurden (zweite oder dritte Generation). Insgesamt besitzen 48,2 % der Personen mit Migrationshintergrund nicht die deutsche Staatsangehörigkeit.
Deutsche mit Migrationshintergrund stellen dagegen 51,8 % der Personen mit Migrationshintergrund. Davon entfallen 20,9 % auf selbst zugewanderte Eingebürgerte und 3,0 % auf Eingebürgerte ohne Migrationserfahrung. 11,1 % aller Personen mit Migrationshintergrund sind deutsche Zuwanderer, die nicht eingebürgert wurden. Bei den restlichen 16,8 % handelt es sich um Deutsche ohne eigene Migrationserfahrung. Dies sind zum einen Kinder von Eingebürgerten, Spätaussiedlern oder Ausländern, zum anderen Kinder mit einseitigem Migrationshintergrund, bei denen nur ein Elternteil Eingebürgerter, Spätaussiedler oder Ausländer ist. Insgesamt sind etwa zwei Drittel der Personen mit Migrationshintergrund selbst Migranten (erste Generation), während knapp ein Drittel bereits in Deutschland geboren wurde (zweite oder dritte Generation).
Hauptgruppen
Mit etwa 2,5 Mio. Menschen stellen Personen türkischer Herkunft die größte Gruppe innerhalb der Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Dies entspricht einem Anteil von 16,5 % an allen Personen mit Zuwanderungsgeschichte. 6,2 % haben einen russischen, 5,6 % einen polnischen und 5,0 % einen italienischen Hintergrund. Dabei zeigt sich, dass insbesondere Personen mit einem Migrationshintergrund aus den ehemaligen Anwerbestaaten überproportional häufig keine eigene Migrationserfahrung besitzen, d. h. bereits in Deutschland geboren sind. So sind 43,4 % der Personen italienischer, 40,8 % türkischer und 38,4 % griechischer Herkunft nicht selbst nach Deutschland zugewandert. Dagegen zählen bislang noch relativ wenige Personen polnischer (15,2 %), rumänischer (12,4 %), russischer (7,2 %) und kasachischer (4,1 %) Herkunft zur zweiten oder gar dritten Generation.

Abb. 2: Ausländer nach der häufigsten Staatsangehörigkeit (Statistisches Bundesamt)
Persönliche Migrationsgeschichte
Frau Elvira Visnjic, Migrationspädagogin an der LVR-Klinik Düren, erzählt im Folgenden ihre ganz persönliche, ereignisreiche Migrationsgeschichte:
„Mein Vater kam 1970 als Arbeitsmigrant nach Deutschland. Wenn ich ihn frage warum, dann lautet die Antwort: ‚Ich wollte eigentlich schon immer nach Amerika!‘. Die Sehnsucht nach Amerika ist seine ganz persönliche Geschichte. Er ist ein Nachkriegskind in Zeiten von Titos Jugoslawien und migrierte in das Land des ‚Feindvolkes‘, zu den Faschisten, die Hans oder Heinz hießen, pedantisch ‚jawohl‘ und ‚Achtung!‘ schrien – so die verständnislose Version seiner Eltern. Er aber machte sich auf den Weg, um sich einen Traum zu erfüllen, ein Stück weit, nachdem er sozusagen jahrelang vorher in Jugoslawien binnenmigriert war, die Welt zu sehen.
Er entschied sich relativ schnell, seine Frau, meine Mutter, nachzuholen – gegen die Vorurteile seiner Familie, denn Deutschland galt als unmoralisch, erst recht für eine Frau.
Beide erwartete sofort ein Arbeitsvertrag! ‚Wir waren jung und gesund, sie haben nur die Gesunden genommen‘, sagt meine Mutter. Sie meint damit die Kontrolluntersuchungen, um zu überprüfen, ob der zukünftige Gastarbeiter überhaupt arbeitstauglich ist. Ich glaube, diese Untersuchung bei einem Arzt war sogar ihre erste.
Nach meinem Vater kam fast das ganze Dorf, der ganze (männliche) Clan väterlicherseits, hinterher gereist; es reizte die Aussicht, maximal ein Jahr in einer Fabrik zu arbeiten, Geld zu sparen und wieder zurück in die Heimat zu gehen.
Rückblickend wissen wir jetzt aber: Aus einem Jahr wurden dreißig, vierzig Jahre. Als ich im Jahre 1973 geboren wurde, wurde der Anwerbestopp für ‚Gastarbeiter‘ ausgemacht. Die Ölkrise hatte die Welt fest im Griff, ich aber wurde noch als Baby in die liebevolle Obhut meiner Großeltern – natürlich dem patriarchalischen System folgend – väterlicherseits gegeben. Meine Eltern entschieden erneut, nur noch ein Jahr, höchstens, zu arbeiten, um dann als Kleinfamilie im eigenen Haus in einer Stadt mit Universitäten (wegen uns Kindern) nach Jugoslawien zu remigrieren.
Es kam, wie bei vielen Migranten dieser Generation, ganz anders, denn vor meinem fünften Geburtstag kam ich wieder zurück zu meinen Eltern nach Deutschland, mein eigentliches Geburtsland. Hinter meinen kleinen Schritten in die Migration verbarg sich im Grunde ein Gesinnungswandel innerhalb unserer Familie: Die Entscheidung fiel für Deutschland, es gab kein greifbares Zurück mehr. Meine Eltern waren in den Achtzigern immer noch jung, Krankheit galt als dem Alter vorbehalten, das Privileg der Jugend war der Glaube an immerwährende Gesundheit. Das deutsche Gesundheitssystem nahmen sie damals nur bei Impfungen der Kinder bzw. während den drei Schwangerschaften und Geburten meiner Mutter in Anspruch.
Meine Großmutter war im Dorf als Heilkundige bekannt, wenn z. B. jemand aus der Nachbarschaft Ängste, Schlafstörungen oder Sorgen hatte, kam er zu ihr; sie kannte Koranrezitationen oder andere Verse, beherrschte die Methode des Bleigießens und heilte seelische Erkrankungen auf diese überlieferte Weise. Die Großmutter meiner Mutter konnte angeblich sogar die Gelbsucht bei jungen Mädchen heilen.
Heilkundige, Geistliche, sei es nun ein orthodoxer Pope oder ein muslimischer Hodscha, werden immer noch, auch parallel zum westlichen Gesundheitssystem, in Anspruch genommen. Der Glaube an den sowohl positiven als auch negativen Einfluss äußerer Faktoren auf den Körper, die Krankheit und die Gesundheit eines Menschen ist auf dem Balkan tief verwurzelt. Auf der einen Seite gelten bestimmte archaische Heilrituale oder Weissagungen als amüsantes Gesellschaftsspiel, wenn z. B. aus dem Kaffeesatz gelesen wird; auf der anderen Seite aber werden sie – je verzweifelter oder je kranker ein Mensch ist – auch entschlossen in Anspruch genommen, sogar unabhängig von der Bildungsschicht!
Wenn nun hier in Deutschland ein Migrant psychisch krank wird – wie erlebt er das? Selbstverständlich nutzen auch die Migranten den Besuch beim Hausarzt, lassen sich ein Medikament verschreiben, etwas gegen Kopfweh, nutzen die technischen Errungenschaften der Medizin. Und irgendwann kommt ein Arzt auf die Idee (wenn der Kranke Glück hat) festzustellen: ‚Ihr Körper ist gesund, aber sie fühlen sich schlapp, müde und traurig?‘ Traurig ja, aber was bedeutet die Aussage Depression, mag der Patient denken ... Psychisch krank zu sein, ist immer noch ein Makel, selbst in der westlich orientierten Welt. Eine psychische Erkrankung kann als ein Tabubruch, eine Schande, fast wie eine Beleidigung der Gemeinschaft verstanden werden.
Auch in Deutschland gibt es aus dem Balkan stammende Heilkundige, Fernheiler, Astroheiler, Hodschas und andere Geistliche, die ihre eigene Migrationsgeschichte mitbringen, die in Zeitungen und durch Mund-zu-Mund-Propaganda werben und mit traditionellen Heilungsritualen und Techniken Genesung versprechen. Ist das ein ‚Underground-Gesundheitssystem‘, das zum westlichen System parallel existiert, das dubiose, magische, aber auch therapeutisch faszinierende Elemente enthält? Die Nachfrage bestimmt auch hier das Angebot. Und Migranten fragen anders, weiter und nutzen alle verfügbaren Wege in und außerhalb Deutschlands, um gesund zu werden.
Die zweite große Welle von Migranten aus Jugoslawien kam während des Bosnienkrieges als Flüchtlingsstrom nach Deutschland und erreichte auch unser strukturell eingedeutschtes Leben. Meine Verwandten mütterlicherseits hatten nicht die Wahl wie mein Vater, sie trieb der Krieg in die Fremde und stürzte die alten Gastarbeiter in eine Identitätskrise: Während bis dahin das sozialistische...
Inhaltsverzeichnis
- Deckblatt
- Titelseite
- Impressum
- Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- 1 Migration – ein Überblick
- 2 Wie leben Migranten in Deutschland?
- 3 Migration und Gesundheit
- 4 Patientengruppen im Fokus
- 5 Kommunikation mit Migranten
- 6 Umgang mit Fremdheit
- 7 Transkulturelle Kompetenz
- 8 Kultursensible Pflege
- 9 Adressen/Materialien
- Literaturverzeichnis
- Stichwortverzeichnis