Erster Teil
âIch, Paulus âŠâ (2. Kor 10,1; Gal 5,2)
oder
Eine unmögliche Existenz
I.
âDie Briefe sind wuchtig und kraftvollâ
(2. Kor 10,10)
oder
Ein Mann der Schrift
Sich Paulus annĂ€hern heiĂt sich seinem Werk aussetzen. Da Paulus als Sklave des Messias Jesus (Röm 1,1) sein Werk als Werk seines Herrn zu legitimieren hat (1. Kor 9,1;16,10; 2. Kor 6,4), unterliegt jedes Urteil ĂŒber das Werk der SelbstprĂŒfung des Urteilenden angesichts des Herrn, in dem sich der Gott Israels als Richter ĂŒber alle Werke der Menschen zu erkennen gibt (Röm 2,6; 14,10; 2. Kor 5,10; 13,5; Gal 6,4). Ăber die Persönlichkeit des Paulus, seine Motive, zu urteilen, bleibt Gott selbst vorbehalten (1. Kor 4,4f.).
Das Werk des Paulus ist uns heute direkt zugĂ€nglich in Gestalt seiner wenn nicht von ihm selbst geschriebenen (Gal 6,11), so doch von ihm diktierten (Röm 16,22), eigenhĂ€ndig unterzeichneten und als verbindlich deklarierten (1. Kor 16,21; Phlm 19; vgl. Kol 4,18; 2. Thess 3,17) Briefe, von denen es zwar keine Autographen gibt, aber doch eine leidlich zuverlĂ€ssige Ăberlieferung. Dabei kann die Frage nach der Echtheit aller im Neuen Testament unter dem Namen des Paulus ĂŒberlieferten Briefe wie die Möglichkeit einer kritischen Rekonstruktion der ursprĂŒnglichen Gestalt der von einem breiten Konsens der Forschung als echt anerkannten Briefe (Röm; 1. und 2. Kor; Gal; Phil; 1. Thess; Phlm) an dieser Stelle insofern unberĂŒcksichtigt bleiben, als zunĂ€chst die Bedeutung der Tatsache hervorzuheben ist, dass Paulus Briefe geschrieben hat. FĂŒr die Fama des Paulus dĂŒrfte dieser bemerkenswerte Umstand nicht ohne Einfluss gewesen sein (2. Kor 10,10; 2. Petr 3,15f.), so dass die Entstehung einer neutestamentlichen Briefliteratur ohne Paulus kaum zu denken ist. Warum die Apostelgeschichte den Briefschreiber Paulus nicht zu kennen scheint, ist eine Frage fĂŒr sich, aber noch nicht damit beantwortet, dass dem Verfasser die Briefe nicht zugĂ€nglich gewesen wĂ€ren. Hat sich die Fama von den Briefen gelöst, so fĂ€llt damit noch einmal ein anderer Blick auf das briefliche Werk des Paulus, das nicht mit der Arbeit eines Schriftstellers verwechselt sein will.
Der paulinische Brief ist etwas Einmaliges. NatĂŒrlich kann und muss er im Zusammenhang mit der antiken griechisch-römischen Briefkultur gelesen werden. Aber gerade im Vergleich stellt sich seine Einmaligkeit heraus. Es genĂŒgt nicht, als Grund fĂŒr die Briefe des Apostels pragmatische Notwendigkeiten seiner Arbeit als GemeindegrĂŒnder und Missionar zu benennen. Vielmehr leben die Briefe von einer einzigartigen Freiheit zum Werk, zu diesem Werk. Er muss dem Philemon nicht in der Weise schreiben, wie er es tut: in der Gestalt eines Bittenden, der sich dem Adressaten gegenĂŒber durch eine schriftliche Selbstverpflichtung verbindlich zeigt (Phlm 8ff.18f.). Er wĂ€hlt den brieflichen Weg des Verkehrs mit den Korinthern, um sie zu schonen und zu verhindern, dass bei seiner persönlichen Anwesenheit in Korinth irreversible Verletzungen entstehen (2. Kor 1,23â2,4; 13,10). Er verwirft den Gedanken, bei seiner PrĂ€senz unter den Galatern einen zwingend-ĂŒberzeugenden Ton zu finden, und offenbart stattdessen seine persönliche Aporie, indem er schreibt und seinen Brief eigenhĂ€ndig, âmit groĂen Buchstabenâ, ja, wenn man so will, mit seinem Blut besiegelt (Gal 4,20; 6,11.17). Der Brief an die Philipper ist, auch als Dankschreiben fĂŒr empfangene FĂŒrsorge (Phil 4,10â20), ein Zeugnis seiner Autarkie (4,11), zudem seiner Freiheit, im Angesicht eines drohenden Todesurteils zur Förderung der Freude der Adressaten am Leben bleiben zu wollen und um ihretwillen die tiefe Sehnsucht, jetzt schon durch den Tod endgĂŒltig bei Christus zu sein, hintanzustellen (1,21â24). Das ist mehr als âEinsicht in die Notwendigkeitâ, das ist, wie die bemerkenswerte Formulierung lautet, ânotwendigerâ (1,24). Auch den Thessalonichern zu schreiben, ist nicht notwendig (1. Thess 4,9; 5,1), ist vielmehr ein freies und hingebungsvolles Spiel mit dem Wort â âwie arglose Kinderâ (2,7: ZĂŒrcher Bibel 2007) â, das, indem es in Abwesenheit des Paulus laut in der Gemeinde gelesen wird (5,27), als die Stimme des Herrn, als Wort Gottes gehört wird (2,13; 4,15â18).
SchlieĂlich zeigt sich im Brief an die âGeliebten Gottesâ und âberufenen Heiligenâ in Rom (Röm 1,7) ein eigentĂŒmlicher Ăberschuss, der nicht mit der in diesem Schreiben ausgedrĂŒckten Hoffnung des Paulus, UnterstĂŒtzung fĂŒr seine spanischen PlĂ€ne zu finden (15,24.28), verrechnet werden kann: fast zu kĂŒhn (15,15). Denn ob Paulus âmit der FĂŒlle des Segensâ und âin Freudeâ nach Rom kommen wird, kann er nicht wissen. Das steht bei Gott allein, wie er weiĂ (15,29.32). Wenn Paulus nach Rom schreibt, dann nicht, weil er Vollmacht hĂ€tte, Menschen, denen der Messias Jesus schon bekannt ist, etwas mitzuteilen, was sie nicht schon wĂŒssten (15,14.20f.). Vielmehr stellt er mit diesem Brief im Blick auf das Machtzentrum des Imperiums (13,1â7) sein Werk der Macht des Gottes Israels anheim, dessen Gerichte unbegreiflich und dessen Werke unerforschlich sind (11,33). Nicht von Rom â von Jerusalem, vom Zion her, fallen die Entscheidungen (11,26; 15,19.25f.31). Der Brief als Werk des Paulus wĂ€re dann der freie Verzicht auf das eigene Werk zugunsten des Werkes Gottes, priesterlich-aufopfernder Dienst an den Völkern zur Rettung von âganz Israelâ (11,12â15.25f.; 15,16). So bliebe der Brief, was auch immer sonst von ihm zu sagen ist, ein öffentliches VermĂ€chtnis des Paulus vor aller Welt (1,16), erst recht, wenn die ErfĂŒllung der Hoffnung auf ein gemeinsames Gotteslob der Völker mit Gottes Volk (15,10) noch aussteht. Die Freiheit des Paulus, sich, indem er vor den Völkern fĂŒr Israel eintritt, unter den Fluch zu stellen, weg von dem Messias (Röm 9,3; vgl. 2. Mose 32,32), unterstreicht den Ernst des VermĂ€chtnisses.
Muss man nicht von daher alle Briefe des Paulus so lesen (1. Kor 16,7.22; 2. Kor 12,15; Gal 6,17; Phil 1,23; 1. Thess 2,18; 5, 27; Phlm 9.22), als letzte Worte, wie in der Abschiedsrede in Milet, die der Verfasser der Apostelgeschichte fĂŒr die Nachwelt aufschrieb (Apg 20,17â38)? Und verstehen sich so nicht auch die ĂŒbrigen Briefe des Corpus Paulinum, die nicht mit Sicherheit Paulus zum Autor haben (Eph 3,1; 6,18â22; Kol 1,24; 4,16ff.; 2. Thess 2,5; 3,1f. sowie die sog. Pastoralbriefe 1. und 2.Tim und Tit)? Letzte Worte, die im Gebet Gott anbefohlen werden, sind freilich erste Worte, sofern Gott das letzte Wort hat. Sie sind das stammelnde A wie âAmen, das ist es werde wahrâ (Luther, EG 344,9; vgl. 2. Kor 1,20), das sich ausstreckt nach dem O, der Vollendung, dem âOsanna dem Sohne Davidsâ, wenn er kommt. Erste Worte wiederholen die Worte der Heiligen Schrift (1. Kor 4,6), machen die Bibel Israels zum ersten, dem grundlegenden Testament in den Versammlungen der Bekenner des Messias Jesus, des letzten Adam, der den ersten Adam als Antitypos wiederholt (Röm 5,14; 1 Kor 15,45).
FĂŒr Paulus gibt es weder ein Altes noch ein Neues Testament, sondern nur die Eine Schrift des Einen Gottes. Was als VerheiĂung fĂŒr die Völker durch Gottes Mund an Israel ergangen war und vorweg aufgeschrieben wurde (Röm 1,2; 4,17; 15,4), das schreibt Paulus als Sklave des Messias Jesus in seinen Briefen jetzt, im Zeichen des nahen Gottestages, der die VerheiĂung akut werden lĂ€sst (2. Kor 6,2), noch einmal nach, mit âFurcht und Zitternâ (1. Kor 2,3), seiâs freudig, seiâs unter TrĂ€nen (2. Kor 2,3f.; 6,10; vgl. Röm 9,2). Dass seine sog. âBekehrungâ, die er selbst als Prophetenberufung beschreibt (Röm 1,1; Gal 1,15), nicht zuletzt auch die Frucht eines intensiven Studiums der Schrift gewesen sein könnte, sollte ernsthaft bedacht werden, falls man sich nicht, um der Skylla der Vorstellung eines supranaturalen göttlichen Eingriffs zu entgehen, in der Charybdis psychologischer Spekulationen verlieren will.
In jedem Fall weiĂ sich Paulus durch seine Berufung ermĂ€chtigt und verpflichtet, nun nicht mit irgendwelchen unerhörten Offenbarungen zu prunken (2. Kor 4,5; 5,13; 12,1â6), sondern die in der Schrift vorgezeichneten unerforschlichen Wege Gottes nachzubuchstabieren. In seinen Briefen mĂŒht sich Paulus um ein ABC der Bibel. Sie sind SchreibĂŒbungen mit dem Ziel, dass Gottes ewiges Wort in den das Kommen Gottes herbeirufenden messianischen Versammlungen konkret zu Gehör kommt. âBuchstabeâ und âGeistâ (Röm 2,29; 7,6; 2. Kor 3,6ff.) schlieĂen sich nicht aus, sondern sind dialektisch aufeinander bezogen. So wie Gott tötet und lebendig macht (1. Sam 2,6), so richtet und regiert er durch sein lebendiges Wort, das â je nachdem â den Tod wirkt oder das Leben (2. Kor 2,15f.). An âMoseâ muss Paulus, der Prophet fĂŒr die Völker (Röm 11,13; vgl. Jer 1,10), sich schreibend messen, damit Gottes Wort, das durch Mose geschriebene Wort (Röm 9,15; 10,19), als ein freies, nicht an das Volk Israel allein gebundenes Wort ans Licht (2. Kor 3,12â18) und gerade so Israel zugute komme (Röm 11,12.15; 26â31; Gal 6,16).
Tritt Paulus im Zeichen des Kreuzes in den Riss der Welt zwischen Juden und Griechen (Röm 1,16; 1. Kor 1,22ff.), dann können MissverstĂ€ndnisse bei Freund und Feind nicht ausbleiben. Und da Paulus die Feigheit vor dem Freunde fremd ist (Gal 1,10), sind es gerade die Gegner als Feinde des Kreuzes des Messias (Phil 3,18), deren Gegnerschaft Paulus hilft, sich immer wieder neu zu explizieren. Viel weithin vergebliche MĂŒhe hat sich die gelehrte Forschung gegeben, Einblicke in das Wirken und die Praktiken jener Gegner zu vermitteln, mit denen sich Paulus in seinen Briefen auseinandersetzt. Entscheidend fĂŒr uns aber ist es zu sehen, wie Paulus selbst immer wieder Gegnerschaft provoziert, indem er Zeugen im endzeitlichen Rechtsstreit zwischen Gott und der Welt herbeiruft und herbeizitiert (2. Kor 2,17; Phil 3,19). Paulus zitiert z.B. den Vorwurf der korinthischen Gegner, er wolle sie durch wuchtige und kraftvolle Briefe aus der Ferne einschĂŒchtern, wĂ€hrend doch seine leibliche Gegenwart schwĂ€chlich und seine mĂŒndliche Rede keiner Achtung wert sei (2. Kor 10,9f.), und unterlĂ€uft den vermeintlichen Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Wort und Tat (10,11), indem er gerade den fernen EmpfĂ€ngern seine Schwachheit zumutet, damit die Gegenwart (Parousia: Phil 2,12; vgl. 1. Thess 5,23) ganz der NĂ€he Gottes, der Kraft der Gnade, der Freiheit seines Wortes geschuldet sei (2. Kor 12,9).
Nichts wĂ€re dem VerstĂ€ndnis der Briefe des Paulus hinderlicher, als sich mit Paulus â auch nicht gegen Apollos oder Kephas (1. Kor 1,12) â zu identifizieren, statt mit ihm âdurch böse GerĂŒchte und gute GerĂŒchteâ (2. Kor 6,8) der sich aller klugen Berechnung entziehenden Bewegung des Wortes Gottes zu folgen (1. Kor 1,12â24). Die Kanonisierung der paulinischen Briefe im Rahmen des neutestamentlichen Kanons ist missverstanden, wenn man meinte, diese Bewegung wĂ€re dadurch stillgelegt und abgeschlossen. Im Gegenteil! Diese Kanonisierung öffnet die Heiligen Schriften Israels auf das Kommen Gottes hin, so, dass Gottes Kommen mit der als Gegenwart erhofften Zukunft des Messias Jesus verknĂŒpft wird, der mit seinem Sieg ĂŒber den Tod Raum schafft fĂŒr das alles durchdringende Leben Gottes (1. Kor 15,20â28). Das letzte Wort steht aus (1. Kor 15,54f.; vgl. Jes 25,8; Hos 13,14). Damit ist die Frage nach dem VerhĂ€ltnis von Schriftlichkeit und MĂŒndlichkeit des Wortes Gottes fĂŒr Paulus in einer spezifischen Weise gestellt.
Luther war der Meinung, das âNeue Testamentâ sei seinem Wesen nach viva vox, lebendige Stimme, und seine Verschriftung darum ein Notbehelf. âSchriftâ im strengen Sinne sei darum nur das âAlte Testamentâ.1 Noch einmal anders stellt sich die Situation im rabbinischen Judentum dar, wo die âmĂŒndlicheâ Tora die âschriftlicheâ Tora halachisch aktuell und lebendig erhĂ€lt und haggadisch die Buchstaben zum Tanzen bringt.2 FĂŒr Paulus besteht ein Ăbersetzungsproblem: Wie kann das fremde Wort Gottes als ânahes Wortâ (5. Mose 30,14) so zum Herzen eines Menschen sprechen, dass er darĂŒber selbst sprachfĂ€hig wird, ein âmĂŒndigerâ Mensch (Röm 10,8ff.; 1. Kor 14,24f.)? Sicher nicht so, dass ein Mensch dem anderen selbstbezogen âseinenâ Gott und âseinenâ Glauben aufzudrĂ€ngen sucht. So bliebe der Hörer fremdbestimmt, gefangen in sich selbst und der eigenen Stummheit. Es bedarf hier vielmehr der Vermittlung durch eine Sprache, die dem Hörer jene Freiheit zuspielt und zumutet, die ihn zum Adressaten eines Wortes werden lĂ€sst, das er sich selbst hĂ€tte sagen mĂŒssen, aber ohne das Ereignis dieses Wortes nicht sagen konnte.
Indem der Messias Jesus zwischen den Redenden und den Hörenden tritt, öffnet sich zwischen Himmel und Abgrund ein weiter Raum des Hörens, ĂŒbersetzt sich das Wort in das Herz jedes Einzelnen (Röm 10,17). Dadurch, dass Paulus Briefe schreibt und das geschriebene Wort Gottes nachbuchstabiert, wirkt er nicht unmittelbar, sondern mittelbar, und erweist sich so als freier Diener des freien Gottes, des Gottes, der zu den Juden als Juden, den Nichtjuden als Nichtjuden, den religiös Unbegabten als religiös Unbegabten zu reden versteht und eben so der EINE, der alles einende Gott, der Gott Israels, bleibt (1. Kor 9,19â22). Wird der paulinische Brief in der Gemeinde (laut!) vorgelesen (1. Thess 5,27), kommt die lebendige Stimme Gottes zu Gehör. (Das hebrĂ€ische Wort qÄrÄ bedeutet sowohl Rufen wie Lesen, und miqrÄ, das Gelesene, ja Gesungene, ist eine jĂŒdische Bezeichnung fĂŒr die Schrift.)
FĂŒr die einzigartige Freiheit des Briefschreibers Paulus findet sich eine Analogie in seinem Verzicht auf Unterhalt durch die Korinther, worauf er Anspruch erheben könnte. Es geht dabei einerseits um die UnabhĂ€ngigkeit des allein von Gott und seinem Evangelium AbhĂ€ngigen, aber andererseits in eins damit um die UnabhĂ€ngigkeit der Gemeinde von jedwedem Zwang (1. Kor 9,16ff.; 2. Kor 1,24; 11,7â10; vgl. Phil 4,11ff.). Konkret: Neben seiner Freiheit zum Briefschreiben âmit eigener Handâ hat Paulus auch noch die Freiheit zu einem anderen Werk, nĂ€mlich mit eigenen HĂ€nden zu seinem Unterhalt zu arbeiten (1. Kor 4,12; 1. Thess 2,9; vgl. Apg 18,3; 20,34). Was fĂŒr seine Mitarbeiter, nicht nur fĂŒr die âfalschen BrĂŒderâ (2. Kor 11,26), wie auch fĂŒr seine heutigen Interpreten schwer zu verstehen ist: Paulus ist kein Maulwerker, sondern ein Handwerker.
Auch seine Briefe sind in diesem Sinne Handwerk, Denkarbeit nicht eines sitzenden Gelehrten, sondern eines reisenden Gesellen âauf der Walzâ (Röm 10,15; 1. Kor 9,24.26; Phil 2,16; 3,14), so dass sein Werk Hand und FuĂ hat. Muss Paulus zwischendurch âeinsitzenâ (Phil 1,7; Phlm 1; vgl. Eph 3,1; 6,20; Kol 4,18; 2. Tim 1,8), so zeigt es sich, dass Gottes Wort nicht gebunden ist an ihn, den Gottverbundenen (2. Tim 2,9). Das briefliche Werk des Paulus, wie es Karl Barth vom Römerbrief meinte3, kann warten, bis es den Leser findet, den es sucht, nĂ€mlich jeden, der sich von Gottes HĂ€nden ergreifen lĂ€sst (Röm 10,21; vgl. Jes 65,2), nicht als von einem âAngebotâ, sondern von der gebietenden Macht dessen, der den Satan, den Hinderer seines Werkes, unter unsere FĂŒĂe zu treten imstande ist (Röm 16,20), den Befreiergott vom Sinai.
II.
âLaut meinem Evangeliumâ (Röm 2,16)
oder
Ein Jude als Apostel der Völker
Wenn Paulus im Römerbrief sagen kann: âAuch ich bin ein Israelitâ (11,1), dann sagt er das an dieser Stelle nicht aus Trotz gegen jĂŒdische MitbrĂŒder (wie 2. Kor 11,22; Phil 3,5), sondern als Zeuge fĂŒr die Wahrheit der Schrift. Gerade er, der Apostel der Völker, der Gojim (Röm 11,13), steht dafĂŒr, dass Gott sein Volk Israel nach dem Wort der Schrift (1. Sam 12,22; Ps 94,14; vgl. Röm 11,2) nicht zu verstoĂen gedenkt, weil und wie er es nicht verstoĂen hat. Paulus liest sich selbst in die Schrift hinein, in die göttliche Weisung ĂŒber die 7000 ganz Israel reprĂ€sentierenden Gottgetreuen, die ihre Knie nicht gebeugt haben vor dem fremden Gott, dem gojischen Baal (1. Kön 19,18; vgl. Röm 11,2ff.). Und so ist âseinâ Evangelium (Röm 2,16), das in den Heiligen Schriften Israels vorweg angekĂŒndigte (Röm 1,2) Evangelium von dem Messias Jesus, der âgemÀà den Schriftenâ um unserer SĂŒnden willen starb und am dritten Tage auferweckt wurde (1. Kor 15,3ff.), ein israelitisches, ein jĂŒdisches Evangelium.
Dagegen lĂ€sst sich natĂŒrlich einwenden, Paulus habe sich doch vom âJudaismusâ, der jĂŒdischen Lebensweise, scharf distanziert (Gal 1,13f.); er habe sie wie ein ekelhaftes Exkrement hinter sich gelassen (Phil 3,8) und dagegen gekĂ€mpft, sie den Menschen aus den Völkern in Gestalt der Beschneidung (Sabbat, Speisegebote etc.) aufzuzwingen (Gal 2,3.14; 6,12; vgl. Phil 3,2). Doch wie ist diese Distanzierung, die ja in der Unterscheidung von leiblicher Beschneidung und Beschneidung des Herzens Anhalt an der Schrift hat (5. Mose 10,16; 30,6; Jer 4,4; 9,25f.; vgl. Röm 2,29; Phil 3,3), zu verstehen?
Sicher nicht als religiöser Gegensatz zwischen einer bloà ÀuĂerlichen und einer innerlichen ReligiositĂ€t! âLeibâ und âHerzâ sind biblisch zwar zu unterscheiden, aber nicht zu trennen. Der Leib unterliegt der Verantwortung des Menschen, wie Paulus weiĂ (Röm 12,1; 1. Kor 6,20; 9,27; 2. Kor 5,10), wĂ€hrend das Herz, vor Menschen, vor mir selbst verborgen, Gott, dem HerzenskĂŒndiger, zugeordnet ist (1. Sam 16,7; Jer 17,9; vgl. Röm 2,16.29; 8,27; 1. Kor 4,5; 14,25). Gehört der sterbliche Leib der Vergangenheit, so das Herz der Zukunft. Die Gegenwart indes ist fĂŒr Paulus bestimmt durch ein Ereignis in der Zeit (Gal 4,4), das eine Umkehrung herbeifĂŒhrt: Mit dem Kommen des Messias Jesus, der als Herr ĂŒber Tote und Lebende bekannt wird (Röm 14,9), kann der Leib der Zukunft Gottes in der Auferstehung der Toten ĂŒberantwortet werden (Röm 8,11; Phil 3,21), wĂ€hrend das Herz sich öffnen lĂ€sst fĂŒr die gegenwĂ€rtige ...