Einleitung
Malen ist ein Auftrag.
Malen ist der Eintritt in einen Orden.
Malen heißt sozusagen, den eigenen Vorteil
hintenansetzen.
Das Bild allein ist der Auftrag.
Rudolf Hausner1
A
Das Anliegen dieser Arbeit
Thema, Motivation, Hinführung
Die vorliegende Arbeit ist das Ergebnis langjähriger Studien über das Werk des Wiener Malers Rudolf Hausner (1914-1995). Sie hat das Ziel, die Betrachtungen des Religiösen in diesem Werk für die Forschungen in Praktischer Theologie und ihren benachbarten Geisteswissenschaften, für die Religionspsychologie und insbesondere den modernen interdisziplinären Bilddiskurs fruchtbar werden zu lassen.
Der Beitrag besteht in der hermeneutischen Reflexion empirisch gewonnener Einsichten in das dynamisch Wirksame dieses Kunstwerks. Die Bilder von Rudolf Hausner laden in besonderer Weise zur persönlichen Auseinandersetzung mit ihnen ein. Sie geben dem Betrachter die seltene Gelegenheit, am Beispiel eines Kunstwerks den lebenslangen und lebensnotwendigen Auseinandersetzungsprozess mit Abhängigkeiten auf dem Weg zur Freiheit und die damit verbundene Schuldproblematik im Leben eines Menschen zu verstehen. Durch die eigentümliche, künstlerisch-hermeneutische Optik des Malers erhält der Betrachter die Möglichkeit, an diesem spannenden Prozess selbst teilzuhaben. Damit antwortet das Werk zugleich auf die alte und heute wieder aktuelle Frage: „Was ist ein Bild?“2
In der Reflexion der Entdeckungen und Erfahrungen mit Rudolf Hausners Bilderwelt bewegt sich die vorliegende Arbeit im Kontext einer Praktischen Theologie, die nach der Wiederentdeckung der lebensgeschichtlichen Verwurzelung der Religion den Prozess von Subjektwerdung ins Blickfeld rückt. Ziel ist es, den Prozess der Wirklichkeit Gottes in der menschlichen Lebenswirklichkeit so aufzuzeigen, dass sich daraus Bausteine für eine kulturhermeneutisch verfasste Pneumatologie ergeben. Damit wird die Arbeit zugleich den aktuellen interdisziplinären Wissenschaftsdiskurs über die Bedeutung des Bildes als Schauplatz entstehenden Sinns weiterführen.
Die Einleitung gliedert sich in drei Kapitel (A-C).
In Kapitel A wird das Anliegen dieser Arbeit erläutert: (1) Um die Malerei von Rudolf Hausner zu verstehen, können Mensch und Werk nicht voneinander getrennt besprochen werden. Das gilt sowohl für die Beziehung zwischen Künstler und Kunstwerk als auch für die zwischen Künstler, Kunstwerk und Betrachter. (2) Die daraus resultierende werk-, künstler- und rezeptionsorientierte Interpretation gestaltet sich nach vier grundlegenden Kriterien (a-d), die im Einzelnen zu erläutern sind. (3) Auf empirische Weise werden hier über Hausners Bilderwelt die Möglichkeiten von Rezeptionsästhetik ausgelotet und reflektiert, die in der Praktischen Theologie zum Teil theoretisch schon benannt, aber trotz der Paradigmenwechsel von der Kommunikationswissenschaft über die Rezeptionsästhetik zur Bildwissenschaft praktisch bisher kaum eingelöst worden sind. Zwar kann das Potential auch hier nicht völlig ausgeschöpft werden. Aber es sollen Türen aufgestoßen werden, die bisher verschlossen waren. (4) Sodann gilt es, die Auswahl der gemalten Hausner-Bilder, die für die vorliegende Interpretation maßgeblich sind, zu begründen und nähere Hinweise zum Aufbau der Arbeit zu geben.
In Kapitel B der Einleitung geht es darum, das Verstehen des Religiösen, wie es durch die Auseinandersetzung mit Hausners Werk induktiv gewonnen wird, auf einen anschlussfähigen Begriff zu bringen. Diese Begriffsbestimmung an den Anfang zu setzen, ist eine methodische Entscheidung, die die Lesbarkeit dieser Arbeit erleichtern soll. Sachlich steht zu Beginn dieser Untersuchung nicht fest, was das Religiöse im vorliegenden Zusammenhang ist oder sein könnte. Mitnichten wird ein bestimmtes Religionsverständnis von außen an das Hausner-Werk herangetragen. (1) Ziel ist es vielmehr zu zeigen, wie sich das Religiöse hier im Ereignis der Interpretation über die Adam-Bilder erschließt und verstehen lässt. Es erscheint mehrschichtig. Neben Motiven, Gegenständen und Zitaten, in denen religiöse Ikonographie offen gemalt, vom Betrachter auf den ersten Blick abzulesen ist, wird außerdem eine verborgen liegende Dimension des Religiösen erkennbar, die sich nur rezeptionsästhetisch erschließt, indem man versucht, die ‚Sprache’ dieser Malerei – so weit das möglich ist – als Ganze zu verstehen. Die Wertigkeiten und Bedeutungsebenen gilt es zu unterscheiden, um die Ambivalenz des Religiösen im Subjektwerdungsprozess und den Grund der sinnstiftenden Kraft der Religion sehen zu lernen. (2) Sodann wird im Gespräch mit modernen religionshermeneutischen Entwürfen die Anschlussfähigkeit des hier entwickelten Religionsverstehens an den wissenschaftlichen Diskurs dokumentiert.
In Kapitel C der Einleitung soll schließlich der Problemhorizont abgesteckt und die Fragestellung konkretisiert werden, auf die der vorliegende Beitrag antwortet. (1) In einer Skizze werden Gründe für die bisherige Zurückhaltung der Praktischen Theologie als wissenschaftlicher Gesprächspartnerin im interdisziplinären Bilddiskurs dargestellt, um (2) als Antwort auf die Fragen und Probleme Möglichkeiten einer kulturhermeneutisch verfassten Pneumatologie, wie sie mit dem Hausner-Werk zu gewinnen ist, vorzustellen.
1 Rudolf Hausner – Mensch und Werk
Am Ende seines Lebens fasst Rudolf Hausner das künstlerisch-hermeneutische Anliegen seiner Malerei in den Worten zusammen: „Das Bild allein ist der Auftrag.“3 Gemeint ist der „innere Auftrag“4, der dem Selbstverständnis des professionellen Malers entspricht. Um zu sehen, auf welche Weise Rudolf Hausner diesen Auftrag in seinen Bildern erfüllt, braucht der Betrachter zunächst keine besondere fachliche Qualifikation. Das einzige Thema, das Hausner ihm vorlegt, ist „Adam“. Diese Figur, dessen Blick den Betrachter aus den allermeisten Bildern heraus trifft, hat den Wiener Maler international bekannt gemacht und ihm Preise, Ehrungen und wissenschaftliche Verdienstzeichen eingebracht.5 Weitere Bildfiguren, die bei Hausner begegnen, werden nur aus der Beziehung zu dieser Zentralfigur heraus verständlich. Darüber sind sich alle Hausner-Interpreten gemeinsam mit dem Maler einig: Adam spielt in dieser Malerei die Hauptrolle. Wer ist Adam?
Um diese Frage ringt Rudolf Hausner in jedem seiner Bilder über 60 Jahre lang: Was ist der Mensch? Das lebendige Bild eines „ganzen Menschen“6 ist der Auftrag, den der Maler seit dem Neubeginn seines künstlerischen Schaffens nach dem Zweiten Weltkrieg durch sein Gesamtwerk hindurch verfolgt, und der auf den Rezipienten, der den Blick Adams erwidert, übergehen kann. Im Spätwerk findet dieses Ringen des Künstlers in seiner Auseinandersetzung mit Leonardo da Vincis Abendmahlsbild und der darin zentralen Jesus-Figur einen Titel, der das Thema seiner eigenen Abendmahlsbilder beschreibt und zugleich die Antwort auf die Grundfrage seines gesamten Lebenswerks bündelt: „Adam, der ungeliebte Sohn.“
Adam selbst(WN 29)
Hommage à Leonardo (WN 107)
Das Frühwerk Adam selbst (1960) und das Spätwerk Hommage à Leonardo (1977-81) sind die Hauptbelege für die These dieser Arbeit über das Religiöse im Werk von Rudolf Hausner.
Beide Bilder zeigen auf den ersten Blick, dass die nackte weiblich-erotische Figur mit der zerstörerischen Gebärde, über die in dieser Arbeit viel zu sagen sein wird7, im Früh- und Spätwerk von zentraler Bedeutung ist. Ohne sie ist Adam, das lebendige Bild eines ganzen Menschen in dieser Malerei, und also auch die religiöse Thematik, nicht zu verstehen. Für den Leser und die Leserin, die Hausners Werk bisher nicht kennen, ist diese Figur, deren Gestalt als Teil von Adam dargestellt und die vom Künstler selbst als „Anima“ bezeichnet wird8, vielleicht die größte Provokation. Doch gerade sie verweist – wie zu zeigen sein wird – auf eine in der interdisziplinären Bildforschung bisher weitgehend fehlende Auseinandersetzung. Kompetente Hausner-Kenner aus der Kunstwissenschaft9 und der Psychologie10 haben bisher nicht den Versuch unternommen, die ambivalent erscheinende Anima-Figur mit dem Motiv des Abendmahls zusammenzusehen.11 Überhaupt wird der christlich-religiöse Kontext in der Kunstwissenschaft und in der Psychologie bisher weitgehend beschwiegen oder nur so besprochen, als hätten Früh- und Spätwerk nichts miteinander zu tun.12 Doch ebenso sind Kunstinterpreten aus dem Bereich von Theologie, Kirche und Religionswissenschaft hier gefordert, Abschied zu nehmen von der Vorstellung, Religiöses in der gegenständlichen Kunst präsentiere sich im Gemälde sogleich auf den ersten Blick oder immer nur im Zusammenhang theologisch vertrauter oder kirchlich tradierter Symbolwelten.13
„Adam und Anima“14 – das ist in der Bildersprache Rudolf Hausners das entscheidende Paar, dessen leidenschaftliche Beziehung hier als Grund und Abgrund des Lebendigen und Menschlichen einsehbar wird. Über die frühen Bilder (1946-56) kann der Betrachter nachvollziehen, wie der Künstler zu den Gestalten und zur Einsicht in ihre Beziehung kommt. Doch dieser Erkenntnisprozess ist zeitintensiv. Denn die Namen sind Programm. Adam und Anima sind von existenzieller Bedeutung, nicht nur für den Maler. Sinn und Gestalt ihres bildhaften Auftretens erschließen sich auch dem Betrachter, aber erst dann, wenn er für sich selbst etwas damit anzufangen weiß. Darin liegt die größte Schwierigkeit, Zugang zu diesem befremdlich anmutenden Kunstwerk zu finden, aber auch eine besondere Chance, mit Hilfe desselben auf eigene Weise zu entdecken, was über das gemalte Bild weiterwirkt.
Detail: Adams Alternative (WN 61)
„Adam“ (hebräisch) bedeutet Mensch und Menschheit zugleich. In diesem Sinne erscheint die von Rudolf Hausner selbs...