1 Ausgangssituation
1.1 Problemstellung
Die gegenwärtigen Umbrüche im Gesundheitssystem führen unausweichlich zu weitreichenden Veränderungen innerhalb der Krankenhäuser. Diese Umwälzungen bringen zahlreiche Herausforderungen mit sich und laufen aus der Sicht der Führungskräfte weder gezielt noch geplant ab. Demgegenüber können Führungskräfte notwendige Veränderungsprozesse von innen heraus initiieren. Dieser systemische Wandel bezieht sich auf drei Elemente, auf die
- Gestaltung der Strukturen (z. B. Aufbauorganisation),
- Steuerung der Prozesse (z. B. Behandlungs- und Pflegeprozess) und
- Entwicklung des Verhaltens (z. B. Personalführung).
Aufgaben und Anforderungen müssen neu definiert werden.
Es ist jedoch fraglich, ob sich Krankenhäuser mit herkömmlichem Führungs- und Leitungshandeln gestalten, steuern und entwickeln lassen. Vermutlich nicht. Man darf davon ausgehen, dass diese speziellen Typen von Betriebswirtschaften den gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen nur gerecht werden können, wenn es ihnen gelingt, die Aufgaben und Anforderungen der Führungskräfte neu festzulegen. Ein derartiges Vorhaben ist wohl nur zu bewältigen, wenn parallel dazu die Konfiguration der Krankenhausorganisation überdacht und weiterentwickelt wird. Der Grund dafür ist in der berufsständischen Strukturierung der Krankenhäuser zu sehen, d. h. mit einem Leitungsgremium als Kollegium der Standesvertreter an der Spitze. Hinzukommt, dass die Führungskräfte im Krankenhaus häufig nebeneinander her arbeiten, „(...) eine organisatorische Verzahnung zwischen ihnen gibt es, wenn überhaupt, nur eingeschränkt“ (Lieb 2003, S. 714). Dadurch geht eine ganzheitliche Versorgung weitgehend verloren, und fachübergreifende Managementaufgaben werden vernachlässigt, auch weil die Ziele der Standesvertreter höchst unterschiedlich sind (vgl. Sackmann 1997, S. 141).
Neue Rollen für das Pflegemanagement
Mit den strukturellen Veränderungen innerhalb der Krankenhäuser ergeben sich auch neue und ungewohnte Rollen für das Pflegemanagement. Oder anders formuliert: Eine alleinige fachlich-pflegerische Expertenrolle reicht nicht mehr aus, um im Pflegemanagement beruflich erfolgreich zu sein. Hinzutreten müssen weitere überfachliche Qualifikationen, die sich als Rollen einer leitenden Pflegekraft charakterisieren lassen (vgl. Mintzberg 1991, S. 30):
Information: Pflegemanager müssen als Galionsfigur die Organisationseinheit repräsentieren, als Führungskräfte Mitarbeiter motivieren und als Vernetzer interne und externe Kontakte knüpfen (interpersonelle Rollen). Sie müssen als Monitor Informationen sammeln und verwerten, diese als Informationsvermittler intern weitergeben und als Sprecher die Umwelt über die Situation der Organisationseinheit informieren (informationsbezogene Rollen). Sie müssen als Beweger die Einheit weiterentwickeln, als Problemlöser auf Veränderungen reagieren, als Ressourcenzuteiler knappe Mittel an Subsysteme vergeben und als Verhandlungsführer ihre unternehmerische Position gegenüber den Interessensgruppen vertreten (entscheidungsorientierte Rollen).
Diese multiplen Rollen sind jedoch in den seltensten Fällen grundlegend sozialisiert und werden durch die leitenden Pflegekräfte mehr oder weniger „am Rande“ der Pflegetätigkeit berücksichtigt. Hinzu kommt, dass viele pflegerische Führungskräfte immer noch die Ansicht vertreten, Management sei etwas, das jede Pflegekraft sowieso beherrsche und daher nicht der besonderen Aufmerksamkeit bedürfe. Waren noch vor wenigen Jahren neben der notwendigen Pflegekompetenz tradierte Führungstugenden wie Durchsetzungsvermögen, Verantwortungsbewusstsein und Leistungsbereitschaft besonders gefragt, so müssen Pflegemanager heute neben ausgezeichneten fachlichen Qualifikationen insbesondere Kooperationsbereitschaft, betriebswirtschaftliches Wissen, Organisationsgeschick und Personalführungstalent mitbringen, um beruflich erfolgreich zu wirken.
1.2 Zielsetzung und Vorgehensweise
Die geschilderte Ausgangslage wirft eine zentrale Fragestellung auf, die im Verlauf des Buchs beantwortet werden soll: Wie sieht das Berufsbild leitender Pflegekräfte im Krankenhaus konkret aus? Insofern besteht das Ziel des vorliegenden Buchs darin, einen Beitrag zur Optimierung der Rekrutierung und Entwicklung leitender Pflegekräfte zu leisten. Dabei wird der Versuch unternommen, sich den Anforderungen und Aufgaben leitender Pflegekräfte im Krankenhaus wissenschaftlich anzunähern. Es sollen insbesondere die Managementanforderungen und Rollenerwartungen pflegerischer Führungskräfte dargestellt werden, indem aktuelle Stellenanzeigen inhaltlich untersucht werden. Auf diese Weise soll das Berufsbild der leitenden Pflegekraft im Krankenhaus deskriptiv und empirisch beschrieben werden.
Der Aufbau des Buchs orientiert sich an sechs Kapiteln, wobei die theoretischen Grundlagen in den Kapiteln 2–4 das Fundament für die empirische Untersuchung im 5. Kapitel bilden. Abbildung 1 soll den Aufbau des Buchs verdeutlichen:
Abb. 1: Aufbau des Buchs
Um die aufgeworfenen Fragen systematisch zu beantworten, soll auf folgende Vorgehensweise zurückgegriffen werden: Das Buch beginnt mit der Darstellung der Ausgangssituation im 1. Kapitel. Im 2. Kapitel wird als theoretischer Bezugsrahmen die Konzeption einer integrierten Managementlehre vorgestellt. Danach folgt im 3. Kapitel eine Beschreibung der Aufgaben des Pflegemanagements im Krankenhaus aus einer analytisch-funktionalen Perspektive. In Kapitel 4 werden das Arbeits- und Rollenverhalten einer leitenden Pflegekraft erörtert. Darüber hinaus widmet sich dieses Kapitel der beruflichen Handlungskompetenz eines Pflegemanagers. In Kapitel 5 werden anhand einer empirischen Analyse des Inhalts von Stellenanzeigen die Managementanforderungen und -rollen leitender Pflegekräfte systematisch erhoben. Das Buch endet mit einer Zusammenfassung und einem Ausblick in Kapitel 6.
Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass Bezeichnungen wie leitende Pflegekraft oder Pflegemanager, die in der maskulinen Form angegeben werden, in gleicher Weise in der femininen Form gelten.
1.3 Führen – Leiten – Management: im Spannungsfeld wissenschaftlicher Disziplinen
Hier sollen die Berührungspunkte zwischen der Themenstellung des Buchs mit den Gesundheitswissenschaften, der Managementlehre und der Erwachsenenbildung dargestellt werden. Dazu wird zunächst ein Überblick über Begriff, Ziele und Inhalt der Gesundheitswissenschaften gegeben. Daran anschließend erfolgt sowohl eine managementwissenschaftliche als auch eine erwachsenpädagogische Einordnung der Themenstellung.
Einordnung in die Gesundheitswissenschaften
Als multidisziplinär arbeitendes Fachgebiet bestehen die Gesundheitswissenschaften aus einer Gruppe „(...) von Einzeldisziplinen, die auf einen gemeinsamen Gegenstandsbereich gerichtet sind, nämlich die Analyse von Gesundheits- und Krankheitsprozessen sowie die Ableitung von bedarfsgerechten Versorgungsstrukturen und deren Evaluation“ (Hurrelmann 1999, S. 5). Dabei stehen Gesundheitsthemen im Mittelpunkt und nicht das Wissen der jeweiligen Wissenschaft. Als Bezugswissenschaften fungieren neben der Medizin, Biologie, Soziologie, Psychologie und Pädagogik auch die Wirtschafts-, Management- und Politikwissenschaften.
Die Leitfragen „(...) der Gesundheitswissenschaften richten sich darauf,
- unter welchen gesellschaftlichen, kulturellen, ökonomischen und ökologischen Bedingungen Menschen gesund bleiben,
- in welchem Interaktionsverhältnis gesundheitsfördernde und krankheitsfördernde Potentiale beim einzelnen Menschen und in Bevölkerungsgruppen stehen,
- durch welche auf die Ausgangsbedingungen gerichteten Aktivitäten sich die Auftretenshäufigkeit und Schwere von Krankheiten zurückdrängen lässt,
- welche strukturellen und organisatorischen Konsequenzen aus dem Gesundheits-Krankheits-Geschehen für das Versorgungssystem und die gesellschaftlichen Arbeits- und Lebensbedingungen mit gesundheitlicher Relevanz gezogen werden müssen,
- welche Möglichkeiten in einer aufeinander abgestimmten und verzahnten Versorgungskette von Gesundheitsförderung, Prävention, Kuration, Rehabilitation und Pflege ergriffen werden können, um Effizienz und Effektivität des Gesundheitssystems zu sichern“ (Hurrelmann/Laaser 2003, S. 25).
Hurrelmann bezeichnet die beiden Arbeitsfelder der Gesundheitswissenschaften als Gesundheitsforschung und Gesundheitssystemforschung (vgl. Hurrelmann 1999, S. 6), wobei jeweils theoretischanalytische und praktisch-empirische Inhalte sowie spezielle Forschungsmethoden zu unterscheiden sind. Zusammenfassend lassen sich die Inhalte der Gesundheitswissenschafte...