Spiritualität und Medizin
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Spiritualität und Medizin

Gemeinsame Sorge für den kranken Menschen

  1. 308 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfügbar
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Spiritualität und Medizin

Gemeinsame Sorge für den kranken Menschen

Über dieses Buch

Dieser Band verbindet die theoretisch-wissenschaftliche Fundierung und die praktische Umsetzung von Spiritual Care, der Sorge für die spirituelle Dimension von Krankheit und Gesundheit, Heilen und Helfen, Leben und Sterben. Dabei berichten renommierte Experten über ihre Erfahrungen aus der Perspektive von Medizin, Pflege, Psychologie, Sozialarbeit, Religionswissenschaft, Soziologie, Theologie und Seelsorge sowie aus der Sicht von Trägern und Einrichtungen.Stimmen zur 1. Auflage: "Man kann mit Fug und Recht sagen, dass hier ein Standardwerk zum Thema Spiritualität und Medizin vorgelegt wurde." (Lebendige Seelsorge 5/2009)"Die lebendigen Kontroversen und die respektvollen Begegnungen verschiedener Denk- und Kulturtraditionen sind äußerst lesenswert und anregend. Sie vermitteln einen sehr guten Überblick über aktuelle Ansätze in der Palliativmedizin." (Deutsches Ärzteblatt 49/2009)

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Information

Jahr
2011
eBook-ISBN:
9783170274860

Teil E: Spirituelle Praxisfelder im Gesundheitswesen

Kann man Spiritualität messen? Operationalisierung des Begriffs

Monika Kögler und Martin Fegg28
Measuring spirituality? Operationalization of a concept
As a topic of empirical psychology, spirituality as a construct needs to become measurable. In this chapter, different questionnaires are presented to provide an overview for researchers and practitioners in the field of Spiritual Care. Approaches based on a personal relationship to God (e. g. religious coping, intrinsic religiosity) may not correspond with the present spiritual experience of people living in Germany. On the other hand, scales with a broad concept of spirituality (e. g. modules of health-related quality of life questionnaires, scale on transpersonal trust) might be ambiguous or imply a pre-defined world-view. A mixed qualitative-quantitative approach as provided by the Schedule for Meaning in Life Evaluation (SMiLE) might help to explore individual spirituality. In summary, there is no „gold standard“ in measuring spirituality. However, scales should be selected depending on the questions to be answered and on characteristics of the assessed population.
keywords
scale – measurement – spirituality – religious coping – meaning

1 Einleitung

In einem Internetforum über Spiritualität stellt der User „Nils“ am 12.9.2006 folgende Frage (http://www.foren4all.de/showthread.php?t=10095, gefunden am 25.2.2008):
„Ich habe da ein Gerät entdeckt mit dem man die Lebensenergie messen können soll. Es besteht hauptsächlich aus einem gezackten Rad, das über Leuchtdioden die Schnelligkeit anzeigt. Je schneller es sich dreht, desto mehr Lebensenergie soll in einem stecken. Man legt seine Hand um das Gerät, und nach einigen Sekunden fängt das Teil an sich zu drehen. Auch soll man es mit ein wenig Übung (das heißt Konzentration der Lebenskraft) schaffen, es aus einiger Entfernung drehen zu lassen. Bevor ich mir das Ding zu Weihnachten schenke, möchte ich doch gerne mal ein paar Erfahrungen von euch zu diesem Lebensenergiemesser erfahren bzw. Erfahrungen mit ähnlichen Geräten hören. Ist es überhaupt möglich die Lebensenergie zu messen? Was meint ihr dazu?“
Der User „Nils“ steht offenbar vor einem Problem: zum einen wünscht er sich ein äußerlich sichtbares Maß für seine Lebensenergie, wahrscheinlich auch, um diese – durch Training – verbessern zu können, zum anderen ist er – zu Recht – doch etwas skeptisch gegenüber den Versprechungen der Hersteller. Kann man so etwas überhaupt „messen“? Handelt es sich nicht um eine unsichtbare, sich der empirischen Wirklichkeit entziehende Größe, die wenn überhaupt, dann nur gefühlt werden kann?
Vor ähnlichen Fragen stehen wir, wenn wir uns mit der Messbarkeit von Spiritualität beschäftigen: Ist dies überhaupt möglich? Kann man Gott, Glaube, Religiosität, ja Spiritualität „messen“? Entzieht sich das Konstrukt „Spiritualität“ nicht den Methoden einer naturwissenschaftlich orientierten Medizin, in der Spiritual Care tätig wird?
Jegliches Konstrukt, das mit Hilfe von empirischen Methoden messbar gemacht werden soll, bedarf einer „Operationalisierung“. Darunter versteht man eine präzise Angabe der Vorgehensweise, mit der ein theoretisches Konstrukt empirisch überprüft werden soll. Bei quantitativem Vorgehen wird beschrieben, welche Fragebögen angewendet und wie die Antworten in Zahlenwerte überführt werden. Bei qualitativen Ansätzen müssen ebenfalls die Begriffe definiert und die Vorgehensweise genau erläutert werden.
Die Operationalisierung dient dazu, dass dasselbe Vorgehen von anderen nachvollzogen und wiederholt werden kann und damit ein Phänomen überhaupt empirischer Forschung zugänglich ist. Jede Messung basiert dabei auf einer – expliziten oder impliziten – Definition von Spiritualität (☞ Grom, 12ff).
Im folgenden sollen einige Versuche, Spiritualität zu messen, vorgestellt werden. Die Sammlung erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern versteht sich als Anregung für Forscher und Praktiker im Bereich Spiritual Care. In einem ersten Schritt wird auf rein quantitative Ansätze zur Messung von Spiritualität eingegangen, in einem zweiten auf qualitative bzw. Mixed Methods-Ansätze.

2 Quantitativ orientierte Fragebögen zur Spiritualität

Einen „Goldstandard“ für die Messung von Spiritualität gibt es nicht, vielmehr ist die Güte des Instruments auch immer davon abhängig, wie gut es zu der untersuchten Zielgruppe und deren Spiritualitätsbegriff passt. Ein Überblick über Ansätze zur Messung von Spiritualität geben z. B. Yeginer (2000), Bucher (2007), Büssing (2008) und Zwingmann (2011).

2.1 Theistische Spiritualität: Spirituelles Wohlbefinden und religiöses Coping

Die meisten Skalen zur Messung vor Spiritualität stammen aus den USA und setzen ein Bild Gottes als persönliches Gegenüber voraus. Dies trifft nicht nur auf Religiositätsskalen zu, sondern auch auf solche, die Spiritualität erfassen wollen.
2.1.1 Spirituelles Wohlbefinden
In zahlreichen Studien in den USA wurde Spiritualität mit Hilfe der „Spiritual Well-Being-Scale“ von Paloutzian und Ellison erhoben. Die Skala besteht aus 20 Items und geht von zwei Dimensionen aus, nämlich „religiöses Wohlbefinden“ (Beziehung zu Gott) und „existentielles Wohlbefinden“ (Lebensziele). Kritisch gesehen wird an der Skala neben psychometrischen Problemen vor allem, dass sie von einer persönlichen Beziehung zu Gott ausgeht und daher nicht die unterschiedlichen Spiritualitätsformen erfasst.
Auf einem breiteren Konzept von Spiritualität basieren demgegenüber der „Index zum spirituellen Wohlbefinden“ von Daalemann und Frey und ebenso die Skala „Spirituelles Wohlbefinden“ von Gomez und Fisher, für die noch keine validierte deutsche Fassung vorliegt (vgl. Bucher 2007).
Der „Index zum spirituellen Wohlbefinden“ wurde nach qualitativen Vorarbeiten entwickelt und besteht aus – durch Faktoren- und Itemanalysen bestätigten – 12 Items, die zwei Skalen zugeordnet sind: Selbstwirksamkeit (6 Items) besteht aus Aussagen wie „Ich weiß nicht, wie ich beginnen soll, meine Probleme zu lösen“, Lebensschema (6 Items) aus Aussagen wie „Ich bin weit davon entfernt, den Sinn des Lebens zu verstehen“.
Der „Spiritual Well-Being Questionnaire“ basiert auf einem multidimensionalen Konzept von Spiritualität mit den Dimensionen: persönlich (Sinn, Friede, Lebensziele, Identität etc.), gemeinschaftlich (Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen), Umgebung (Natur und Kosmos) und Transzendenz (Beziehung zu Gott, Gebetsleben etc.). Insgesamt besteht der Fragebogen aus 64 Items, pro Subskala wurden je 16 Items formuliert. Die Dimensionen sind faktorenanalytisch bestätigt.
2.1.2 Religiöses Coping
Ein in den USA viel verwendetes Konzept ist das des „Religiösen Copings“, das sich nicht allgemein für Religiosität interessiert, sondern vielmehr für situationsspezifische religiöse Bewältigungsstrategien. Religiöse Bewältigungsstrategien werden dabei als Mediatoren zwischen Religiosität und Anpassung an kritische Lebensereignisse verstanden. Entscheidend ist demnach nicht, woran jemand abstrakt glaubt, sondern ob es in konkreten Situationen Auswirkungen hat. Der umfassendste Fragebogen zu religiösem Coping ist derzeit der RCOPE (Pargament 2000), der sowohl positive als auch negative Formen von religiösem Coping erfasst. Wichtige Dimensionen sind Sinnfindung und unterschiedliche Formen von Kontrolle (z. B. Abgabe der Verantwortung an Gott oder Zusammenarbeit mit Gott), aber auch soziale Aspekte wie die Zugehörigkeit zu einer religiösen Gemeinschaft. Eine auf den deutschen Sprachraum angepasste Kurzversion wurde für Krebspatienten angewendet (Zwingmann et al. 2006).
Eine Besonderheit des Fragebogens besteht darin, dass er auch negative Coping-Formen erhebt, z. B. den Glauben an einen strafenden Gott. Allerdings wird stark von einem personalen Gottesbild und der Zugehörigkeit zu einer religiösen Gemeinschaft ausgegangen. Die Messung von spirituellem Wohlbefinden und spirituellem Coping erscheint vielversprechend, allerdings fehlen für Deutschland derzeit noch etablierte Maße.

2.2 Intrinsische Spiritualität und spirituelle Erfahrung

Mehrere Fragebögen versuchen, zum inneren Kern von Spiritualität vorzudringen. Sie fragen danach, wie sehr sie tatsächlich in der Person verankert ist (intrinsiche Religiosität, Zentralität) oder auf persönlicher Erfahrung beruht.
2.2.1 Intrinsische Religiosität
Für die Geschichte der Operationalisierung von Spiritualität war Allports Unterscheidung zwischen intrinsischer und extrinsischer religiöser Motivation bedeutsam: Menschen mit einer extrinsischen religiösen Motivation benutzen Religiosität als Mittel zum Zweck für andere Ziele, z. B. Trost, Geselligkeit oder Status. Eine intrinsische religiöse Motivation ist hingegen verinnerlicht, sie durchdringt die ganze Persönlichkeit. Bei aller Kritik an Allports oftmals wertender Unterscheidung zwischen „guter“ (intrinsischer) und „schlechter“ (extrinsischer) Religiosität ist das Konzept weiterhin von Bedeutung.
Huber (2004) plädiert beispielsweise dafür, „Zentralität“ – etwa im Sinn einer intrinsischen religiösen Motivation – und „Inhalt“ von Spiritualität/Religiosität getrennt zu erfragen. Die „Zentralitätsskala“ ist eine genuin deutsche Entwicklung.
Huber operationalisiert Zentralität als Intensität von fünf grundlegenden Ausdrucksformen der Religiosität (nach Glock): Gottesdienst, kognitives Interesse, Ideologie, Gebet und Erfahrung. Der Gesamtwert auf der Zentralitätsskala wird als Indikator gewertet, dass das religiöse Konstruktsystem eine zentrale Stellung in der Persönlichkeit einnimmt.
Auf dem gleichen Konzept, erweitert um Formulierungen für eine nichttheistische Spiritualität, basiert der „Religionsmonitor“ der Bertelsmann Stiftung (http://www.religionsmonitor.com/). Mit dem sehr umfassenden Instrument (fast 100 Fragen) wurden 2007 erstmals Menschen aus allen Kontinenten und Weltreligionen repräsentativ zu ihrer Spiritualität befragt.
Eine neue Skala „Intrinsische Spiritualität“ von Hodge (sechs Itmes) besteht aus sechs Items, die die Person und ihr Leben als Ganzes betreffen und auf eine Skala laden. Hodge verzichtet darauf, Spiritualität inhaltlich zu bestimmen und fragt z. B. nur danach, wie gut „meine Spiritualität“ die „Fragen, die ich über das Leben habe“, beantwortet (zitiert nach Bucher 2007).
2.2.2 Transpersonales Vertrauen
Die Skala „Transpersonales Vertrauen“ von Belschner will eigene spirituelle Erfahrungen in Abgrenzung zu kognitivem Wissen um Glaubensinhalte erheben. Der Begriff transpersonal meint dabei eine Öffnung für einen Bewusstseinsbereich, der über das Alltagsbewusstsein hinausgeht. Vertrauen in eine transzendente Wirklichkeit (Loslassen) wird als komplementär zum eigenen Tun (Selbstwirksamkeit, Kontrolle) verstanden und ist Teil eines umfassenden Konzepts integraler Gesundheit.
Die elf Items der Skala sind so formuliert, dass sie für unterschiedliche Gottesbilder offen sind, z. B. „Ich versuche, mich der Hand Gottes/eines höheren Wesens/einer höheren Wirklichkeit anzuvertrauen.“ Yeginer (2000) beschreibt die sehr guten psychometrischen Eigenschaften dieser eindimensionalen Skala. Ein Vorteil liegt auch darin, dass sie in Deutschland entwickelt wurde und Vergleichsdaten einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe existieren. Ein Nachteil ist die z. T. unpräzise Formulierung mancher Items.

2.3 Spiritualität als Teil der gesundheitsbezogenen Lebensqualität

Die Messung von gesundheitsbezogener Lebensqualität fragt danach, wie Betroffene selbst ihre Gesundheit erleben. Spiritualität/Religiosität wird dabei als mögliche Komponente – neben physischen, psychischen, sozialen und funktionalen Aspekten – diskutiert.
Der „World Health Organization Quality of Life Questionnaire“ (WHOQOL-100, Kurzform WHOQOL-BREF, vgl. www.who.int) ist ein übergreifendes (nicht auf eine spezifische PatientInnengruppe zugeschnittenes), interkulturell entwickeltes und in einer deutschen Version vorliegendes Instrument, das Items zur Spiritualität einbezieht. In der Langform des Fragebogens (100 Items) befassen sich 4 Items mit dem Thema „Religion, persönliche Anschauung“, in der Kurzform (26 Items) gibt es nur eine Frage zu „Spiritualität, Religion, persönlichen Überzeugungen“, nämlich: „Betrachten Sie Ihr Leben als sinnvoll?“
Ein eigenes Zusatzmodul für spirituelles Wohlbefinden gibt es im Fragebogensystem „Functional Assessment of Chronic Illness Therapy“ (FACIT, vgl. www.facit.org), das ursprünglich für PatientInnen mit onkologischen Erkrankungen entwickelt und inzwischen auf weitere chronische oder lebensbedrohliche Krankheiten ausgeweitet wurde.
Die „Spiritual Well-Being Scale“ (FACIT-Sp) besteht aus 12 (bzw. in der erweiterten, bisher nicht deutsch erhältlichen Fassung 23) Items, die faktorenanalytisch den beiden Subskalen Sinn (4 Items, z. B. „Mein Leben ist ohne Sinn und Zweck.“) und Glaube (8 Items, z. B. „Ich finde Trost in meinem Glauben/meiner Spiritualität.“) zugeordnet werden.
Eine Stärke der FACIT-Sp ist, dass sie kultur- und religionsübergreifend entwickelt wurde (Peterman, 2002).

3 Qualitative und Mixed Methods

Angesichts der Schwierigkeit, Spiritualität so messbar zu machen, dass sie für eine breite Bevölkerungsgruppe angemessen abgebildet wird, bieten sich qualitative Verfahren an, um die individuellen Quellen von Sinn und Spiritualität zu erfragen. In einem weiten Verständnis ist Spiritualität aufs Engste mit Lebenssinn verknüpft, der mit Hilfe des „SMiLE“ (Schedule for Meaning in Life Evaluation) erfasst werden kann. Der Interviewleitfaden „SPIR“ für die spirituelle Anamnese von Patienten lässt über die Möglichkeiten von quantitativen Fragebögen hinaus individuelle spirituelle Bedürfnisse beschreiben.

3.1 Das SPIR-Interview

Viele Patienten wünschen, dass sie spirituelle Bedürfnisse, Ressourcen und Schwierigkeiten mit dem Arzt besprechen können, unabhängig davon, ob sie mit einem Seelsorger in Kontakt stehen oder nicht. Frick et al. (2006) haben daher in Anlehn...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Vorwort zur 2. Auflage
  6. Teil A: Spiritualität: Zur Theorie eines vieldeutigen Begriffs
  7. Teil B: Spiritualität zwischen säkularisierter Beliebigkeit und kirchlicher Normierung
  8. Teil C: Spiritual Care als Thema von Medizin und Pflege
  9. Teil D: Interkulturelle und interreligiöse Perspektiven
  10. Teil E: Spirituelle Praxisfelder im Gesundheitswesen
  11. Anhang