Liebe Fanatiker!
eBook - ePub

Liebe Fanatiker!

Gegen extreme Überzeugungen

  1. 128 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Liebe Fanatiker!

Gegen extreme Überzeugungen

Über dieses Buch

Im vergangenen Jahr veröffentlichte die Frankfurter Rundschau philosophische Briefe an Menschen extremer Glaubensüberzeugungen. Nach dem großen Erfolg der Reihe erscheinen alle Briefe nun in Buchform. Markus Tiedemann gelingt darin das Kunststück, komplexe Zusammenhänge und religiöse wie moralische Zwickmühlen in höchst verständlicher Sprache darzustellen. Das Buch versucht sich an kurzen Antworten auf schwierige Fragen – und regt auf diese Weise sehr zum Nachdenken an. Können wir davon ausgehen, dass Gottes Wille gut ist? Existiert überhaupt ein vollkommenes Wesen? Sind das Böse und die zahlreichen Übel der Welt nicht Grund genug, um an der Existenz eines Gottes zu zweifeln? Woher stammt die Homophobie vieler Religionen? Lässt sich das Gute auch ohne Gott begründen? Können Ungläubige gute Menschen sein? Kann man einen Gott beleidigen? Fragen wie diese mahnen uns gleichermaßen, den Glauben zu überdenken und bescheiden zu bleiben.

Häufig gestellte Fragen

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Ist Gottes Wille gut?

Lieber Fanatiker!
Wer an die vielen Probleme mit den heiligen Schriften denkt, kommt irgendwann zu einer schwierigen Frage: Woher wissen wir, dass Gottes Wille gut ist? Sind der Wille Gottes und das Gute identisch? Die meisten religiösen Menschen antworten mit einem klaren JA. Selbstverständlich ist dies aber nicht.
Dass Atheisten hier eine andere Meinung haben, ist klar. Schon bei einer Religion mit mehreren Göttern
wird die Sache kniffelig. Für die alten Griechen etwa war es klug, aber nicht unbedingt gut, den Göttern zu gehorchen. Sich mit Zeus, Poseidon oder Athene anzulegen, war ziemlich dämlich, also tat man besser, was verlangt wurde. Mit Überzeugung hatte das wenig zu tun. Erstens waren diese Götter selbst alles andere als moralische Vorbilder und zweitens stellten sie oft unterschiedliche Forderungen. Die einen wollten Troja zerstören, die anderen wollten es verteidigen. Einige wollten Odysseus absaufen lassen, die anderen wollten ihn retten. Kennst du die Geschichte von Paris und dem Apfel? Der arme Kerl wurde von drei Göttinnen dazu aufgefordert zu entscheiden, wer von ihnen die Schönste sei. Paris saß in der Falle. Es war unmöglich, den Willen aller Göttinnen zu erfüllen.
Erst wenn Religionen nur einen einzigen Gott verehren (Monotheismus), kann überlegt werden, ob Gottes Wille das Gute ist.
Doch selbst wenn man von der Existenz eines einzigen Gottes überzeugt ist, folgen daraus mehrere theoretische Möglichkeiten:
  1. Gott ist das Gesetz des Guten. In diesem Fall hat Gott keinen Willen. Er ist ja keine Person, sondern ein Prinzip. Wir Menschen müssten dann vor allem unsere Vernunft benutzen, um das göttliche Prinzip zu erkennen.
  2. Gott ist nicht selbst das Gesetz des Guten und er hält sich nicht daran. Ein böser Gott ist natürlich kein schöner Gedanke, er ist aber vorstellbar. In diesem Fall müssten wir wohl Widerstand gegen Gott leisten, auch wenn das ebenso tapfer wie aussichtslos wäre.
  3. Gott ist nicht selbst das Gesetz des Guten, hält sich aber daran. Dies wäre ein wahrhaft lieber Gott. Er könnte jederzeit anders handeln, tut es aber nicht, weil er gut sein möchte.
Wie ist deine Meinung?
Viele Grüße
Søren Kierkegaard (Abteilung Glauben und Zweifel)

Ist es gut, religiöse Pflichten und Rituale zu befolgen?

Lieber Fanatiker!
Religionen haben zahlreiche Rituale und Verhaltensregeln entwickelt und längst nicht alle wurden zum Schutz der Mitmenschen formuliert. Die Vorschriften betreffen Nahrung, Arbeitstage, Gebetszeiten, Beichte, Gottesdienste und vieles mehr.
Verteidiger betonen die Vorteile dieser Vorgaben. Beispielsweise hilft ein geregelter Tagesablauf vielen Menschen dabei, ihr Leben zu gestalten. Zu einer Zeit ohne Kühlschrank und Mikrowelle dürften nicht wenige Essensvorschriften zur Gesundheitsvorsorge beigetragen haben.
Skeptiker halten viele religiöse Alltagsvorschriften entweder für veraltet oder für absurd. Sie verweisen auf die hygienischen Fortschritte in der Nahrungszubereitung. Sie fragen, ob es für einen Gott wirklich von Bedeutung sein kann, zu welchen Tageszeiten er angebetet wird oder an welchen Wochentagen der Rasen gemäht werden darf.
Eine viel grundlegendere Kritik stammt von Immanuel Kant, der die Bezeichnung „Afterdienst“ prägte. Bis heute wird darüber gestritten, ob Kant damit „Hinterherdienst“ (engl.: after) gemeint hat. Die zweite Deutung bezieht sich auf das deutsche Wort „After“ und legt eine weit unhöflichere Bewertung nahe. Kants Gedankengang lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
Wenn Gott gut ist, dann ist er an das Sittengesetz gebunden. Das bedeutet, Gott hält nur diejenigen Dinge für gut, die vernünftig und allgemeingültig sind. Folgerichtig würde er wollen, dass die Menschen nur Pflichten anerkennen, die als vernünftig und notwendig erkannt wurden.
Demnach wäre es für Gott ein Ärgernis, wenn Menschen Rituale vollziehen, um sich bei ihm einzuschmeicheln. Egoismus, Angst oder blinde Unterwerfung sind keine wertvollen Leitmotive (Maximen). Gott will freie und selbstbestimmt handelnde Menschen. Nach Kant gibt es daher nur einen sinnvollen Gottesdienst: anständiges Verhalten. Religiöse Rituale sind dagegen bedeutungslos.
Kant selbst hat diese Überzeugung übrigens gelebt. Jedes Jahr, wenn die Studenten und Professoren der Universität zu Königsberg durch die Stadt zum Gottesdienst zogen, hat sie Kant begleitet. An der Kirche angelangt, hat er freundlich gegrüßt und ist dann guten Gewissens nach Hause gegangen.
Viele Grüße
Ludwig Feuerbach (religionskritische
Forschungsabteilung)

Erziehen Religionen zum blinden Gehorsam?

Lieber Fanatiker!
In den heiligen Schriften finden sich viele schlimme Geschichten über blinden Gehorsam. Besonders erschreckend ist die Erzählung von Abraham und Isaak (Ibraim und Ismael), die für Juden, Christen und Muslime eine große Rolle spielt: Gott fordert von Abraham, seinen eigenen Sohn zu opfern. Traurig, aber ohne ein Widerwort, ohne Bitten oder Flehen, bricht Abraham auf, um in den Bergen seinen Sohn zu töten und zu verbrennen. Erst im letzten Moment wird das Schlimmste verhindert: Ein Engel erklärt, dass alles nur ein Test war. Isaak darf weiter leben und statt seiner wird ein Schafbock geopfert. Ob damit wirklich alles wieder gut ist, darf allerdings bezweifelt werden. Es stellen sich einige unangenehme Fragen:
Was ist das für ein Vater, der nicht einmal eine Erklärung verlangt, wenn er ein unschuldiges Kind töten soll? In dem Film von Fatih Akin „Auf der anderen Seite“ erklärt ein Vater, dass er sich lieber Gott selbst zum Feind gemacht hätte, als diesen Befehl auszuführen. Ist diese Haltung nicht ebenso mutig wie sympathisch?
Was ist das für ein Gott, der solche Forderungen stellt?
Der Gott der Juden, Christen und Muslime wird immer wieder als barmherzig, gütig und gnädig bezeichnet. Mit der willkürlichen Tötung eines Kindes passt das kaum zusammen. Entweder ist dieser Gott nicht barmherzig oder Erzählungen wie die von Abraham und Isaak müssen dringend neu interpretiert werden.
Erzeugen Religionen blinden Gehorsam? Die Gefahr ist wohl kaum von der Hand zu weisen, wenn es als vorbildlich gilt, eine grausame Handlung zu begehen, nur weil sie von einer Autorität gefordert wird. Die Geschichte ist leider reich an Beispielen für religiösen Fanatismus.
Immerhin kann man mit den Religionen auch folgende Gegenargumentation aufbauen:
Wenn wir den Willen Gottes nicht verstehen, wenn seine Forderungen uns unsinnig oder ungerecht erscheinen, sollten wir die Anweisungen auch nicht befolgen. Der Grund dafür ist, dass wir in diesem Fall nicht sicher sein können, Gott richtig verstanden zu haben. In zahlreichen Stellen des Korans, der Thora und der Bibel wird der Mensch dazu aufgefordert, seinen Verstand zu gebrauchen und seinem Gewissen zu folgen. Nur die heiligen Schriften auswendig zu lernen, reicht demnach nicht aus. Wenn all dies stimmt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass Gott Forderungen stellt, die wir als unsinnig oder ungerecht empfinden. Viel wahrscheinlicher ist es, dass wir ihn oft missverstehen. „Deus lo vult“ („Gott will es!“). Mit diesem Schlachtruf sind viele Kreuzritter in den Krieg gezogen. Heute verurteilen alle christlichen Kirchen die Kreuzzüge als Verbrechen gegen Menschen und den göttlichen Willen. Wer also vorschnell handelt, weil er meint zu wissen, was Gott will, könnte der wahre Gotteslästerer sein.
Zudem bleibt eine knifflige Frage: Ist Gottes Wille überhaupt das Gute?
Erinnere dich an die beiden letzten Briefe.
Dein Stanley Milgram

Kann ein Krieg „heilig“ sein?

Lieber Fanatiker!
Krieg ist nun wirklich eine scheußliche Sache. Krieg bedeutet, die erste Regel menschlichen Zusammenlebens außer Kraft zu setzen: das Tötungsverbot. Ohne das Tötungsverbot macht es gar keinen Sinn, sich in Gemeinschaften zusammenzuschließen. Daher ist es so sehr schwer, einen Krieg als gerecht oder gar gut zu bezeichnen.
Umso trauriger ist es, dass in den heiligen Schriften sehr viel über Krieg berichtet wird.
Die Thora und das Alte Testament berichten davon, dass Gott das Volk Israel ins gelobte Land geführt hat. Dort sollten die Israeliten leben und sich vermehren. Allerdings war dieses Land nicht leer. Vielmehr war geplant, die dort lebenden Völker zu vertreiben oder zu ermorden. Der sogenannte Bann zwischen dem Volk Israel und dem Gott Jahwe besagt leider genau das.
Christen berufen sich in der Regel auf die Bergpredigt, in der Jesus einen absoluten Gewaltverzicht forderte. Allerdings hat dies die Kreuzzüge nicht verhindert, bei denen christliche Heere immer wieder Angriffskriege gegen die sogenannten Ungläubigen führten.
Im Islam gibt es den sogenannten Dschihad, für den es im Wesentlichen drei Interpretationen gibt:
  1. Dschihad ist der ständige Krieg gegen die Ungläubigen, bis alle Menschen dem Islam angehören.
  2. Dschihad ist ein reiner Verteidigungskrieg, um Unschuldige vor einem Angriff zu schützen.
  3. Dschihad ist der Kampf gegen sich selbst. Es ist das Ringen des Gläubigen um eine anständige und gottgefällige Lebensführung.
Schnell wird deutlich, welche Folgen die unterschiedlichen Interpretationen der heiligen Schriften haben. Leider ist die Geschichte voller Beispiele, in denen Religionsvertreter zu Kriegen aufgerufen und Waffen gesegnet haben.
Allerdings muss betont werden, dass sich viele gläubige Menschen gegen Gewalt und Krieg engagieren. Auch sie können sich auf religiöse Vorbilder berufen. Jesus forderte, dass man seine Feinde lieben solle. Alle Menschen sind entweder „Brüder im Glauben oder Brüder in der Menschlichkeit“. Diese Worte wurden im 7. Jahrhundert von Ali ibn Abi Tal...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titelseite
  2. Impressum
  3. Widmung
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Vorwort
  6. Über die Existenz Gottes
  7. Über Tod und Todesangst
  8. Über Glaube und Sexualität
  9. Über die Religionen und das Gute
  10. Über Religion, Meinungsfreiheit und Rechtsstaat
  11. Über Atheismus und Ethik
  12. Über Religion und Lebensqualität
  13. Bildnachweis
  14. Der Autor