Wenn die Kinder Steine ins Wasser werfen
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Wenn die Kinder Steine ins Wasser werfen

  1. 120 Seiten
  2. German
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Wenn die Kinder Steine ins Wasser werfen

Über dieses Buch

"Eine Reise von da nach dort, ins Ich und die Welt. Ein Abenteuer von lakonischer Schönheit.Schauen und Denken, das ist der Anfang aller Literatur. Warum also nicht noch einmal zurückkehren zu diesem Anfang? In aller Ursprünglichkeit noch einmal schauen, denken, sich erinnern? Am Flughafen von Brüssel beginnt Xaver Bayers Reise in den Kontinent namens Ich. Von anderen Weltgegenden ist bald die Rede, von einer seltsamen Nähe des Fremden und einer ungemütlichen Fremdheit des Nahen. "Wenn die Kinder Steine ins Wasser werfen" handelt von Physik und Metaphysik. Aus einem Fleck am Tresen des Flughafenrestaurants wachsen Assoziationen, aus chinesischen Feuerwerken oder dem Klang einer mechanischen Nachtigall des 19. Jahrhunderts. Weit verästelt ist der Strom des Bewusstseins, den Xaver Bayer scheinbar absichtslos in den Lauf seiner genauen Sprache bringt. Einen Punkt gibt es erst am Ende dieser magischen Prosa. Es zeigt sich, was der mit dem Hermann-Lenz-Preis ausgezeichnete österreichische Schriftsteller kann: Die Welt in einem Satz durchqueren."

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Erst das Funkeln des Bodenbelags in der Passagierbrücke ist es, das mich wieder ganz zu mir kommen lässt, und zum ersten Mal, seit ich im Flugzeug aufgewacht bin, fühle ich mich gewissermaßen komplett, war ich doch den vorhergegangenen Flug über mehr wie eine Hülle ohne Inhalt gewesen, habe gleichgültig das Bordmenü zu mir genommen, nur um meinen Magen mit Treibstoff befüllt zu wissen, selbst die Turbulenzen habe ich in vollkommener Gefühllosigkeit über mich ergehen lassen, die Landung habe ich verschlafen, und erst als mich eine der Stewardessen an der Schulter berührte, habe ich die Augen aufgeschlagen, nahezu alle anderen Fluggäste waren schon ausgestiegen und ich, noch traumtrunken, stand nun endlich auch auf, und während ich mich durch das leere Flugzeug Richtung Ausgang bewegte, durchzuckte mich für einen Augenblick wieder das Gefühl, das ich vor einigen Stunden beim Betreten der Maschine hatte, eine Momentaufnahme, die aber so intensiv war, dass sie mir wie ein Tafelbild vorkam, das halbvolle Flugzeug, die fahlblaue Beleuchtung, im Mittelgang die Flugbegleiter mit verschränkten Händen, auf die Passagiere der vorderen Sitzreihen wartend und, so meine erste Assoziation: andächtig wie in der Kirche, und alles war wie mit über das Eigentliche hinausreichender Bedeutung aufgeladen, da saß schon ein Junge mit einem Stofftier, das man dann vermutlich auf den Fernsehbildern zwischen den Flugzeugtrümmern sehen würde, alles schien unweigerlich dazu bestimmt, auf ein Unglück hinauszulaufen, aber eben jetzt, beim Schritt aus dem Flugzeug, als mein Blick vom Funkeln des dunkelgrauen Bodenbelags in der Gangway angezogen wird, muss ich unwillkürlich an einen Sternenhimmel denken, und mit dem ersten tiefen Luftholen außerhalb der Kabine und den weiteren Schritten über den aufglitzernden und mit Schleifspuren von Trolleys und Schuhen übersäten Boden fallen fürs erste alle Müdigkeit und Trübsal von mir ab, und es stellen sich mir Orte und Begebenheiten ein, wo ich in den letzten Monaten auch solche vermeintlichen Sternbilder entdeckt habe, sie selbst wie ein großes Sternbild im Jahreskreis überall auf der Welt verstreut, einmal die Maulwurfhaufen auf einer Wiese, ein andermal die unterschiedlich großen Wassertropfenkugeln in einem Spinnennetz, da Vogelkottupfen am Asphalt unter dem Baum, wo die Krähen übernachten, dort Blütenblätter auf einer Motorhaube, mal Köpfe der abends im Meer Schwimmenden, einer hier, drei dort, mal auf die Straße gefallene Föhrenzapfen, im Vorüberfahren durch das Autofenster entdeckt, mal Tropfen im Staub unter den Wäscheleinen, oder die Lichter in der Nacht vom Gegenüberufer, und während mir das alles durch den Kopf geht, registriere ich beiläufig, wie ein Mädchen auf der anderen Seite der Glasscheibe, an der ich gerade vorbeikomme, im Wartebereich eines Abfluggates ein Foto von ihren Freundinnen schießt, und auch ich werde auf diesem Foto im Hintergrund zu sehen sein, wenn die Mädchen gleich anschließend auf den kleinen Bildschirm der Digitalkamera schauen, und als ich meinen Blick wieder zum Boden senke, sind aufs Neue die Sternbilder da und mir wird klar, dass mich der glitzernde Bodenbelag auf diesem Laufsteg der Fluggastbrücke am meisten an den Glimmerverputz mancher Häuser der Kleinstadt, in der ich geboren wurde, erinnert, ein Verputz, der, wie man sagt, so lange hält wie kein anderer und von dem es einem im Sommer beim Vorübergehen aus hundert Sonnenaugen zublinzelt, und während ich mich mit meinem Handgepäck, dem Rucksack und der Kameratasche weiter Richtung Transferbereich bewege, fällt mir ein, wie ich vor einem halben Jahr zuhause gewesen bin, um meine Eltern zu besuchen, und wie ich mit den beiden im Garten in der Abendsonne saß und sie die Schachtel mit den alten Fotos hervorholten und wir diese gemeinsam betrachteten, und unterdessen habe ich die übrigen Passagiere, die vor mir ausgestiegen waren, wieder eingeholt und ich muss meinen Schritt verlangsamen, damit ich mich weder vordränge noch jemandem auf die Ferse steige, und in diesem mir auferlegten Schleichgang mustere ich die Architektur der Gänge, und beim Anblick der Sicherheitsschleusen für die von außerhalb Europas einlangenden Reisenden wird mir ein bisschen unwohl, denn sie sehen aus wie Kulissen für einen Science-Fiction-Film, dessen Handlung in einem totalitären Staat einer fernen Zukunft spielt, und man kann sich leicht vorstellen, wie da plötzlich in diesen durchsichtigen Röhren, durch die man zu gehen gezwungen ist, die Gitterschranken vor und hinter einem geschlossen werden, wenn man einem Sicherheitsbeamten oder einem Computerprogramm verdächtig erscheint, und ich muss an das Afrikanerghetto auf Malta denken, in dessen Nähe ich mich vor einiger Zeit, vor fast schon einem Jahr, ein paar Tage lang aufgehalten habe, besonders das Gespräch mit einem jungen Mann ist mir in Erinnerung, der mir von der vierzehnmonatigen Haft erzählte, die über ihn verhängt worden war, nur weil er kein Visum hatte, und wie er mir dann gestattete, in einem der verdreckten Zelte, in dem er und die anderen Unerwünschten beschäftigungslos untergebracht waren, ein paar Fotos zu schießen, und diese habe ich auch noch vor Augen, als ich bei den Hinweisschildern vorbeikomme, die den Fluggästestrom teilen, links zu den Gepäcksförderbändern, rechts zum Transferbereich, ich biege also nach rechts ab, widerwillig wie meist, wenn ich als einer unter vielen einer Weisungstafel gehorche, und während ich mich zwischen den Menschen, die mir jetzt doch eine Spur zu lahm dahintrotten, hindurchschlängle, wundere ich mich erneut darüber, weshalb sich in Europa die Menschen so täppisch und wenig elegant bewegen, sodass sie ständig zusammenstoßen oder man einander im Weg steht, allem Anschein nach mitverursacht durch die allerorts eingerichteten Reglementierungsmaßnahmen, und ich denke daran, wie ich den organischen Fluss der Bevölkerung in den asiatischen Städten vermisse, wo eine feine Sensorik jedes einzelnen Voraussetzung aller Bewegung zu sein scheint, und so ähnelt das einander Ausweichen und miteinander Vorwärtskommen eher einem graziösen Spiel, und im Achtgeben und im Abschätzen von Gehrichtung und Schrittgeschwindigkeit der anderen Passanten kommt eine universale und sozusagen entschwerende Fürsorge zum Tragen, die ich hier am Flughafen von Brüssel, aber auch in den meisten anderen Städten des Westens vergeblich suche, doch selbst daran gewöhnt man sich, denke ich, als ich auf der Rolltreppe stehe, die mich nun zu den Ebenen mit den Geschäften und Lokalen hinaufschiebt wie in einem Großkaufhaus, allein mit dem Unterschied, dass es keine Musikberieselung gibt und dass die Mehrheit der Menschen, die außer mir hier unterwegs sind, auf den ersten Blick Reisende und erst auf den zweiten potenzielle Konsumenten sind, denn wer hier einkauft, tut dies vornehmlich, um die Wartezeit zu überbrücken, und so sind auch der Gang und die Gesten dieser Transfergestalten auffallend anders als bei Besuchern einer Shoppingmall, und nahezu die einzigen, die einem durch eine gewisse echte Gelassenheit ins Auge stechen, sind Angestellte des Flughafenbetriebs, die eben nicht genötigt sind, sich auf einem Reiseweg zwischen A und B eine bestimmte Zeitspanne lang aufzuhalten, und als mein Blick auf eine schwarze Putzfrau trifft, erinnere ich mich an meinen Besuch vor kurzem im Musée des Arts et Métiers in Paris, wo ich alle Schauräume durchwanderte und Exponate betrachtete, die mich teilweise so rührten, dass mir zum Beispiel vor einem den Gesang einer Nachtigall imitierenden Mechanismus aus dem 19. Jahrhundert oder dem Großrechner Cray 2 fast Tränen in die Augen stiegen, zuletzt stand ich dort im Kuppelsaal, wo ein Foucaultsches Pendel von der Decke hängt, und wurde Zeuge, wie ein Museumsaufseher einer Putzfrau die Funktionsweise des Pendels erklärte, und wie erfreulich, denke ich jetzt, waren sowohl die Bewegungen des schnurrbärtigen älteren Mannes anzusehen, wie er nach oben wies und das kreisende Schwingen des Pendels andeutete, als auch die Augen der schwarzen dicken Frau, die dem Spiel seiner Hände folgten, und diese beiden Menschen stachen aus der Besucherschaft des Museums hervor, weil sie eine Ruhe an den Tag legten, wie sie nur jemand hat, der sich täglich an diesem Ort aufhält, und darüber sinne ich noch nach, als ich mit der Rolltreppe ein weiteres Stockwerk hinauffahre, und der Schwung einer Frau, die an mir vorbei hochsteigt, hinterlässt in der Luft den Hauch eines Parfums, das mir bekannt vorkommt, ohne dass ich imstande bin, es jemandem zuzuordnen, aber so flüchtig wie der Duft ist auch diese vage Reminiszenz, schon ist mein Blick auf die Rillen der Rolltreppenstufe gefallen, auf der ich stehe, und hat mich an die breiteren Rillen alter Straßenbahngarnituren denken lassen, in denen sich im Winter das schmutzige Schmelzwasser und die Rollsplittsteinchen aus dem Profil der Schuhe der Mitfahrenden sammeln, und am Ende der Rolltreppen fällt mir wiederum auf, wie oft ich in ähnlichen Situationen an dasselbe denken muss, so zum Beispiel jetzt an die Bemerkung eines ehemaligen Mitstudenten, der sich einmal darüber mokierte, dass viele Leute, die eine Rolltreppe hinauf- oder hinabsteigen, vor dem Ende, wo die Stufen sich absenken, ineinander schieben und von dem gezahnten Schlitz verschluckt werden, plötzlich stehenbleiben, und es ist mir fast unangenehm, dass ich auf Rolltreppen wie ein Automat stets auf dieselbe Weise reagiere und an diesen Kommilitonen denken muss, und nun betrete ich die Ebene, in der sich auch mein Abfluggate befindet, und gehe, da mein Weiterflug erst in einigen Stunden angesetzt ist und ich keinen Plan habe, wie ich diese Zeit verbringen werde, sehr langsam an den Geschäften dieses Stockwerks entlang, den Rucksack über der rechten Schulter, sein Gewicht gerade noch so, dass es mir nicht unangenehm ist, die Kameratasche auf der anderen Schulter, und meine Augen streichen über die mannigfaltigen Waren in den Schaufenstern, aber ich sehe alles, so wird mir nach einigen Sekunden bewusst, ohne es wirklich zu sehen, denn ich denke im Stillen immer noch darüber nach, was es damit auf sich hat, dass ich so oft den immergleichen Gedankenwegen folge wie einem Ariadnefaden und dass ich mich zuweilen regelrecht zwingen muss, von den vertrauten Pfaden des Denkens abzubiegen, so kann es manchmal passieren, dass ich nach der x-ten Wiederholung einer Assoziation beim Ansichtigwerden eines Dings oder einer Begebenheit eine Handlung setze, die von außen betrachtet absurd wirkt, und das nur, um mich wieder als Herr im Haus meiner Gedanken zu fühlen, ich weiche also von meinem gewohnten Weg ab, um gegen die Gewohnheit zu protestieren, denn in ihr wittere ich die Gefahr der Unaufmerksamkeit, des Kontrolliertwerdens, das heißt, wenn ich zum Beispiel von einem mir vertrauten Ort zu einem anderen mir vertrauten Ort unterwegs bin und mir meiner Hörigkeit gegenüber dem ebenso vertrauten Ablauf des Dahingelangens bewusst werde, kann es sein, dass ich kehrtmache oder einen Umweg einschlage, im Gehen die Augen schließe oder meine Schrittgeschwindigkeit so verringere, dass ich mich, objektiv beurteilt, auffällig verhalte, auch reicht zuweilen schon eine vertraute Tonfolge oder eine Textzeile aus und ein Lied geht mir stundenlang nicht aus dem Kopf, was für mich eine ähnliche Bevormundung bedeutet, wie die der unbewussten Wiederholung, und ebenfalls in diesem Moment kommt mir mein Dahinschlendern auf gewisse Weise zu typisch vor, es ist zu sehr das, was man sich erwartet und was ich mir erwarte von jemandem, der auf einem Flughafen seine Zeit zwischen Ankunft und Weiterflug totzuschlagen hat, und so bleibe ich stehen, wobei ich allerdings vor mir selbst nicht verhehlen kann, dadurch auch einer Art von Automatismus anheimzufallen, aber da beginnen mir meine Gedankenspiele manieriert vorzukommen, und wie um damit meine soeben entstandenen Ideen abzuschütteln, setze ich mich wieder in Bewegung, umrunde zur Gänze den von Duty-free-Shops und Airportbars gesäumten Schacht mit den Rolltreppen, und da ich etwas durstig bin, mich jedoch kein Lokal mehr als ein anderes verlockt, wähle ich einfach das nächstbeste, das Imitat einer gemütlichen belgischen Biertrinkstube, und ich stelle Rucksack und Kameratasche auf einen Sessel an einem der freien Tische ab, setze mich und blicke umher, aber dann, als niemand kommt, bei dem ich etwas bestellen könnte, stehe ich auf, werfe wie immer einen schnellen Absicherungsblick auf meine Fototasche, ob ich sie denn gefahrlos hier stehen lassen kann, gehe zur Theke und warte, bis sich einer der Angestellten mir zuwendet, und beim Anblick eines runden Kaffeeflecks auf dem Holz glaube ich zuerst, dass da ein Geldstück liegt, und die schwarze Glasputzbürste in der Spüle erinnert mich an einen Seeigel, und gleich fragt mich eine Kellnerin, womit sie mir denn dienen könne, und während ich mich für eine der in der Getränkekarte angebotenen Biersorten entscheide, lege ich meine Hände auf die Theke und meine Finger hinterlassen schnell verschwindende Dunstumrisse auf dem dunkel gefirnissten Holz, wie mir auffällt, als ich die Hände wieder hebe, und ungeachtet dessen wischt mit dem Gesichtsausdruck einer Verdruss gewohnten Kämpferin die Servierkraft mit einem Lappen darüber, nachdem sie nickend meine Bestellung zur Kenntnis genommen und mir zu verstehen gegeben hat, dass sie mir das Bier an den Tisch bringen werde, dann widmet sie sich dem Kunden neben mir, und ich nehme wieder Platz, und am Nebentisch sitzt eine Frau und beschäftigt sich mit ihrem Laptop, das Ladekabel liegt in einer &-Schleife da, und ich versuche, halb aus Neugier, halb aus Langeweile, herauszufinden, was auf dem Bildschirm zu lesen ist, aber die Schrift ist zu klein und ich müsste näher rücken, so weit allerdings reicht mein Interesse dann doch nicht, und da bringt mir die Kellnerin das bestellte Bier, und sie öffnet die Flasche gekonnt mit einer Hand und stellt sie mit einem Glas vor mich auf den Tisch, ich bedanke mich und schenke mir ein, das Bier galoppiert widerstandslos aus der Flasche, lässt das Glas ein wenig schwanken, und als ich den ersten Schluck trinke, merke ich, dass es leicht nach der parfümierten Handcreme der Kellnerin riecht, was mich auf seltsam angenehme Weise berührt, und ich sitze für ein paar Minuten nahezu bewegungslos da und sehe dem Treiben um mich herum zu, und mitten in dieser Weile kommen mir unvermittelt Theresa und ein vergangener Moment ins Gedächtnis, als ich einmal in ihrer Wohnung in Zürich vom Balkon ins Badezimmer ging und auf der Waschmaschine ihren Bikini liegen sah, und wie dieser Anblick, ein regelloses Inbild, ein Brandzeichen von Liebe war, die Waschmaschine ein Altar, darauf ihr Bikini, noch feucht vom Schwimmen im nahen See, und sie, vor sich hin singend im Nebenzimmer, und diese Erinnerung füllt mich für einen anschwellenden Augenblick aus, pumpt mich voll, seltsam nur, dass ich nicht dahinter komme, weswegen ich so plötzlich an Theresa denken muss, und ich versuche eine Spur zu finden, aber es ist mehr der Versuch eines möglichst konzentrierten Formulierens, eines Sichzusammenreimens, am Ende welcher rasant abgespulten Kette von Eindrücken und Assoziationen sie aufgetaucht ist, doch anstatt, dass ich dahinterkomme – und ich glaube zu wissen, dass es nicht der Duft der Handcreme der Kellnerin war –, verliere ich mich in kleinen Nebenarmen meines Gedankenflusses und sinne über meine prinzipielle Neigung nach, eher zu reagieren statt zu agieren, auch was meine Beeinflussbarkeit durch Affekte anbelangt, scheint mir, ähnlich wie eben bei der Erinnerung an Theresa, dass meine Tagesphantasien im Gegensatz zu den weitaus anarchischeren Nachtträumen fast immer die Erwiderung eines vorhergegangenen Affekts sind, also nichts ganz Eigenständiges, während gleichzeitig aber mein Reagieren stets eine neue Gedankenwendung mit ins Rennen wirft, wie als Regulativmaßnahme, um die Erschütterung durch den Anstoß von außen ein wenig abzufedern, und aus beidem, der äußeren Einwirkung und der inneren Antwort, sozusagen das Zelt meiner Seele zu spannen, aus ihm kommt meine grundeigene Stimme, und ich nehme noch einen Schluck Bier und schenke den Rest aus der Flasche nach, betrachte den sich absetzenden Schaum und die aufsteigenden Bläschen an der Innenseite meines Glases, sie sind wie eine laufende Nachricht in Brailleschrift, und als mein Blick dann zufällig beim Haltbarkeitsdatum am Etikett der Bierflasche hängen bleibt, das mit 24. Dezember dieses Jahres angegeben ist, muss ich natürlich an Weihnachten denken, und am liebsten würde ich schon alle notwendigen Geschenke gekauft, festlich verpackt und in einem Schrank in meiner Wohnung verstaut wissen, mich um nichts mehr kümmern müssen, und ebenso für alle kommenden Weihnachten der nächsten Jahre, und schon einen Moment, nachdem ich diesen Wunsch gedacht habe, finde ich ihn lächerlich, gehe aber noch eine Weile dieser Regung nach, die mich von Zeit zu Zeit packt, alles mustergültig vorbereiten und perfekt einrichten zu wollen, und von dort finde ich irgendwie in einen Gedanken, der sich verwirrend wie ein Traum von Stadtplänen mit rechtwinkeligen Straßenzügen und Vorstellungen von in Reih und Glied gepflanzten Monokulturen sowie aus Ahnungen von einem urwaldähnlichen Pflanzenchaos zusammensetzt, eine kurze Erinnerung an etwas wie einen Dschungel der Schatten und Umrisse pulsiert in mir hoch, aber sie verbleibt nur im Stadium einer flüchtigen Nachempfindung, eines Nach-Ahnens, vielleicht kann man sich Gedanken ja wie eine Vegetation vorstellen, denke ich, und dass, wenn man diesem Hirngespinst folgt, Gedanken mit heilender Wirkung, nährreiche Gedanken, Unkrautgedanken und fleischfressende und giftige, ja tödliche Gedanken existieren müssen, solche, die ansteckend sind wie ein Gähnen und solche, die sich verbreiten wie ein Virus, außerdem gibt es also jeweils eigens generierte Tages- und Nachtgedanken, und Träume sind vielleicht nichts anderes als nachtaktive Lebewesen meines seelischen Ökosystems, und wenn man glaubt, dass Gedanken die Seele eines Menschen bilden, muss es doch unter den Menschen endlos viele unterschiedliche Arten von Seelen geben, Monokulturseelen und Ziergartenseelen, Seelen mit Wüsten-, Urwald-, Gebirgs- oder gleichsam maritimer Vegetation, es gibt also natürlich auch Seelenverschmutzung sowie verkarstete, verwüstete, gekippte und verbrannte Seelen, und im Gegensatz dazu blühende, fruchtbare, unberührte und gepflegte Seelen, und es gibt schwarze Löcher in jeder Seele, und als mein Blick noch einmal die Schaumoberfläche meines Bierglases trifft, sehe ich, dass darin ein Riss aufklafft, wie ein Canyon auf einer Satellitenaufnahme, und ich greife zum Glas und ich trinke, und beim Trinken sehe ich in dem sich verbreiternden Riss im Bierschaum auf einmal die Form eines Totenschädels, und unwil...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Inhalt