Gewissen vor Staatsräson
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Gewissen vor Staatsräson

Ausgewählte Schriften

  1. 352 Seiten
  2. German
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Gewissen vor Staatsräson

Ausgewählte Schriften

Über dieses Buch

Predigten, Reden und Schriften des kirchlichen Widerständlers und Friedensaktivisten Martin Niemöller.Martin Niemöller nahm die Unrechtsverhältnisse der Welt nicht hin, eingedenk des Bibelworts: »Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen" (Lukas 1, 52).Als Vorsitzender des Pfarrernotbunds und Pfarrer in Berlin-Dahlem verteidigte er Schrift und Bekenntnis gegen den NS-Staat, obwohl er 1933 die Einführung des »Führerstaates" zunächst begrüßt hatte. Seine Predigten prägten die kirchliche Opposition gegen Hitler. Aufgrund seines Widerstands wurde er acht Jahre in Konzentrationslagern inhaftiert. Nach dem Ende des »Dritten Reiches" stellte er wie kein anderer die Frage nach der Schuld, auch nach der eigenen. In der Nachkriegszeit engagierte er sich für eine Annäherung der Kirchen in Ost und West und setzte sich für die »Dritte Welt" ein. Im Verhältnis von Christentum und Krieg stellte Niemöller die kirchliche Legitimation des Waffendienstes in Frage.Der Band enthält u. a. Predigten aus der NS-Zeit, Reden und Vorträge zur Frage der Schuld der Kirche, über den Pazifismus, zum Verhältnis zu Entwicklungsländern, zur Wiederbewaffnung, über die Bedrohung durch Atomwaffen und über die »Notstandsgesetze". Ein Interview mit Günter Gaus, in dem Niemöller seine durch die Opposition gegen Hitler und die restaurative Nachkriegsentwicklung geprägte Lebensgeschichte reflektiert, beschließt den Band.

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Information

Martin Stöhr
Zu Leben und Werk von Martin Niemöller

I. Ein protestierender Protestant – um Jesu willen
Als Thomas Mann 1941 das Vorwort zu einer englischen Ausgabe von Niemöller-Predigten schreibt, trägt dieses Buch den Titel »God is my Fuehrer«.[1] Nachdem die deutsche Regierung 1933 die erste rechtsstaatliche Demokratie hierzulande beseitigt hat, verlangt sie, in allen Bereichen neben dem Arierparagraphen das Führerprinzip einzuführen. Die Forderung »Ein Volk, ein Reich, ein Führer« soll alle Organisationen vom Sportverein bis zu den Universitäten, auch die Kirchen, staats- und parteikonform gleichschalten. Fast alle folgen. Niemöller und die opponierenden kleinen christlichen Gruppen setzen der selbstverschuldeten Entmündigung die Autorität Christi entgegen, indem das orientierende Wort des biblischen Gottes Mensch und Menschlichkeit wird. Sie relativiert – wie das Erste Gebot – die Absolutheitsansprüche von Ideologien, Religionen, Wissenschaften sowie von Politik- oder Wirtschaftskonzepten, die vergessen, dass sie für die Menschen da sind und nicht die Menschen für sie.
Thomas Mann beschreibt in seinem Vorwort knapp die Situation im völkisch und antisemitisch regierten Deutschland, wo die zwischen 1933 und 1937 gehaltenen Dahlemer Predigten weit über Berlin hinaus auf wachsende Resonanz stoßen: »Jeder, auch jeder Staat, dachte nur an sich, versteckte sich hinter dem elenden Fetzen seiner ›Neutralität‹ und sah zu, wie der andere ans Kreuz geschlagen wurde. Ich glaube wirklich, seit dem Tage von Golgatha hat die Trägheit des menschlichen Herzens sich nicht so kläglich-sträflich offenbart wie in unseren Tagen.« Er zitiert aus Niemöllers Predigten und charakterisiert den im Ausland zu einer Symbolfigur des Widerstands gewordenen Häftling: »Das Evangelium selbst hatte sich in der Brust dieses Mannes erneuert; er, der geglaubt hatte, es zu kennen, hatte es in tiefer Ergriffenheit neu entdeckt … Es war nicht mehr beschauliche Exegese, es war Erfahrung, Leben, unmittelbares Ereignis.«[2]
Niemöllers Predigt am 19. Juni 1937,[3] kurz vor seiner Verhaftung, legt ein Stück der Bergpredigt aus. Jesus beauftragt seine Gemeinde, als Minderheit wie »Salz der Erde« zu wirken. Sie sei eine »Stadt auf dem Berge«, die ihr »Licht leuchten läßt vor den Leuten« und es »nicht unter einen Scheffel stellt.« (Mt 5,13-16). Sie soll mit dem kritischen Maßstab des Evangeliums öffentlich helfen, zu sehen, was gespielt wird und was zu tun ist. Jesus sagt mit den drei Bildern auch: »Ihr werdet geschmäht und verfolgt werden, ihr werdet diffamiert werden, und zwar mit Lügen«. Aber, so heißt es: »Selig seid ihr«, wenn euch das widerfährt, denn so »wurden auch die Propheten verfolgt.«
Thomas Mann bezieht sich auf Niemöllers Predigtbeginn in diesem regelmäßig und öffentlich stattfindenden Fürbittgottesdienst für verhaftete Christen: »Als ich das Wort heute las, wurde mir dieses Wort wirklich neu«, obwohl er es »doch von Jugend auf kenne.«[4] Was ist neu? Öffentlich wird eine neue Situation mit dem Wort Jesu erhellt, der selbst das »Licht der Welt« ist, und Gläubige »braucht«, dementsprechend zu handeln. Niemöller verliest eine Liste mit 73 Namen von verhafteten oder entlassenen Gemeindemitgliedern und Pfarrern. Christen hätten »den Auftrag eines Höheren, der durch sein Wort zum Widerstand gegen Propaganda des Unglaubens« aufruft. Konkret besteht Niemöller auf dem »Anspruch« der christlichen Gemeinde, »frei und öffentlich« auf staatlich verursachtes Unrecht hinzuweisen, sich »gegen die Angriffe auf den christlichen Glauben zu wehren« und die Namen der Verhafteten und Entlassenen öffentlich zu nennen, »in den Zeitungen« würden andere Dinge »breitgetreten.« Aber auch opportunistisch vorgenommene Kirchenaustritte seien »offen als Abfall vom christlichen Glauben« zu bezeichnen. Das Sammeln von Kollekten könne keine vom Staat gesteuerte Deutsch-Christliche Kirchenleitung verbieten. Das neu erhellte und erhellende, altbekannte Evangelium sei kein »deutsches« Evangelium für »deutsche Christen.« Wenn Christen ihr »Licht unter den Scheffel stellen«, sich »anpassen« und nicht »deutlich reden«, dann könne Jesus »sich auch andere Dochte nehmen, denen er sein Licht aufsteckt.«
Niemöller lernt gegen eigene Traditionen und Anerziehung einer Obrigkeitshörigkeit neu, Unrecht und Gewalt des Staates und der Monopolpartei beim Namen zu nennen. Widerständige Gruppen kommen am Anfang der Nazi-Herrschaft vor allem aus der Arbeiterbewegung und aus den Kirchen. Sie suchen einen klaren Kurs gegen jubelnde oder schweigende Mehrheiten, besonders gegen eine die Macht des neuen Staates stützende »Neutralität«.
II. Vom U-Boot zur Kanzel
Neben einem lebendigen Christusglauben verdankt Niemöller seinem elterlichen Pfarrhaus auch eine kräftige deutsch-nationale Einstellung protestantischer Provenienz, dem Vaterland zu dienen. Das erste Erbe trägt ihn durch alle Wechsel seines Lebens; das zweite lebt er neu.
Er wird 1892 in Lippstadt in einem Pfarrhaus geboren, wächst in Elberfeld auf und tritt 1910 nach einem (vor allem in Mathematik und Naturwissenschaften) glänzend bestandenen Abitur in die kaiserliche Marine ein. Sie verkörpert den in breiten Volksschichten geteilten Anspruch auf deutsche See- und Weltgeltung. Sein Schülerzimmer ist mit Schiffsbildern dekoriert. Zu Kriegsbeginn 1914 meldet sich er sich zur U-Boot-Flotte, neben der Luftwaffe die neue begehrte Waffengattung.
Er jagt und versenkt feindliche Schiffe; das Schiffstagebuch, es wird später zur Grundlage seines Bestsellers Vom U-Boot zur Kanzel,[5] registriert begeistert seine Seesiege auf der »längsten Kriegsfahrt eines deutschen U-Bootes«: »114 Seetage« war man unterwegs, »9 Dampfer, 5 Segler und 1 Zerstörer« wurden versenkt.[6] Einmal nur taucht das ethische Problem des Tötens im Krieg auf. Niemöllers U-Boot hatte zwei Dampfer versenkt; der begleitende Zerstörer versucht die überlebenden Matrosen zu retten: »Was tun? – Es liegt uns nicht, den Zerstörer bei seinem Rettungswerk zu stören. Wir möchten ohnehin nicht in seiner Haut stecken; denn wie vielen wird er nicht helfen können! Aber Krieg ist Krieg, und die Leute, die da aus dem Wasser gezogen werden, sind Soldaten, die an die Front sollen, Soldaten, die auf unsere deutschen Brüder schießen werden.« In der »Offizierskammer gibt es noch ein längeres Gespräch«, ob man den französischen Zerstörer bei seinem Rettungsversuch beschießen durfte. »Und plötzlich breitete sich das ganze Rätsel ›Krieg‹ vor unsern Augen aus; mit einemmal wußten wir aus einem Stückchen eigenen Erlebens um die Tragik der Schuld, der zu entgehen der einzelne kleine Mensch einfach zu schwach und zu hilflos ist.«[7] Der Krieg gehört selbstverständlich zur Raison und Ethik des Staates, der so seine Bürger ethisch entlastet.
Das modernste U-Boot, UC 67, führt er als Kapitänleutnant, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse, unter der Reichskriegsflagge an Heiligabend 1918 in den Kieler Hafen. Die verlangte rote Fahne der Revolution hisst er nicht. Er kommt sich im »eigenen Vaterland wie ein Fremder vor.«[8]
Die Liebe zur Marine sowie der Kontakt mit alten Crew-Kameraden bleiben bis an sein Lebensende. Eine andere Perspektive zeigt Albert Schweitzer. Er fragt Niemöller 1958, als dieser sich, wie Schweitzer selbst, im Kampf gegen atomare Bewaffnung engagiert: »Wo stand Ihr Unterseebott im November 1917?« Niemöller lag damals tatsächlich vor Dakar und wartete auf einen französischen Dampfer, der deutsche Zivilisten zur Internierung nach Frankreich bringen sollte. Der »viel zu schnelle Dampfer« entkommt aber nachts. Schweitzer erwidert, wenn der Anschlag damals geglückt wäre, »hätten Sie jetzt einen braven Kumpanen weniger im Anti-Atom-Kampf. Da es sich schon so gefügt hat, wollen wir umso besser zusammenhalten.«[9] 1965 besucht Niemöller den Freund in Lambarene.
Dem erfolgreichen U-Boot-Kapitän zerbricht mit der deutschen Kapitulation im November 1918 seine überkommene Weltsicht. Ihr Geist aber bestimmt für ihn, wie für große Teile der deutschen Eliten, noch lange eine antidemokratische Gesellschafts- und Staatsauffassung.
Er weigert sich im Januar 1919, an der Abwicklung der Marine mitzuarbeiten und zwei deutsche U-Boote an das siegreiche Großbritannien auszuliefern: »Herr K0mm0dore, ich melde gehorsamst, daß ich einen Befehl bekommen habe, den ich nicht ausführen werde!«[10] Er quittiert seinen Dienst. So klar diese Gewissensentscheidung ist, so unklar sind die nächsten Monate. Wo ist sein Platz?
Er beginnt eine landwirtschaftliche Ausbildung und erwägt, nach Argentinien auszuwandern. Er ist »mit Volk und Heimat nach dem Erleben des Kriegsendes und der Revolution innerlichst zerfallen«. In der von ihm verachteten Weimarer Parteiendemokratie »lehnt er jede Mitverantwortung ab«, er, dem als Christ und Patriot »Mitverantwortung« eine selbstverständliche Pflicht ist.[11]
In dieser Zeit des Suchens erinnert er sich, dass er »vor Jahr und Tag« einmal einem Kameraden gesagt habe, als man Berufe nach dem Soldatsein diskutiert: »Dann werde ich Pastor«.[12] Er berät die Idee mit seiner Frau, der Lehrerin Else Bremer, das Paar hatte Ostern 1919 geheiratet, dann mit seinem Ortspfarrer. Im Tagebuch notiert er: »Werde ich Theologe?«[13] Ihn bewegt kein wissenschaftliches Interesse an der Theologie, sondern die »Christusbotschaft«, die »freie und starke Menschen macht […]. Damit konnte ich […] meinem Volk aus ehrlichem und geraden Herzen dienen[14]
Die Kirche und ihr Auftrag geben die Freiheit, den Menschen, oder, wie er häufig formuliert, dem »Volk zu dienen«. Er gehört zu den Christen, die so frei sind, sich diese Freiheit zu nehmen. Er schließt sein bis zum Verbot 1940 mehrfach aufgelegtes Buch Vom U-Boot zur Kanzel mit der »festen Gewißheit, daß wir allesamt ohne dies Wort Gottes nicht leben und nicht sterben können.« Diese »Gottesgabe« ist »unserer Kirche anvertraut; […] damit unser Volk nicht arm werde an ewigem Gut, und damit das gewaltige Werk der völkischen Einigung und Erhebung, das unter uns begonnen ist, einen unerschütterlichen Grund und dauernden Bestand gewinne.«[15] Die Gewissheit, den richtigen Beruf in seinem Volk gefunden zu haben, verbindet er später mit einer klaren Bejahung der »nationalen Erhebung« 1933.
Zum Wintersemester 1919 schreibt sich Niemöller an der Universität Münster für das Studium der Theologie ein, lernt Hebräisch, resolut wie einst Spanisch für das Argentinien-Projekt. Im Frühjahr 1920 unterbricht er kurz das Studium und meldet sich zur Akademischen Wehr, um gegen den Kapp-Putsch vorzugehen. Schließlich wirkt er mit, die Arbeiteraufstände im Ruhrgebiet zu bekämpfen.
1924 wird er ordiniert und zum Pfarrer und Geschäftsführer der Inneren Mission in Westfalen berufen, die eine Fülle diakonischer Einrichtungen unterhält. Um deren finanzielle Unabhängigkeit von den großen Banken zu gewährleisten, wird Niemöller 1927 Mitgründer einer »Evangelischen Darlehns-Genossenschaft«, die als einzige Bank in Westfalen nicht in die Turbulenzen der Weltwirtschaftskrise gerät. Als Hilfsarbeiter bei der Bahn sowie in einer Bank sichert er den Lebensunterhalt der jungen Familie und das Studium während der Inflationszeit, die rasch jedes Einkommen in immer wertlosere Millionenbeträge auflöst.
1931 wird er zum Pfarrer in Berlin-Dahlem gewählt. In der Dahlemer Gemeinde finden seine Predigten großen Anklang. Viele ihrer Mitglieder sind Beamte, Wissenschaftler oder Militärs, darunter nicht wenige Christen jüdischer Herkunft. Einige aus seiner Gemeinde werden sich im Widerstand gegen das NS-Regime engagieren. Seine kontaktintensive Seelsorgearbeit macht ihn sensibel für jene Menschen, die durch die rassistische Gesetzgebung gefährdet sind. Und das, obwohl »ich 1933 noch Hitler gewählt habe«, wie er 1946 in einer Predigt in Göttingen bekennt.[16] Er verschweigt nach 1945 nicht seine Irrtümer und Schuld.
III. Neue Kämpfe an neuen Fronten
Die NSDAP hat mit den deutschnationalen Konservativen eine gewählte Mehrheit im Reichstag. Die Regierung fängt sofort an, ihr deutsch-völkisches Konzept umzusetzen. Es kategorisiert sozialdarwinistisch und mit wissenschaftlichem und pseudowissenschaftlichem Beistand Menschen in Herrenmenschen und Untermenschen, unterscheidet reine und minderwertige Rassen. Rasch und fast widerspruchslos schaffen sich Partei und Regierung ihre Instrumente: Das »Heimtückegesetz« vom 21.3. zielt auf »schädliche« Behauptungen gegenüber »Volk und Regierung«; das »Ermächtigungsgesetz« vom 24.3. beendet die rechtsstaatliche, parlamentarische Demokratie, die als Weimarer »Judenrepublik« verhöhnt worden war. Hinzu kommen ein am 1.4. staatlich angeordneter Boykott gegen Juden sowie das Gesetz »Zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7.4. mit einem Berufsverbot für Juden im öffentlichen Dienst. Es enthält einen »Arierparagraphen«, der Juden und Menschen jüdischer Herkunft vom öffentlichen Dienst ausschließt. Die Kirchen werden als »Körperschaften öffentlichen Rechts« unter Druck gesetzt, ihn entsprechend anzuwenden. Erste Entlassungen von Juden aus Schulen, Hochschulen, Akademien, Vereinen, Betrieben und Kirchen beginnen.
Die »Deutschen Christen« (DC)[17] treten massiv in der Kirche auf. Wie das Programm der NSDAP (Art. 24) stehen sie als »Christen deutscher Art« auf »dem Boden des positiven Christentums«. So schwammig dieser Begriff ist, so eindeutig ist seine menschenfeindliche Stoßrichtung. Die Deutschen Christen lehnen den »Parlamentarismus«, den »gottfeindlichen Marxismus« und das »geistfremde Zentrum« ab. »Wir sehen in...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Sätze zur Arierfrage in der Kirche
  6. Gerecht ohne des Gesetzes Werke
  7. Predigt am 19. Juni 1937
  8. Predigt am Ostermontag, 2. April 1945
  9. Bericht im Auftrag des Reichsbruderrats
  10. Der Weg ins Freie
  11. Zu meiner Moskau-Reise
  12. Deutschland zwischen Ost und West
  13. Staatsmacht und Gewissensbindung
  14. Der Nächste in seiner Bedeutung für das menschliche Zusammenleben
  15. Nationalismus – Antisemitismus als Schuld und Bedrohung der Kirche
  16. Wir und die farbige Welt (Unsere Verantwortung vor der farbigen Welt)
  17. Denn sie wissen, was sie tun!
  18. Du sollst nicht töten!
  19. Christ und Krieg?
  20. Friede in unserer Welt – Möglichkeit oder Utopie?
  21. Gedenkrede für die Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft
  22. Gewissen vor Staatsräson
  23. Die Bedeutung der Bekennenden Kirche in der Widerstandsbewegung zur Zeit des Dritten Reiches
  24. »Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen«
  25. Gespräch zur Person
  26. Martin Stöhr: Zu Leben und Werk von Martin Niemöller
  27. Zeittafel
  28. Textvorlagen
  29. Editorische Notiz
  30. Register
  31. Anmerkungen