Die Kultivierung des Geschmacks
eBook - ePub

Die Kultivierung des Geschmacks

Eine Transformationsgeschichte der kulinarischen Sinnlichkeit

  1. 540 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Die Kultivierung des Geschmacks

Eine Transformationsgeschichte der kulinarischen Sinnlichkeit

Über dieses Buch

Seit dem 17. Jh. gehören Geschmack und Schmecken zu den zentralen sinnlichen Selbsttechniken eines neuen metropolitanen Weltbürgertums. Die Übung des Schmeckens, ihre Mitteilung und Inszenierung verspricht, losgelöst von politischen, ökonomischen und körperlichen Notwendigkeiten, eine freie und egalitäre Geselligkeit. Diese Geschichte des 'mündigen' Geschmacks zeichnet die Transformation der Provinzen des Mundraumes und der Esslust nach.

Häufig gestellte Fragen

Ja, du kannst dein Abo jederzeit über den Tab Abo in deinen Kontoeinstellungen auf der Perlego-Website kündigen. Dein Abo bleibt bis zum Ende deines aktuellen Abrechnungszeitraums aktiv. Erfahre, wie du dein Abo kündigen kannst.
Derzeit stehen all unsere auf mobile Endgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Perlego bietet zwei Pläne an: Elementar and Erweitert
  • Elementar ist ideal für Lernende und Interessierte, die gerne eine Vielzahl von Themen erkunden. Greife auf die Elementar-Bibliothek mit über 800.000 professionellen Titeln und Bestsellern aus den Bereichen Wirtschaft, Persönlichkeitsentwicklung und Geisteswissenschaften zu. Mit unbegrenzter Lesezeit und Standard-Vorlesefunktion.
  • Erweitert: Perfekt für Fortgeschrittene Studenten und Akademiker, die uneingeschränkten Zugriff benötigen. Schalte über 1,4 Mio. Bücher in Hunderten von Fachgebieten frei. Der Erweitert-Plan enthält außerdem fortgeschrittene Funktionen wie Premium Read Aloud und Research Assistant.
Beide Pläne können monatlich, alle 4 Monate oder jährlich abgerechnet werden.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja! Du kannst die Perlego-App sowohl auf iOS- als auch auf Android-Geräten verwenden, um jederzeit und überall zu lesen – sogar offline. Perfekt für den Weg zur Arbeit oder wenn du unterwegs bist.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Ja, du hast Zugang zu Die Kultivierung des Geschmacks von Stephan Zandt im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Sozialwissenschaften & Soziologie. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Jahr
2019
ISBN drucken
9783110763829
eBook-ISBN:
9783110638301

Teil III: Geschmacksirritationen

„‚Powerful people eat very little‘, she said.
‚Why?‘
‚Because they are powerful.‘“
(Ben Okri, The Famished Road, London 1991, S. 80.)

Geschmacksirritationen

Am 29.05.1930 und damit fast eineinhalb Jahrhunderte nach den genüsslichen Einlassungen Georg Forsters erscheint in der Frankfurter Zeitung unter dem Titel Essen eine Reihe von miniaturenhaften Genuss-Schilderung eines anderen reisenden Weltbürgers, die sich gleichermaßen wie diejenigen Forsters an den Grenzen des guten Geschmacks bewegen und diese auszuloten trachten.1 Die kleinen Kostproben aus den lokalen Küchen Neapels, Paris, Roms und Moskaus, die Walter Benjamin seinen Leser*innen auftischt, sprengen, wie diejenigen Forsters, in ihrer Form die konventionellen Grenzen zwischen philosophischer, literarischer und journalistischer Produktion. Könnte man in der Tradition der Gastronomiekritiken, wie sie sich nach dem Vorbild Alexandre B. L. Grimod de la Reynières seit dem 19. Jahrhundert als professionelle Form etabliert hatten, erwarten, dass die ,Ess-Miniaturen‘ eine Kritik der bemerkenswerten Restaurants und Kaffeehäuser eröffnen, die der selbsternannte „Globetrotter“2 Benjamin den daheimgebliebenen Leser*innen schmackhaft zu machen sucht, so müssen die Miniaturen enttäuschen. Statt sich den gehobenen, internationalen Restaurationen der entsprechenden Städte zu widmen, verweigert sich Benjamin unter den Vorzeichen der authentischen Erfahrung explizit einer solchen gewohnten, kulinarisch-touristischen Perspektive. So erteilt er etwa dem Morgenkaffee im Zimmer der Pariser Hotels, der „auf silbernen Brettchen, mit Butterkugel und Marmelade garniert“ serviert werde, eine Absage zugunsten der Vielfalt der Kaffeegenüsse in den einfachen und unprätentiösen Bistros.3 Jene kleinen Cafés, in denen man nur kurz vorbeischaut und die, wie die Passagen, in denen sie sich oftmals finden, als poröse Durchgangsorte auch die übrigen Pariser Bohemiens und Flaneure von Louis Aragon bis Andre Breton in ihrer „Sucht nach Orten“ faszinieren,4 stechen bei Benjamin die prestigeträchtigen Tempel des feinen Geschmacks aus. In dieser Stoßrichtung widmet sich Benjamin in seinen ,Geschmacks-Miniaturen‘ nicht nur den Pariser Straßencafés und ihren kulinarischen Traumlandschaften, sondern ebenso den lokalen einfachen Küchen in den Kaschemmen der Arbeiter*innen, den Häusern der Prostituierten auf Capri, den Straßenküchen Neapels, den kleinbürgerlichen Osterien Roms und den dörflichen Märkten. Entgegen der bourgeoisen Feier der noblen Restaurants macht Benjamin deutlich, dass die genießenswerten Produkte der Küche, „deren sorgfältige und reiche Bestallung nur der Snob für eine Sache des esoterischen Luxus zu halten geneigt ist[…][,] nicht die Auswüchse überfeinerter Kulturen […], sondern […] den Urbestand aller volkstümlich lokalen Ernährungsweisen [darstellen], die durch Jahrhunderte sich forterben.“5 In Opposition zu den Überzeugungen des bourgeoisen Klassendünkels gesteht Benjamin, wie auch Georg Forster und JeanJacques Rousseau, der Küche der einfachen Leute, eine kulinarische Güte zu und stellt die Grenzziehung und Hierarchisierung des guten Geschmacks in Frage. Man liegt sicherlich nicht falsch, wenn man in Benjamin den frühen Wegbereiter des gegenwärtigen Trends im urbanen, kosmopolitischen Milieus ausmacht, der die Neu-Gier des Geschmacks als Suche nach einer exotischen und möglichst authentischen Erfahrung fremder Küchen ausbuchstabiert. Und doch verweigert sich Benjamin gleichermaßen explizit der Lektüre seiner Ess-Miniaturen als kulinarischem Reiseführer und gastronomischer Kritik, wenn er mit der abschließenden Geschichte über das Maulbeer-Omelette die unnachahmliche Singularität seiner geschilderten Geschmackserfahrung herausstellt: „Diese alte Geschichte erzähle ich denen, die es nun mit Feigen oder Falerner, Borscht oder einem Capreser Bauernessen würden versuchen wollen.“6 Unter dem Deckmantel des kulinarischen Reiseführers ist es Benjamin im Rückblick und in einer an Marcel Proust geschulten Suche nach der wahren Empfindung des Geschmacks vielmehr darum zu tun, anhand der eigenen kulinarischen Fremderfahrung die Grenzzonen des guten Geschmacks zu erkunden und hierin die Aufmerksamkeit auf das „Glück“ und die „Fülle“ an und in „den einfachsten Dingen“ zu lenken, an denen sich die „Essenzen und Quintessenzen […] in den Erzeugnissen der Kochkunst“ zeigten.7
Bereits im ersten Satz der ersten Miniatur mit dem Titel Frische Feigen konfrontiert Benjamin den Geschmack erneut mit jener Gastrimargie, die die bürgerliche Sinnlichkeit überwunden zu haben glaubte und stellt grundlegend das Maß in Frage, mit dem der wohl regulierte Appetit die Schicklichkeit, wenn nicht Sittlichkeit von der Magengier befreien sollte und hierin erst einen mündigen und diskreten Genuss ermöglichte. Entgegen der mündigen Erfahrung des Geschmacks verleiht Benjamin der bis dato auszuschließenden Gier einen sinnlichen Erlebnisund Erfahrungswert, ohne den jegliche Esserfahrung unvollständig bliebe: „Der hat noch niemals eine Speise erfahren, nie eine Speise durchgemacht, der immer Maß mit ihr hielt“, heißt es dort. „So lernt man allenfalls den Genuß an ihr, nie aber die Gier nach ihr kennen, den Abweg von der ebenen Straße des Appetits, der in den Urwald des Fraßes führt.“8 Die scheinbar belanglose, aus „Müßiggang“ und „Verschwendung“ begangene kleine Sünde des gierigen Genusses eines halben Pfundes frischer Feigen in Secondigliano – damals noch einem Dorf außerhalb der Stadtgrenzen Neapels – gerät im Rückblick in mehrfacher Hinsicht zu einer Grenzerfahrung. Der „Globetrotter“ erscheint in den dörflichen Außenbezirken Neapels deplatziert; man ist auf ihn nicht eingerichtet und der routinierte Kauf der Feigen scheitert bereits an der Banalität der Verpackung. Ohne, wie die Einheimischen, ein Gefäß zum Transport mitzubringen und in der entsprechenden Ermangelung des Verpackungsmaterials, muss der Essabenteurer sehen, wo die Feigen bleiben: „Und so ging ich, Feigen in den Hosentaschen und im Jackett, Feigen in beiden vor mich hingestreckten Händen, Feigen im Mund, von dannen.“9 Die Feigen, die bereits im antiken Griechenland mit dem Gott Dionysos verbunden und dementsprechend, wie auch in Rom und ebenso in der Genesis, mit aphrodisischen Eigenschaften besetzt waren, verkörpern in Benjamins Miniatur den Gegenstand einer dionysischen Lust an der Überschreitung der Grenzen der regulierten Sinnlichkeit. Zwischen den sinnbildlich zu verstehenden Schildern mit aufgemalten Figuren von neapolitanischen Heiligen und Tieren, in der Auflösung der bürgerlichen Essordnung und in einer perversen Abwandlung der lokalen neapolitanischen „Fähigkeit“, den „Leib zum Tisch zu machen“,10 gleicht die durch die Umstände erzwungene, gierige Vernichtung der Feigen einer Orgie der kulinarischen Lust. Der Körper muss sich förmlich gegen die überwältigende Fülle der süßen Früchte zur Wehr setzen, die ihn „befallen“ haben, die mit ihrem „harz...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Dank
  5. Einführung
  6. Teil I: Geschmack
  7. Teil II: Das süße Leben
  8. Teil III: Geschmacksirritationen
  9. Literatur
  10. Register