Im Weißen Haus
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Im Weißen Haus

Die Jahre mit Barack Obama

  1. 576 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Im Weißen Haus

Die Jahre mit Barack Obama

Über dieses Buch

Acht Jahre lang sah Ben Rhodes fast alles, was im Herzen von Barack Obamas Präsidentschaft passierte. In seinem rasant geschriebenen, aufrichtigen, klugen Buch berichtet er, was hinter den Kulissen wirklich geschah. Es ist die Erzählung von einem Ausnahmepolitiker, dessen Idealismus die Welt im Sturm eroberte, auf die Härten der Realität stieß, sich anpassen musste - und trotzdem überlebte.
Mit 29 Jahren und einem Sack voll Hoffnung stößt Ben Rhodes 2007 zum Team von Barack Obama und wird zu einem seiner engsten Vertrauten. Er ist mittendrin, als das Atomabkommen mit dem Iran ausgehandelt wird, als die Annäherung an Kuba eingeleitet wird, als die Entscheidung fällt, in Syrien nicht zu intervenieren, und als die Wahl von Donald Trump das Projekt Obama jäh beendet.
Ben Rhodes schildert grandios die Dramen dieser Präsidentschaft, die Konflikte, in die Obama geriet, und die Grenzen des Machbaren, auf die er traf - selten hat man einen so intimen, luziden Einblick in die inneren Gesetze der Politik bekommen. Wir sehen Barack Obama aus nächster Nähe, mit seiner großen Persönlichkeit, seinem scharfen Verstand, seinen Träumen und Zweifeln, seinem Charisma und Charme. Ein einzigartiges Zeitdokument und ein Lehrstück darüber, was in der Politik möglich ist.

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Information

Verlag
C.H.Beck
Jahr
2019
ISBN drucken
9783406735073
eBook-ISBN:
9783406735080
Auflage
1
Teil Vier

WAS AMERIKA GROSS MACHT 2015–2017

Kapitel 25

Die Bremsen antippen

Zu Beginn des vierten Quartals hatte Obama das nationale Sicherheitsteam beisammen, das er wollte: Susan Rice, Lisa Monaco und Susans wichtigste Stellvertreterin, Avril Haines, eine kluge, fleißige und exzentrische Frau, die ihre Erfahrungen als Top-Anwältin des NSC und ein klares Bekenntnis zum Rechtsstaatsprinzip mit dem operativen Hintergrund einer ehemaligen stellvertretenden Direktorin der CIA verband. Gemeinsam hatte dieses Team eine Strategie zur Bekämpfung des IS und globale Notfallmaßnahmen zur Bekämpfung der Ebola-Epidemie entwickelt, die das Schreckgespenst einer globalen Seuche mit vielen Millionen Todesopfern heraufbeschworen hatte.
Gegen Ende des Jahres 2014 veröffentlichte der Senatsausschuss für Nachrichtendienste die Zusammenfassung eines 6700 Seiten starken Berichts über die Anwendung von Folter und Überstellungen durch die Bush-Regierung. Der moralische Zusammenbruch der Regierung der Vereinigten Staaten nach dem 11. September wurde hier in aller Deutlichkeit dargestellt. Die Deklassifizierung hatte sich über längere Zeit hingezogen, wobei wir im Weißen Haus in einer Vermittlerposition zwischen einer CIA standen, der es widerstrebte, geheime Informationen an die Öffentlichkeit zu geben, und einem Senatsausschuss, der auf möglichst wenige Schwärzungen drängte.
Am Tag nach der Veröffentlichung des Berichts wollte McDonough von Obama wissen, ob er meinte, dass die Auslieferung des Reports reibungslos verlaufen sei. «Ja», sagte er. «Meiner Meinung nach lief es gut. Wie fanden Sie es?»
«Ich fand auch, dass es gut lief», antwortete McDonough. «Ich wollte nur sichergehen, dass Sie es genauso sehen.»
«Wissen Sie», sagte Obama, «ich denke, es ist eine Chance für uns alle, darüber nachzudenken, was Angst diesem Land antun kann. Wir unterscheiden uns gar nicht so sehr von den Leuten, die vor uns hier waren, obwohl ich denke, dass wir bei mehr Dingen Recht haben.» Sein Ton war ungewöhnlich formell. «Wenn Sie wissen möchten, warum ich gelegentlich die Bremsen antippe, dann ist genau das der Grund. Wir dürfen keine Entscheidungen auf der Grundlage von Ängsten treffen.»
«Da haben Sie verdammt recht», sagte Biden. «Und wir haben Glück, dass wir Sie haben.» Er streckte die Hand aus wie ein alter Kumpel und ergriff Obamas Handgelenk.
Nach den IS-Enthauptungen wurde Obama mit Forderungen überhäuft, mit Militärschlägen ein gewisses Maß an Vergeltung zu üben. Aus dem Kabelfernsehen schlug uns eine an Hysterie grenzende Angst entgegen. Auf einer Veranstaltung zog mich ein Geschäftsmann zur Seite und erzählte mir, er habe ein privates Sicherheitsteam angeheuert, um nicht auf den Straßen von New York enthauptet zu werden. Irgendwann rief mich Obama ins Oval Office, wie er es manchmal tat, wenn er etwas loswerden wollte, das ihm auf der Seele lastete. Wir unterhielten uns ein wenig über den aktuellen Stand unserer öffentlichen Linie in Bezug auf den IS. «Wissen Sie», sagte er dann, «ich kann jetzt verstehen, wie es zum Irakkrieg gekommen ist.»
«Was meinen Sie damit?»
«Die Leute haben zurzeit eine solche Angst», sagte er. «Es wäre für mich als Präsident ein Leichtes, auf diese Welle aufzuspringen und zu tun, was ich will.»
Stattdessen hatte er diesen Herbst gezielter gehandelt, hatte eine begrenzte Bombardierungskampagne im Irak und in Syrien begonnen und kleine Teams von US-Beratern vor Ort eingesetzt, um die irakischen und syrisch-kurdischen Streitkräfte zu organisieren, die das Gebiet nach und nach vom IS zurückeroberten. Er setzte strenge Obergrenzen für die Anzahl dieser Berater und für das, was sie tun durften – und handelte sich damit eine weitere Breitseite von Beschwerden des Pentagon über sein «Mikromanagement» ein. Es war ihm egal. Der IS stellte eine ausreichend ernsthafte Bedrohung dar, die Tausende von Luftangriffen rechtfertigte, aber wann immer die Bedrohung als «existenziell» bezeichnet wurde, schauderte ihn. Der IS hatte bislang vier Amerikaner getötet, ein verschwindend geringer Bruchteil unserer Verluste im Irak und in Afghanistan. Der IS war eben nicht, wie einige unserer Kritiker brüllten, vergleichbar mit Nazi-Deutschland – dieselbe Rhetorik, die Bush nach dem 11. September benutzt hatte, als seine Regierung den Einsatz von «verschärften Verhörmethoden» genehmigte.
Im Winter 2015 lautete ein Hauptvorwurf der Republikaner gegen Obama, dass er sich weigerte, unseren Feind als den «radikalen Islam» zu bezeichnen. In der Regierung hatten wir schon früh beschlossen, uns von der Formulierung «globaler Krieg gegen den Terror» zu entfernen, weil man unserer Überzeugung nach weder einen Krieg gegen eine Taktik führen noch sie jemals besiegen konnte. Wir vermieden es auch generell, den Feind mit dem Begriff «Islam» zu belegen, weil Terrorgruppen wie al-Qaida sich als religiöse Bewegung ausgeben wollten. Nach bin Ladens Tod wurden Mitteilungen in seinem Komplex gefunden, in denen er beklagte, das Fehlen eines religiösen Namens für al-Qaida habe es dem Westen erlaubt, «irrtümlicherweise zu behaupten, dass er sich nicht im Krieg mit dem Islam befinde». Der IS – der «Islamische Staat» – ging mit seinem Namen und der Ausrufung eines Kalifats auf diese Kritik bin Ladens ein.
Da die meisten Republikaner nicht mehr Truppen an Orten wie Syrien fordern wollten, begannen sie ihre Strategien gerne mit der Behauptung, sie würden den Feind als den «radikalen Islam» identifizieren, als ob allein die Klarheit dieser Rhetorik den IS in sich zusammenbrechen lassen würde. Die Medien fragten uns ständig danach, warum wir uns weigerten, diese Rhetorik zu übernehmen. Im Februar dieses Jahres richteten wir ein Gipfeltreffen zur Bekämpfung des gewalttätigen Extremismus aus, bei dem Experten und führende Persönlichkeiten aus (überwiegend muslimischen) Communities zusammenkommen sollten, die von fortschreitender Radikalisierung bedroht waren. Dass im Namen der Konferenz das Wort «islamisch» fehlte, brachte das Thema wieder einmal in die Presse, und Obama rief mich in sein Büro.
«Hey», sagte er hinter seinem Schreibtisch sitzend. «Ich wusste nicht, dass wir so politisch korrekt waren, wenn wir über islamischen Extremismus sprachen. Ich dachte, es wäre nur irgendein Fox-News-Blödsinn.» Er hatte gerade eine Kolumne von Thomas Friedman mit dem Titel «Say It Like It Is» gelesen, in der dieser uns vorhielt, wir würden nicht sagen, dass wir uns im Krieg mit dem radikalen Islam befanden.
Ich stand da und fühlte mich plötzlich ganz schwach in den Beinen. Hatten wir Monate damit verbracht, eine Position zu verteidigen, die Obama gar nicht so wichtig war? «Ich glaube, es ist der Ausdruck ‹radikaler Islam›», sagte ich. «Das lässt es klingen …»
«Als wäre der gesamte Islam radikal», sagte er und nickte. «Ich verstehe das. Aber ich habe keinerlei Problem damit zu sagen, dass diese Ideologie ein Problem in der islamischen Welt darstellt.»
«Wir haben auf all die Male hingewiesen, die Sie das gesagt haben.» Ich versuchte, mir eine andere Formulierung auszudenken, und erkannte dann, dass dies das Problem war. «Ich denke, das Problem, das sich Josh stellt, ist», sagte ich und bezog mich auf die täglichen Pressebriefings unseres Pressesprechers Josh Earnest, «warum wir nicht sagen, dass wir Krieg gegen den radikalen Islam führen.»
Ich sah, wie Obama die Absurdität der Debatte registrierte. Es kam häufig vor, dass diese Kontroversen – die von radikalen Websites über Fox News in den Pressekonferenz-Raum des Weißen Hauses wanderten und schließlich ihren Weg in Kolumnen von Leuten wie Tom Friedman fanden – ihn erst später in diesem Prozess erreichten als den Rest von uns. «Also wäre alles, was wir jetzt tun, eine Veränderung unserer Position.»
«Genau», sagte ich.
«Und würde mehr Aufmerksamkeit erregen.»
«Ja», sagte ich. «Hier und rund um die Welt.»
Wir waren beide für einen Moment still. «Also ist es nicht angemessen», sagte er.
«Genau, es ist nicht angemessen.»
«Okay», meinte er und erkannte, dass es sich um eine innenpolitische Frage handelte und nicht wirklich um eine Frage der nationalen Sicherheit. «Ich werde mit Josh und Denis darüber reden.»
Der Gipfel zur Bekämpfung des gewalttätigen Extremismus fand statt, und wir kündigten eine Reihe von Maßnahmen an, um mit relevanten Communities gegen die Bedrohung durch den IS und andere extremistische Gruppen – wie etwa die weißen Suprematisten – zu kämpfen. Wir kündigten vernünftige, technokratische Dinge an, etwa Verbindungen zwischen Strafverfolgungsbehörden und den muslimischen Communities aufzubauen, die vom IS ins Visier genommen wurden, und verwiesen darauf, dass gewalttätiger Extremismus verschiedene Formen annehmen kann. Aber politisch erhitzte das die Gemüter nur noch mehr. Ted Cruz, der sich auf eine Präsidentschaftskandidatur vorbereitete, prangerte Obama – der jeden Tag seiner Präsidentschaft als Oberbefehlshaber Krieg geführt hatte – als einen «Apologeten radikal-islamischer Terroristen» an.
***
Ich versicherte Obama schließlich, dass ich bis zum Ende seiner Amtszeit dabeibleiben würde. Ich stand im Oval Office, und wie er es vor zwei Jahren nach der Wahl in der Air Force One getan hatte, fragte er mich, ob ich ein zusätzliches Projekt übernehmen wolle – so etwas wie Kuba.
«Nein», sagte ich, «aber ich möchte, dass sich einige Dinge ändern.»
«Was?», fragte er.
«Ich möchte weniger arbeiten», sagte ich, «und meine Familie häufiger sehen.» Um ihm ein Gefühl dafür zu geben, was ich meinte, fügte ich hinzu: «Ich möchte mich so weit wie möglich aus den tagtäglichen Kommunikationen ausklinken. Ich will nicht Ende 2016 zur Arbeit kommen und immer noch auf Vorwürfe antworten müssen, warum Sie beim IS schwach sind.»
Er lachte. «Ich auch nicht», sagte er. «Aber ich werde Sie für den Iran brauchen.»
Wir waren in die Zielgerade der Verhandlungen mit den Iranern eingeschwenkt, und die Opposition gegen das Abkommen – das es noch nicht einmal gab – nahm immer schärfere Züge an. Ende Januar veröffentlichte der Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, eine Pressemitteilung, in der er ankündigte, dass Netanjahu auf seine Einladung hin in die Vereinigten Staaten reisen würde, um auf einer gemeinsamen Sitzung des Kongresses zu sprechen. Bislang hatten wir weder von Boehner noch von der israelischen Regierung eine Vorankündigung erhalten. Diese Art der Einmischung in die amerikanische Außenpolitik – ein ausländischer Führer, der eingeladen wird, den US-Kongress gegen die Politik eines amtierenden Präsidenten zu beeinflussen – wäre 2009 undenkbar gewesen. Aber jetzt, 2015, war Netanjahu fast ein De-facto-Mitglied der republikanischen Fraktion, und die Republikaner hatten alle die Zusammenarbeit mit einer ausländischen Regierung betreffenden Normen aufgegeben, um die Politik eines amtierenden Präsidenten zu untergraben.
Zudem debattierte der Kongress ein weiteres Sanktionsgesetz gegen den Iran, eine kurzsichtige und überflüssige Vorlage, die faktisch das Ende der Verhandlungen bedeuten würde. Obama trat vor die demokratische Fraktion und verteidigte lange und wortreich die Notwendigkeit, John Kerry die Zeit und den Raum für die Aushandlung eines Atomabkommens zu gewähren. «Diese Abstimmung», sagte Obama, «ist kein Selbstläufer. Ich brauche Sie dafür.» Er wiederholte seine Entschlossenheit, ein Veto gegen alles einzulegen, was die Verhandlungen gefährde. Ich traf mich regelmäßig mit demokratischen Kongressabgeordneten und versuchte, sie davon zu überzeugen, dass wir auf einen guten Deal zusteuerten, einen Deal, der das iranische Atomprogramm zurückdrehen und einen Krieg verhindern würde. Dazu gehörte ein ständiges Treffen mit den jüdischen Demokraten im Repräsentantenhaus. Mitunter verliefen diese Sitzungen in einer hitzigen Atmosphäre, wobei alle einander ins Wort fielen, während wir über diverse Feinheiten des iranischen Atomprogramms diskutierten: wie viele Zentrifugen sie in Betrieb hatten, welche Anlagen sie nutzen konnten, was mit ihrem Schwerwasserreaktor geschehen sollte, der auf dem Weg war, Plutonium zu produzieren – Stunden um Stunden, in denen wir uns die Köpfe über einen Deal heiß redeten, den es noch gar nicht gab.
Normalerweise war ich ständig in der Position des Verteidigers und hauptsächlich damit beschäftigt, auf die verschiedenen Kritikpunkte einzugehen, die auf dem Hügel kursierten. Nach der Ankündigung von Netanjahus Rede jedoch veränderte sich die Dynamik; plötzlich ärgerten sich die Demokraten mehr über Netanjahu und seine Versuche, sich in unsere Politik einzumischen, als über das, was wir taten. Oft fanden diese Sitzungen im Kapitol direkt vor oder nach Treffen derselben Gruppe mit dem israelischen Botschafter Ron Dermer statt, einem engen Netanjahu-Vertrauten. Es fühlte sich an, als würden wir Sparring machen und uns auf einen größeren Kampf vorbereiten.
Ein Zeitraum von zehn Tagen im Juni umschloss Ereignisse, die sowohl Obamas Präsidentschaft zu einem historischen Erfolg machten als auch von den dunklen Wolken kündeten, die über seinem Erbe schweben sollten.
Am 16. Juni gab Donald Trump seine Kandidatur für die Präsidentschaft bekannt. Ich sah zu, wie er eine Rolltreppe in der vergoldeten Lobby im Trump Tower hinunterfuhr und der auf ihn wartenden Menge zuwinkte. Er verfiel in eine weitläufige, nicht unbedingt schlüssige Tirade, die wie eine Best-of-Version der Fox-News-Argumente gegen Obama klang und in der er unter an...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Frontispiz
  4. Zum Buch
  5. Über den Autor
  6. Inhalt
  7. Widmung
  8. Motto
  9. Prolog
  10. Teil Eins: HOFFNUNG 2007–2010
  11. Teil Zwei: FRÜHLING 2011–2012
  12. Teil Drei :VERÄNDERUNG 2013–2014
  13. Teil Vier: WAS AMERIKA GROSS MACHT 2015–2017
  14. Dank
  15. Nachweise
  16. Personenregister
  17. Orts- und Sachregister
  18. Impressum