Ciceros Staatsphilosophie
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Ciceros Staatsphilosophie

Ein kooperativer Kommentar zu ›De re publica‹ und ›De legibus‹

  1. 204 Seiten
  2. German
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Ciceros Staatsphilosophie

Ein kooperativer Kommentar zu ›De re publica‹ und ›De legibus‹

Über dieses Buch

Marcus Tullius Cicero, der bedeutendste Redner, Staatsmann und Philosoph Roms, prägt mit seinen beiden politischen Hauptwerken De re publica und De legibus für Jahrhunderte das abendländische Rechts- und Staatsdenken. Deren charakteristische Überhöhung von griechischer Philosophie durch römische Staatsklugheit erfährt hier von Fachleuten zum ersten Mal eine kooperative Kommentierung, die sowohl Fachleute als auch interessierte Laien anspricht.

In De re publica lässt sich Cicero auf die drei Aufgaben einer Theorie des vorbildlichen Gemeinwesens ein. Jeweils zwei Bücher befassen sich mit der idealen Staatsverfassung (I-II), mit deren rechtlicher und sittlicher Grundlage (III-IV) und mit dem idealen Staatsmann (V-VI). Jedem dieser drei Gesprächspaare schickt Cicero eine persönliche Vorrede (Proöminium) voraus. In De legibus ergänzt er diese Überlegungen um Erörterungen zum Naturrecht, um eine detaillierte Darstellung des geltenden Sakralrechts und des Staats- und Verfassungsrechts von Rom, die dessen Einmaligkeit in politischer Stabilität und Optimalität belegen soll. Der kooperative Kommentar kann sowohl in Ciceros politisches Denken einführen als auch dessen Lektüre begleiten.

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Information

Otfried Höffe

1Einleitung

1.1Eine erste Wertschätzung

Nach den zwei philosophischen Höhepunkten politischen Denkens, nach Platon und Aristoteles, nimmt unter den Philosophen das Interesse an der Welt von Recht, Staat und Politik deutlich ab. Platons Schule verliert bald an philosophischem Glanz, unter Aristoteles’ Nachfolger blühen die Einzelwissenschaften, und in den drei weiteren nachklassischen Philosophenschulen, bei den Kynikern, den Epikureern und der Stoa, zerbricht die Einheit von politischem und persönlichem Wohl (Eudaimonia): Das Interesse an der eigenen Lebensführung erhält den Vorrang vor der Politik.
Nach dem Niedergang der klassischen politischen Einheit der Griechen, der selbständigen Stadtrepubliken, in politischer Hinsicht heimatlos geworden, legen die Philosophen, namentlich die Stoa mit ihrem Ideal des Weisen, auf den inneren Frieden einer leidenschaftslos gewordenen Seele wert. Im Bereich des Politischen tritt zwar ein radikal neuer Gesichtspunkt in die Welt, ein dem bislang vorherrschenden Denken fremder Kosmopolitismus, der ein grundlegend neues politisches Denken provozieren könnte. Die Vorstellung einer entsprechend globalen politischen Organisation taucht aber nicht einmal ansatzweise auf. Der Gründer der Stoa, Zenon von Kition (350–264 v.Chr.), skizziert zwar eine Kosmopolis. Als ein homogener Weltstaat entworfen, in dem die Menschen dank einer einzigen Lebensweise wie in einer Herde zusammenleben, fehlt es ihm aber an einer rechtlichen und institutionellen Ordnung, die der politischen Wirklichkeit, der Vielzahl konkurrierender Einheiten gerecht wird.
Während also in der Welt der Griechen das Interesse an Recht und Staat zwar nicht vollständig verschwindet, im Vergleich zur Hochblüte bei Platon und Aristoteles jedoch verkümmert, treten in Rom zahlreiche politische Schriftsteller auf. Unter ihnen ragt als veritabler politischer Denker der Staatsmann, Redner und Philosoph Marcus Tullius Cicero (106–43 v.Chr.) heraus. In den vielen Jahrhunderten, in denen das Lateinische für alle Gebildeten des Westens die gemeinsame Sprache bildet, ist er der bestüberlieferte, meistgelesene und auch später noch vielgerühmte Autor.
Nicht der geringste Grund für die hohe Wertschätzung liegt in Ciceros vorbildlichem Stil und dem Verdienst, erhebliche Teile des griechischen Denkens in römisches Gedankengut zu übertragen und dabei eine so umfassende lateinische Begrifflichkeit zu schaffen, dass er sich in der Schrift De divinatione (Von der Weissagung, Präambel) zu Recht rühmen darf, seitdem gebe es kein Gebiet der Philosophie, das nicht in lateinischer Sprache zugänglich sei.
Cicero führt die „Rom“ anisierung der von den Griechen stammenden Philosophie zu einem Höhepunkt, beinahe zur Vollendung. Seither ist die Philosophie von römischem Geist und dessen Sprache, dem Lateinischen, durchdrungen. Verantwortlich ist nicht bloß eine überragende sprachliche Begabung, sondern auch eine Hingabe an die Philosophie, die in den Gesprächen in Tusculum als „Lenkerin des Lebens, Entdeckerin der Tugend, und Siegerin über die Laster“ hymnisch gepriesen wird.
Über Ciceros Beitrag zur Sprache des seitherigen Philosophie-Diskurses sollte man die Eigenleistung nicht vergessen, auch wenn ihr häufig eklektischer, vorgefundene Ansichten miteinander verbindender, gelegentlich auch vermengender Charakter nicht zu leugnen ist. Nach der so facettenreichen griechischen Philosophie ist es freilich nicht leicht, schlechthin neue Gedanken zu gewinnen. Ciceros Eigenleistung liegt in der Auswahl und Akzentsetzung bekannter Themen und Argumente und deren Bereicherung römischen Gedankenguts. Der Autor glänzt in der Fähigkeit, die von der Gerichtsrhetorik und der akademischen Skepsis inspiriert ist, konkurrierende Ansichten zu einem Problem vorzustellen, oft auch gegeneinander abzuwägen. Er lässt in Dialogform die Positionen der genannten Philosophenschulen, der Platonischen Akademie, des Aristotelischen Peripatos, der Sokratischen Kyniker, der Epikureer und der Stoa, auftreten. Dabei bringt er seine von griechischen Vorbildern mitgeprägte, im Kern aber römische Menschlichkeit, die von ihm selber, nimmt er an, vorbildlich gepflegte politische humanitas, in literarische Gestalt.
Als Leser seiner philosophisch politischen Dialoge stellt sich Cicero die heranwachsende Führungsschicht Roms vor. Im Laufe der Zeit wird er aber über diesen Kreis weit hinaus gelesen. Nur ein Beispiel: Ciceros Mahn- und Werbeschrift zur Philosophie, Hortensius, bekehrt den jungen Augustinus nach dessen eigener Auskunft zur Philosophie.
Nicht zuletzt haben die (von Eigenlob nicht freien) Werke einen hohen Quellenwert. Denn ein erheblicher Teil der behandelten Ansichten und Autoren ist nur fragmentarisch überliefert, so dass Ciceros Texte eine wichtige Überlieferungsquelle bilden.

1.2Politiker und Philosoph

Marcus Tullius Cicero stammt aus einer wohlhabenden lokalen Honoratiorenfamilie, aus der Führungsschicht italienischer Gemeinden, dem Ritterstand, für dessen Interessen er sich sein Leben lang einsetzt. Am 3. Januar 106 v. Chr. in der Kleinstadt Arpinum, Mittelitalien, geboren, ist er sechs Jahre älter als der spätere Konkurrent Caesar. Sein Großvater ist kommunalpolitisch tätig, hat aber auch Beziehungen nach Rom. Sein Vater, weit mehr an geistigen Studien als an Politik interessiert, zieht mit dem überragend begabten und hochehrgeizigen ältesten Sohn und dessen jüngerem Bruder Quintus nach Rom, wo er schon ein Haus besitzt. Hier beginnt Marcus Tullius’ Vorbereitung für seine künftige Karriere.
Von einem kurzen Militärdienst unterbrochen, erfährt Cicero in den Jahren 91–82 v. Chr. jene hervorragende juristische und rhetorische Ausbildung bei Roms angesehensten Rechtsgelehrten, Mucius Scaevola, und bei den großen Rednern seiner Zeit, Lucius Licinius Crassus und Marcus Antonius, die ihn zunächst für die Anwaltstätigkeit, später für Staatsämter qualifiziert, dank der angestrebten gedanklichen Vertiefung aber auch zum Verfassen philosophischer Schriften befähigt. Mithilfe von Philon von Larissa, dem nach Rom gekommenen Schulhaupt der von Platon gegründeten Akademie, und dem Stoiker Diodotos studiert er auch die Philosophie der Griechen. Zugleich lernt er bei Philon die Methode der disputatio in utramque patrem, die Erörterung eines Gegenstandes von zwei einander entgegengesetzten Standpunkten. Schon in der Jugendschrift De inventione (Über das Auffinden [von Argumenten], ca. 80–85 v. Chr.) zeigt Cicero sein Interesse an der Verbindung von Rhetorik und Philosophie. Er skizziert eine Kulturentstehungtheorie, nennt mehrfach Aristoteles, den er aber, so scheint es, nicht direkt gelesen hat. Methodisch bekennt er sich im Bereich des Theoretischen sein Leben lang zu der in der Platonischen Akademie vorherrschenden Skepsis, die zum jeweiligen Problem die Pro- und Kontraargumente ausbreitet, sich jedoch eines abschließenden Urteils enthält.
Auf einer Studienreise (79–77 v.Chr.) nach Athen, Rhodos und Kleinasien erweitert und vertieft Cicero bei den dort führenden Rhetoriklehrern und Philosophen seine Ausbildung. Bei Apollonius Molon verbessert er seine Sprechtechnik. In Athen hört er bei Antiochos von Askalon, der in einer von ihm gegründeten „Alten Akademie“ die Verbindung von Platonischen mit stoischen Gedanken pflegt. Auf Rhodos trifft er den Stoiker Poseidonios. Da Cicero auch beim Epikureer und deren Schulhaupt Zenon von Sidon studiert, wird er mit drei nachklassischen Philosophieschulen, der Platonischen Akademie, der Schule der Epikureer und der Stoa – nur Aristoteles’ Schule fehlt –, aus erster Hand vertraut.
Folgt man der Spätschrift Academici libri quattuor (Vier akademische Bücher, 46/45 v. Chr.), so steht Cicero dem Skeptizismus der Platonischen Akademie nahe. Für die sittlich-politische Praxis und deren Theorie hingegen zieht er eine Entschiedenheit vor, die in seinem politischem Hauptwerk, in De re publica, etwa in den Ansichten zum römischen Staatsgenie, zur Mischverfassung, zum Naturrecht, zum gerechten Krieg, nicht zuletzt zur politischen Notwendigkeit von Recht und Gerechtigkeit deutlich zutage tritt. Keineswegs schlägt er sich auf die Seite des Akademikers Karneades, der zur Frage, ob für den Staat die Gerechtigkeit unabdingbar sei, die skeptische Urteilsenthaltung pflegt. Ohne eine antiskeptische Grundeinstellung von De re publica, ohne deren konstruktiven Optimismus, wäre Ciceros Entwurf eines idealen Gemeinwesens auch schwerlich möglich.
Schon vor der Griechenlandreise beginnt der Aufsteiger („homo novus“) aus der Provinz eine glänzende Karriere, die er nicht der Macht und dem Reichtum seiner Familie, sondern außer dem Ehrgeiz und der Begabung einer überragenden Geistesbildung verdankt. Zunächst macht Cicero sich als Anwalt einen Namen. Seit 81 v. Chr., also dem Alter von 25 Jahren, verfasst er Gerichtsreden. Später schlägt er die politische Laufbahn ein. Im Jahr 75 v.Chr. wird er auf Sizilien Quaestor, ein höchster Finanzbeamter, im Jahr 69 einer der Ädile, also der für panem et circenses, für Brot, nämlich die Getreideverteilung, und für die Spiele zuständigen Beamten. Seit 67 verfasst er politische Schriften, im Jahr darauf, 66, wird er Praetor, also ein höchster Richter.
Nach diesen üblichen Zwischenstufen wird Cicero schließlich im Jahr 63 v. Chr. Konsul, mithin einer der beiden höchsten Amtsträger Roms. In dieser einem König nahekommenden, aber nur für ein Jahr gewählten Stellunggelingt ihm, eine gegen das aristokratische Element Roms, den Senat, gerichtete Verschwörung des Catilina mit Wort und Waffen zu vereiteln. Diese Leistung bringt ihm Ehre, aber auch Feinde ein. Zunächst als Retter des Vaterlandes pater patriae gefeiert, wirft man ihm später vor, Catilinas Recht auf einen ordentlichen Prozess verletzt zu haben, woraufhin Cicero für eineinhalb Jahre, April 58 bis September 57, verbannt wird.
Immer wieder, nicht erst durch die Machtübernahme Caesars im Jahr 48 politisch bedeutungslos geworden – Cicero hatte sich nach längerem Zaudern auf Caesars Gegenseite, die des Senats, geschlagen –, verfaßt er, auf sein Landgut zurückgezogen, seine wichtigsten Schriften. Sie weisen den Autor als einen thematisch weit interessierten, philosophisch hochgebildeten und sprachlich brillanten Denker aus. In der mittleren Schaffensperiode, den Jahren 55 bis 51, entstehen unter anderem die Schriften De oratore (Vom [idealen] Redner), De re publica (Vom Gemeinwesen bzw: Vom Staat), und De legibus (Von den Gesetzen). In der Spätzeit, den Jahren 46 bis 44, entstehen die erkenntnistheoretischen Academici libri (Akademischen Bücher), die Auseinandersetzung mit der Theologie der Epikureer: De natura deorum (Über die Natur der Götter) und der Dialog über die letzten Ziele des menschlichen Handelns: De finibus bonorum et malorum, sowie als eine weitere moralphilosophische Schrift De officiis (Von den Pflichten) und zuvor die Tusculae disputationes (Gespräche in Tusculum).
Nach Caesars („des Kaisers“) Tod setzt sich Cicero in Orationes Philippicae (Philippinische Reden) ebenso leidenschaftlich wie sprachgewaltig gegen den Caesarianer Marcus Antonius und für die Wiederherstellung der Republik ein. Daraufhin wird im Rahmen einer Schreckensherrschaft, der 130 Senatoren und 2000 Ritter zum Opfer fallen, der 63jährige Cicero von Caesar-Anhängern unter Marcus Antonius am 7. Dezember 43 ermordet; Kopf und Hände werden auf dem Forum öffentlich zur Schau gestellt. Im selben Jahr sterben die beiden Konsuln, so dass die römische Republik, der Cicero einen Großteil seines politischen und literarischen Lebens gewidmet hat, faktisch zu Ende geht.
Cicero liegt wenig an einem um des bloßen Wissens willen betriebenen Philosophieren. Er versteht sein gesamtes Schrifttum als nicht bloß vom Thema, sondern vor allem von der Absicht her als politisch, nämlich als Beitrag zum Wohl der Republik. Von seinem reichen Oeuvre – 58 Reden, 19 Prosatexte und etwa 800 Briefe – ragen für das politische Denken zwei Texte heraus, die beiden Dialoge De re publica und De legibus. Beide zeichnen sich durch Verbindung von griechischer Philosophie mit der laut Cicero überlegenen römischen Staatsklugheit aus. Damit stehen sie freilich in Spannung zu Ciceros anderem Interesse, das in beiden Titeln zu Tage tritt: Cicero will Platons zwei Hauptwerken zum politischen Denken nacheifern. Während er in De re publica (Rep., Vom Staat) nach dem Vorbild von Platons Politeia (Staat) – laut Scipios Traum „ein heiliges Buch“ („sacrum volumen“: Rep. VI, 7) – eine Theorie des idealen Staates entwirft, nimmt sich De legibus (Von den Gesetzen) Platons Nomoi (Gesetz) zum Vorbild, um wie dort eine Theorie des zweitbesten, aber immer noch ziemlich idealen Staates vorzulegen.
Deutlich in die Sphäre der Politik reichen auch Passagen des vielleicht schönsten Cicero-Dialogs Vom Redner; ein Platonisches Vorbild bildet der Dialog Phaidros. Ferner sind viele in die Tagespolitik eingreifende Reden für das politische Denken relevant, namentlich die vier Reden gegen Catilina. Seit Platon und Aristoteles herrscht eine Verbindung der Politik mit der Ethik vor. Folgt man diesem Vorbild, so sind zwei weitere Hauptwerke von Cicero politisch erheblich: Von den Zielen des Guten und des Bösen und Von den Pflichten.

1.3„Vom Gemeinwesen“ 1: ein idealer Staat

Der Bedeutsamkeit bewusst stellt Cicero sein staatstheoretisches Hauptwerk De re publica, Vom Staat, wörtlich: Vom Gemeinwesen, in die Tradition der Grundtexte des politischen Denkens der Griechen, ausser Platons Politeia auch Aristoteles’ Politik. Trotz der Wertschätzung, die der Dialog verdient, reicht er aber an die großen Vorbilder kaum heran. Literarisch gesehen folgt Cicero nicht Aristoteles mit dessen einschlägiger Lehrschrift zur Politik, allenfalls dessen nur fragmentarisch überlieferten Dialogen. Literarisches Vorbild ist der von ihm hochgeschätzte Platon. Denn De re publica ist keine Abhandlung, sondern ein Dialog, ein teils philosophisches, teils historisches, aber auch tagespolitisch orientiertes Gespräch. Gemäß den drei Mal zwei Büchern der Schrift spricht sich das Gespräch an drei Festtagen, den Latinischen Ferien, ab, also an Tagen, in denen sich auch ein aktiver Politiker der Muße (otium) hingeben kann. Es findet kurz vor dem Tod der tragenden Gestalt, des jüngeren Scipio, also im Jahr 129 v. Chr., statt. Zwischen realen Personen des öffentlichen Lebens geführt, widmet es sich Voraussetzungen und Strukturen eines vorbildlichen Gemeinwesens.
Obwohl der Dialog bis in die Spätantike viel gelesen wi...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Zitierweise und Abkürzungen
  6. Vorwort
  7. 1 Einleitung
  8. 2 Politiker und Philosophen: Cicero zur Interdependenz von politischer Theorie und Praxis (De re publica I, 1–37)
  9. 3 ‘Richer than the Greeks’: Cicero’s Constitutional Thought
  10. 4 Ciceros Archäologie des römischen Staates in De re publica II: Ein Exempel römischen Philosophierens
  11. 5 De re publica III: Über Ungerechtigkeit und Gerechtigkeit
  12. 6 Die Einrichtung des besten Staates: De re publica, Buch IV
  13. 7 De legibus III
  14. 8 Das Somnium Scipionis im Kontext des dritten Bücherpaares (De re publica V und VI)
  15. 9 Die metaphysische Grundlegung des Rechts (De legibus I)
  16. 10 Natural Law and Civil Religion: De legibus, Book II
  17. Auswahlbibliographie
  18. Personenregister
  19. Sachregister