|1| Orpheus eine tragisch-komische Geschichte.
– – Schmachten verzehret das Leben meine Liebe, es zerreißet die Sehnen, und schneidet ins Gebein.
Vierter Theil.
Genf
bey J. H. Legrand. 1780.
dp n="462" folio="412" ? dp n="463" folio="413" ?
|3| Erstes Kapitel.
Zur Vorrede.
O vita nostra di travaglio piena,
Come ogni tua allegrezza poco dura.
Il tuo gioir e come aria serena
Ch’alla fredda stagion troppo non dura.
Fu chiaro à terza il giorno; é a vespro mena
Subita pioggia, ed ogni cosa oseura.
Ariosto. Cinque canti.
– – – Und ferner die Zeit, die ewig am grossen Mahl der Zerstöhrung sizt, an der lieblichen Knospe nagt, die uns eben ihre Blätter zum entzückenden Genuß öfnete – siehst du Heinse! wie sie mit der scheußlichen Veränderung, der gänzlichen Vernichtung, im Bunde hinter uns herschleicht, das zu zerstöhren, was unser Herz und Aug ergözt! Wie sie ihren Gaumen an den Dingen lezt, die unser Geist zum einzigen Gegengewicht des bittern Verhängniß erkohr! |4|
Nicht genug! das hämische Ungeheuer sezte den Punkt des Mißmuths, des grämlichen Unbehagens, so nah den den Punkt der Freude und des Genusses, daß sie gleichsam mit unlöslichen Ketten verbunden zu seyn scheinen.
Dann zieht sie uns selbst in die dicke, tiefe, kalte, schauerliche Finsterniß hinein, troknet alle Lebensquellen auf, und diese Kräften, wodurch wir allem trozten, vermodern mit dem Gefühl der Freude.
Glüklich! daß ein Schleyer die Augen der Sterblichen dekt, und sie ihre unsichtbare Tritte nicht eher gewahr werden, als im Augenblik der gänzlichen Erschlaffung! laß sie dann triumphiren, was ist der Sieg der Schwachen?
3 travaglio] trovaglio Tf.
5 gioir] giovi Tf.
dp n="464" folio="414" ? Rosenfarbene Göttin! Zauberin Phantasie! die du mit deinen reizenden Farben meine beschneite, stürmigte Einöde überschüttest, mir allen Genuß meines vorigen Lebens zurükzufühlen giebst, was sind wir dir schuldig! |5| Wenn sie uns fressende Wunden schlagen, unser Herz zermalmen, daß wir mit Lösung unsrer Existenz all den Geißlen entfliehen möchten, so schiebst du uns dein Zauberküssen unter das Haupt, überschüttest uns mit deinem heilenden Balsam, wir laben uns in der kühlenden Laube, erquicken uns unter dem heitern Himmel, werden die giftige Schlange nicht gewahr, die uns aus dem Winkel Verderben zischt, und achten nicht auf die Gewitterwolken, die uns am fernen Horizont mit Sturm bedrohen.
Ferner der Trieb der Ehre und Grösse, der unsre verborgenste Kräfte aufbietet, die kleinste Nerve unsrer Maschine entzündet, daß sich alle Keime entwiklen –
So brachst du dem widrigen Geschik die Spitze ab! Glükliche Blindheit liegt über allem Genuß; aber sie stahlen sich in deinen Garten, anatomirten die Göttin Liebe und Freude, und rissen den Teppich vom Schau- |6| platz weg, raisonniren was uns glüklich macht zu List und Betrug der Sinnen, wenn sie’s noch dabey lassen.
O ihr! die ihr etwas beytrugt, diesen seligen, rosenfarbenen Schleyer der glüklichen Sorglosigkeit und Unwissenheit zu zerreissen, weil eure Säfte aufgetroknet waren, eure Nerven die Reizbarkeit verlohren hatten, Eitelkeit und Interesse euch predigen hieß, fürchtet Prometheus Rache!
Hört dem Kranken zu, der an einer reichen Tafel sizt! Er nuzt sein wenig Othem ab, und predigt unaufhörlich von Diät. Greift der Starke nach einer Speise, die sonst der Kitzel seines eigenen Gaumens war, so sucht er’s ihm zu verekeln, beschreibt ihm mit zitternder Stimme, welche marternde Kolik es seinem schwächlichen Magen verursachen würde.
dp n="465" folio="415" ? Die Mäßigung ist die Würze des Genusses! –
Genuß ist Sünde! Kämpft mit der Natur! – so lautet ihr Machtspruch, weil sie |7| nicht geniessen können; oder Heucheley und Finsterniß ihren heimlichen Gang dekt.
Warum keucht Gellert) Moralen, als weil Obstruktionen in seinen Eingeweiden wüthen, und die bleiche Hektik an seiner Leber nagt. Er zittert vor den Blitzschlägen des Jugendgeistes Chroneks, verkältet des Jünglings Witz, überdämmert seine feurige Seele, daß er sich in Melancholie und Gräbergesang schraubte, und die Muster einer aufgetrokneten Phantasie, für die Leiterin der seinigen ansah ).
Böse, dicke Säfte krochen in Schmollets) Blut. Der Engelländer fühlte Langeweile, kranken, mißmüthigen Humor, die Luft der |8| freyen Insul drükt ihn, er schift nach Italien. Sein Witz, sein feiner Bemerkungsgeist ist todt; er wird auch von nichts unterhalten, als wo die Luft gesund und ungesund gewesen sey; wo ihn die Flöh gebissen haben, wo die Suppe nichts taugte, das Bett zu hart war etc. In dieser Umnebelung seiner Sinnen, wo er alles im Licht seiner Stimmung ansah, das nothwendig den trübsten Schein geben mußte, stellte er sich vor die göttliche Venus von Medicis. Was war dem kranken Schmollet das süsse Lächeln der Göttin? Der Blik der Liebe? Der entzückende Busen? Die Lippe des innigen Genusses? Er spottete in seinem Herzen über den Phantast, der die Meisterin aller Herzen in ihr erkannte, und sah die Liebesgöttin bloß von hinten. Italiens reizende Gegenden, hinreissende Tönen, all seine Meisterstücke der alten und neuen Künstler, sah und hörte er mit einem Herzen an, das bloß für Apotheken und Spithäler gestimmt war. Den- |9| noch schalt er die einfältig, die da vollen Genuß des Lebens fanden, wo er nichts als den Wiederschein seiner schwächlichen, kümmerlichen Seele traf, der ihm natürlich die grosse und bezaubernde Gegenstände zum Vorwurf seiner Schwäche machen mußte. Sein Blut reinigte sich unter heiterm Himmel wieder, seine abgelaufene Nerven spannten sich von neuem, sein Witz und seine Sinnen kriegten neues Leben, und er zeigt die Wiederkehr von allem in treffenden Gegenständen. Die Anwendung von selbst. Weiter!
Warum sucht jener den schäumenden Kräften der sich ausbreitenden Pflanze zu steuren, als weil er fürchtet sie verdränge seine schwache Schößlinge, die er mit Furcht, vor Sturm und Ungewitter, pflanzt.
Dieser giebt uns die sauren Empfindungen zum Muster eines wahren moralischen Lebens, die Chinawurzel und die übrige Vorrathskammer des Apothekers in ihm würkt. |10|
So legte schwache Organisation, Selbstliebe oder Plan zur künftigen Knechtschaft, den Grundstein zum Gebäude der Prediger.
Füllt den Beutel jenes ruhmredigen Menschenfreunds mit Ludwigs, sein Predigen, die allgemeine Menschenliebe, (wovon keiner genießt, weil sie zertheilt ist, wie der Tropfen im Ocean) wird verschwinden, er wird den blumigten Pfad des Lebens suchen, und aus seiner Phantasie borgen, was sie ihm darbieten kann.
Der Ackersmann, dessen Scheitel die Sonnenhitze brennt, und dem der König nimmt, was er in saurem Schweiß erwirbt, was bleibt ihm übrig als der Topf Milch, in den er bey der Kühle seine Brocken taugt? Ist das Genuß? Das nußbraune Mädchen sizt neben ihm, ißt mit ihm aus einer Schüssel, er labt sich am Blik ihres schwarzen Augs, kneipt sie in die frische, rothe Backen, und achtet die schwühle Hitze nicht, weil sie ihm |11| den Abend mit dem nußbraunen Mädchen bringt. Der Pfaff wird’s gewahr, und nennt es Sünde. Der König und der Pfaff haben sich in den armen Teufel getheilt, dieser züchtigt seinen Leib auf Erden, und jener quält seine Seele, und bedroht die Unschuld seines Herzens, mit schwarzen Höllenstrafen.
Moralisten und Prediger! Berufene und Unberufene! Und wie euer Beruf beschaffen sey – schwache Nerven – bornirter Verstand –Mangel der Welt- und Menschenkenntniß – Eitelkeit – klingende Münze. –
Wer verehrt dies als Gefühl des Herzens?
Unglükliche Wichte! die ihr nie den Rausch der Leidenschaften gefühlt habt, die Kräften nicht kennt, womit sie uns ausrüsten! Die ihr in der Wiege der Schwachheit seufzt, nicht selten an der Brust des geistgramigten, bleichen Mißbehagens seufzt, warum dringt ihr uns als einzige Muster, Ideale auf, womit man eine Welt voll Heuchler, trostloser Hek- |12| tiker und grillenhafter Hypochondristen peupliren könnte?
Jeder dieser Herren nimmt den Maasstab nach sich. Was zu lang, zu stark oder nervigt ist, daran schinden und schneiden sie so lang, bis der Mensch gleich ihnen, das ächte und unterscheidende Urbild verlohren hat. Wenn die Kräften eurer Väter nichts taugten, als sie euch machten; oder ihr in eurer Jugend übel damit gewirthschaftet, was begehrt ihr an uns, die wir mit voller Kraft und Liebe gezeugt wurden, und noch heute die strömende Quelle des Lebens jung fühlen?
Und nun der Herauszug der moralischen Bramarbas.) Dieses Seculum bringt alles hervor. Man sprach nie mehr von Reinheit des Herzens, Thätigkeit und Handeln, und nie frassen mehr Hummeln die Arbeit der Bienen. |13|
Eitelkeit ist immer die Schwester der Schwäche. In Gesellschaft dieser Dirnen suchen sie den Menschen den kräftigen Takt, den ihr Blut zum Tanz des Lebens schlägt zu verderben. Die Mittel die sie brauchen, sind der Urheber werth, wer wird in diesem Morast der Seelen waden wollen!
dp n="468" folio="418" ? Es war nur ein Jean Jaques Rousseau – und möchte ich deinen Namen hinzusetzen Freund *** an dessen Seite ich die glüklichsten Tage meines Lebens zubrachte, als ich mich eben dem wilden Geräusch entzog! Ich riß mich aus deinen Armen, eilte einem Schauplatz zu, der meinem Herzen volle Genüge giebt, und keine meiner Kräften ungenuzt läßt.
– – Aber der Weise! der Weise! Und wer ist weise, der...