1 Einleitung
Die Polemik gegen andere Götter und deren Verunglimpfung als machtlose Bilder ist als Thema atl. Texte zwar bekannt, gehört aber nicht zu den Bereichen, die in theologischen Reflexionen und kirchlicher Praxis besondere Wertschätzung erfahren. Im Gegenteil stößt die in diesen Texten ausgedrückte „religiöse Intoleranz“ auf Widerstand und viele Exegeten zogen es vor, die als „theologisch minderwertig“ empfundenen Texte späteren Ergänzern zuzuschreiben.1 Blendet man solche Werturteile einmal aus, handelt es sich um kulturgeschichtlich durchaus relevante Texte, die Grenzen zwischen Eigenem und Fremdem konzipieren und diese Grenzziehung aus einer neuen Perspektive mit der Gottesverehrung verknüpfen. Letztlich entsteht aus der atl. Götterpolemik ein Konzept „anderer Religionen“, das bis in die Gegenwart nachwirkt.
Wie selbstverständlich räumt VON RAD in seinem Buch „Weisheit in Israel“ götterpolemischen Texten (Ps 135; Hab 2,18 f; Jer 10; Jes 40,19 f; 41,7; 44,9–20; 46,1 f; BelDr; EpJer; Sap 13 – 15 u. a.) einen Exkurs ein. Dass die „Polemik gegen die Götterbilder“, so der Titel des Kapitels, ihren Platz innerhalb der weisheitlichen Gedankenwelt hat, steht für von Rad außer Frage und bedarf keiner Begründung im Einzelnen. Tatsächlich ist VON RAD weder der Erste noch der Einzige, der die Affinität der götterpolemischen Texte zur Weisheitsliteratur bemerkt hat. Die Bemerkung, die Polemik verwende weisheitliches Vokabular, findet sich häufig in Kommentaren zu den entsprechenden Textstellen.2 Übergreifende Arbeiten zur Götterpolemik im AT beschäftigen sich jedoch nicht näher mit der Bedeutung der weisheitlichen Elemente.3 Handelt es sich also nur um eine zufällige Berührung oder wirken sich die weisheitlichen Anklänge auch auf die Argumentationsstruktur der götterpolemischen Texte aus?
In dieser Arbeit möchte ich VON RADS Ansatz aufnehmen und die Untersuchung der weisheitlichen Prägung atl. Götterpolemik vertiefen. Dazu werde ich in einem ersten Schritt hinter VON RADS selbstverständliche Einreihung der Götterpolemik in die weisheitliche Tradition zurückgehen und fragen, inwiefern die götterpolemischen Texte überhaupt auf weisheitlichen Voraussetzungen basieren. Die Beziehung von Götterpolemik und Weisheit kann ausgehend von unterschiedlichen Merkmalen wie zum Beispiel Vokabular, Sprachstil oder Themen beschrieben werden.4 Die vielfältigen Möglichkeiten, diese Beziehung anzugehen, ergeben sich daraus, dass sowohl Götterpolemik als auch Weisheit keine einheitliche Gattung bezeichnen. Beide Begriffe5 werden auf Gruppen von Texten angewendet, die in sich gewisse Ähnlichkeiten aufweisen, die aber nicht als Kette von literarischen Abhängigkeiten erschöpfend beschrieben werden können. Ich möchte vorschlagen, Götterpolemik und Weisheit als Bezeichnungen für Diskurse zu verstehen, und die Beziehung von Götterpolemik und Weisheit entsprechend als eine Diskursverschränkung zu untersuchen.
Da der Begriff „Diskurs“ mehrdeutig ist, werde ich zunächst erläutern, in welchem Sinn ich den Begriff in dieser Arbeit verwende. Im Anschluss werde ich darauf zurückkommen, wie der so verstandene Diskursbegriff zur Beschreibung von Götterpolemik und von Weisheit verwendet werden kann und wie ich in dieser Untersuchung vorgehen werde. Ziel der Arbeit ist es, die Entwicklung der Verbindung von Götterpolemik und Weisheit zu rekonstruieren und aufzuzeigen, welche Effekte sich aus dieser Verbindung ergeben. Wie wir sehen werden, zeichnet die Götterpolemik ein bestimmtes Bild „anderer Götter“, durch die Verbindung mit Weisheit aber entsteht das Konzept der Verehrer dieser Götter als einsichtslose Toren.
1.1 Diskursbegriff
1.1.1 Was ist ein Diskurs?
Der Begriff „Diskurs“ wird in wissenschaftlicher Literatur unterschiedlich verwendet. Die Unterschiede in der Verwendung gehen mehrheitlich darauf zurück, dass der Begriff vor jeweils unterschiedlichen theoretischen und disziplinären Hintergründen verstanden wird. Ich verwende den Begriff „Diskurs“ im Sinne poststrukturalistischer Theorien, die sich mit der Entstehung von Wissensordnungen befassen. Im Unterschied zu linguistischen Analysen des (situativen) Sprachgebrauchs, die ebenfalls als discourse analysis bezeichnet werden, schließt Diskursanalyse im hier gemeinten Sinn an die Arbeiten von FOUCAULT an.6 FOUCAULTS Ideen wurden in den Kultur- und Sozialwissenschaften aufgegriffen und zu kohärenten Diskurstheorien weiterentwickelt. Das im Folgenden vorgestellte Modell basiert auf Arbeiten von KELLER und JÄGER.7
Was Menschen für wahr halten und als selbstverständlich voraussetzen, fällt in unterschiedlichen geographischen, historischen, kulturellen Kontexten unterschiedlich aus. Diskurstheorie knüpft an die sozialkonstruktivistische Deutung des Sachverhalts an, dass nicht immer und überall das Gleiche als wahr und richtig gilt: Über das, was (wahres) Wissen ist, müssen Menschen sich in einer Gemeinschaft verständigen. Es ist also kollektiv und durch Kommunikation hergestellt. Dieses Wissen beeinflusst auch unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit, formt unsere Vorstellungen und leitet unsere Handlungen. Deswegen gilt auch für die Wirklichkeit, die wir wahrnehmen und gestalten, dass sie durch kollektive Kommunikationsprozesse diskursiv hergestellt wird. Eine objektive, naturgegebene, von gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen unabhängige Wirklichkeit ist uns nicht zugänglich. Was wir wissen und was wir als wirklich erkennen, ist das Ergebnis sozialer Aushandlungsprozesse. Diskurstheorie bietet ein Modell des Prozesses, in dem Wissen und Wirklichkeit geformt werden, und ermöglicht so die Untersuchung solcher Prozesse.
Als Diskurs bezeichne ich einen strukturierten Zusammenhang von Aussagen, durch den gesellschaftliches Wissen (re)produziert wird. „Aussage“ ist dabei der analytische Begriff für einen typisierten Inhalt, der in konkreten Äußerungen unterschiedlich formuliert werden kann.8 Einen strukturierten Zusammenhang bilden die Aussagen z.B. durch zugrunde liegende Argumentationsmuster oder Erzählstränge.
Dieser Diskurs ist ein kollektives Produkt: Viele Menschen tragen durch (geschriebene oder gesprochene) Texte zur Entstehung und Veränderung eines Diskurses bei. Eine einzelne Person kann den Verlauf eines Diskurses nicht steuern. Andere Menschen müssen bereit sein, sich (durch Texte, Redebeiträge, Handlungen) zu beteiligen, damit ein Diskursstrang entsteht. Welche Diskursstränge sich in welcher Form durchsetzen, hängt immer von vielen Akteuren ab, die sich an diesem Diskurs (aber auch gleichzeitig an vielen anderen Diskursen) beteiligen. Einzelpersonen sind auch nicht autonome Subjekte, die frei und losgelöst von allen bestehenden Diskursen ihre Gedanken denken. Jeder Mensch wird in ein gesellschaftliches Umfeld hineingeboren, in dem bereits laufende Diskurse Wahrheit und Wirklichkeit bestimmen.9 Wer gehört werden will, muss sich nach den Regeln solcher Diskurse äußern. Das bedeutet, dass er sich an gewisse Regeln des Diskurses, an dem er sich beteiligen möchte, halten muss, damit seine Äußerungen für andere Menschen sinnvoll und relevant sein können.
Aus dieser Perspektive ist ein Text kein Einzelereignis, sondern stellt eine Möglichkeit im Rahmen der in einer Gesellschaft laufenden Diskurse dar.10 Eine Person, die einen Text schreibt, greift auf verschiedene Diskurse zurück (vgl. Fig. 1). Auch Texte, die von einer einzelnen Person verfasst sind, sind in diesem Sinne kollektive Produkte und Fragmente gesellschaftlicher Diskurse.11 Der so entstandene Text wiederum kann zur Verbreitung und Veränderung dieser Diskurse beitragen. Daher sind alle Texte potentiell beteiligt an der Gestaltung von Wissen und Wirklichkeit.
Diskurse sind nicht einfach nur sprachliche Konventionen. Die Konzepte, die in einem Diskurs entwickelt werden, prägen das Weltbild und die Wahrnehmung. Rationale Entscheidungen basieren auf diesen Ressourcen und Handlungen werden durch sie geleitet. In dieser Weise können Diskurse zur Schaffung von Institutionen und zu Veränderungen in der materiellen Welt führen.12
Das bedeutet auch: Diskurse (und Texte als Bestandteile von Diskursen) sind nicht „harmlos“. Die Machtwirkungen von Diskursen sind in der Lebenswelt außerhalb der Texte spürbar. Diskurse spiegeln nicht eine vorbestehende, gegebene Wirklichkeit, sondern bringen Wirklichkeit hervor und gestalten sie.
Fig. 1: Schematische Darstellung des Zusammenhangs zwischen Diskurs und Text
Das dieser Untersuchung zugrunde liegende Verständnis von „Diskurs“ lässt sich somit in den folgenden Aspekten zusammenfassen:
– Ein Diskurs ist ein strukturierter Zusammenhang von Aussagen, durch den gesellschaftliches Wissen (re)produziert wird.
– Ein Diskurs spiegelt die Wirklichkeit nicht, er formt sie.
– Ein Diskurs ist ein gesellschaftliches (kollektives) Produkt.
– Texte sind (oder enthalten) Fragmente von Diskursen.
1.1.2 Wie können Diskurse untersucht werden?
Die skizzierte Diskurstheorie bietet ein Modell, das Prozesse der Wirklichkeitsgestaltung methodisch greifbar macht, indem sie eine diesem Prozess zugrunde liegende, beschreibbare Struktur vorschlägt: Bestimmte einzeln auftretende Äußerungen sind durch einen regelhaften Zusammenhang (= Diskurs) miteinander verbunden. Die Annahme eines solchen Zusammenhangs ist die Grundlage für die Zusammenstellung des Textkorpus,13 an dem eine Diskursanalyse durchgeführt werden soll.14 Ein Diskurs ist kein vorfindliches Objekt, sondern eine von den Forschenden konstruierte Analyseeinheit. Die Isolierung des zu untersuchenden Diskursstrangs geschieht in einem ersten Schritt meist anhand eines Themas, doch es erweist sich erst im Laufe der Untersuchung, ob der postulierte Zusammenhang anhand des ausgewählten Datenmaterials nachgewiesen werden kann oder ob zur Untersuchung des Diskursstrangs andere Texte herangezogen werden müssen.15 Je nach Detailliertheit der Analyse können verschiedene Unterdiskurse zu einem Diskurs ausgemacht werden.16 Innerhalb eines Diskursfeldes17 können Diskurse und entsprechende Gegendiskurse betrachtet werden. Je nach Trägerschaft und Adressaten handelt es sich um einen (z. B. auf eine wissenschaftliche oder religiöse Gemeinschaft begrenzten) Spezialdiskurs oder um einen öffentlichen Diskurs.18
Die Diskursanalyse rekonstruiert Struktur, Verlauf und Wirkungen eines Diskurses. Die Abgrenzung des Diskurses ist dabei keine absolute Größe, sondern wird in Relation zum Forschungsgegenstand und zur forschungsleitenden Frage festgelegt. Je nach konkreter Fragestellung kann die Analyse eher diachron oder eher synchron ausgerichtet sein, wobei die historische Gewordenheit des Diskurses und seiner Gegenstände, die innerhalb des Diskurses oft als zeitlos dargestellt werden, stets beachtet werden muss. Die Untersuchung kann z.B. nach den unterschiedlichen Positionen der Akteure, nach Diskursstrategien (= Strategien zur Durchsetzung eines Diskurses)19 oder – wie die vorliegende Untersuchung – nach Diskursverschränkungen20 (= Verbindungen von unterschiedlichen Diskurssträngen) und ihren Effekten fragen.21
Stehen (vorläufige) Fragestellung und (vorläufige) Textauswahl22 fest, empfiehlt es sich, sich einen Überblick über die Makrostruktur des untersuchten Diskurses zu verschaffen. Als Leitfrage schlägt LANDWEHR VOR: „Welche sprachlichen Merkmale stehen im Mittelpunkt, welche Worte, Argumente, Abgrenzungen tauchen immer wieder auf, halten den Diskurs zusammen und sind Kernpunkte von Auseinandersetzungen?“23 Durch diese Voranalyse der Diskursfragmente können Inhalt und Grundstruktur des Diskurses skizziert werden. Dabei sollten auch diskur...