1 Bosl im Dritten Reich:
Autobiografische Bemerkungen, 1974–1990
In seinen Schriften enthält sich Bosl der direkten Bezugnahme auf sein Wirken während des Dritten Reiches. In einer autobiografischen Skizze, die erstmals 1974 veröffentlicht wurde, erwähnte er lediglich zwei Begebenheiten, die einen Bezug zur NS-Ära haben. Zum einen schilderte er, wie er als Student an der Ludwig-Maximilians-Universität München Ende der 1920er Jahre die Kämpfe zwischen Nazis und Sozialisten miterlebte. Vor diesem Hintergrund, so hielt er in dieser autobiografischen Skizze fest, sei bei ihm „die Verpflichtung zum politischen Engagement“ aufgekommen. Er ließ sich für den AStA (Allgemeiner Studentenausschuss) aufstellen, wurde gewählt und stellte sich auf die „Seite der Gegner des Nationalsozialismus“, da er sich für die „Repräsentanten und die Freiheit“ der Weimarer Republik entschied. Zum anderen betonte Bosl in dieser autobiografischen Skizze, dass er sich in den späten 1930er und in den frühen 1940er Jahren für das Studium von Themen entschieden habe, die „nicht zeitgemäß“ waren, wie beispielsweise die Staatspolitik Kaiser Heinrichs III., wozu Bosl erklärend anmerkte, dass dieser Herrscher „vom Dritten Reich aus den Geschichtsbüchern verbannt wurde.“ Zudem habe er Friedrich I. Barbarossa studiert, der im offiziellen Mythos des Reiches ebenfalls keinen Platz hatte. Bosl fügte hinzu, ihn habe nun einmal nicht interessiert, ob ihm diese Studien in der akademischen Welt zum Vorteil gereichten.23
Diese Darstellung legt die Schlussfolgerung nahe, dass Bosl an die Demokratie glaubte und die Weimarer Republik unterstützte, vor 1933 gegen die Nazis eingestellt war und auch nachfolgend auf Distanz zu ihnen ging; über seine genaue politische Haltung während des Dritten Reiches kann man allerdings nur Vermutungen anstellen. In derselben Art und Weise behauptete Bosl in einer Rede von 1983, dass für ihn Ansbach – jene Stadt, in der er von 1937 bis 1945 lebte – der Schädelstätte gleiche, weil er dort „politische Geschichte durch den Martertod eines meiner Studenten und gemeinsam mit jungen und älteren Freunden leidvoll erfuhr und erlitt.“24 Diese etwas nebulöse Aussage bezieht sich auf die Hinrichtung von Robert Limpert (siehe nachfolgend) und zeigt auf, dass Bosl und seine Freunde darüber zutiefst schockiert waren. Dennoch tappen wir bezüglich seiner grundlegenden politischen Einstellung weiter im Dunkeln. In einer ebenfalls autobiografischen Rede, die Bosl 1984 in Cham hielt, wo er 1908 zur Welt gekommen war, erwähnte er, sich an Pankraz Habrunner bestens zu erinnern, einen Bezirksoberamtmann, der wegen seiner NS-Gegnerschaft von den Nazis strafversetzt worden war. Außerdem wies er darauf hin, dass ein Nazi-Professor seine Ernennung zum Privatdozenten verhindert habe.25 Diese Aussagen erwecken durchgängig den Eindruck, dass Bosl dem Regime kritisch gegenüberstand, doch zugleich wird nicht explizit behauptet, dass er tatsächlich ein vorbehaltloser oder gar ein aktiver Gegner war. In einem rührenden Doppelportrait seiner Eltern, die Bosl als Modell der „kleinen Leute“ darstellte, schildert er andererseits voller Bewunderung, dass seine Mutter einflussreichen Parteifunktionären trotz Drohungen direkt ins Gesicht gesagt habe, dass sie nie „Heil Hitler“ grüßen, sondern weiterhin „Grüß Gott“ sagen werde. Darüber hinaus gab er an, dass sein Vater „das Dritte Reich und seine Leute auf unterer und oberer Ebene“ strikt ablehnte.26
Im Rahmen von zwei Interviews, die Bosl zum einen Benjamin Kedar 1986 und zum anderen Karl N. Renner 1990 gewährte, wiederholte er diese von ihm zuvor vorgebrachten Behauptungen in detaillierterer Form.27 In beiden Interviews erwähnt er die unnachgiebige Haltung seiner Eltern gegenüber den Nazis, wobei er im zweiten Interview hinzufügte, dass dies bei ihm „sehr stark nachgewirkt“ habe.28 In beiden Interviews nimmt er zudem Bezug auf seine AStA-Aktivitäten in den Jahren 1928 und 1929 sowie auf eine Holzscheitelschlacht gegen die Nazis, an der er beteiligt war. Im ersten Interview gab er an, dass er in diesem Gremium als „katholischer Verbindungsstudent“ aktiv war.29 In beiden Interviews betonte er, dass sein Geschichtsunterricht am Ansbacher Gymnasium einige seiner Schüler dazu veranlasst habe, die Parteilinie anzuzweifeln,30 und dass er 1944 aus politischen Gründen nicht zum Privatdozenten ernannt worden sei.31
Darüber hinaus behauptete Bosl in beiden Interviews, einem kleinen Kreis von Leuten angehört zu haben, die in aktiver Opposition zum Regime gestanden hatten. Dieser Kreis bestand aus ihm selbst, dem Bildhauer und Maler Heinrich Pospiech, der einer seiner Kollegen am Ansbacher Gymnasium war, sowie aus zwei Schülern dieser Oberschule, Robert Limpert und Wolfgang Hammer. (In dem 1986 gewährten Interview hatte Bosl Pospiech als Spiritus rector, also als treibende Kraft bezeichnet, später bezeichnete er sich selbst als solche.) Bosl behauptete, dass er und die anderen heimlich Anti-Nazi-Flugblätter in Zügen und an anderen öffentlichen Orten verbreitet hatten. In dem Interview von 1990 gab er zudem an, sich daran zu erinnern, dass eines der Flugblätter, das nach dem Einmarsch in Paris im Jahr 1940 verteilt worden war, den Deutschen nahe legte, dieses Ereignis nicht als das Ende des Krieges zu betrachten, denn: „es kommt schlimmer“.32 Als dann im April 1945 die Amerikaner vor Ansbach standen, seien Mitglieder der Gruppe der Ansicht gewesen, dass die Stadt in Schutt und Asche gelegt werden würde, sollte die SS in die Stadt einziehen. Deshalb hätten sie beschlossen, das Kommunikationsnetzwerk der SS zu zerstören. Sie hätten das Telefonkabel gekappt, um deren Einmarsch zu verhindern. Limpert sei bei dieser Aktion „unvorsichtig“ gewesen, so dass man ihn erwischte. Bosl führte weiter aus, dass er „von einem wütenden Oberst der Luftwaffe an einem Haken des Rathauses in Ansbach aufgehängt“ wurde.33 In dem 1990 geführten Interview machte Bosl dann weniger ins Detail gehende Aussagen und weigerte sich zwei Mal, näher auf seine Rolle bei den Widerstandsaktionen der Gruppe einzugehen. Er ließ allerdings nicht unerwähnt, auf ähnliche Weise wie Limpert versucht zu haben, Ansbach vor der Zerstörung zu bewahren.34
Zugleich gab er in dem 1986 geführten Interview aus freien Stücken an, 1934 [sic] der NSDAP beigetreten zu sein. Er sei dazu gezwungen worden, denn man habe ihm damals zu verstehen gegeben, dass er ansonsten keine Aussicht auf eine Anstellung habe. Darüber hinaus betonte er, dass er noch im selben Jahr wieder aus der Partei ausgetreten sei.35 Er sagte zudem, dass er das Regime hasste, den britischen Radiosender gehört und sich beruflich mit Themen beschäftigt habe, die bei den Nazis nicht hoch im Kurs standen. Die Ankunft der Amerikaner habe er als Befreiung begrüßt.36 Als er auf einige Sätze in Artikeln angesprochen wurde, die er zwischen 1941 und 1944 veröffentlicht hatte, gab er zu, dass es sich um „Nazisprüche“ handelt, erläuterte in diesem Zusammenhang auch, dass er nun einmal nicht anders hätte können, als in den vorherrschenden Trend einzulenken, wenngleich er seiner Auffassung treu geblieben sei und sie weiterentwickelt habe.37 Ganz allgemein stellte er die Behauptung auf, dass er, so wie viele anderen Deutsche auch, das Regime nicht gutgeheißen und es daher, so gut es in seiner Macht stand, bekämpft habe, andererseits jedoch wegen „bürgerlicher Schwäche und Feigheit“ Zugeständnisse machte, dies allerdings niemals aus Begeisterung.38 Wegen dieser Zugeständnisse habe er sich selbst nach 1945 niemals als Widerstandskämpfer bezeichnet.39 Frank D. Horvay, der amerikanische Offizier, der die Aktionen der Ansbacher Gruppe genau untersuchte, stellte Bosl eine Bescheinigung aus, um die, so betonte Bosl, er „nicht gebeten habe“. Dieses Schreiben erklärte ihn für alle Art von Aktivitäten in Nachkriegsdeutschland als zugelassen und empfahl sowohl Bosl als auch die anderen Mitglieder der Gruppe, da sie als „Widerstandskämpfer als zuverlässig anzusehen sind“ (obwohl sie sich selbst nicht als solche dargestellt hatten).40 Diese prekäre Koexistenz von Ablehnung und Zugeständnissen, die Bosl in dem Interview bezüglich seiner Person zugab, erscheint auch in seinen allgemeinen Ausführungen zum bayerischen Widerstand im Dritten Reich: „In der Regel aber“, so schrieb er, „lagen Teilopposition und partielle Bejahung des Regimes, Nonkonformität und Konformität beim Individuum oft in einer Brust und schwankten labil bei Gruppen und Gesellschaftsschichten. Es gab Mischformen des politischen Verhaltens. Ein und dieselbe Person konnte Gegner und Mitläufer sein.“41
2 Bosl im Dritten Reich: Echtzeitzeugnisse
Eine eingehendere Untersuchung der erhaltenen Dokumente zeigt, dass diese Bosls Selbstportrait als vehementen Gegner des Regimes, der lediglich zu gewissen Kompromissen gezwungen gewesen war, prima facie nicht bestätigen. Am 13. September 1938 reichte Bosl ein kurzes Schriftstück bei der Zentrale einer der führenden nationalsozialistischen Organisationen ein: bei der Forschungsgemeinschaft „Deutsches Ahnenerbe“, die der SS unterstand. Darin fasste er seine politische Tätigkeit zusammen, erwähnte verständlicherweise jedoch nicht, während seiner Studienzeit gegen die Nazis gewesen zu sein. Stattdessen hielt er fest, seine politischen Aktivitäten 1929/1930 als Mitglied des Stahlhelms aufgenommen zu haben, einer rechtsgerichteten Organisation, die am 3. Juli 1933 im Zuge der sogenannten Gleichschaltung der SA unterstellt wurde.42 Bosls zweifellos freiwilliger Eintritt in diesen republik- und demokratiefeindlichen paramilitärischen Verband ist kaum vereinbar mit seiner 45 Jahre später aufgestellten Behauptung, er habe damals „um die Demokratie und um die Weimarer Republik“ gekämpft.43 Weiterführend gab Bosl in dem Schriftstück an, seit dem 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP zu sein (Mitgliedsnummer 1884319), selbstverständlich ohne auch nur die leiseste Andeutung bezüglich eines nachfolgenden Austritts oder einer ruhenden Mitgliedschaft zu machen. Vielmehr versicherte er, Mitglied der SA gewesen zu sein. Er geht detailliert auf seine Lehrtätigkeit zu nationalpolitischen Themen und auf seine Vorträge bei Partei- und NS-Lehrerschaftsveranstaltungen ein, in denen er „schon seit geraumer Zeit deutsche Volksgenossen auf das Studium des Sudetendeutschtums“ aufmerksam machte. Darüber hinaus hielt er fest, Mitglied der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), des Nationalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB) sowie des Reichslehrerbundes (RLB) zu sein. „In Ansbach“, also wo er zu damaliger Zeit lebte, so gab er weiter an, „bin ich ausserdem Mitglied des HJ als Verbindungsmann zu den Schulen.“44
Mit Ausnahme der letzten Angaben wiederholt Bosl diese Ausführungen in einer 1938 eingereichten Bewerbung auf die Stelle eines „außerplanmäßigen Beamten“, wenngleich er hier wesentlich genauere Angaben zu seinen Aktivitäten beim Stahlhelm – 1930/1931 bis 1933 – und zu seiner SA-Mitgliedschaft – 8. Juli 1933 bis 1934 – macht. (Da der Stahlhelm am 3. Juli 1933 in die SA eingegliedert wurde,45 liegt auf der Hand, dass Bosl zu den 500.000 Mitgliedern dieser nationalistischen Organisation gehörte, die nachfolgend automatisch Mitglied der SA wurden.)46 Seine Bewerbung gehört zu einer Akte, die mit der folgenden Einschätzung abschließt: „Studienassessor Bosl steht fest auf dem Boden der nationalsozialistischen Weltanschauung und hat dem Dritten Reich durch seine ausgedehnte Tätigkeit in der Bayerischen Ostmark sehr wertvolle Dienste geleistet.“47 Darüber hinaus amtierte Bosl zwischen 1939 und 1942 in Ansbach als Kreisverbandsleiter des Reichkolonialbundes (RKB),48 einer von den Nationalsozialisten gelenkten Organisation, die damit betraut war, das Verständnis der Notwendigkeit der kolonialen Expansion zu fördern.49
Bosl gab also in seinem Schriftstück zu seinen politischen Aktivitäten wie auch in seiner 1938 eingereichten Bewerbung an, dass er ab Mai 1933 ohne jegliche Unterbrechung Mitglied der NSDAP war. In dem 1986 geführten Interview hingegen behauptete er, nur wenige Monate nach Beitritt wieder aus der Partei ausgetreten zu sein. Diese Behauptung ist nicht gänzlich unfundiert, wenngleich es sich keinesfalls um einen formalen Austritt gehandelt hat. In Bosls Parteikarte ist festgehalten, dass er sich am 1. Mai 1933 als Mitglied registrieren ließ. Seine Mitgliedschaft wurde im August 1935 aufgrund einer Meldung des Gaus Bayerische Ostmark gestrichen. Am 14. Juni 1938 wurde er nach Entscheid des Gaus wieder eingetragen und dieser Entscheid der Reichsleitung der NSDAP gemeldet.50 Trotzdem gibt es gute Gründe, diese Aufhebung von Bosls Mitgliedschaft (die er, wie aufgezeigt, in der Zusammenfassung zu seinen politischen Tätigkeiten und in seiner Bewerbung von...