TEIL I:
ERZÄHLUNGEN
I.1 HISTORISCHE ERZÄHLUNGEN
WOLSEY
Es war um Weihnachten 1529, der Schnee lag hoch und alle Fahrstraßen in Yorkshire waren verschneit. Ein Reiter aber der in raschem Trab bei ⌐anbrechender Dunkelheit¬ des Weges kam schien wenig dadurch behindert zu werden und ⌐rasch und sorglos¬ wie einer der seines Zieles sicher ist trabte er rasch über die weiße nur hier [5] und da von einer Pappel unterbrochne ⌐endlose¬ Schneefläche hin⌐trabend¬, ⌐hob er sich¬ nur von Zeit zu Zeit im Sattel sich hebend als ⌐wie wenn er aus¬schaue er ⌐aus¬ nach einem Merkmal für die Richtigkeit des ⌐eingeschlagnen¬ Weges oder nach dem ⌐ersehnten¬ Ziele selbst aus. Jetzt prustete sein Pferd muntrer als zuvor; und im selben Augenblick blitzte am Horizont ein Licht auf dem es jetzt ⌐und¬ ohne [10] daß der Reiter Sporn oder Gerte gebraucht hätte, ⌐trug ihn sein Pferd jetzt¬ in immer raschrem Laufe entgegen ging querfeldein.
Nach zehn Minuten hielt der Reiter vor Sheffield-House und stieg ab. Es ⌐Das Haus vor dem er stand¬ war ein alterthümlicher Bau, aus der besten gothischen Zeit. Ursprünglich hatte hier nur ⌐eine Abtei gestanden¬ deren Kirche gestanden die auch [15] jetzt noch den Mittelpunkt des ganzen Besitzthums bildete; die Mönchswohnungen aber die sich ⌐damals¬ unmittelbar an die Westseite der Kirche angelehnt hatten, waren im vorigen Jahrhundert fortgeschafft worden und das stattliche Herrenhaus desselben Talbot des Grafen von Shrewsbury war an ihre Stelle getreten. Der zweistöckige aus festem Sandstein aufgeführte Schloßbau ⌐Gebäude¬, der ⌐das¬ jetzt im [20] rechten Winkel auf die Thurmfront der Kirche stand glich eher einem Schloß als einem Wohnhaus und nur die Ungeschütztheit seiner Lage und die Abwesenheit von Wall, Graben und Brücke, ließen den ⌐es trotz des¬ mächtigen viereckigen Thurms der das Gebäude flankirte ⌐an seinem Westgiebel¬ und trotz der achteckigen Thürmchen die sich wie 2 Wächter am Portal erhoben, mehr als Schmuck oder Laune denn [25] als ⌐ein bloßes Herrenhaus¬ eine Befestigung erscheinen.
Dicht am Portal war eine Glocke, er zog daran, aber es währte ziemlich lange ehe ⌐es¬ drinnen im Haus Halle was lebendig wurde ⌐sich rührte¬ und doch war Feuer in der Halle, das sah man an dem Gluthschein der sich oben im Portalfenster spiegelte. – Werfen wir, während unser Reiter unwirsch auf und ab geht und seine Arme kräftig [30] zusammenschlägt um sich zu wärmen, einen Blick auf das Herrenhaus, das sich ihm öffnen soll.
Endlich ward ein Riegel zurückgeschoben und die Thür öffnete sich. Ein Alter, mit einem Kienspahn in der Hand, sah zu der vermummten in allerhand Tücher gehüllten ziemlich unkenntlichen Reitergestalt hinauf und brummte vor sich hin: nun, was [35] giebt’s?
Was es giebt? Halte mir Deinen Spahn besser in’s Gesicht oder wisch Dir den Schlaf aus den Augen. Da, gieb das an Mylord; ich will den Braunen derweil unterbringen, – der hat sich seinen Hafer heut verdient.
Mit diesen Worten gab er dem Alten eine Ledertasche, die er unter dem Mantel [40] getragen hatte und griff nach dem Zügel seines Pferdes um es in den Stall zu führen.
Der Alte aber war jetzt völlig in’s Freie getreten und dem Reiter ohne Weitres den Zügel aus der Hand nehmend, rief er in die Halle hinein: Heda, Bobby ⌐Schlafsack¬, will er wohl herunter von der Bank und die faulen Glieder zusammensuchen⌐genommen¬; Sam Taylor ist zurück; flink, sag ich, oder –
Ein blasser halbverschlafner Junge stolperte aus der Halle heraus und nahm den [45] Zügel, der Alte aber zog den Angekommnen an das hellaut prasselnde Kaminfeuer und einen Deckelkrug vor ihn hinstellend sagte er: Das trink Sam, trink Du kennst meine alte Mischung, Heißbier mit Wachholder.
Sam that einen tüchtigen Zug, schwur bei allen Heiligen solch Bier in ganz London nicht gefunden zu haben, warf Mantel und Tücher ab und während starrte vergnüglich [50] in die Flamme, während sein bereifter Bart aufthaute und die Tropfen wie lustige Thränen ihm über’s Gesicht liefen ⌐rannen¬.
Der Alte verschwand inzwischen mit der Tasche und einen langen, Corridor ⌐nach Westen hin liegenden¬ dunklen Gang durchschreitend, an dessen Ende ein blakiges Licht brannte, stieg tappte er ⌐endlich¬ eine schmale Steintreppe hinauf und trat [55] gleich darauf ⌐dann¬ in das Wohn- und Arbeitszimmer seines Herrn, das groß und geräumig war und das ganze erste Stockwerk des ⌐schon erwähnten¬ WestThurmes einnahm.
Das Zimmer so groß und geräumig es war machte doch den Eindruck äußerster Behaglichkeit. Hohe Eichenholz-Pannele mit allerhand gothischem Schnitzwerk – [60] einerKunst die gerade damals in England blühte – liefen an allen vier Wänden rings herum; gegenüber der Eingangsthür brannten große Scheite Holz in ⌐dem reichverzierten¬ Kamin und unterbrachen die Stille durch ihr Knistern und Knallen; rechts davon an der Frontwand wölbte sich ein Bogenfenster, ⌐das¬ kirchenähnlich mit bunten aber unkenntlichen Malereien bedeckt war; über den Pannelen hin, an den Wänden [65] entlang, hingen schwere Arrastapeten von dunkelrother Farbe und nur gegenüber dem großen Fenster hoch und breit fast wie dieses selbst hing das roh und ungeschickt aber in frappanter Charakteristik gemalte Bild jenes Talbot, der einst die Waffenehre Englands ⌐gewahrt und¬ der siegenden Zauber-Jungfrau gegenüber ⌐gewahrt und¬ mit seinem Tod besiegelt hatte. Es war eines jener wunderbaren Bilder, die einmal [70] gesehn dem Auge nicht wieder verloren gehn und deren Mängel nur dazu beitragen ihre bleibende Wirkung zu verstärken. Das Der Gesicht Kopf war klein, mager, voll ⌐dünnen¬ seltsam krausen dünnen Haares aber voll energischen Ausdrucks und über die Rüstung, deren blinkenden Stahl man nur am Hals und unter dem zwickelbärtigen Kinn hervorschimmern sah, war ein seltsamer Mantel geworfen, der den größten [75] Theil des Bildes einnahm und von blauer Farbe war mit goldnen Lilien darauf. Es mußte ein Anzug sein, den er bei einer jener Huldigungen u LehnsEidesleistungen getragen hatte, die die englischen Könige um ihrer französischen Besitzungen willen dem französischen Könige als ihrem Lehnsherrn leisten mußten.
Zu Füßen dieses Bildes, ihm den Rücken zukehrend, saß George Talbots Enkel der [80] gegenwärtigeLord Shrewsbury, ein Enkel Talbots und in Waffen erprobt gleich diesem. In der blutigen Schlacht bei Stoke focht er, siebzehn Jahr alt, an der Seite Heinrich Richmonds und half dem Hause Lankaster, dem er blind ergeben war, aufs Neue zu Thron und Herrschaft. Bei der Thronbesteigung Heinrichs VIII ward ihm das Ehrenamt eines Hausmarschalls übertragen; vier Jahre später führte er den Vortrab ⌐der [85] Engländer¬ in der berühmten Sporenschlacht und 1522 ernannte ihn die Huld seines königlichen Herrn zum Vicekönig über die nördlichen Provinzen. Seitdem hatte er seinen Sitz in Sheffield-Castle, theils weil die Pflichten seines Amts ihn an Yorkshire fesselten, theils weil die Dinge bei Hofe in den letzten Jahren eine Wendung genommen hatten, die ihm mißfiel. Seine rücksichtslose ⌐und immer noch unerschütterte¬ [90] Anhänglichkeit an die Lankastrier war in Konflikt mit der Strenge seiner sittlichen und religiösen Anschauungen gerathen und so gewiß auch seine Loyalität unerschüttert blieb, konnte er sich doch nicht entschließen der Augenzeuge, – |oder gar der Betheiligte ...