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1Philosophische ZugÀnge zur IdentitÀtsfrage
Der Begriff âIdentitĂ€tâ geht aus dem lateinischen identitas, was âSelbigkeitâ bedeutet, hervor und bildet die Nominalisierung des âdasselbeâ bezeichnenden Pronomens idem.26 Seine ursprĂŒngliche Verwendungsweise liegt im Bereich der philosophischen Erkenntnistheorie und der Logik,27 die mit âIdentitĂ€tâ eine âausgezeichnete zweistellige Relation, nĂ€mlich diejenige, in der jeder Gegenstand allein zu sich selbst stehtâ28, eine in diesem Sinne reflexive Relation beschreibt.29 Zusammen mit dem Oppositum âDifferenzâ erweist sich âIdentitĂ€tâ seit dem âUrsprung in der griechischen Philosophie [als] ein Relationsbegriff, der nach Plato (Parmenides 139b ff, 146a ff) in zwei Formen begegnet: als IdentitĂ€t mit sich und als IdentitĂ€t mit anderem, desgleichen als Verschiedenheit von sich und als Verschiedenheit von anderem.â30 Somit setzt eine solche Verwendung des IdentitĂ€tsbegriffes grundsĂ€tzlich voraus, âdaĂ die in der IdentitĂ€tsbeziehung implizierten Relata [âŠ] different sind, sei es nach Schriftbild, Aussprache oder [âŠ] nach lokaler oder temporaler Position [âŠ], und gleichwohl eine IdentitĂ€t bilden.â31 Seit Frege und Peirce wird in eben jenem Zusammenhang âzwischen einem Gegenstand und der Art seines Gegebenseins (z. B. durch seinen Eigennamen)â32 in Bezug auf Leibnizâ principium identitatis indiscernibilium unterschieden, das in seiner logischen Fassung wie folgt lautet: âeadem sunt quorum unum in alterius locum substitui potest, salva veritate[] (identisch sind diejenigen [Termini], deren einer fĂŒr den anderen mit Erhaltenbleiben der Wahrheit [d. h. des Wahrheitswertes] eingesetzt werden kann (Specimen calculi universalis, Philos. Schr.VII, 219).â33 Die Frage, ob es sich bei einem bezeichneten Referenzobjekt um denselben Gegenstand handelt, erfordert zur Feststellung der IdentitĂ€tsrelation zweierlei Kriterien: â1. Kriterien der Distinktheit bzw. Individuation [âŠ], gelegentlich auch als Kriterien der synchronen I. bez.; 2. Kriterien der Reidentifikation bzw. der diachronen I. [âŠ].â34 Die Verwendung synchroner und diachroner IdentitĂ€tskriterien beruht dabei zum einen auf der ontologischen These, âdaĂ alles Seiende eine gewisse Konstanz des Seins hatâ35 und zum anderen auf der Voraussetzung des Satzes von der IdentitĂ€t, der âneben dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch, dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten und dem Satz der Kontravalenz zu den elementaren Gesetzen der Logik [zĂ€hlt]. Er besagt in inhaltlicher Sprechweise, daĂ ein jeder Sachverhalt sich selbst zur (hinreichenden) Bedingung hat, daĂ er also besteht, falls er besteht.â36 Wenn nun in Anlehnung an Frege und Peirce ein Gegenstand von der Art seines Gegebenseins unterschieden werden muss, dann ist zur Verwendung von Kriterien synchroner und diachroner IdentitĂ€t zu klĂ€ren, âwas es heiĂt, einen Gegenstand zu erkennen oder wiederzuerkennen, insbesondere also einen Gegenstand â bestimmt oder unbestimmt â benennen zu können,â37 und dementsprechend âdie Gliederung von Gegenstandsbereichen in einzelne identifizierbare Einheiten, die Individuen, erforderlich.â38 Die Frage nach der IdentitĂ€t eines Gegenstandes lĂ€sst sich demnach nicht von der Frage nach den Voraussetzungen fĂŒr dessen Identifikation trennen, so dass nur âunter Wahrung der Untrennbarkeit ontologischer von epistemlogischen Fragestellungen [âŠ] eine Untersuchung der gegenstandstheoretischen Grundlagen aussichtsreich [bleibt].â39 Eine solche Gliederung von Gegenstandsbereichen, mittels deren die Identifikation eines Gegenstandes möglich wird, erfolgt ĂŒber sortierende Terme oder auch sortale PrĂ€dikate, welche âdie rĂ€umliche Konfiguration von GegenstĂ€nden einer bestimmten Art an[geben] und dadurch IdentitĂ€ts- und ZĂ€hlbarkeitskriterien fĂŒr GegenstĂ€nde dieser Art bestimm[en].â40 Da am Ende des 19. Jahrhunderts âgesellschaftliche Strukturen und Normen an PlausibilitĂ€t eingebĂŒĂt habenâ41 , entwickelt sich zu diesem Zeitpunkt âIdentitĂ€tâ dadurch zu einem âSchlĂŒsselbegriff verschiedener Wissenschaftenâ42 , dass âpersönliche und soziale IdentitĂ€t nicht mehr selbstverstĂ€ndlich deckungsgleich sind [und] die Erfahrung ihrer Diskrepanz mithin zur Reflexion auf ihre Zuordnungsmöglichkeiten nötigt.â43 So muss die im Rahmen von Psychologie, Anthropologie oder auch Soziologie gestellte Frage ânach der SelbstidentitĂ€t oder IchidentitĂ€t, d.h. nach der I. eines Menschen mit sich selbst [âŠ], zum Problem der Konstitution von Individuenbereichen bzw. von einzelnen Individuen â beim Menschen: einer Person â gezĂ€hlt werdenâ44 , indem es zu klĂ€ren gilt, wann ein Individuum die Kriterien synchroner und diachroner IdentitĂ€t erfĂŒllt, um als âPersonâ bezeichnet und als solche identifiziert zu werden.45 Hier lassen sich im wesentlichen zwei ZugĂ€nge unterscheiden:
âNach dem Körperkriterium besteht die IdentitĂ€t einer Person zu zwei verschiedenen Zeitpunkten in der KontinuitĂ€t des Körpers wĂ€hrend dieses Zeitraums (nach modifizierter Auffassung in der KontinuitĂ€t des Gehirns als ausgezeichnetem Teil des Körpers). Dem psychischen Kriterium zufolge lĂ€Ăt sich p. I. analysieren als KontinuitĂ€t zwischen den psychischen ZustĂ€nden zu verschiedenen Zeitpunkten, vor allem von Erinnerungen und Erlebnissen.â46
Daraus ergibt sich im Hinblick auf die IdentitĂ€t einer Person grundsĂ€tzlich die Frage, in welcher Weise im Sinne des Leib-Seele-Problems physische und psychische ZustĂ€nde aufeinander bezogen werden können, also âob mentalen PhĂ€nomenen ein eigener ontologischer Status zuzubilligen ist oder ob sie in Wirklichkeit physischer Natur sind.â47 In diesem Zusammenhang sind formal insofern ein reduktiver und ein nicht-reduktiver Zugang denkbar, als ein eigener ontologischer Status mentaler PhĂ€nomene entweder abgelehnt oder angenommen werden kann. So behaupten Vertreter eines reduktiven Ansatzes wie David M. Armstrong, John J.C. Smart und Herbert Feigl in unterschiedlichen Akzentsetzungen âdie ontisch-faktische IdentitĂ€t von physischen und psychischen ZustĂ€nden bzw. Prozessen [âŠ], jedoch eine Verschiedenheit in der jeweiligen Weise des Gegebenseinsâ48, so dass ein Ereignis zwar verschieden rezipiert zu werden vermag, ânĂ€mlich zum einen als psychisches, zum anderen als physikalisches Ereignis, es sich aber âin Wirklichkeitâ ausschlieĂlich um ein physikalisches Ereignis handeln soll.â49 Dagegen unterziehen Verfechter eines nicht-reduktiven Ansatzes wie Alasdair MacIntyre, Charles Taylor, Paul Ricoeur und Robert Spaemann IdentitĂ€tsverstĂ€ndnisse, die den IdentitĂ€tsbegriff in Bezug auf die IdentitĂ€t einer Person nur âin gegenstĂ€ndlicher bzw. naturalistischer Perspektiveâ50 verwenden, einer eingehenden Kritik, weil dergestalt
âdas eigene SelbstverstĂ€ndnis von seinem Selbst, das fĂŒr jede Person wesentlich ist, unberĂŒcksichtigt [bleibt]. [âŠ] Die [von einem nicht-reduktiven Ansatz aus] kritisierten Konzeptionen thematisieren die p. I. aus der Perspektive der Selbigkeit (d.i. der gegenstĂ€ndlichen IdentitĂ€t), ohne den subjektiven Charakter (d.i. das subjektive BewuĂtsein von sich als einem Selbst) hinreichend in den Blick zu bekommen.â51
Deshalb stellt sich im Zusammenhang eines nicht-reduktiven Ansatzes in Bezug auf das VerstĂ€ndnis personaler IdentitĂ€t die Frage nach der KontinuitĂ€t von psychischen ZustĂ€nden im Sinne der Selbst- oder Ich-IdentitĂ€t, wie sie innerhalb der Psychologie unter anderem in der Tradition von William James, Sigmund Freud, Erik H. Erikson und in der Soziologie beispielsweise ausgehend von George H. Mead, Anselm Strauss, Lothar Krappmann, Erving Goffman und JĂŒrgen Habermas verhandelt wird, da die Bedingungen und Kriterien fĂŒr die âIdentitĂ€t der leiblich-geistigen Person ĂŒber die Zeit hinweg sowie in Auseinandersetzung mit der Gesellschaftâ52 zu klĂ€ren sind: âGeht es im ersten Fall um das Problem der Kontinuierung der Person auch ĂŒber die ZustĂ€nde der BewuĂtlosigkeit: des Tiefschlafs, Komas, der Ohnmacht hinweg [âŠ], so im zweiten Fall um das Problem der Konstitution der Person in Interaktion mit der SozietĂ€t.â53 Dementsprechend steht eine sozialpsychologische Theorie im Angesicht des zweiten Problems zum Beispiel vor der Herausforderung, einen âAusgleich zwischen individueller und sozialer (Gruppenâ)IdentitĂ€tâ54 denken zu mĂŒssen und zu klĂ€ren, âwie die Person die Vielzahl ihr zugemuteter Rollen zu einem zwar differenzierten, aber noch konsistenten Ichâ55 zu integrieren vermag.
Wenn nun âIdentitĂ€tâ im Sinne von âSelbigkeitâ als reflexiver Relationsbegriff zu verstehen ist, mittels dessen ein Gegenstand aufgrund seiner Distinktheit von anderen GegenstĂ€nden identifiziert und durch seine KontinuitĂ€t reidentifiziert wird, dann stellen sich im Zusammenhang der Problematik, was sich unter der IdentitĂ€t einer Person fassen lĂ€sst, grundsĂ€tzlich folgende Fragen:
âWas bedeutet im Hinblick auf die Unterscheidung eines Gegenstandes von seiner Gegebenheitsweise die Rede von der IdentitĂ€t eines Gegenstandes?
âAuf welche Weise lĂ€sst sich daran anschlieĂend im Sinne der KontinuitĂ€t psychischer ZustĂ€nde von der IdentitĂ€t des Bewusstseins, des Ich, des Selbst oder auch des Subjekts sprechen?
âWas kann unter BerĂŒcksichtigung sowohl des Körperkriteriums als auch des psychischen Kriteriums als IdentitĂ€t der Person begriffen werden?
Diese Fragen sollen im Folgenden exemplarisch anhand einer darstellenden Analyse der philosophischen IdentitĂ€tskonzeptionen von Dieter Henrich, Jean- Paul Sartre und Helmuth Plessner erörtert werden, wobei sich die Betrachtung von Henrichs AusfĂŒhrungen zur IdentitĂ€tsfrage vor dem Hintergrund der logischen Verwendungsweise des Begriffes âIdentitĂ€tâ auf die Explikation der Rede von der IdentitĂ€t eines Gegenstandes konzentriert, die Auseinandersetzung mit Sartre im wesentlichen das VerhĂ€ltnis von IdentitĂ€t und SubjektivitĂ€t zum Gegenstand hat und die Darlegung von Plessners philosophischer Anthropologie sein VerstĂ€ndnis der IdentitĂ€t von Personen in den Blick nimmt, was der Vorbereitung einer im Anschluss daran vorzunehmenden systematischen Untersuchung der Bedingungen, auf denen die Rede von der IdentitĂ€t eines Gegenstandes, eines Subjektes und einer Person beruht, und der Kriterien, die sie verwendet, dient.
1.1Dieter Henrich: IdentitÀt als Eigenschaft von Einzelnem
Eines der zentralen Themen von Dieter Henrichs (*1927) Philosophie ist die Frage nach der Beschaffenheit des menschlichen Selbstbewusstseins und dessen Bezug zu allem, das nicht es selbst ist, zu dem, was ihm als Welt gegeben ist. In Veröffentlichungen mit Titeln wie Ăber die Einheit der SubjektivitĂ€t (1955), Das SelbstbewuĂtsein und seine Selbstdeutungen (1982), BewuĂtes Leben (1999), Versuch ĂŒber Kunst und Leben. SubjektivitĂ€t â Weltverstehen â Kunst (2001), sowie dem jĂŒngst erschienenen Denken und Selbstsein. Vorlesungen ĂŒber SubjektivitĂ€t (2007)56 liefert er eine detaillierte Analyse der Implikationen von menschlicher SubjektivitĂ€t. Anders als es unser gegenwĂ€rtiger Sprachgebrauch erwarten lĂ€sst, vermeidet Henrich neben zentralen Termini wie âwissende Selbstbeziehungâ, âSelbst-und Weltdeutungâ sowie âSelbstkontinuierungâ in diesem Zusammenhang weitestgehend den Gebrauch von âIdentitĂ€tâ, ein Terminus, der im allgemeinen Sprachgebrauch bei Fragen in Bezug auf den eigenen Lebensentwurf unverzichtbar zu sein scheint, weil er im Zusammenhang mit dem SelbstverstĂ€ndnis eines Menschen verwendet wird. Von einer solchen Verwendung von âIdentitĂ€tâ distanziert sich He...