Die Bundeswehr 1950/55-1989
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Die Bundeswehr 1950/55-1989

  1. 224 Seiten
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Die Bundeswehr 1950/55-1989

Über dieses Buch

Die Bundeswehr wurde am 12. November 1955 aufgestellt. Welche Kompromisse bei ihrem Aufbau angesichts der deutschen militärischen Vergangenheit gefunden werden mussten und wie der Kalte Krieg bis 1989/90 ihr Gesicht prägte, zeigt diese komprimierte Gesamtdarstellung. Karten, Schaubilder und Quellentexte bieten Fachhistorikern wie dem breiten Publikum einen kompetenten Überblick.

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Information

Personal, Tradition und Innere Führung

Zwischen Neuanfang und »bewährten Kräften«

Insbesondere die innere Geschichte der Bundeswehr war durch eine Vielzahl von Konflikten gekennzeichnet. Sowohl das Personalwesen als auch das Innere Gefüge gehörten organisatorisch zum sogenannten Führungsgrundgebiet 1. Allerdings waren sie oft unterschiedlichen Sachzwängen unterworfen: Denn zum einen verband sich mit der Integration der Bundesrepublik ins Bündnis das versprochene quantitative Streitkräfteziel, zum anderen bestand die Notwendigkeit, die Bundeswehr in den politisch-gesellschaftlichen Rahmen einzugliedern. In verschiedenen Phasen wurden unterschiedliche Schwerpunkte gesetet: In der Ära Blank stand die geistige Neuausrichtung im Vordergrund, in den 15 Jahren nach 1955 dagegen wurde dem quantitativen Aufwuchs Vorrang eingeräumt; um 1970 traten dann wieder qualitative Aspekte in den Fokus.
Netzwerke und Karrierechancen Seit den späten Vierzigerjahren und vermehrt nach Gründung der Bundesrepublik widmeten sich zahlreiche Veteranenverbände neben der Kameradschaftspflege dem Ziel, Ansprüche für »den deutschen Soldaten« zu formulieren. Darüber hinaus stellten sie Plattformen für die Vermittlung von Arbeitspläteen dar. Auch in seiner Zentrale für Heimatdienst versammelte Schwerin bevorzugt Gefolgsleute seiner früheren »Windhunddivision«. Das weitaus einflussreichere »Triumvirat« um Speidel, Heusinger und Hermann Foertsch baute ein breiter gespanntes Netewerk auf (2.17 Searle, S. 104). Die unter US-amerikanischer Ägide agierende Historical Division und die »Org. Gehlen« als Zuträgerin für die CIA trafen ebenfalls die personelle Vorauswahl für spätere Karrieren. Hinter diesen Aktivitäten stand auch der Bundeskanzler – allerdings weit genug entfernt, um sich jederzeit von denen zu distanzieren, die ihm allzu weit vorzupreschen schienen. In der künftigen Bundeswehr hatten besonders diejenigen gute Aufstiegschancen, deren Auftreten sich vom schneidigen Offiziertypus vormaliger preußisch-deutscher Armeen abhob. Auf diese Weise bildete sich ein typisch bundesrepublikanische Ausprägung vom Offizier heraus – zwischen äußerer Abkehr von älteren Verhaltensmustern und deren stillem Fortbestehen. Charakteristisch für die westdeutsche Militärelite wurde der Typus des gewandten Gehilfen, der seinen militärischen Habitus einzuhegen verstand, dahinter jedoch seiner Generalstabssozialisation treu blieb (Greiner in 1.19, S. 850). Einigkeit herrschte bei den führenden Köpfen im Amt Blank in Bezug auf die Ablehnung paramilitärischer Organisationen. So geiferte die Himmeroder Denkschrift gegen den »moralischen und militärischen Unwert der Dienstgruppen-Angehörigen«.
Anders hielt es die Marine. Bezeichnenderweise spielte das frühere Luftwaffenpersonal im Amt Blank nur eine geringe Rolle, was die spätere äußere »Amerikanisierung« der Luftwaffe begünstigte. Auch der BGS galt im Amt Blank nicht als vorbildlich, obwohl er Mitte 1956 die Hälfte seines Personalbestandes an die Bundeswehr abgeben sollte. Auch damit blieb ein Einfallstor für die Wehrmachtvergangenheit, von der die westdeutsche Armee noch lange geprägt war.

Von frühen Konzepten zur Definition

Der anfangs als »Inneres Gefüge«, ab 1953 als »Innere Führung« bezeichnete Komplex umfasste diejenigen Gestaltungsfelder innerhalb der Streitkräfte, in denen die Werte des westlichen Gesellschaftsbildes – und des Grundgesetees – verwirklicht werden sollten. Nicht wenigen erschienen die propagierten »Streitkräfte in der Demokratie« als Widerspruch in sich – genauso wie die Vereinbarkeit von favorisiertem Menschenbild und militärischer Effektivität. Die im Amt Blank geschmiedeten Konzepte verkoppelten jedoch beides direkt miteinander.
Himmeroder Denkschrift In der Himmeroder Denkschrift schlugen sich gravierende Generations- und Auffassungsunterschiede nieder. Einerseits forderte das Dokument einen Neubeginn »ohne die Anlehnung an die Formen der alten Wehrmacht«. Sonderrechte des Offizierkorps seien überlebt. Über das rein Militärische hinaus sei die »Erziehung des Soldaten im politischen und ethischen Sinne« erforderlich. »Selbstbestimmung«, »soziale Gerechtigkeit« und »Freiheit« seien zu verteidigen, nun unter Erweiterung der Perspektive auf die (west)europäische Dimension. Andererseits wirkten manche Formulierungen der Denkschrift auch konservativ, etwa wenn die Einschränkung von Grundrechten während des Wehrdienstes gefordert wurde oder vom »hergebrachten Ansehen des Soldaten« die Rede war. Progressiv wie konservativ konnten die Passagen zur Erziehung interpretiert werden, so die Mahnung zur inneren Festigkeit gegen die Zerseteung durch »undemokratische Tendenzen«, insbesondere durch den »Bolschewismus«. Das frühe Konzept der Inneren Führung spiegelte den Zeitgeist aus der ersten Hochphase des Kalten Krieges wider, den Rückgriff auf älteres Gedankengut eingeschlossen (1.33 Nägler). Antitotalitarismus diente als Scharnier zwischen der Hinwendung zum Neuen und der Ablehnung des Alten.
Himmeroder Denkschrift – Abschnitt »Das innere Gefüge«
Bei der Aufstellung des Deutschen Kontingents kommt damit dem inneren Gefüge der neuen deutschen Truppe große Bedeutung zu. Die Maßnahmen und Planungen auf diesem Gebiet müssen und können sich auf dem gegenwärtigen Notstand Europas gründen. Damit sind die Voraussetzungen für den Neuaufbau von denen der Vergangenheit so verschieden, daß ohne Anlehnung an die Formen der Alten Wehrmacht heute grundlegend Neues zu schaffen ist […] Es wird wichtig sein, einen gesunden Ausgleich zu finden zwischen notwendigem neuen Inhalt und den aufgelockerten Formen einerseits und dem berechtigten Wunsche nach dem hergebrachten Ansehen des Soldaten in der Öffentlichkeit andererseits […]
Der Soldat des Deutschen Kontingents verteidigt zugleich Freiheit im Sinne der Selbstbestimmung und soziale Gerechtigkeit. Diese Werte sind für ihn unabdingbar. Die Verpflichtung Europa gegenüber, in dem diese Ideale entstanden sind und fortwirken sollen, überdeckt alle traditionellen nationalen Bindungen […] Das Deutsche Kontingent darf nicht ein >Staat im Staate< werden. Das Ganze wie der Einzelne haben aus innerer Überzeugung die demokratische Staatsund Lebensform zu bejahen. Doch ist aus Gründen der inneren Festigkeit der Truppe ihre überparteiliche Haltung zu fordern. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Grundrechte des Einzelnen für die Dauer des Wehrdienstes einzuschränken […] Der Erziehung des Soldaten im politischen und ethischen Sinne ist im Rahmen des allgemeinen Dienstunterrichts von vorneherein größte Beachtung zu schenken. Sie hat sich nicht auf das rein Militärische zu beschränken. Durch Schaffung eines europäischen Geschichtsbildes und Einführung in die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Fragen der Zeit kann von der Truppe aus über den Rahmen des Wehrdiensts hinaus ein entscheidender Beitrag für die Entwicklung zum überzeugten Staatsbürger und europäischen Soldaten geleistet werden. Damit muß zugleich die innere Festigkeit gegen eine Zersetzung durch undemokratische Tendenzen (Bolschewismus und Totalitarismus) erreicht werden. Völkerrechtsfragen sind in den Unterricht mit einzubeziehen. Das Bewußtsein des Soldaten für eine soziale Einordnung ohne Sonderrechte und unter Wahrung der Menschenwürde ist zu stärken. Mit überlebten Einrichtungen ist zu brechen (z.B. Burschenwesen, Kasino-Ordonnanzen, Verbot des Zivil-Tragens außer Dienst)
Quelle: 1.15 Rautenberg/Wiggershaus, Die »Himmeroder Denkschrift«, S. 185–187
Baudissin Seit dem 7. Mai 1951 war der zwischenzeitlich als Töpfer und in der evangelischen Bildungsarbeit tätige Graf Baudissin in der Dienststelle Blank angestellt. Ende 1955 avancierte er zum Leiter der für das Innere Gefüge zuständigen Unterabteilung im Verteidigungsministerium, die er ab dem 30. Januar 1956 als Oberst führte. Mitte 1958 verließ er das Ministerium. In diesen sieben Jahren entstand, unter Mithilfe von Kielmansegg und de Maiziere, das Grundgerüst für das Konzept der Inneren Führung. An Kritikern fehlte es nicht: Der bis 1954 im Amt Blank tätige Bogislaw von Bonin schmähte das Konzept als »inneres Gewürge«. Baudissin selbst kehrte nach seiner Verwendung als Brigadekommandeur nicht mehr auf die Hardthöhe zurück. Von 1961 bis zu seinem Dienstzeitende 1967 bekleidete er ausschließlich NATO-Funktionen, zuletet als Generalleutnant. Die Karriere Baudissins dokumentierte den Prioritätswechsel im Ministerium in der Ära Strauß. Im Gegensate zu de Maiziere als Kommandeur der Schule für Innere Führung (1960–1962) und der Führungsakademie (1962–1964) blieb Baudissin die direkte Einwirkungsmöglichkeit auf die innere Entwicklung der Bundeswehr versagt. Er fühlte sich umso mehr ins Abseits gedrängt, als sein einstiger Mitarbeiter und (indirekter) Nachfolger Heinz Karst klar konservative Positionen vertrat. Nach Ende seiner Diensteeit verfolgte Baudissin seine zweite, wissenschaftliche Karriere als Gründungsdirektor des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. Nur mit Verzögerung und unter Inkaufnahme vieler Kompromisse fand sein Reformkonzept Eingang in die geplante Armee. Zudem war er verleteenden Vorwürfen durch »Traditionalisten« ausgesetet, aber durchaus in der Lage, seine geistige Überlegenheit pointiert gegenüber anderen zu demonstrieren. Die pauschale Unterteilung in »Reformer« und »Traditionalisten« ist daher zu relativieren: Eine solche Gegenüberstellung ließ sich ohne Weiteres dazu nuteen, die eigene Position in einer anfangs noch unklaren Situation zu behaupten.
Baudissins Konzept überwand den herkömmlichen Gegensatz zwischen Krieg und Frieden, Militär und Gesellschaft. Stattdessen sollte die Gesellschaft in das Militär hineinwirken. Konservativen Soldaten musste dies absurd erscheinen. In der Hochphase des Kalten Krieges Anfang der Fünfzigerjahre verortete Baudissin seinen »Staatsbürger in Uniform« in einem allumfassenden Systemantagonismus von »Freiheit« und Totalitarismus. Der politisch und gesellschaftlich im »Westen« beheimatete Bundeswehrsoldat sollte folglich auf vier Ebenen auftreten: politisch als »Soldat in der Demokratie«, gesellschaftlich als »Soldat in unserer sozialen Wirklichkeit«, im Kalten Krieg als »Soldat im permanenten Bürgerkrieg« und in einem »heißen« Krieg als »Soldat im heißen Gefecht« (1.62 Handbuch, S. 17). Somit verkoppelte die Konzeption der Inneren Führung politisch-gesellschaftliche Realitäten mit einer militärischen Ausbildung und Erziehung in der gesamten Bandbreite zwischen verdecktem Kampf und Atomkrieg. Das diesem Kriegsbild zugrunde liegende Soldatenideal propagierte den hart ausgebildeten, zum Teamwork wie zum selbstständigen Handeln fähigen »Einzelkämpfer«. Dies mündete in dem Dreiklang vom freien Menschen, guten Staatsbürger und vollwertigen Soldaten (Nägler in 1.5 ). Ziel war der »freie und selbstbewusste Mensch innerhalb der soldatischen Gemeinschaft, [der] aus Einsicht bewusst Pflichten auf sich nimmt« (nach Bormann in 2.20 , S. 115). Die in früheren Armeen gängigen Drillmethoden seien daher überholt. Im Übrigen ließ die immense Zerstörungskraft der inzwischen entwickelten Atomwaffen den Zusammenbruch jeglicher militärischen Führung erwarten. Dem Einzelkämpfer auf dem nuklearen Gefechtsfeld blieb letztlich nur die intrinsische Motivation, Soldat in der Demokratie zu sein, um im »Weltbürgerkrieg« gegen »das Totalitäre« zu bestehen. Damit war die klare Absage an den unpolitischen »ewigen Landsknecht« verbunden.
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Abb. 12: Wolf Graf von Baudissin galt als Vater der Inneren Führung. Hier im Jahr 1954 in der Diskussion mit Jugendlichen um die Wehrpflicht.
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Abb. 13: Beginn der aktiven Wehrdienstzeit: Rekruten beim Bekleidungsempfang.
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Abb. 14: Ende der aktiven Wehrdienstzeit: Reservistenbräuche beim »Ausscheiden«.
Bundeswehr
Das im September 1957 erstmals publizierte »Handbuch Innere Führung« stellte die maßgebliche Grundlage für diese Konzeption dar. In seinen bis 1970 erschienenen fünf Auflagen versammelte das Handbuch Vorträge, die Baudissin und seine Mitarbeiter Mitte 1956 vor dem künftigen Bundeswehr-Führungspersonal in Sonthofen gehalten hatten. Als Kernelemente der Inneren Führung bezeichnete das Handbuch erstens die »geistige Rüstung«, oder zugespitzt formuliert: eine politisch korrekte antitotalitäre Grundhaltung, und zweitens eine »zeitgemäße Menschenführung«, also eine menschenwürdige Behandlung der Soldaten. Daraus ergab sich die Baudissinsche Verknüpfung von Fortschritt und Tradition, denn »Innere Führung ist keine Erfindung der Bundeswehr« (1.62 Handbuch, S. 169). Paradoxerweise beinhaltete ausgerechnet dies gedankliche Anlehnungen an Denkmuster, die – in einem völlig anderen politischen Kontext – bereits vor 1945 verbreitet worden waren, namentlich von Hermann Foertsch oder auch dem jungen Kielmansegg (1.33 Nägler; 2.4 Feldmeyer/Meyer, S. 99 f.).
Schon im Aufbaujahrzehnt wandelte sich die Sicht auf den Konflikt: Entwarf Baudissin um 1957 noch das Szenario eines auch nuklear ausgetragenen »Weltbürgerkrieges«, stellte er im Jahr 1962 die »Eigengesetzlichkeit der Atomwaffe« heraus. Militärische Bewährung sei daher nur noch im »kalten Gefecht« der Abschreckung möglich. Der »Soldat für den Frieden« prägte spätestens ab 1970 die offizielle Leitlinie der Bundeswehr. Mit der auf Heroismus und Traditionalismus beruhenden Haltung konservativer Soldaten war dies unvereinbar (Nägler in 2.20; 2.2 Baudissin).
Definition und Handlungsfelder Der Inneren Führung kamen drei Aufgaben zu. Erstens sollte sie ihren Soldaten die Legitimation der Bundeswehr vermitteln: die Sicherung des Friedens. Zweitens diente sie der Integration der Streitkräfte in den demokratischen Staat und dessen verfassungsund gesetemäßige Ordnung. Drittens hatte sie die Identität des bundesdeutschen Soldaten zu stiften: als Staatsbürger, der seinem Land diente und gleichzeitig an dessen gesellschaftlichem und politischem Leben teilnahm. Soldaten, die das Wertesystem des Grundgesetees zu verteidigen hatten, mussten dieses auch im Dienst erfahren können. Für westdeutsche Soldaten waren Einschränkungen der persönlichen Freiheit nur dann mit dem Grundrechtekatalog vereinbar, wenn sie aus unerlässlichen dienstlichen Gründen erfolgten und den Wesensgehalt des Grundgesetees nicht antasteten. Darüber, welche dieser Einschränkungen überhaupt zulässig sein sollten, wurde im Parlament, in den Streitkräften und in der Gesellschaft lange diskutiert. Während die Akzeptanz der parlamentarischen Demokratie und des Primats der Politik außer Frage stand, blieb die demokratieverträgliche innere Gestaltung der Streitkräfte eine kontinuierliche Herausforderung. Politische Partizipationsrechte waren ebenso einzuführen wie Truppen-interne Mitbestimmungsmöglichkeiten. Die Bindung an den Rechtsstaat erforderte die konsequente Anpassung von Streitkräfte-internen Normen an die bundesdeutsche Rechtsordnung. Für die Verwaltungsbeamten der »zivilen« Bundeswehr gehörte dies ohnehin zum Berufsfeld. Für Soldaten dagegen, vor allem für traditionell geprägte, bildete das Bestehen im Gefecht den Maßstab des Handelns – gegebenenfalls auch juristischer Feinheiten und abseits komplizierter Administrationsdetails. Die auf dem Rechtsfrieden fußende Verwaltungspraxis musste schon aus sachlogischen Gründen mit den Erwartungen der Militärelite kollidieren. Auch die innere Ausrichtung der Streitkräfte hatte sich fortan am Verbot des Angriffskrieges nach Grundgeseteartikel 26 zu orientieren. Speziell in der Anfangsphase konnte dies gar nicht dem Erfahrungshorizont kriegsgedienter Soldaten entsprechen.
Das »Handbuch Innere Führung« versprach »Hilfen zur Klärung der Begriffe«. Die Definition der Inneren Führung als »geistige Rüstung« und »zeitgemäße Menschenführung« ließ bei der konkreten Ausformung viele Fragen offen: Doch dass das Handbuch »mehr Anregung als Lösung« sein müsse, liege im Wesen des Neuanfangs (1.62 Handbuch, S. 169, 175). Der von Baudissin verkörperte hohe Grad an Intellektualität brachte es mit sich, dass sich dieses Soldatenbild nicht jedem adäquat vermitteln ließ. Als »Führungsphilosophie« im Wortsinn wies das Konzept der Inneren Führung ein hohes Abstraktionsniveau auf. Dem konnten nicht alle folgen, die in dieses Gefüge hineingestellt wurden – namentlich die durch NS-, Kriegs- und Nachkriegszeit zwangsläufig bildungsferneren Geburtsjahrgänge um 1920. Die Herausforderung bestand darin, ein allgemeines (und damit abstraktes) Konzept d...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. Danksagung
  7. Forschungsstand
  8. Epochenübersicht
  9. Organisationsbereiche und Teilstreitkräfte
  10. Personal, Tradition und Innere Führung
  11. Rüstung und Ausstattung
  12. Einsatzkonzeptionen und Kriegsbild
  13. Fazit: Ein Vierteljahrhundert »danach«
  14. Literatur
  15. Abkürzungen
  16. Personenregister