Teil II:Untersuchung: ‹Klimawandel› crossmedial
5Korpus- und Untersuchungsdesign
5.1Untersuchungsziele, Korpusauswahl und Analysefokus
Die Untersuchung verfolgt ein Erkenntnisinteresse auf verschiedenen Ebenen. Diskurse entfalten sich über die Zeit, in verschiedenen Medien und Modalitäten und mit unterschiedlichen Bedingungen des Zugangs. Hieraus ergibt sich das erste theoretische Interesse, diese drei Diskursdimensionen der Historizität, Modalität und Partizipation (s. Kap. 2.3) zusammenzuführen, zu reflektieren und damit die Methode zur Analyse spezifischer Diskurse zu fundieren.
Dadurch, dass verschiedenen Medien eine unterschiedliche Historizität, unterschiedliche Modalitäten und unterschiedliche Formen der Partizipation aufweisen, entsteht das methodologische Interesse, wie die verschiedenen Medienformen angemessen und in vergleichender Perspektive analysiert werden können. Entsprechend ist die Studie als crossmedialer Vergleich angelegt. Im Vergleich von Print-, TV- und YouTube-Daten werden zwei methodologische Schnittstellen in Angriff genommen, nämlich zum einen die Kombination korpuslinguistischer und diskursanalytischer Methoden und zum anderen die Anwendung derselben auf multimodale und crossmediale Daten (s. Kap. 3.2, 3.3).
Auf Grundlage dieser methodologischen und theoretischen Überlegungen wird ein diskursspezifisches, empirisches Interesse verfolgt (s. Kap. 4.4): Wie entsteht Wissen über den Klimawandel über die Zeit und in verschiedenen medialen Umgebungen? Die Prozesse, in denen sich Wissen über die Essenz und Existenz des Klimawandels, seine Ursachen, Folgen und Konsequenzen und verantwortliche Akteure konstituiert, lassen sich diskursübergreifend als Prozesse der Konstitution von Faktizität, Kausalität und Agentivität fassen, deren abstrakte Fassung und Rückbindung an die Diskurstheorie das zweite theoretische Interesse ist (s. Kap. 2.2.1).
Diese Zielsetzung erfordert eine große Menge an Daten und somit ein Untersuchungskorpus, das zunächst unübersichtlich erscheint. Durch eine hinreichend ähnliche Analysemethode für alle Teilkorpora kann jedoch eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse erreicht werden (s. Kap. 3.3), und eine Fokussierung der Analysefragen auf bestimmte diskursspezifische Aspekte und bestimmte Diskursmittel ermöglicht einen crossmedialen Vergleich. Dabei ist diese Fokussierung der Anlage nach keine Vorperspektivierung im Sinne eines Bias, sondern nimmt den Charakter von Leitfragen an, die die Analyse antreiben, aber nicht vorhersehbar machen.
Abb. 21: UN-Klimakonferenzen und Untersuchungskorpora
Um auch marginale Diskursbeiträge untersuchen zu können, wurden alle Korpora halb-manuell ausgewählt (s. Kap. 3.1). Dafür wurde anhand eines möglichst allgemeinen Suchstrings und einer zeitlichen Eingrenzung eine Vorauswahl getroffen und dann manuell gefiltert. Als Angel- und Fokuspunkt dienen die UN-Klimakonferenzen (Conferences of the Parties, COPs), die Konferenzen der Vertragsstaaten der UN-Klimarahmenkonvention von 1992 (s. Abb. 21).
Der Beginn der Konferenzen 1995 markiert eine Institutionalisierung internationaler Klimapolitik. Zugleich erhöhen die Konferenzen, da sie ‹aktuell› sind, jeweils den Newswert des Klimawandeldiskurses (s. Kap. 1.3.1), sodass direkt um die Konferenz eine höhere Dichte an Veröffentlichungen stattfindet. Gleichzeitig wurde der Abstand um die Konferenz groß genug gewählt (mindestens sechs Wochen), um nicht nur hochaktuelle Beiträge abzugreifen.
Die genaue Zusammensetzung und Zusammenstellung der drei Teilkorpora wird in Kap. 5.2 ausführlich beschrieben. Die drei Medien wurden ausgewählt, da sie jeweils eine Diskursdimension exemplarisch ausformen (s. Abb. 10, S. 50). So können an jedes Korpus spezifische Fragen gestellt werden, die sich aus den medialen und korpustechnischen Voraussetzungen ergeben:
‒Print: Diachrone Entwicklung (Historizität). Ziel der diachronen Untersuchung ist es, den historischen Verlauf des Klimawandel-Diskurses abzubilden und zu analysieren. Als Startpunkt dient 1995, das Jahr der ersten internationalen Klimakonferenz (COP 1, Berlin), als Endpunkt das Jahr 2010 (COP 16, Cancún).25 Das Rückgrat der diachronen Analyse bilden fast zwangsläufig Printmedientexte, da Fernseh- und Webbeiträge nicht oder nur unzureichend archiviert sind. Printtexte bieten zudem den Vorteil, dass sie in großer und damit repräsentativer Zahl elektronisch verfügbar und durchsuchbar gemacht werden können. Bei der Untersuchung des Printmedienkorpus wird also ein besonderer Fokus auf die historische Entwicklung aller untersuchten spezifischen Diskursaspekte (Existenz und Essenz, Ursachen und Folgen, Akteure) und Diskursmittel (Metaphern, Metonymien, Argumentationsmuster, Modalisierung) gelegt.
‒TV: Sprach-bildliche Sinnherstellung (Multimodalität). Ziel der multimodalen Untersuchung ist es, das Zusammenspiel von Sprache und Bild im Prozess der Sinnherstellung zu beschreiben. Das TV-Korpus wurde synchron zur 16. Klimakonferenz in Cancún 2010 manuell, aber systematisch erhoben. Dabei liegt ein besonderer Schwerpunkt auf der Frage, wie Faktizität (in Bezug auf den Diskursaspekt Existenz und Essenz), Kausalität (in Bezug auf den Diskursaspekt Ursachen, Folgen und Konsequenzen) und Akteure (in Bezug auf den Diskursaspekt Agentivität) sprachlich-visuell modelliert werden. Wie spielen Sprache und Bild zusammen, um Faktizität, Kausalität und Agentivität herzustellen?
‒YouTube: Aushandlungen in der Participatory Culture (Partizipation). Ziel der partizipationszentrierten Analyse ist es, die Aushandlung von Diskurspositionen in der partizipatorischen Kultur des Web 2.0 zu beschrieben. YouTube wurde als prototypisches Beispiel einer weitgehend zugangsfreien partizipatorischen Plattform ausgewählt (s. Kap. 1.3.2), wobei besonders der Umgang mit ‚Anti-Mainstreamʻ-Positionen von Interesse ist. Die YouTube-Daten wurden Anfang 2011 erhoben und reichen bis 2006 zurück.
Die Verbindung zwischen den Untersuchungen der drei Teilkorpora ergibt sich zum einen durch das übergreifende diskursspezifische Erkenntnisinteresse, da alle drei Dimensionen am Beispiel des Klimawandeldiskurses untersucht werden. Dadurch können die Ergebnisse miteinander verknüpft werden, denn die Eigenheiten der jeweiligen medialen Umgebung treten erst im Vergleich hervor. So können beispielsweise die Besonderheiten der Participatory Culture durch einen Vergleich mit Printmedien und Fernsehen besser beschrieben werden, und die Ergebnisse der diachrone Untersuchung der Printmedien bietet die Möglichkeit, TV- und YouTube-Beiträge vor dem Hintergrund der Diskursgeschichte zu betrachten. Auch hier wird also, trotz der spezifisch...