Orientierung im Nihilismus – Luhmann meets Nietzsche
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Orientierung im Nihilismus – Luhmann meets Nietzsche

  1. 457 Seiten
  2. German
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Orientierung im Nihilismus – Luhmann meets Nietzsche

Über dieses Buch

"Luhmann meets Nietzsche" – Luhmann hat in seinem Werk jeden Anschein vermieden, mit Nietzsche zu tun zu haben. Das hatte Folgen: Bis heute scheut Nietzsche, wer Luhmann kennt, und auch wer Nietzsche kennt, scheut Luhmann. Ihre Orientierungen scheinen füreinander abwegig zu sein: Philosophie hier, Soziologie dort, hier aphoristischer und bilderreicher Stil, dort hoch komplexe, konsequent gepflegte Theorie und zwischen beiden ein Jahrhundert, das die Welt von Grund auf verändert hat. Doch Luhmann könnte für das 21. Jahrhundert entfaltet haben, was Nietzsche im 19. Jahrhundert gedacht hat. Seine soziologische Systemtheorie bewegt sich in philosophischen Dimensionen, und Nietzsche hatte bereits soziologische Perspektiven auf die Gesellschaft entwickelt, die Soziologen vom Fach bald dankbar aufgenommen haben. Nietzsche und Luhmann zusammen lassen mit ihren radikal neuen Ansätzen die meisten Philosophien und Soziologien des 20. Jahrhunderts buchstäblich alt aussehen. Sie könnten Wegbereiter einer Philosophie für das 21. Jahrhundert sein, für eine gelassene Orientierung im verstörenden Nihilismus. Wenn man sie einander begegnen lässt.

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Information

Jahr
2016
ISBN drucken
9783110476163
eBook-ISBN:
9783110479706
Auflage
1

Fußnoten

1Die Vorfassungen stammen aus den Jahren 2012–14. Zuvor erschienen die Beiträge: Nietzsches und Luhmanns Aufklärung der Aufklärung: Der Verzicht auf ‚die Vernunft‘ (2004); Differenzen der Differenz. Die Leitunterscheidungen der Hegelschen Phänomenologie des Geistes, der Husserlschen Transzendentalen Phänomenologie und der Luhmannschen Systemtheorie und ihre Leistungen (2006); Niklas Luhmann als Philosoph (2011); Die Autonomie der Orientierung (2011). Sie sind hier nicht wieder aufgenommen worden.
2Goetz, Abfall für alle, 160.
3NL 1888, 15[94], KSA 13.463/KGW IX/9,W II 6, 57.
4Zu Luhmanns Einordnung und Nichteinordnung in die Bewegung des Konstruktivismus vgl. Scheffer, Art. Konstruktivismus.
5NL 1888, 16[32], KSA 13.492/KGW IX/9,W II 7, 144.
6NL 1887, 9[35], KSA 12.350/KGW IX/6,W II 1, 115.
7Welche massiven Widerstände es nach wie vor gibt, mit ihnen mitzugehen, stellt, was Luhmanns Systemtheorie betrifft, Krause, Luhmann-Lexikon, 108–118, in einem knappen Überblick zusammen. Zu den notorisch divergierenden „Lesartender Philosophie Nietzsches“ liegt seit 2003 ein tief dringender Forschungsbericht von Alfons Reckermann vor, allerdings nur für die französische, italienische und anglo-amerikanische Nietzsche-Forschung (Reckermann, Lesarten der Philosophie Nietzsches). Aber gerade die deutsche Nietzsche-Forschung hat sich weit zu den genannten philosophischen Grundentscheidungen vorgewagt (vgl. Stegmaier, Nietzsche seit 40 Jahren). Zum aktuellen Stand der Hauptprobleme der internationalen Nietzsche-Forschung – was ist aus dem ‚Nihilismus‘, aus dem ‚Wert der Wahrheit‘, aus Nietzsches Moral-Kritik und seinen Anstößen zu einer neuen Moral, aus Nietzsches Religions-Kritik, aus seinem ‚Problem der Rangordnung‘, aus seinen Hoffnungen auf die Philosophie, aus seinem Ideal des ‚guten Europäers‘ und aus Nietzsches Denken der Zeit geworden? – vgl. die Debatten in: Stegmaier (Hg.), Nietzsches Zukunft in der Gegenwart. Grundfragen der Nietzsche-Forschung. – Das aktuelle Spektrum des Begriffs der Entscheidungumreißt philosophisch aufschlussreich und unter Angabe der wichtigsten Literatur Hübner, Art. Entscheidung. Der Artikel behält sowohl die Ungewissheit von Entscheidungen als auch die Entscheidbarkeit des Begriffs der Entscheidung selbst im Blick. Dennoch sucht Hübner einen letzten Halt der Entscheidbarkeit in Normativität, die heute ihrerseits als entscheidbar erkennbar ist. Nietzsche und Luhmann berücksichtigt er nicht. – Im Folgenden konzentriere ich mich darauf, Funktionsäquivalenzen zwischen Nietzsches und Luhmanns Denken herauszuarbeiten, und verzichte auf Auseinandersetzungen mit Beiträgen, in denen Nietzsches und Luhmanns philosophisch-soziologische Grundentscheidungen lediglich abgewehrt wurden, um an scheinbaren Sicherheiten, die Nietzsche und Luhmann fragwürdig gemacht haben, festhalten zu können.
8Entsprechend lebhaft wurde Nietzsche in der Soziologie rezipiert. Die Bezüge sind kaum zu übersehen. Vgl. u. a. Baier, Die Gesellschaft; Lichtblau, Nietzsche und die Soziologie; Piazzesi, Nietzsche und die Soziologie und Ökonomie; Günther/Holzer/Müller (Hg.), Zur Genealogie des Zivilisationsprozesses.
9Das Notat NL 1886/87, 7[54], KSA 12.312 [noch nicht in KGWIX]: „Dem Werden den Charakter des Seins aufzuprägen – das ist der höchste Wille zur Macht. / Zwiefache Fälschung,von den Sinnen her und vom Geiste her, um eine Welt des Seienden zu erhalten, des Verharrenden, Gleichwerthigen usw. / Daß Alles wiederkehrt, ist die extremste Annäherung einer Welt des Werdens an die des Seins: Gipfel der Betrachtung“ ist eine der Hauptreferenzen von Heideggers metaphysischer Nietzsche-Interpretation, bei der er freilich die mittleren Zeilen „Zwiefache Fälschung“ übergeht oder weginterpretiert. Vgl. Stegmaier, [Heideggers] Auseinandersetzung mit Nietzsche.
10Kenneth Burke, Permanence and Change. Die folgenden Seitenangaben ohne Sigle beziehen sich auf dieses Werk (3. Aufl. 1984). Luhmann berief sich schon in seinen frühesten Büchern auf Burke, etwa in FFfO, 18f., und blieb dem treu bis GG, 33. In FFfO schrieb er noch, die Soziologie wende „die gleiche Erkenntnistechnik“, „‚perspective by incongruity‘“, an wie Marx, Nietzsche, Freud – und Husserl. Bei Nietzsche sah er einen „gewaltsamen Stil der Unfrömmigkeit“. Davon distanzierte er sich dann.
11Rescher, The Strife of Systems, deutsch: Der Streit der Systeme.
12Vgl. Jahraus u. a. (Hg.), Luhmann-Handbuch, 41–67, 261–330. Nietzsche wirdnicht oder nur marginal berücksichtigt.
13Vgl. Stegmaier, Nietzsche zur Einführung, 81–86.
14Versuche in der Literatur, Luhmann und Nietzsche aufeinander zu beziehen, sind spärlich. Nach Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, folgt Luhmann mit der „systemischen Selbstbehauptung“ oder „selbststeigernden Selbsterhaltung“ Nietzsches verwerflichem Wille-zur-Macht-Denken (430f.). Die Theologin, Literatur- und Sozialwissenschaftlerin Maria Wimmer (So wirklich ist die Möglichkeit) stellt die drei „Konzepte“ der verloren gehenden „Wirklichkeit“ Konstruktivität, Funktionalität, Perspektivität lediglich nebeneinander. Der Soziologe Horst Baier (Götzendämmerung der soziologischen Systeme) reicht das „von Luhmann vergessene Kapitel der Soziologie“, Nietzsche, selbst nach, als Zitatenteppich aus dem 8. Hauptstück von Menschliches, Allzumenschliches, „Ein Blick auf den Staat“, und aus dem Lenzer Heide-Notat, mit dem Ergebnis: Luhmanns Systemtheorie läuft auf eine menschenlose „Mechanik des Sinns“ hinaus, Nietzsche markiert den Gipfel des europäischen „Voluntarismus und Aktivismus“ (118) und Luhmann den vorläufig höchsten Gipfel des von Nietzsche beschriebenen Nihilismus (121). Eine theoretische Kontrapunktierung von Nietzsches und Luhmanns Konzepten versucht Baier nicht. Anders Stephan Körnig (Perspektivität und Unbestimmtheit in Nietzsches Lehre vom Willenzur Macht) im Anschluss an Henry Kerger (Normativität und Selektivität der „Willens-Kausalität“ bei Nietzsche; Die institutionalistische Bedeutung der Relation bei Nietzsche und Luhmann). Für beide steht die „Orientierung an Differenzen“ in der funktionalen Äquivalenz von Nietzsches Willen-zur-Macht-und Luhmanns System-Umwelt-Konzept im Mittelpunkt. Kerger kommentiert weitgehend Notate Nietzsches durch Theoreme Luhmanns. In seiner Monographie: Wille als Sprechakt und Entscheidung, 233–273, unterstellt er Nietzsche und Luhmann freilich eben solche „ontologischen und metaphysischen Annahmen“, wie beide sie ausdrücklich ablehnen. Körnig hängt noch am Subje...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Widmung
  5. Inhaltsübersicht
  6. Vorwort
  7. Inhaltsverzeichnis
  8. Einleitung
  9. I Orientierung im Nichts: Nietzsches Nihilismus und Luhmanns Konstruktivismus
  10. II Orientierung an sich selbst: Nietzsches und Luhmanns Perspektivismus
  11. III Orientierung an der Zeit: Logik, Paradoxie und Theorie nach Nietzsche und nach Luhmann
  12. IV Trennung der Orientierungen: Nietzsches und Luhmanns Subjektkritik
  13. V Orientierung an Menschen: Luhmanns und Nietzsches Auflösung der Einheit des Menschen
  14. VI Orientierung an anderer Orientierung: Nietzsche und Luhmann zu den Spielräumen des Verstehens und Missverstehens
  15. VII Orientierungsmittel: Nietzsches und Luhmanns Ein- und Entgrenzung des Wissens
  16. VIII Bindungen der Orientierung: Nietzsches und Luhmanns Begrenzung der Moral und Befreiung der Ethik
  17. IX Überlegene Orientierung: Nietzsches, Luhmanns und Foucaults Entmoralisierung der Macht und die Kontexte der Demokratie
  18. X Ausgleichende Orientierung: Nietzsches und Luhmanns Kontextualisierungen der Demokratie
  19. XI Sich auszeichnende Orientierung: Persönlichkeit nach Hegel, Rang nach Nietzsche, Reputation nach Luhmann
  20. XII Orientierung über Orientierung: Philosophie nach Nietzsche, Luhmann und Derrida
  21. Anhang
  22. Personenregister
  23. Sachregister
  24. Fußnoten