Sprache und Verskunst
eBook - ePub

Sprache und Verskunst

  1. 326 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Sprache und Verskunst

Über dieses Buch

GLMF II behandelt die Frage, wie sich 1100–1300 der Einfluss des Französischen in einem annähernd homogenen Sprachraum ausgewirkt hat und inwieweit dieser Einfluss sprachgeographisch einen Differenzierungsfaktor darstellen konnte. Ein Kapitel zur literarischen Onomastik lenkt zu den die literarischen Denkmäler behandelnden Bänden über. Die Beziehungen zwischen Romania und Germania im Bereich der Lyrik werden bzgl. der Strophenformen untersucht.

Häufig gestellte Fragen

Ja, du kannst dein Abo jederzeit über den Tab Abo in deinen Kontoeinstellungen auf der Perlego-Website kündigen. Dein Abo bleibt bis zum Ende deines aktuellen Abrechnungszeitraums aktiv. Erfahre, wie du dein Abo kündigen kannst.
Derzeit stehen all unsere auf mobile Endgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Perlego bietet zwei Pläne an: Elementar and Erweitert
  • Elementar ist ideal für Lernende und Interessierte, die gerne eine Vielzahl von Themen erkunden. Greife auf die Elementar-Bibliothek mit über 800.000 professionellen Titeln und Bestsellern aus den Bereichen Wirtschaft, Persönlichkeitsentwicklung und Geisteswissenschaften zu. Mit unbegrenzter Lesezeit und Standard-Vorlesefunktion.
  • Erweitert: Perfekt für Fortgeschrittene Studenten und Akademiker, die uneingeschränkten Zugriff benötigen. Schalte über 1,4 Mio. Bücher in Hunderten von Fachgebieten frei. Der Erweitert-Plan enthält außerdem fortgeschrittene Funktionen wie Premium Read Aloud und Research Assistant.
Beide Pläne können monatlich, alle 4 Monate oder jährlich abgerechnet werden.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja! Du kannst die Perlego-App sowohl auf iOS- als auch auf Android-Geräten verwenden, um jederzeit und überall zu lesen – sogar offline. Perfekt für den Weg zur Arbeit oder wenn du unterwegs bist.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Ja, du hast Zugang zu Sprache und Verskunst von Réne Pérennec im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Literature & European Literary Criticism. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

A Sprachliche Aspekte des Literaturkontakts

dp n="10" folio="" ? dp n="11" folio="" ?

1 Vorgreifliches

von René Pérennec
1.1 „Die finnische Schule“ – 1.2 ‚theodisk‘ – 1.3 ‚theodisk‘ und ‚franzigen‘

Die Germania Litteraria Mediaevalis Francigena (GLMF) will „erstmals einen umfassenden Überblick über Sprache, Formen, Motive, Stoffe und Werke der deutschen und niederländischen mittelalterlichen Literatur der Zeit zwischen 1100 und ca.1300 geben, welche auf Anregungen und Vorbildern aus Frankreich beruhen oder beruhen könnten“ („Vorwort zum Handbuch“, GLMF Bd. V). Im ersten Teil des vorliegenden Bandes sollen nun sprachliche Aspekte dieses romanisch-germanischen Literaturkontakts und dessen Folgen in den Blick gelangen. „Des aspects langagiers“, neigt man auf französisch zu sagen (wo waschechte französischsprachige Sprachwissenschaftler sich eher mit „aspects linguistiques“ befassen würden), um gleich anzudeuten, daß man sich hier auf keinen Fall anmaßt, eine state-of-the-art-Linguistik zu betreiben, sondern einfach ein philologisches Basisgeschäft weiter besorgen möchte. Geht man mit diesem wohl nicht unbescheidenen Anspruch ans Werk und bleibt man möglichst konsequent bei der grundsätzlichen Entscheidung, da, wo es geht, trilateral zu verfahren, so stößt die Realisierung eines solchen Programms auf Schwierigkeiten, die nicht zuletzt an der philologischen Plattentektonik der letzten Jahrzehnte liegen. Einerseits driften Linguistik und Literaturwissenschaft trotz gut argumentierter Plädoyers für ein ausgewogenes Miteinander (Christmann 1986) oder zumindest für eine wechselseitige Berücksichtigung (die für die Zwecke einer „literarischen Sprachgeschichte“ ausreichen würde, s. Heinzle 2010, S. 201) faktisch immer mehr auseinander (vgl. Haubrichs 2008). Andererseits hat sich das Interesse für die hochmittelalterliche Dreier-Konstellation französisch / niederländisch / deutsch im Laufe der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts stark verringert – was unter anderen Faktoren zurückzuführen ist auf den Rückgang des Französischen als Kultursprache sowie auf den wachsenden Autonomieanspruch der Niederlandistik (den der Verzicht der Herausgeber der zweiten Auflage des ‚Verfasserlexikons‘, „die ganze mittelniederländische Literatur mit einzubeziehen“, s. VL, Bd. I, 1978, Vorwort von Kurt Ruh, S. V, gebrochen zu reflektieren scheint). In der Mediävistik läßt sich diese Entwicklung (unter den beiden genannten Aspekten) am klarsten im Prisma der romanistisch-germanistischen wortgeschichtlichen Forschung beobachten. Diese wurde von Hugo Palander initiiert (Der französische Einfluß auf die deutsche Sprache im 12. Jh., 1902) und dann systematisch fortgesetzt, und zwar von demselben Forscher – der 1906 seinen Namen fennisierte – (Hugo Suolahti, Der französische Einfluß auf die deutsche Sprache im 13. Jh., 1929/1933), von Arvid Rosenqvist, einem Schüler Suolahtis (Der französische Einfluß auf die mittelhochdeutsche Sprache in der ersten Hälfte des 14. Jh., 1932), von Pekka Katara (Das französische Lehngut in mittelniederdeutschen Denkmälern von 1300 bis 1600, 1966) und nicht zuletzt von Emil Öhmann (1894–1984), der mit seiner von Suohlati angeregten Dissertation (Studien über die französischen Worte im Mittelhochdeutschen im 12. und 13. Jh., 1918) ein frühes Interesse für ein Forschungsfeld bekundete, das er sein ganzes wissenschaftliches Leben lang in bemerkenswerter Breite (s. auch seine Arbeiten über den „sprachlichen Einfluß Italiens auf Deutschland“) beackerte und methodologisch bereicherte. Von der Kraft dieser wissenschaftlichen Tradition zeugte noch 2005 der Aufsatz von Marjatta Wis über den ‚Erec‘ Hartmanns von Aue und das darin enthaltene Plädoyer für den Nutzen lexikalischer Mikroanalysen (s. auch Wis’ Aufsatz über das ‚Nibelungenlied‘ und ‚Aliscans‘ 1985).

1.1 „Die finnische Schule“

In seiner Präsentation des zur Feier des 120jährigen Bestehens der „Société Néophilologique“ für den Wiederabdruck ausgewählten repräsentativen germanistischen Beitrags (E. Öhmann, Der französische Einfluß auf die deutsche Sprache im Mittelalter, NM 32, 1931) schrieb Jarmo Korhonen (Härmä 2007, S. 54): „Der Begriff „Finnische Schule“, der sich in der germanistischen Fachwelt bereits in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts prägte, ist in erster Linie auf die Forschungsleistung von Emil Öhmann zurückzuführen.“ Beim Aufspüren möglicher Entlehnungen aus dem Altfranzösischen ins Mittelhochdeutsche hatten sowohl Suolahti (s. dazu die anerkennenden Worte von Theodor Frings, 1950, S. 58f.) als auch Öhmann (s. z. B. 1931, S. 201–203, Wiederabdr. 63–65) die geolinguistische Position des Niederländischen stets im Auge. Die Wahrscheinlichkeit einer niederländischen Vermittlung war ihnen immer einer Mitteilung (z. B. in Suolahti 1929 zum Lemma pardrîs ‚Rebhuhn‘) oder einer Diskussion wert (vgl. Suolahti 1902 und Suolahti 1929 zum Lemma baneken ‚sich die Zeit vertreiben, sich vergnügen‘: die zuerst formulierte Hypothese einer Entlehnung aus dem gleichbedeutenden afrz. banoier wird in der zweiten Veröffentlichung aufgegeben). Besonders bei Öhmann blieb die mögliche Brückenfunktion des Mittelniederländischen ständig am Horizont. So z. B. in einem Kommentar zu dem Lehnwort, das in den lexikographischen Standardwerken zum Mittelhochdeutschen unter dem Lemma poisûn verzeichnet ist; poisûn gilt zu Recht als eine nach gewöhnlichem Muster (vgl. afrz. prison/mhd. prisûn) germanisierte Form des afrz. Substantivs poison (<lat. potionem, Akkusativform zu potio). Das semantische Spektrum von poison reicht von der Grundbedeutung ‚Trank‘ bis zu den spezifischen Sub-Bedeutungen ‚Zaubertrank‘, ‚Gifttrank‘ (s. z. B. Greimas 1969). Gestützt auf Suolahtis Zusammenstellungen hält Öhmann fest, daß in der mhd. Dichtung poisun nur bei zwei Autoren vorkommt: bei Veldeke: MF Heinrich von Veldeke, Lied IV, Str. 1, „die Tristan-Strophe“, v. 1–4, eben in der Form poisun: Tristan muose sunder sînen danc/staete sîn der küniginne, / wan in daz poisûn dar zuo twanc/mêre dan diu kraft der minne. / Des soll mir diu guote danc / wizzen, daz ich sölhen tranc/nie genam […] → GLMF III, 7.3, S. 314–316, und bei Heinrich von dem Türlin: ‚Die Krone‘ → V, 6.2, v. 8636 ff.: der an sich reise- und kampflustige Gawein mußte gegen seinen Willen (sunder danc) wieder zum Weggefährten der Vrou Minne werden, als er bei Amurfina den Schlaftrunk (in der von Öhmann benutzten Ausgabe von Scholl: daz posûn, ATB-Ausgabe: daz posaun, v. 8638, 8650, 8727, Var. pusaun/ posun/pusun) zu sich nahm (getranc), der ihm gereicht wurde und ihm den Verstand raubte. Aus dem Inhalt der beiden Passagen, der Verwendung desselben im Mhd. sonst nicht gebrauchten Lehnworts und dem ‚Krone‘-Reim danc:getranc, der zwei zentrale, Handlung (das Trinken) und Leitthema (Verfallenheit an die Minne) verbindende Wörter/Wendungen der Tristan-Strophe wiederaufnimmt und durch ihre Position im Vers miteinander verklammert, schließt der Kommentator auf eine direkte Abhängigkeit des Gawein-Romans aus dem Südosten der Germania: „Heinrich von Türlin dichtete hier unter dem Einfluß des Liedes Heinrichs von Veldeke“ (S. 138).Und er fügt in einer Fußnote hinzu: „Im mndl. [= Mittelniederländischen] ist poesoen häufig belegt“. Die strikt als mittelniederländisch geltenden Belege sind zwar eindeutig jünger als Veldekes Lied (s. das Middelnederlandsch Woordenboek [= MNW, Stichwort poesoen, ein solches Lemma kommt im Vroegmiddelnederlandse Woordenboek = VMNW nicht vor]), aber man steht hier vor einer häufig begegnenden Überlieferungssituation, die mit dem späten Einsetzen der schriftlichen Tradition im Niederländischen zusammenhängt. Viele Lehnwörter waren wahrscheinlich schon lange vor der ersten schriftlichen Fixierung im Umlauf (Salverda de Grave 1906, bes. S. 34) und wir dürfen wohl der impliziten Suggestion Öhmanns folgen: es besteht ein Bezug zwischen der schieren Existenz des Wortes poisun im mhd. literarischen Vokabular und der limburgischen Herkunft Veldekes. Die wortgeschichtliche Kleinstudie wird somit zu einem Stückchen Literaturgeschichte und -Geographie, das dann mit Gewinn in einen größeren Zusammenhang gestellt werden kann, wenn man die genealogische Linie zurück ins romanische Vorfeld verfolgt. Diese Linie führt über Chrétien de Troyes, der in einem Lied von dem buvrage spricht Dont Tristrans fu enpoisonnez → III,7.3, S. 314 (poesoen hat im Mnl., s. MNW, dieselben semantischen Valenzen wie afrz. poison, daher in der Übersetzung der Veldeke-Strophe ebd. die ‚synthetische‘ Wiedergabe von poisun mit „Gifttrank“), südwärts zur provenzalischen Minnelyrik.
Eine auf diese Weise praktizierte Wortgeschichte war dazu angetan, in anderen Sparten der germanistischen Mediävistik inspirierend zu wirken, besonders dann, wenn für ein volles Germanistikstudium das Erlernen des Niederländischen als Zweit-Fremdsprache zur Norm erhoben wurde –worauf in Finnland Öhmann mit seiner wissenschaftlichen Autorität und seinem institutionellen Gewicht erfolgreich hinarbeitete (s. den Bericht von W. Thys „Neerlandistiek ‚extra muros‘“ in Bakker/Dibbets 1977, S. 322). Von einem solchen Einfluß zeugen die primär literaturgeschichtlichen Arbeiten von Pentti Tilvis (insbesondere seine ‚Prosa-Lancelot-Studien‘, Helsinki 1957) und von dessen Schüler Markku Kantola (‚Studien zur Reimsprache des Lanzelet Ulrichs von Zazikhoven‘, Turku 1982). Man kann sogar sagen, dass diese beiden Mediävisten in der Übernahme der Grundprämisse, daß der niederländische Raum als kulturelle Drehscheibe zwischen der nördlichen Romania und den weiter östlich liegenden germanischen Gebieten fungiert habe, einen Schritt weiter gingen: sie machten die Wortgeschichte zum Instrument einer Suche nach einer verlorenen Zwischenstufe (der Verlauf der Suche führte übrigens Kantola dazu, zwei Zwischenstufen zu postulieren, eine mittelniederländische Fassung und eine mittelrheinische Umschrift derselben, die Ulrich als unmittelbare Vorlage gedient hätte, s. Kantola S. 164f.). Um diese Herangehensweise vom zuvor angeführten Beispiel aus zu verdeutlichen: wo Öhmann eine Linie ausspannt zwischen zwei sichtbaren Punkten, verfahren Tilvis und Kantola geradezu detektivisch; ausgegangen wird von Unebenheiten, von (gegebenfalls nur leichten) Dissonanzen, die den ‚Verdacht‘ nähren könn(t)en, daß hinter dem greifbaren deutschen Text ein niederländischer Prä-Text stand. Ein eindrückliches Beispiel für dieses Vorgehen ist Kantolas Kommentar zu einer Stelle im ‚Lanzelet‘ des Ulrich von Zatzikhoven → V,12.2, in der der Glanz evoziert wird, den ein Edelstein (ein Ametyst in Hs. W, ein Asbeston in Hs. P) ausstrahlt (Kantola 1980; Kantola 1982, S. 145–147 u. Anm. 15, S. 148). Einmal angezündet, brennt dieser Stein ewig; der liuhtet ouch in daz lant / und behebet sin perze / baz danne ein michel kerze (Text nach der Hs. W, der Wiener Handschrift, die den existenten Ausgaben als Leithandschrift zugrundeliegt, v. 4802–4804, Übers. Kragl, Ausg. 2006, I, S. 271: „Der leuchtet auch in das Land und er hält seinen Glanz besser als eine große Kerze“). Was mit perze genau gemeint ist, läßt sich mit den lexikographischen Hilfsmitteln der Mediogermanistik kaum eruieren. Trotz einem Versuch Suolahtis, das Wort – ein Hapax im Mittelhochdeutchen – zum Adjektiv berht (‚leuchtend‘, ‚glänzend‘) zu stellen (s. Kantola 1982, S. 145), muß die Bedeutung ‚Glanz‘ aus dem Kontext erschlossen werden. Kantola macht aber seinerseits einfach auf die Lesart von Hs. P aufmerksam: Und behabet sine perse /Baz danne eim michel kertze und vermutet hinter diesem perse den im Mittelniederländischen belegten und aus dem Französischen entlehnten Farbnamen pers (modernes nl. paars). Kombiniert man lexikographische Angaben zu afrz. und mnl. pers (s., Tobler-Lommatsch, Godefroy, DEAFE1, AND2, VMNW, MNW), so ergibt sich, daß pers mehrere Abstufungen der Farbe Blau bezeichnen kann (was ebenfalls für jüngere Sprachschichten gilt, vgl. die in Kilian 1599 aufgelisteten möglichen lateinischen Entsprechungen: caeruleus, cyaneus, violaceus, subobscurus color, luridus, lividus sowie die verschiedenen Beiträge zu diesem einen Lemma im DMF). Bei einem Wiedergabe-Versuch wird man am besten in einem zusammengesetzten Wort (je nachdem: ‚dunkelblau‘, ‚bläulich‘, ‚blaugrün‘, ‚bläulich-violett‘) sein Heil suchen. Kantola entscheidet sich für den letztgenannten Farbton, was zum Sprachgebrauch im heutigen Niederländisch und zum Kontext im ‚Lanzelet‘ (ein stein der brinnet) paßt. Daß innerhalb der Beschreibung eines Edelsteins die Erwähnung eines Farbtons nicht unerwartet ist und daß die Farbe einer Kerzenflamme adäquat als eine mehr oder minder zum Roten tendierenden Nuance der Farbe Blau benannt werden kann, steht wohl außer Frage. Den möglichen Einwand, daß perse einfach direkt aus der frz. Vorlage stammen könnte, pariert Kantola mit einem Argument, das seine Stärke aus der Schwäche des Reims perse:kertze in Hs. P bezieht (hier bekundet sich das vorhin angedeutete Gespür für evtl. erkenntnisfördernde Dissonanzen besonders deutlich): der Reim ist im Mhd. unrein. Überträgt man ihn ins Mittelniederländische, so ist er rein: pers:kers. Postuliert man nun eine mnl. Zwischenstufe zwischen dem welschen buoche von Lanzelete und Ulrichs ‚Lanzelet‘, wird – so Kantola – eine genetische Erklärung durchaus plausibel: man kann sich sehr wohl kerze als ein mittelhochdeutsch-konform ‚begradigtes‘ kers vorstellen, und genau so mühelos annehmen, daß das Reimwort pers nicht imstande war, den neuen Tritt zu fassen, weil ein deutsches lehnwörtliches Pendant nicht zur Verfügung stand. Es bleibt eine Schwierigkeit, die Kantola nicht verschweigt; perse in der Nominalphrase sine perse, Hs. P, kann nur ein Substantiv sein; jedoch sei „das Substantiv im Mittelniederländischen bisher nicht belegt“ (Kantola 1982, S. 146) – anders als im modernen Niederländisch, vgl. WNT: paars 1) ‚de paarse kleur‘, 2) ‚een paarse stof‘. Das inzwischen entstandene VMNW liefert allerdings Belege für ein substantiviertes Adjektiv pers(e) (ältester Beleg: 1294), aber in der nachgewiesenen Verwendung bezeichnet das Wort ein pers gefärbtes Tuch, nicht direkt die Farbe selbst, und würde in diesem Gebrauch im Kontext der ‚Lanzelet‘-Stelle keinen Sinn machen.
Zur Untermauerung der These Kantolas – die im Rahmen des von Tilvis aufgebauten Hypothesengerüsts zur „Vermittlerrolle des niederländisch-mittelfränkischen Raums“ bei der Verbreitung der arthurischen Dichtung nach Osten (Tilvis 1959) – elaboriert wurde, fehlt also im besprochenen Punkt eigentlich nur der Beweis für die Fähigkeit der lehnwörtlichen adjektivischen Farbbezeichnung pers, innerhalb der frühmittelniederländischen Sprachperiode in die Wortklasse der Substantive zu wechseln. Ein definitives Erklärungsdefizit ist das nicht (s. jedoch das strengere Urteil von Kragl, Lanzelet-Ausgabe 2006, Bd. I, S. 270, zum V. 4803), die Ableitungslogik (zumindest analogisch gedacht: das Substantiv ‚der Purpur‘, der purpurn gefärbte Stoff, ist sekundär gegenuber dem Adjektiv ‚purpur‘) kann die lexikographische Leerstelle kompensieren. Womöglich schwerer wiegt eine Unsicherheit ganz anderer Art; sie liegt (wie in schweizerischer Diglossie aufgewachsene Kollegen zu bedenken geben) an der Produk...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Sprache und Verskunst - GLMF II
  3. Impressum
  4. Vorwort
  5. Inhaltsverzeichnis
  6. A Sprachliche Aspekte des Literaturkontakts
  7. B Verskunst
  8. Abkürzungsverzeichnis