
Lektüren von Jahrestagen
Studien zu einer Poetik der "Jahrestage" von Uwe Johnson
- 234 Seiten
- German
- PDF
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Über dieses Buch
Der Stoff der "Jahrestage" ist die Stellung des Individuums gegenüber der Geschichte. Er konkretisiert sich in der fiktiven Person der Gesine Cresspahl, die auf ihren Lebensweg und damit auf die deutsche Geschichte seit den 30er Jahren zurückblickt. Die Kapitel der einzelnen Jahrestage sind daher als das stets erneute Experiment der "Suche nach der verlorenen Zeit" zu lesen und konfrontieren den Leser mit der Frage, was Gesine im Spannungsfeld zwischen New Yorker Gegenwart und mecklenburgischer Vergangenheit denn gefunden hat.
Das methodische Verfahren, nach dem dieser Verstehensprozeß selbst verstehbar wird, ist die hermeneutische Rekonstruktion des Textgeschehens: erstens aus der kommentierenden Erschließung dokumentarischer Quellen, die hier erstmals publiziert werden, und zweitens aus der interpretierenden Diskussion, wie die Erzählung diese Materialien selbst interpretiert und welche Bedeutung sie für die Cresspahlsche Biographie erlangen. In zehn exemplarischen Lektüren wird ersichtlich, daß die Tageskapitel, jenseits der sprachlich wie thematisch disparaten narrativen 'Oberfläche', als in sich geschlossene Geschichten von Erkenntnissen komponiert sind.
So vielfältig das Erzählgeschehen auch sein mag, so deutlich zeichnen sich einige Grundzüge zu einer Poetik der "Jahrestage" ab: (1) ein Urteil über das Erkenntnisvermögen der menschlichen Erinnerung, die Johnson von Proust trennt, (2) eine reflexive Brechung des literarischen Realismus, auch des Brechtschen, so daß man von moderner Erzählkunst sprechen kann, (3) eine sehr kritische Haltung zum Marxismus und (4) eine besondere Option zum Schreiben von Geschichte: nämlich in einzelnen Geschichten, die keine Totalität erzeugen, die aber neben präzisen historischen Erkenntnissen, in Anlehnung an Benjamin, auch Erfahrungen vermitteln können. Mit dem formalen Instrumentarium der klassischen literarischen Moderne formulieren die "Jahrestage" eine metonymische Erzählästhetik, die die Geschichtsschreibung zur vergleichenden Diskussion einlädt.
Häufig gestellte Fragen
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Information
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- 1 Zur Einführung
- Der Titel
- Das Wort bei B. Brecht
- Horizontale und Vertikale
- Zum Begriff der Wiederholung
- Philologische Bemerkungen
- 2 Zehn Lektüren
- 2.1 Spiegelung. Der 28. September (S. 124-125)
- 2.2 Die Feuersbrunst. Der 15. Oktober (S. 176-179)
- 2.3 »Metropolis«. Der 30. Oktober (S. 240-243)
- 2.4 Die Prosopopöie des Staatsapparats. Der 28. November (S. 381-385)
- 2.5 Fieber. Der 27. Dezember (S. 519-523)
- 2.6 Monologue ä deux. Der 2. Februar (S. 669-673)
- 2.7 Ferien auf dem Lande. Der 26. Mai (S. 1223-1226)
- 2.8 »Utopia«. Der 3. Juli (S. 1482-1488)
- 2.9 Die historiographische Rede. Der 19. Juli (S. 1579-1584)
- 2.10 Mise en abyme, oder: Die Geburt der Erzählerin. Der 21. Juli (S. 1590-1595)
- 3 Grundzüge einer Poetik
- Gesine und Marcel, oder: Das Scheitern der Erinnerung
- Zum Realismus der Jahrestage
- Exkurs zum politischen Standort
- Geschichte in Geschichten
- 4 Bibliographie