Wissenschaftsjournalismus zwischen Utopie und Netzpessimismus
„Alles was wir wissen, beginnt mit einer Vermutung. Der Unterschied zwischen Glauben und Wissen liegt darin, ob die Vermutung einer objektiven Prüfung standhält. Ohne Evidenz kein Wissen“, erklärt Anneke Meyer in ihrem Dossier für den Deutschlandfunk, es geht um Irrwege und Irrsinn. „Soweit die Theorie.“1
Wissenschaftsjournalisten berichten über die Suche nach Evidenz, über gewonnene Erkenntnisse und Entwicklungen und auch über die Auswirkungen von Wissen und Wissenschaft für Mensch, Tier und Umwelt. Dabei durchläuft der Journalismus derzeit starke Veränderungen. Diese wurden durch die Entwicklung neuer Technologien ausgelöst und münden in Umwälzungen, die ein neues Leseverhalten der Menschen und eine neue Rezeption von Wissen nach sich gezogen haben. Dies alles bleibt nicht folgenlos für die Frage, welche Rolle Journalismus in der digitalen Moderne einnehmen kann, und somit auch, welche Rolle speziell der Wissenschaftsjournalismus spielen kann und sollte.
Lösungen auf diese Herausforderung kann dieser Text nicht geben. Beobachtungen und Skizzen aus den unterschiedlichen Veränderungsfeldern sollen aber deutlich machen, welche Fragen, Chancen und Herausforderungen mit den derzeitigen Umwälzungen verbunden sind und wie die Rolle des Wissenschaftsjournalisten im Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit zu beschreiben ist. Deutlich werden soll auch, welche Probleme ein geschwächter Wissenschaftsjournalismus für öffentliche Debatten mit sich bringen kann und welche Möglichkeiten für eine Weiterentwicklung es gibt. Bei alledem ist stets der klassische Wissenschaftsjournalist gemeint, der seine Recherchen und Berichte mit klarem Fokus auf Natur-, Technik- und Medizinwissenschaften betreibt.
Zu Beginn zeigt die historische Perspektive, dass Journalismus und journalistisches Selbstverständnis immer schon Veränderungsdynamiken unterlegen haben. Zudem wird jedoch erschreckend deutlich, dass die jüngsten Herausforderungen der digitalen Disruption in einer nie gekannten Weise in das Geschäftsmodell, das Selbstverständnis und die Zukunftsperspektiven des Wissenschaftsjournalismus hineinwirken.
Wie jeder andere soziale Akteur ist auch ein Journalist unzähligen systemischen Einflüssen unterworfen, sodass er mithin nur in Beziehung zu diesen Bedingungsfaktoren fassbar ist, schreiben Holger Hettwer und Franco Zotta in dem Sammelband Wissenswelten – Wissenschaftsjournalismus in Theorie und Praxis von 2008. Gleichwohl, und das sei ebenso banal wie richtig, gehe das Subjekt „Journalist“ nicht in diesen Bedingungsfaktoren auf. Journalismus entstehe „stets dort, wo Interessen, Erwartungen, Selbstbilder, Traditionen, ökonomische Strukturen und manches mehr aufeinanderstoßen. Journalistische Identität entfaltet sich in der Auseinandersetzung mit eben diesen Kräfteverhältnissen“2.
I Der Wissenschaftsjournalist – ein „unentbehrliches Hilfsmittel“
Hettwer und Zotta werfen einen umfassenden Blick auf die Entwicklung des Rollenbilds der Wissenschaftsjournalisten (siehe hierzu auch den Beitrag von Daniel Eggers in diesem Band, S. 61 – 72). Diese wurden vor allem durch die Wissenschaft lange Zeit als ideale Botschafter zwischen Wissenschaft und Bevölkerung gesehen. Die beiden Autoren zitieren beispielhaft den Philosophen Adolf Dyroff, der in den Zwanzigerjahren die Presse als „unentbehrliches Hilfsmittel zur Verbreitung der Ergebnisse der Wissenschaft“3 reklamierte. Die Einschätzung der herausragenden Botschafterrolle des Wissenschaftsjournalisten hält sich. Auch in den Siebzigerjahren verlangten Wissenschaftler noch nach „Übersetzern“: Die Wissenschaft erschien demnach den Wissenschaftlern selbst als dermaßen „kompliziert und komplex, dass sie dem Rest der Bevölkerung kaum zu vermitteln ist“4. Nach Vorstellung vieler Wissenschaftler bestehe „eine Kluft zwischen ihnen und der Öffentlichkeit“5.
Wissenschaftsjournalisten wurden auch als Aufklärer gesehen, z. B. im Kontext der Diskussion um eine „öffentliche Wissenschaft“, die Ende der Sechzigerjahre entstand. „Dabei geht es vor allem um accountability, um die Pflicht zur finanziellen Rechenschaft: Die Wissenschaft solle die Öffentlichkeit informieren, um Herz und Hingabe des Steuerzahlers zu gewinnen“6, schreiben Hettwer und Zotta. Gegenstimmen, die auf die journalistische Aufgabe einer unabhängigen Beobachtung des Wissenschaftssystems hinwiesen, habe es zu dieser Zeit nur wenige gegeben.
Spätestens ab 1995 werde durch Journalistinnen und Journalisten immer häufiger eine wissenschaftskritische Perspektive eingenommen, befinden die Autoren, jetzt werde der Faktor „Haltung“ in Bezug auf (wissenschafts‐)journalistisches Handeln debattiert. Inzwischen dominiere der von Niklas Luhmann inspirierte und durch Matthias Kohring weiter entwickelte systemtheoretische Blick: Wissenschaftsjournalismus ist demnach „als autonom durchgeführte Beobachtung des wechselseitigen Verhältnisses von Wissenschaft und Gesellschaft“7 zu verstehen.
Dabei bleibt das Selbstverständnis auch innerhalb der Wissenschaftsjournalisten diffus. Wie der Schweizer Medienwissenschaftler Mike S. Schäfer konstatiert, trägt dazu die Ausweitung und Diversifizierung der Kommunikation über Wissenschaft bei, die ebenfalls spätestens seit den 1990er Jahren erfolgte. Ganz unterschiedliche Akteure seien mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation involviert. Nicht mehr nur aus der akademischen Wissenschaft, sondern auch aus Forschungsabteilungen von Unternehmen, aus Fachgremien, NGOs oder politischen Institutionen, dazu der Journalismus und die Blogosphäre.
[S]ie verfolgen damit unterschiedliche Ziele: Teilweise stellen sie auf Wissensvermittlung, Aufmerksamkeitserzeugung, Beteiligung, Einstellungs- oder Verhaltensänderungen ab, teilweise auf Reputationsmanagement, Rekrutierung, Imageverbesserung oder Brand Building.8
Den Wissenschaftsjournalisten schreibt Schäfer die Rolle zu, wissenschaftliche Themen als professionelle externe Beobachter öffentlich darzustellen, wobei die journalistische Vermittlung nicht nur eine sachgerechte „Übersetzung“ wissenschaftlicher Ergebnisse sei, sondern „durchaus auch eine kritische Kontrolle und ggf. Kritik selbiger beinhalten kann und sollte“9.
Diese Definition würden viele Wissenschaftsjournalisten unterschreiben, auch wenn gerade in großen Redaktionen ihre Kompetenz nicht immer genutzt wird. Themen von gesellschaftlicher Relevanz, wie etwa Klimawandel, Künstliche Intelligenz oder Gentechnik, werden gern allein durch Kollegen etwa der Wirtschafts- oder Politikredaktion behandelt. Nicht immer im wissenschaftlich korrekten Sinne. Kritik an diesem Zustand wird meist hitzig von den Vertretern der einzelnen Ressorts diskutiert. Die einen plädieren dafür, angehende Journalisten in ihrer Ausbildung stets auch in wissenschaftlichen Feldern zu schulen. Dagegen stehen die, die auf die vielen Quereinsteiger in diesem Beruf verweisen und die Frage stellen, warum nicht einfach die Zusammenarbeit zwischen den Ressorts eines einzelnen Verlags gestärkt werden sollte.
Längst sehen sich Wissenschaftsjournalisten nicht nur diesem Spannungsfeld ausgesetzt. Sie sind, genau wie Kollegen anderer Fachrichtungen, mit einer gänzlich geänderten Realität konfrontiert: Wenn Redakteurinnen und Redakteure, wenn freie Journalistinnen und Journalisten ihrer Arbeit in selbstkritischer Manier nachgehen können, fehlt immer öfter dieselbe Resonanz für ihre Arbeit. Sie erreichen nicht mehr ohne Weiteres ein (großes) Publikum. Konnten die Publizierenden früher mehr oder minder davon ausgehenden, dass ihre Veröffentlichungen auch gelesen, gehört oder wahrgenommen werden, ist dies längst keine Selbstverständlichkeit mehr.
II Gewinnt der Influencer-Bambi den Medien-Beef?
Klassische Medien müssen um Aufmerksamkeit kämpfen, Mediendienste melden regelmäßig sinkende Abonnentenzahlen. Immer weniger Menschen lesen Tageszeitungen oder Magazine, auch Online kommen die Texte und Features nicht automatisch bei den Lesern an. Die Veränderungen in der Medienlandschaft zerren massiv an der ökonomischen Basis des Journalismus. In Tageszeitungen werden ganze Redaktionen geschlossen, die Ressorts, die bleiben, werden zusammengelegt. Journalistische Vielfalt geht verloren.
Speziell für den Wissenschaftsjournalismus hat eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse im Feld der Wissenschaftskommunikation stattgefunden: „Angesichts der Krise traditioneller Massenmedien – deren Nutzerzahlen ebenso wie ihr Werbevolumen weithin sinken – seien gerade spezialisierte Ressorts wie das Wissenschaftsressort diejenigen, in denen gekürzt werde“10, schreibt Mike S. Schäfer in Anlehnung an Winfried Göpfert. Andererseits zeige sich momentan „ein deutliches Erstarken von Wissenschafts-PR – d. h. eine Ausweitung und Professionalisierung der Außenkommunikation wissenschaftlicher Institutionen, der gegenüber es der Wissenschaftsjournalismus zunehmend schwer habe“11 (zur hochschuleigenen Kommunikation siehe auch den Beitrag von Annette Leßmöllmann in diesem Band, S. 73 – 81).
Die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit ist tatsächlich groß. Etwa durch professionell gemachte Blogs und Podcasts, produziert und ins Netz gestellt durch einzelne Wissenschaftler oder Marketingabteilungen großer Forschungsinstitute. Immer mehr Einfluss haben auch Video-Clips auf großen Plattformen wie YouTube. Aktuell bestes Beispiel: Das Video „Die Zerstörung der CDU“, das der YouTuber Rezo kurz vor der Europawahl veröffentlichte, erreichte binnen weniger Tage zehn Millionen Menschen – und das mit einem Film, der sich über weite Strecken intensiv mit Fragen des Klimawandels beschäftigt. Rezo zitiert führende Klimaforscher, Mediziner und auch renommierte wissenschaftliche Journals, alles ist in einer seitenlangen Quellenliste dokumentiert.12
Zunehmende Konkurrenz entsteht auch durch Instagram. Beliebte Instagramer haben Millionen Fans – in ihren neuen Kanälen können sie leicht Debatten entfesseln, wie dies im April dieses Jahres etwa die Stand-Up-Comedienne Enissa Amani zeigte. Sie störte sich an einer Kritik Anja Rützels, Autorin von Spiegel online. Rützel hatte den „About You Award“ auf Pro Sieben, eine Art Influencer-Bambi, gesehen und wie üblich in ihrer Medien-Kolumne kommentiert. Die Kritik gefiel Amani nicht, sie kritisierte wiederum Rützel, per Instagram. Unzählige ihrer Fans – rund eine halbe Million – traktierten daraufhin Rützel auf Instagram und per Twitter. Sie habe so etwas, auch die Beschimpfungen in dieser Dimension, noch nicht erlebt, erklärt Rützel später.
„Alt gegen neu“ schrieb die taz über diesen „Medien-Beef“. Eine Entwicklung, die beachtlich ist – vor allem vielleicht für diejenigen, die bisher bereits die Online-Medien (wie Spiegel online) als Sargnagel des herkömmlichen Journalismus betrachteten. Wie auch immer man sich in diesen Fragen positioniert, jeder einzelne kann heute mehr oder weniger ungestört seine Ideen und Gedanken publizieren. Was bleibt Journalisten in einer Zeit, in der ein YouTuber mit einem 55-minütigen Video-Kommentar zehn Millionen Menschen erreicht, wenn er seine Leser erreichen will? Diese Fragen stellen sich nicht wenige Kollegen.
Natürlich hat die mediale Weiterentwicklung viele gute Seiten. Mehr Lesernähe, mehr direkter Diskurs, mehr Debatten, mehr Möglichkeiten, journalistisch zu arbeiten. Aber mit der Zunahme an Plattformen macht sich auch ein oftmals destruktiver Ton in den Foren und Kommentarspalten breit. Fake News schaffen es oft, große Aufmerksamkeit zu erzielen, während die Tatsachen nicht wahrgenommen und Korrekturen kaum vernommen werden. Menschenverachtende und rückwärtsgewandte Gedanken geistern durch die Social Media-Kanäle. Geschickt nutzen etwa rechte Gruppen die Chancen aus, die ihnen die neuen Medien bieten. Journalisten werden als „Lügen-Presse“ beschimpft.
„Journalisten haben ihre Rolle als Gatekeeper verloren“13, diagnostiziert Alexander Mäder im Wissenschafts-Medienblog Meta. Journalistinnen und Journalisten entschieden nicht mehr darüber, welche Nachrichten und Analysen wichtig genug sind, damit die Öffentlichkeit von ihnen erfährt. „Diese Aufgabe haben zu einem guten Teil die Algorithmen von Google und Facebook übernommen“14, schreibt Mäder, der heute als Professor an der Hochschule für Medien in Karlsruhe arbeitet. Diese Algorithmen orientierten sich dabei nicht am gesellschaftlichen Interesse, sondern an den Präferenzen der Nutzer und der Menschen in ihrem Umfeld. Die Stärkung des öffentlichen Diskurses sei eine Errungenschaft, die wir nicht aufgeben sollten. Doch sie führe zu einer Flut an Beiträgen, die man als Einzelner kaum überblickten könne.
Gatekeeping hat daher weiterhin einen wichtigen Wert, befindet Mäder: Wissenschaftsjournalisten können die öffentliche Debatte bereichern, weil sie die Dinge aus einer anderen Perspektive beobachten und – mö...