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Der Wissenschaft verpflichtet
Biographische Notizen und Plädoyer für eine am Patientenwohl orientierte menschliche Medizin
- 224 Seiten
- German
- ePUB (handyfreundlich)
- Über iOS und Android verfügbar
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Der Wissenschaft verpflichtet
Biographische Notizen und Plädoyer für eine am Patientenwohl orientierte menschliche Medizin
Über dieses Buch
Johannes Köbberling plädiert leidenschaftlich für eine Beachtung der Wissenschaftlichkeit in der Medizin und stellt heraus, dass dies nicht nur vereinbar mit einer menschlichen Medizin ist sondern geradezu eine Voraussetzung hierfür darstellt. Einer seiner Kernsätze lautet "Die Unwissenschaftlichkeit ist der Boden der Inhumanität".
In diesem Buch verbindet der Autor dieses Plädoyer mit biografischen Notizen und einer Schilderung seiner eigenen Tätigkeit in Forschung, Klinik und Lehre der Inneren Medizin. Im Vordergrund seiner 50-jährigen Berufstätigkeit stand dabei immer die Suche nach wissenschaftlichen Belegen für das ärztliche Handeln.
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Information
1 Medizin und Wissenschaft
Man soll alle Dinge im Leben mindestens einmal bezweifeln.Georg Christoph Lichtenberg
„Der Wissenschaft verpflichtet“ lautete der Titel meines Eröffnungsvortrags als Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin im April 1997 [1]. Die zentrale Botschaft war, dass sich die Wissenschaft in der Medizin zwar nicht einer allgemeinen hohen Wertschätzung erfreut und sogar von verschiedener Seite missachtet und diskriminiert wird, dass aber eine menschliche Medizin nur durch die Wissenschaft sichergestellt wird. Im Vorfeld hatte ich gewisse Zweifel, ob die in dem Vortrag enthaltene Botschaft, die auch deutliche Kritik an ärztlichen Denk- und Handlungsweisen enthält, den Mitgliedern der altehrwürdigen Gesellschaft zuzumuten sei, ob der Vortrag nicht zu polarisierend wirken würde. Überraschenderweise löste er aber einen ungewöhnlich starken Beifall und eine breite Zustimmung aus. Die Presse hat ausführlich hierüber berichtet, und die Zeitschrift „Die Zeit“ hat den Vortrag fast vollständig nachgedruckt.
1.1 Wissenschaftliche Medizin und Paramedizin
Unter Bezug auf den Philosophen Karl R.Popper wurde der Wert des Zweifels als Quelle des Erkenntnisgewinns herausgestellt und deutlich gemacht, dass der entscheidende Unterschied zwischen der Medizin und allen Formen der sog. Alternativmedizin oder Paramedizin nicht nur darin besteht, dass letztere nicht spezifisch wirksam sind, sondern vor allem darin, dass ihre Vertreter nicht bereit sind, sich selbst in Frage zu stellen und ihre Ergebnisse und Aussagen jederzeit zu überprüfen. Eine Widerlegbarkeit ist Bestandteil und Voraussetzung einer jeden wissenschaftlichen Aussage. Prinzipiell nicht widerlegbare Aussagen, wie sie gern von Vertretern der verschiedenen paramedizinischen Verfahren angeführt werden, sind dagegen wertlos.
Eine Widerlegbarkeit ist Bestandteil und Voraussetzung einer jeden wissenschaftlichen Aussage. Prinzipiell nicht widerlegbare Aussagen, wie sie gern von Vertretern der verschiedenen paramedizinischen Verfahren angeführt werden, sind dagegen wertlos.
Entgegen einem verbreiteten Vorurteil beziehen sich die Merkmale der Wissenschaft nicht speziell auf die Naturwissenschaft. Die falsche Gleichsetzung von Wissenschaft und Naturwissenschaft ist dem Wissenschaftsgedanken abträglich und macht es den Gegnern der wissenschaftlichen Medizin zu leicht, diese zu diskriminieren und die unwissenschaftliche Medizin zu rechtfertigen.
Ausführlich bin ich in dem Vortrag auf die nichtwissenschaftlichen Verfahren in der Medizin eingegangen, die unter sehr verschiedenen Begriffen zusammengefasst werden, und für die ich ausschließlich den Begriff Paramedizin verwende. Ziel des Vortrages war aber nicht eine Abrechnung mit der Paramedizin, sondern ein Aufruf zur Wahrung der wissenschaftlichen Denkweise innerhalb der Medizin. Vertreter und Vertreterinnen der wissenschaftlichen Medizin wurden aufgefordert, sich aktiv der Gewöhnung an die Missachtung der Wissenschaft entgegen zu stellen. Viele Defizite und Missstände im Medizinbetrieb sind nämlich auf eine widerspruchslose Hinnahme der Unwissenschaftlichkeit im alltäglichen Urteilen und eine Gleichgültigkeit gegenüber Täuschung und Unwahrheit als Teil des medizinischen Alltags zurückzuführen. Diese Unsicherheit im Umgang mit Wahrheiten kann der Medizin nicht gut tun.
Im gesellschaftlichen Diskurs wird die traditionelle Trennungslinie zwischen Wahrheit und Lüge zunehmend durch den Unterschied zwischen Tatsachen und Meinungen ersetzt. Missliebige Tatsachen werden zu Meinungen degradiert und grobe Unwahrheiten als Alternative Fakten bezeichnet. Schon vor über 50Jahren hat die Philosophin Hannah Arendt davor gewarnt, dass der menschliche Orientierungssinn bedroht werde, wenn die klare Unterscheidung zwischen Tatsachen in Meinungen aufgelöst werde. Eine Verwischung der Grenze zwischen Tatsachen und Meinungen oder zwischen Wahrheit und Unwahrheit zerstöre am Ende die Urteilsfähigkeit.
Die Analogie im medizinischen Umfeld liegt nahe. Wenn wir Wahrheit durch konsequente Wahrheitssuche im Sinne der Wissenschaft verstehen, dann gilt dies für die wissenschaftliche Medizin. Unwahrheit bzw. bloße Meinung unter Verzicht auf wissenschaftliche Wahrheitssuche sind dagegen Merkmale der Paramedizin. Die Missachtung dieser Trennungslinie, die Gewöhnung an die Unwissenschaftlichkeit im medizinischen Alltag, führt zu einer Gefährdung der Urteilsfähigkeit und damit zu einer Bedrohung der Grundlagen ärztlichen Denkens und Handelns.
1.2 Folgen des Verlusts der Wissenschaftlichkeit
Die Kernaussage des Vortrages auf dem Internistenkongress lässt sich in einem Zitat von Karl Jaspers zusammenfassen, der unmittelbar nach dem Ende des Nationalsozialismus, anlässlich der Wiedereröffnung der Medizinischen Fakultät in Heidelberg, gesagt hat: „Die Unwissenschaftlichkeit ist der Boden der Inhumanität“. Beschlossen habe ich die Rede mit einem Zitat von Goethe, in dem er den Teufel sagen lässt „Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, des Menschen allerhöchste Kraft, lass nur in Blend- und Zauberwerken dich von dem Lügengeist bestärken, so hab ich dich schon unbedingt“. Dieser Vortrag findet sich in vollem Wortlaut als Anhang zu diesem Buch.
Die in unserer Gesellschaft verbreitete Tendenz, Aussagen weniger nach dem Wahrheitsgehalt als nach deren Brauchbarkeit zur Erlangung bestimmter Ziele auszurichten, greift leider auch zunehmend auf die Medizin über. Sowohl im akademischen Bereich als auch bei der ärztlichen Tätigkeit in Klinik und Praxis sind die Verlockungen groß, von der Verpflichtung zur Wissenschaft in kleineren oder größeren Schritten abzuweichen.
Auch in der Medizin verlieren die für ein Gemeinwesen so wichtigen Fähigkeiten wie Empathie, Toleranz und Vertrauen immer mehr an Bedeutung, während in unserer Konkurrenzgesellschaft Durchsetzungsfähigkeit und individuelle Nutzenmaximierung ohne Reflexion als positive Werte angesehen und in den Erziehungssysteme unterstützt werden. Die mit dem Willen zur Durchsetzung eigener Interessen verbundene Entsolidarisierung führt zu einer moralischen Entkernung der Gesellschaft und verhindert auf vielen Ebenen die Verfolgung gemeinschaftlicher Ziele, die nicht nur den kurzfristigen Interessen Einzelner oder bestimmter Gruppen entsprechen.
Diese moralische Entkernung ist auch an der Wissenschaft nicht vorübergegangen. Viele Wissenschaftler bemessen ihren Wert meist an einzelnen kleinen Erfolgen, die möglichst so dargestellt werden, dass sie ihm im Wettlauf mit den Konkurrenten messbare „Credits“ erbringen. Die Summe solcher Credits in Form von Publikationen, Vortragseinladungen und Ähnlichem entscheidet ganz wesentlich über das akademische Fortkommen und hat damit eine für den Forscher ganz existenzielle Bedeutung. Dies und der hohe Konkurrenzdruck um Fördermittel und öffentliche Aufmerksamkeit in der Wissenschaft behindern aber die kollektive Wahrheitssuche. Dies zeigt sich zum Beispiel daran, dass negative Ergebnisse von Studien und Experimenten, die für den wissenschaftlichen Fortschritt häufig von besonders hohem Wert sind, für die Karriere des Einzelnen eine ganz untergeordnete Rolle spielen und daher selten publiziert werden. Die für einen Wissenschaftler essenzielle Fähigkeit, Irrtümer einzugestehen, wird zunehmend vernachlässigt. Dies fördert die gerade in der Medizin zu beobachtende Tendenz zu gewissenlosen Täuschungen und Selbsttäuschungen.
Junge Ärztinnen und Ärzte, die sich der wissenschaftlichen Forschung widmen möchten, vermeiden es häufig, unbequeme Fragen zu stellen und befassen sich lieber mit solchen Fragen, deren Antworten vorhersehbar sind, und die bei Patienten, Politikern, Medien oder der Pharmaindustrie Gefallen finden. Unerwünschte Ergebnisse werden gern unterdrückt, oder es werden durch statistische Kniffs gewünschte Ergebnisse herbeigeführt, damit man sich bei der Deutung der Ergebnisse dem Mainstream anschließen kann. Diese Verhaltensweisen bewegen sich zwar häufig gerade noch im Rahmen der Legalität. Die Grenze der Legalität wird aber leicht und häufig unbemerkt überschritten, insbesondere dann, wenn für die gewünschte Forschung oder „Afterforschung“ unangemessene Vergütungen angenommen werden. Aber selbst bewusste Mogeleien in der Forschung unterliegen praktisch keinerlei Sanktionen. Selbst in den seltenen Fällen einer Aufdeckung von gefälschten Ergebnissen wird hierdurch die wissenschaftliche Karriere kaum oder nur vorübergehend beeinträchtigt.
Wie soll aber vom praktizierenden Arzt erwartet werden, dass er sich in seinem Handeln eng an die wissenschaftlichen Erkenntnisse hält, wenn forschende Mediziner so leicht vom Weg der Wissenschaftlichkeit abweichen? Eine Vielzahl von Anreizen direkter und indirekter Art führen auch bei der ärztlichen Berufsausübung leicht zur Unterdrückung der eigenen Kritikfähigkeit.
Die größte Gefahr für die Kritikfähigkeit kommt von den finanziellen Anreizen, die nicht selten dazu führen, dass Entscheidungsfindungen nicht primär an das Wohl des Patienten ausgerichtet werden. Viele der sog. individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) dienen nicht dem Patientenwohl, aber sie vermehren das Einkommen der Ärzte. Dies führt dazu, dass gerade hier die Grundsätze der Wissenschaftlichkeit missachtet werden.
Eine neue Dimension der Gewissensbelastung entsteht in den letzten Jahren dadurch, dass durch die Klinikträger ärztliche Entscheidungen erzwungen werden, die eindeutig nicht dem Patienteninteresse, sondern dem ökonomischen Interesse der Kliniken dienen. Dies muss bei verantwortungsvollen Ärzten zu einer kognitiven Dissonanz führen. Die Vernachlässigung des Patientenwohls lässt sich dann nur aushalten, wenn Ansätze zum Zweifel oder zu einer Kritik unterdrückt werden. In Zusammenhang mit dieser leider deutlich zunehmenden Vernachlässigung der Wissenschaftlichkeit, die unmittelbar zum Nachteil der Patienten führt, muss an den Ausspruch von Jaspers erinnert werden: „Die Unwissenschaftlichkeit ist der Boden der Inhumanität“.
Die Vernachlässigung wissenschaftlicher Grundsätze ist kurz- oder mittelfristig für den Einzelnen meist mit „Gewinnen“ und kaum mit „Verlusten“ verbunden. Man könnte aber die Hoffnung haben, dass dies bei einer langfristigen Betrachtung nicht zutreffen möge. Im Wirtschaftsleben wird immer klarer, dass bei aller Gewinnorientierung Faktoren wie Zuverlässigkeit, Regelkonformität und Integrität, die häufig als sog. Compliance zusammengefasst werden, langfristig betrachtet die wichtigsten Erfolgsfaktoren für Unternehmen und soziale Organisationen sind. Die Wahrung der Compliance in diesem Sinne ist in der Medizin nicht ohne Einhaltung wissenschaftlicher Grundsätze denkbar.
1.3 Es gibt nur eine Medizin
Der Kernsatz, dass eine menschliche Medizin nur durch die Wissenschaft in der Medizin erreicht werden kann, darf natürlich nicht missverstanden werden. Die Verpflichtung zur Wissenschaft stellt nur einen Teilaspekt der Verpflichtung zur Wahrung des Patientenwohls dar. Die Wissenschaftlichkeit ist zwar eine unverzichtbare Grundvoraussetzung, aber für eine gute menschliche und nur am Wohl des Patienten ausgerichtete Medizin sind viele weitere Voraussetzungen erforderlich, die im modernen Medizinbetrieb zunehmend verlorengehen. Hierzu gehören u.a. menschliche Zuwendung und Empathie, eine ganzheitliche Betrachtungsweise und eine Fokussierung auf den ganzen Menschen und seine Leiden sowie auch der bewusste Einsatz unspezifischer Heileffekte.
Viele Aspekte einer solchen menschlichen und dem Patientenwohl verpflichteten Medizin nehmen die Vertreter paramedizinischer Verfahren, die unter irreführenden Titeln wie „Alternativmedizin“, „Ganzheitsmedizin“, „Naturheilkunde“ oder „sanfte Medizin“ geführt werden, gern exklusiv für sich in Anspruch. Alle diese genannten Aspekte gehören aber auch unverzichtbar zur wissenschaftlichen Medizin, und es stellt einen fundamentalen Irrtum dar, wenn angenommen wird, mit einem Verzicht auf Wissenschaftlichkeit ließen sich die genannten Aspekte guten ärztlich Handelns leichter realisieren.
Empathie und menschliche Zuwendung werden zugegebenermaßen von den Vertretern der Alternativmedizin gut beherrscht, sie können aber Abweichungen vom Weg der Wissenschaftlichkeit nicht kompensieren. Solche Abweichungen sind in der Medizin besonders gefährlich, da sie sich sehr schnell zum Nachteil von Patienten auswirken können. Wir müssen uns deshalb fragen, wie sich dies verhindern lässt. Für Abweichungen vom rechten Weg, die sich noch innerhalb der gesetzlichen Regeln bewegen, scheiden juristische Sanktionen aus. Einige der paramedizinischen Verfahren, wie Homöopathie und anthroposophische Medizin, sind unverständlicherweise sogar ausdrücklich gesetzlich geschützt. Berufsständische Regulierungen versagen ebenfalls leider auf ganzer Linie. Mit einem reinen Appell an moralische Grundsätze ist in unserer gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation sicher nichts zu erreichen, so etwas wirkt eher lächerlich. Auch übliche Anreize wie gesellschaftliche Anerkennung oder finanzielle Vorteile sind nicht geeignet, die Beachtung der Wissenschaftlichkeit zu fördern, sie wirken häufig sogar in die entgegengesetzte Richtung.
1.4 Die persönliche Verpflichtung zur Wissenschaftlichkeit
Dieser Mangel an externen Regulierungsmöglichkeiten führt zu der Erkenntnis, dass der Drang zur Wissenschaftlichkeit von innen kommen muss, was heute gern als intrinsische Motivation bezeichnet wird. Auch ohne dass meine Auffassungen zur Bedeutung der Wissenschaft in der Medizin ausformuliert waren, hatten mich die entsprechenden Grundsätze schon über das ganze Berufsleben begleitet. In den Jahren nach dem Kongress von 1997 wurden sie dann zunehmend das Leitthema meines Handelns und Inhalt meiner Forschungs- und Lehrtätigkeit. In vielen Vorträgen, Aufsätzen und Kommentaren habe ich hierzu Stellung genommen [2]. Die wichtigsten Ehrungen, die ich in meinem Berufsleben erhalten habe, die Ehrenmitgliedschaft im Berufsverband Deutscher Internisten, die Gustav von Bergmann-Medaille der Deutschen Ärzteschaft, das Bundesverdienstkreuz am Bande, die Verleihung der Leopold-Lichtwitz Medaille der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin und die Ehrenmedaille der Bergischen Universität Wuppertal, wurden mit meinem Einsatz für die Wissenschaft in der Medizin und den frühen Bemühungen um die sog. evidenzbasierte Medizin (EbM) begründet.
Nach meiner festen Überzeugung gibt es nur den Weg, für sich selbst eine solche intrinsische Motivation zu entwickeln. Zunächst muss erlernt und eingeübt werden, was die Verpflichtung zur Wissenschaftlichkeit ausmacht und welche Wege zur Beherzigung dieser Verpflichtung einzuschlagen sind. Bei der Befolgung dieses Weges muss dann erlebt werden, welche Befriedigung damit verbunden ist. Diese Befriedigung kann recht hoch sein, sogar so hoch, dass sie die entgangenen Vorteile durch Verzicht auf die unsauberen Nebenwege ausgleichen. Das einmal erlebte befriedigende Gefühl, unter Verzicht auf eigene Vorteile zur wissenschaftlichen Erkenntnis beigetragen zu haben, kann ein großer Ansporn für weitere Bemühungen auf diesem Weg sein.
Ich selbst habe meinen Weg als Arzt, Wissenschaftler und Hochschullehrer ganz der Verpflichtung zur Wissenschaft gewidmet, und hierbei viel Befriedigung erhalten. Meine Erlebnisse mit der Wissenschaft, insbesondere die bedingungslose Infragestellung von Lehrmeinungen und die Nutzung des Zweifels als Quelle des Erkenntnisgewinns, erstrecken sich jetzt über mehr als ein halbes Jahrhundert. Mit der biographischen Darstellung möchte ich deutlich machen, dass die konsequente Verpflichtung zur Wissenschaftlichkeit nicht ein utopischer Gedanke oder gar eine weltfremde Forderung ist. Mein mit dieser Monographie angestrebtes Ziel ist es, das Verständnis für die Wissenschaft in der Medizin zu fördern, die Beachtung der sich daraus ergebenden Grundsätze zu unterstützen und damit die Position der wissenschaftlichen Medizin gegenüber Anfeindungen aus den unterschiedlichsten Richtungen zu stärken. So wie Moral nur durch Vorbilder und „Ansteckung“ entsteht und stabilisiert wird, wird auch die Verpflichtung zur Wissenschaft durch Ansteckung gefördert.
2 Biographisches, Teil 1 (Lötzen, Holzminden)
Es gibt Leute, die können alles glauben, was sie wollen; das sind glückliche Leute.Georg Christoph Lichtenberg
Im April 1940 hatte das Hochgefühl der Deutschen seinen Gipfel erreicht. Polen war besiegt, und Teile des eroberten Landes wurden zunehmend von Deutschland annektiert. Dänemark und Norwegen waren fast kampflos eingenommen worden, und Schweden hatte zugesagt, nicht einzugreifen. Der Feldzug im Westen, nach dessen Beginn es keine Umkehr mehr gab, war noch nicht begonnen worden. Und doch basierte dieses Hochgefühl auf einer Täuschung, denn der Keim des Untergangs war bereits gelegt. Am 23.April tagte in Paris der oberste Kriegsrat der Alliierten, und bei dieser Sitzung wurde der gemeinsame Kampf gegen Deutschland und die Unterstützung der polnischen Exilregierung offiziell beschlossen.
An diesem 23.April 1940 kam ich zur Welt. Geboren wurde ich in einer der damals friedlichsten Gegenden Deutschlands, im fernen Ostpreußen, das fünf Jahre später die schlimmsten Folgen des Krieges zu tragen hatte. Meine Geburtsstadt Lötzen, heute Gizycko, liegt im Zentrum der masurischen Seen. Die Königsberger Diakonissen hatten dort im Jahr 1910 das „Masurische Diakonissen-Mutterhaus Bethanien“ eröffnet, die größte karitative Einrichtung Masurens. In dem angeschlossenen Krankenhaus war mein Vater als Arzt tätig, und unsere Familie hat auch dort gewohnt. Die Familie war zugereist, und es bestanden keine masurischen Wurzeln, aber eine emotionale Verbundenheit mit dieser nach Geschichte und Geographie so einzigartigen Landschaft habe ich bis heute bewahrt.
2.1 Familiärer Hintergrund
Die Familie väterlicherseits stammt aus dem hessischen Guxhagen. Der Großvater väterlicherseits, Adam Köbberling, hatte sich nach einem Bekehrungserlebnis der Baptistengemeinde angeschlossen. Dies war in seiner dörflichen Umgebung nicht tragbar, aber er stand dazu und mu...
Inhaltsverzeichnis
- Title Page
- Copyright
- Contents
- Über dieses Buch
- 1 Medizin und Wissenschaft
- 2 Biographisches, Teil 1 (Lötzen, Holzminden)
- 3 Humangenetik
- 4 Biographisches, Teil 2 (Göttingen)
- 5 Diabetes mellitus
- 6 Das Köbberling Syndrom
- 7 Diagnoseevaluierung
- 8 Lehrtätigkeit
- 9 Biographisches, Teil 3 (Wuppertal)
- 10 Schilddrüse
- 11 Arzneimittelbewertung
- 12 Deutsche (DGIM) und Europäische (EFIM) Gesellschaft für Innere Medizin
- 13 Evidenzbasierte Medizin
- 14 Fehlerkultur und Risikomanagement
- 15 Der Umgang mit der Paramedizin
- Anhang: „Der Wissenschaft verpflichtet“–Vortrag zur Eröffnung des 103.Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, April 1997
- Stichwortverzeichnis