Gelingendes Sterben
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Gelingendes Sterben

Zeitgenössische Theorien im interdisziplinären Dialog

  1. 359 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Gelingendes Sterben

Zeitgenössische Theorien im interdisziplinären Dialog

Über dieses Buch

Wie ist menschliches Sterben verfasst? Was können wir über den Tod wissen? Mit welchen besonderen Herausforderungen werden wir in unserem Streben nach einem gelingenden Leben durch den bald bevorstehenden Tod konfrontiert? Diese und ähnliche Fragen sind Gegenstand des interdisziplinär angelegten Bandes. Der Band nimmt sich damit einem – in der zeitgenössischen Ethik weitestgehend vernachlässigten – Aspekt des Gelingens menschlichen Lebens an.

Häufig gestellte Fragen

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III Das Gelingen der Sterbebegleitung in der Diskussion

Die Begleitung beim Sterben durch die Palliativmedizin

Bausewein Claudia
Die Aufgaben eines Arztes haben sich im Lauf der Jahrhunderte deutlich geändert. Im Mittelalter war Heilung kaum möglich, so dass die Linderung von Gebrechen zu den Hauptaufgaben eines Arztes gehörte und Trösten eine zentrale Rolle einnahm. Durch die Entwicklungen der Medizin herrscht heute überwiegend die Erwartung vor, dass doch immer eine Heilung möglich sein sollte. Lindern wird häufig nicht als ärztliche Aufgabe wahrgenommen und Trösten hat die Medizin an andere delegiert. Dame Cicely Saunders, die Begründerin der modernen Hospizbewegung und Palliativmedizin, hat 1967 mit der Eröffnung von St. Christopher’s Hospice im Süden von London, in der Medizin die alte Erkenntnis, dass auch Linderung von Leiden eine zentrale ärztliche Aufgabe ist, wieder aufgenommen, indem sie sich besonders der Verbesserung der Situation und Betreuung schwerkranker und sterbender Menschen angenommen hat. Die Hospizbewegung und Palliativmedizin haben, von England ausgehend, zu einer Verbesserung der Versorgung Sterbender weltweit geführt und sind auch in Deutschland mittlerweile fester Bestandteil des Gesundheitswesens (vgl. den Beitrag von Brandenburg/Baranzke/Kautz im vorliegenden Band). Mit ihrem Konzept des ‚Total pain‘, also des ganzheitlichen Erlebens von Schmerzen, macht Cicely Saunders deutlich, dass Schmerzen und Leiden nicht nur körperlich erlebt werden, sondern immer auch eine psychische, seelische und v. a. spirituelle Dimension haben (Saunders 1964). Bei schwerer Krankheit und besonders am Lebensende stellt sich für die Betroffenen häufig eine Reihe spiritueller und existentieller Fragen, die nicht unbedingt religiöse Fragen sein müssen, aber durchaus sein können. Dazu gehören Fragen wie z. B. ‚Warum bin ich krank geworden?‘ ‚Warum muss ich jetzt schon sterben?‘ ‚Was ist der Sinn meines Lebens?‘ ‚Wo ist Gott in allem?‘ ‚Warum lässt Gott das zu?‘ ‚Kann ich ja zu meinem Leben sagen?‘ Dazu gehören auch Fragen nach Schuld, Versöhnung oder den eigenen Lebenszielen. Manche dieser Fragen stellen sich nicht erst am Lebensende, sondern sind oft ausgesprochen oder nicht, bei vielen Menschen im Lauf des Lebens vorhanden. Auf viele dieser Fragen, besonders wenn sie am Lebensende gestellt werden, gibt es keine (einfachen) Antworten (Bausewein 2015). Trotzdem wollen diese Fragen gestellt werden. Wenn es eine Antwort geben kann, dann kann sie nur der Betroffene selbst finden. Die Begleiter können den Betroffenen aber darin unterstützen, für sich selbst Antworten zu finden. So wird das Sterben oft zu einem Brennpunkt für das Leben.

1 Begleitung Sterbender

Die Begleitung Sterbender ist einer der Kernbereiche der Hospiz- und Palliativversorgung. Sterbende Menschen wünschen sich oft jemand, der ein Stück ihres Weges mitgeht und sie begleitet. Für den Sterbenden ist dieser Weg vielleicht der wichtigste Abschnitt seines Lebens ‚auf einer ungewissen Reise in ein unbekanntes Land‘. Begleitung ist dabei als Prozess zu sehen, der oft auch schmerzhaft ist und dessen Richtung und Geschwindigkeit nicht vorhersehbar sind. Es entsteht eine Beziehung zwischen den Begleiteten, dem Patienten und auch dessen Angehörigen, und den Begleitenden, also den professionellen Betreuern, den Ärzten, Schwestern, Therapeuten und vielen anderen. Dieser Prozess ist in der Regel nicht einseitig, sondern von Geben und Nehmen geprägt. Das bedeutet, dass die professionellen Betreuer nicht nur geben, sondern auch sehr viel von den sterbenden Menschen geschenkt bekommen. Aufgabe der Begleitenden, also der Ärzte, Pflegenden, Seelsorger und Therapeuten ist es, einen geschützten Raum und eine Atmosphäre zu schaffen, um diese Prozesse zu ermöglichen. Dazu braucht es Ruhe, Offenheit und Zeit.

2 Die Betroffenen – der begleitete Mensch

Die moderne Medizin reduziert die Betroffenen häufig auf das Patient-Sein. Es ist aber wesentlich, den Menschen im Patienten zu erkennen, um ihn besser unterstützen zu können. Oder wie es einer der Begründer der modernen Medizin, Sir William Osler, formulierte, „es ist besser zu wissen, was für ein Mensch das ist, der eine Krankheit hat, als nur zu wissen, welche Krankheit er hat.“ (Klaschik and Nauck 1994) Dabei ist dieser betroffene Mensch Partner und Experte für seine Situation. Die Zeit der Krankheit, besonders auch im fortgeschrittenen Stadium, ist weniger von Aktivität und Mobilität als vielmehr von Zurückgezogenheit und inneren Prozessen geprägt. Es ist also mehr ein innerer als ein äußerer Weg. Der Kanadier Balfour Mount, einer der großen Palliativmediziner, beschrieb einmal, dass eine lebensbedrohliche Erkrankung ein Angriff auf die ganze Person sei, körperlich, psychisch, sozial und spirituell. Leiden ist also eine Erfahrung des ganzen Menschen und nicht nur von Körpern (Mount/Boston/Cohen 2007). Das Erleben von Leiden korreliert aber nicht unbedingt mit körperlichem Wohlbefinden. Lebensqualität ist nach Mount in einem Spannungsfeld zwischen Erfahrung von Leiden und seelischem Schmerz auf der einen und Erfahrung von Ganzheitlichkeit und Unversehrtheit auf der anderen Seite zu sehen. Verwundung führt dabei zu mehr Leiderfahrung und Heilung zu mehr Ganzheitlichkeit (Mount/Boston/Cohen 2007).
Schwerkranke und Sterbende erleben Leid und seelischen Schmerz durch das Gefühl der Trennung vom eigenen Selbst, aber auch von anderen und der erfahrbaren Welt. Ihnen fehlt ein tieferer Sinn ihrer Krankheit, ihres Lebens. In dieser Sinnkrise entsteht ein existentielles Vakuum und die Menschen können keinen Trost und Frieden finden. Sie sorgen sich um die Zukunft genauso wie um die Vergangenheit. In einer Zeit des zunehmenden Kontrollverlustes steigt das Bedürfnis, Kontrolle zu haben, über Alltäglichkeiten, die Erkrankung, über Therapien oder das ganze Leben (Mount/Boston/Cohen 2007).
Dementsprechend erleben Menschen nach Balfour Mount Integrität und Ganzheit durch ein Gefühl der Verbundenheit mit dem eigenen Selbst und mit anderen. Sie erleben und finden einen tieferen Sinn im Kontext von Leiden und können im Hier und Jetzt Frieden finden. Sie erleben mehr Offenheit für Möglichkeiten des Augenblicks und weniger das Bedürfnis nach Kontrolle. Sinnfindung ist ein Mittel auf dem Weg zu mehr Verbundenheit mit etwas Größerem. Sinn entfaltet sich v. a. im Kontext von Beziehungen. Offenheit und Heilung auf einer Ebene bewirken dabei Heilung in anderen Bereichen (Mount/Boston/Cohen 2007).
Häufig wird gefragt, ob gläubige Menschen leichter sterben als andere. Glauben ist keine Garantie für ein friedliches Sterben, kann aber eine wichtige Stütze sein. Manchmal werden sehr gläubige Menschen im Angesicht des Todes in tiefe Zweifel und Gottesferne gestürzt, andere finden eher zu einer noch tieferen Gottesbeziehung und schöpfen aus ihrem Glauben Kraft und Zuversicht. Aber auch Menschen, die nie kirchlich gebunden waren oder aus der Kirche ausgetreten sind, entdecken im Glauben eine ungeahnte Quelle. Häufig ist die behutsame Begleitung von ‚Seel-Sorgern‘ im Sinne von ‚Sorgenden um die Seele‘ gefragt, die nicht auf dem Sterbebett noch missionieren oder urteilen wollen, sondern die Ansprechpartner sind für den Menschen in seinem Suchen und in der Auseinandersetzung mit seiner Situation.

3 Die Professionellen – Die Begleitenden

Die Aufgabe des Begleiters oder Begleitenden ist es, die ‚zweite Stimme‘ zu spielen. Das bedeutet weder Richtung noch Ziel anzugeben, sondern sich an den Bedürfnissen des begleiteten Menschen zu orientieren. Die Begleitung sollte von einem respektvollen und achtsamen Umgang geprägt sein, in dem der begleitete Mensch in seiner Einzigartigkeit wahrgenommen wird, ohne sein Leben zu beurteilen oder zu werten. Die Rolle des Begleiters ist auch eine privilegierte Rolle, die es ermöglicht, ganz dicht an Menschen in einer sehr speziellen Situation zu sein. Sterbende begleiten bedeutet aber auch, mit dem eigenen Leben und Sterben konfrontiert zu werden. ‚Wie lebe ich mein Leben, damit ich am Ende zufrieden darauf zurückschauen kann?‘ ‚Welchen Stellenwert haben Sterben und Tod in meinem Leben?‘ ‚Wo bin ich selbst verortet, was trägt mich?‘
Medizin und Pflege sind stark geprägt von Handeln basierend auf erlernten Fertigkeiten und Techniken. Das gibt Professionellen Sicherheit in ihrem Tun, birgt aber auch die Gefahr eines blinden Aktionismus, der bei Sterbenden nicht immer angebracht ist. Um mit Sheila Cassidy, einer englischen Palliativmedizinerin, zu sprechen, ist die Zeit des Sterbens mehr eine Zeit des Seins als des Tuns (Cassidy 1992). Sein bedeutet Dasein, Zuhören, authentisch, wahrhaftig und behutsam Sein. Sein bedeutet aber auch aushalten Können und eine gewisse Gelassenheit zu entwickeln, dass wir nicht alles bewirken können. Im Sein ist meine Rolle als Ärztin oder Krankenpfleger nicht mehr so wichtig, sondern vielmehr in meinem Mensch-Sein dem anderen Menschen in dieser schwierigen Lebenssituation zu begegnen, mehr hörend als sprechend. Cicely Saunders, die Begründerin der modernen Palliativmedizin, sagte einmal: „Zuhören hat einen therapeutischen Effekt auf viele Symptome. Dann gibt der Arzt dem Patienten das, was er am meisten braucht: die Gelegenheit zu reden, worüber und wann der Patient möchte.“ (Saunders 2006) Aushalten bedeutet auch, beim Sterbenden dabeibleiben, nicht weglaufen, auch nicht von einer schwer auszuhaltenden Situation.

4 Spirituelle Bedürfnisse Schwerkranker und Sterbender

Der schottische Palliativmediziner Scott Murray beschreibt als Zeichen spirituellen Wohlbefindens: inneren Frieden und Harmonie; Hoffnung und Ziele zu haben; Teilnahme am sozialen Leben und Platz in der Gemeinschaft; das Gefühl, einzigartig und individuell zu sein; sich wertgeschätzt zu fühlen; die Situation bewältigen und Emotionen teilen zu können; die Fähigkeit, wahrhaftig und ehrlich kommunizieren zu können; den eigenen Glauben und Religion ausüben zu können; und Sinn zu finden. (Murray et al. 2004) Im Gegensatz dazu sind Zeichen unerfüllter spiritueller Bedürfnisse Frustration, Angst, Zweifel und Verzweiflung; das Leben nicht lebenswert finden; sich isoliert, nicht unterstützt und wertlos zu fühlen; Mangel an Vertrauen; Beziehungsprobleme und ein Gefühl des Kontrollverlusts. (Murray et al. 2004) Diese spirituelle Belastung kann sich auf vielfältige Weise manifestieren. Schmerzen und andere körperliche Symptome sind schwer zu kontrollieren; der Betroffene erlebt Wut, Angst und Depressionen angesichts seiner Situation und verliert seinen Glauben; es entstehen Wünsche nach weiteren Therapien, obwohl deren Benefit mehr als zweifelhaft ist. Genauso kann aber auch der Wunsch nach einer vorzeitigen Beendigung des Lebens entstehen, sei es durch einen Wunsch nach Tötung auf Verlangen oder auch nach assistiertem Suizid. Andererseits kann aber auch eine ausgeprägte Angst vor dem Sterben entstehen.
Psychologische und spirituelle Belastung sind dabei unabhängig von physischer und sozialer Belastung und hinken diesen sogar hinterher. Existentielle Belastungssituationen treten besonders um die Diagnose einer lebensbedrohlichen Erkrankung, am Ende einer krankheitsorientierten Therapie, beim Fortschreiten einer Erkrankung und in der Sterbephase auf (Murray et al. 2004).
Um diesen vielfältigen Bedürfnissen von Schwerkranken und Sterbenden und ihren Angehörigen adäquat zu begegnen, braucht es die Zusammenarbeit in einem multi-professionellen Team, das nicht nur dafür sorgt, dass die körperlichen Beschwerden der Betroffenen durch gute Symptomkontrolle so gering wie möglich sind, sondern das den Menschen in seiner Ganzheit mit seiner psychischen Verfassung genauso wie den sozialen Problemen und spirituel...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Editorial: Fragen nach dem Gelingen des Sterbens
  5. I Philosophische Ansätze zu einem nicht-reduktionistischen Verständnis menschlichen Sterbens
  6. II Das Gelingen des Sterbens in der Diskussion
  7. III Das Gelingen der Sterbebegleitung in der Diskussion
  8. IV Die Gutheit rechtlicher Regelungen von Suizidassistenz und Sterbehilfe in der Diskussion
  9. Verzeichnis der Autor_innen
  10. Personenregister
  11. Sachregister