So ist die Wahl der ordnungspolitischen Möglichkeiten, zwar nicht ergebnisoffen, der Wirtschaftsprozess selbst aber prinzipiell zukunftsoffen. Zugleich ist „alle konkrete Wirtschaft dynamisch“ (GN 180). Die damit angesprochene wirtschaftliche Entwicklung, deren dynamischer Charakter dem Problem der Lenkung des Wirtschaftsprozesses entspricht, der gleichfalls dynamischer Natur ist (GWP 5), eröffnet Raum für konjunkturelle Verschiebungen und Investitionsschwankungen (GN 181). Diese stellen die Frage nach der Investitionslenkung als eines Aspekts alltäglicher Wirtschaftslenkung (GWP 156).90 Generell gilt, dass konjunkturpolitische Maßnahmen auf die ordnungspolitische Gesamtentscheidung abgestimmt sein müssen (WV 92). Auch im Hinblick auf diese lässt sich das Verhältnis von Rechtsordnung und Wirtschaftsordnung andeutungsweise veranschaulichen.
aa) Das Datum der rechtlich-sozialen Organisation
Hier ist nämlich das noch weiter unten zu besprechende Datum der rechtlichsozialen Organisation (GN 157) im geschichtlichen Vergleich aufschlussreich: „Wenn das Deutsche Reich in den letzten vier Jahrzehnten vor dem Kriege 1914/18 ein bestimmtes Eigentumsrecht, Schuldrecht, Gewerbe- und Gesellschaftsrecht hatte, wenn es sich fest an die Goldwährung hielt und einem bestimmten Handelsvertragssystem zugehörte, so schuf der Staat hiermit bestimmte Spielregeln, von deren Gestalt der Investitionsprozeß ebenfalls entscheidend mitbedingt war“ (GN 182).
(1) Rechtsregeln und Spielregeln
Bereits die mannigfachen rechtlichen Bezugnahmen dieses Satzes veranschaulichen, welche Bedeutung innerhalb der Interdependenz der Ordnungen gerade das Verhältnis von Rechtsordnung und Wirtschaftsordnung für Eucken hatte. In diesem wirtschaftshistorischen Abriss scheint aber vor allem der für Eucken zentrale Begriff der Spielregeln auf, zu denen eben auch die von der Rechtsordnung aufgestellten Regelungen gehören, die einen bestimmten Ordnungsrahmen setzen und nicht beliebig abänderbar sind, damit es nicht zu unkontrollierten Eingriffen in den Wirtschaftsprozess kommt (GN 240):91 „Es besteht (sc.: neben Recht der Freizügigkeit und des freien Arbeitsvertrages) Konsumfreiheit. Aber es besteht nicht die Freiheit, die Spielregeln oder die Formen, in denen sich der Wirtschaftsprozeß abwickelt, die Marktformen und Geldsysteme, nach Willkür zu gestalten. Gerade hier hat die Ordnungspolitik ihr Feld“ (GWP 246). Zugleich wird deutlich, dass dieser Rahmen Raum für Investitionen ließ und sie sogar nahelegte, weil und sofern gerade durch bestimmte schuld- und sachenrechtliche sowie wettbewerbs- und unternehmensrechtliche Instrumente ein Ordnungsrahmen gesteckt wurde,92 innerhalb dessen sich gewinnbringend wirtschaften ließ, ohne die schutzwürdigen Belange Anderer zu gefährden.93 So kann eine umsichtige Geldpolitik zu einer sinnvollen Investitionssteuerung verhelfen (IW 95).94
(2) Währungsstabilität, Geldwertstabilität und Wettbewerbsordnung
Allerdings sollte man in dem soeben wiedergegebenen Zitat einen konstituierenden Faktor für eine wirksame Wettbewerbsordnung nicht unterschätzen und daher bereits an dieser Stelle ansprechen, nämlich die Währungspolitik:95 „Die Grundvoraussetzung für das Funktionieren einer Wettbewerbswirtschaft ist das Vorhandensein einer brauchbaren Währung. (...) Die Steuerung des wirtschaftlichen Lebens über Wettbewerbspreise, ob nun innerhalb einzelner Staaten oder auf internationaler Ebene, ist allein auf Grundlage eines freien Austausches und einer nahezu stabilen Währung möglich“ (WW 81). Die Währungspolitik ist für Eucken von erstrangiger Bedeutung, weil sie die Stabilität der Wettbewerbsordnung gewährleistet (GWP 255).
Denn ohne eine angemessene Lösung der Währungsfrage hört die Verkehrswirtschaft auf zu entstehen, und es bildet sich eine Planwirtschaft (WW 55). Eine angemessene Währungsverfassung garantiert zunächst einmal Geldwertstabilität (GWP 257). Die Stabilität der Währungspolitik ist Bedingung einer funktionsfähigen Wettbewerbsordnung, gerade auch mit ihren möglichen Auswirkungen auf die internationale Ordnung (NW 84). Man sieht an dieser Auflistung, die vom Datum der rechtlich-sozialen Organisation ausgeht und zu scheinbar heterogenen Gesichtspunkten findet, dass in Euckens ökonomischem Denken kaum etwas isoliert betrachtet werden kann, alles entsprechend der Interdependenz der Ordnungen miteinander zusammenhängt und vor allem durch das Erfordernis der Wettbewerbsordnung miteinander verklammert ist.
(3) Rechtlich-soziale Organisation und Interdependenz der Ordnungen
In seinen Kapitaltheoretischen Untersuchungen hat Eucken die Aufgabe der theoretischen Nationalökonomie im Hinblick auf die Wirtschaftsordnung und das Datum der rechtlichen und sozialen Ordnung in aufschlussreicher Weise präzisiert: „Warum in einem Lande verkehrswirtschaftlich, kommunistisch oder sozialistisch gewirtschaftet wird, kann und will sie nicht ergründen. Wie die Agrar- und Gewerbegesetzgebung eines Staates zustandegekommen ist, welche Mächte sie gestaltet haben, ist nicht von der theoretischen Nationalökonomie zu untersuchen, sondern von anderen Wissenschaften, die andere Forschungsmethoden entfaltet haben. Kurz: In der staatlichen, rechtlichen, sozialen Ordnung und in den Sitten eines Volkes sieht sie ein Datum“ (KU 65). Eucken nennt es in seiner Aufzählung ‚das sechste‘. Von diesem Datum der rechtlich-sozialen Organisation wird weiter unten noch die Rede sein. Für die Beziehung von Rechtsordnung und Wirtschaftsordnung ist es aber so bedeutsam, dass es hier zu Beginn bereits angesprochen werden muss, da es Rechts- und Wirtschaftspolitik gleichermaßen bestimmt.
Zugleich ist daran in rechtssoziologischer Hinsicht aufschlussreich, dass über die staatlichen, rechtlichen und sozialen Regeln hinaus auch die Sitten ein Datum der rechtlich-sozialen Organisation bilden. Zu den anderen Wissenschaften, die seines Erachtens das Zustandekommen der exemplarisch genannten Agrar- und Gewerbegesetzgebung untersuchen sollen, dürfte wohl die Rechtswissenschaft gehören. Doch sollte wohl auch diese, wie der ominöse Verweis auf die mitgestaltenden Mächte nahelegt, auch die Sozialwissenschaften zurate ziehen. Das wiederum passt zu Euckens Verständnis, dass zum Datum der rechtlich-sozialen Organisation eben nicht nur rechtliche Besonderheiten gehören, sondern eben auch sozial- und gesellschaftswissenschaftliche. Insofern spiegelt sich auch darin die Interdependenz der Ordnungen, zu denen neben der Rechtsordnung und der Wirtschaftsordnung auch die Gesellschaftsordnung gehört (GWP 103).
bb) Gesetze als wirtschaftspolitische Akte
Beispielhaft für das Verhältnis von Rechtspolitik und Wirtschaftspolitik zueinander nennt Eucken die Entwicklung der GmbH, bei der freilich anfangs nicht klar war und von Eucken bis zuletzt in Frage gestellt wurde, ob sie die Gläubigerschutzinteressen hinreichend wahren würde:96 „Das gilt bis in viele Einzelheiten hinein. Hätte Deutschland z. B. 1892 nicht die Gesellschaftsform der G.m.b.H eingeführt, die eine Beschränkung der Haftung ohne Offenlegung der Bilanz ermöglichte, so wäre zweifellos die Zahl der Investitionen nicht so groß und damit das Tempo der deutschen Aufschwungsbewegungen nicht so lebhaft geworden, wie es tatsächlich war“ (GN 182).97
(1) Gesellschaftsrecht und Investitionslenkung
Hier hat die Rechtsordnung also auch nach seiner Sicht die Wirtschaftsordnung beeinflusst und befördert, so dass man bereits am Beispiel dieser Gesellschaftsform von einer Wechselbezüglichkeit im Sinne der Interdependenz sprechen kann, zumal da sich im Falle einer solchen Beeinflussung über...