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âProst Mahlzeit!â â Umgangsformen in der Praxis und auĂerhalb
ââŠManche Leute glauben, gröĂere Eigenschaften berechtigten sie, die kleinen gesellschaftlichen Schicklichkeiten, die Regeln des Anstands, der Höflichkeit oder der Vorsicht zu vernachlĂ€ssigen â das ist nicht gut getanâŠâ
Adolph Freiherr Knigge, Auszug aus âĂber den Umgang mit Menschenâ, I, Einleitung, 1.
Wenn sich Menschen begegnen, bilden sie sich in Bruchteilen von Sekunden ein erstes Urteil ĂŒbereinander, das ĂŒber Sympathie und Antipathie entscheidet. Es ist nicht möglich, diesen natĂŒrlichen Vorgang zu verhindern, wohl aber positiv zu beeinflussen â zum Beispiel durch ein freundliches LĂ€cheln, oder einen Blick in die Augen. Beim GrĂŒĂen in der Praxis und privat entscheiden die kleinen, aufmerksamen Gesten, ob sich Ihr GegenĂŒber willkommen oder abgelehnt fĂŒhlt.
Wer grĂŒĂt nun wen zuerst?
Im Businessumfeld, und dazu gehört auch die Praxis, gilt die Regel: Die rangniedere Person grĂŒĂt die ranghöhere Person. Angestellte grĂŒĂt Chef, Lehrling die ausgelernte Kollegin. Der Patient wird als ranghöher eingestuft, unabhĂ€ngig von seinem Alter, Geschlecht oder Rang in der Gesellschaft. Die ihm dadurch erwiesene Hochachtung ist ein Einstieg in eine vertrauensvolle und von gegenseitiger WertschĂ€tzung geprĂ€gte Beziehung.
StöĂt ein Gleichrangiger zu einer Gruppe hinzu, oder betritt einen Raum, grĂŒĂt er die bereits Anwesenden und bittet sozusagen um Aufnahme. Dies gilt auch fĂŒr das Betreten eines Aufzuges. Eine Kollegin, die den Pausenraum betritt, in dem sich das restliche Team bereits befindet, grĂŒĂt die Anwesenden zuerst. Beinahe ĂŒberflĂŒssig zu erwĂ€hnen, dass jeder GruĂ, der mit einem LĂ€cheln einhergeht, zu einem herzlichen Beziehungsmanagement beitrĂ€gt. NatĂŒrlich dĂŒrfen auch ranghöhere Personen wie z.B. Chef oder Chefin zuerst grĂŒĂen. Allgemein gilt die Knigge-Regel: Wer zuerst sieht, grĂŒĂt zuerst, unabhĂ€ngig vom eigenen Rang.
PRAXISKNIGGE KONKRET
Im Praxisknigge spielt GrĂŒĂen eine wichtige Rolle, da sich ein Patient schon beim Eintreten in die Praxis wohlfĂŒhlen soll. Die persönliche Begegnung sollte daher immer von einem freundlichen GruĂ, LĂ€cheln und Blickkontakt begleitet sein â dies gilt ausnahmslos auch dann, wenn gerade ein âGewitterâ in der Praxis fĂŒr Ărger gesorgt hat, der Chef ungehalten ist, oder die Kollegin wieder einmal nur die HĂ€lfte ihrer Aufgaben erledigt hat. Der Patient kriegt von all dem nichts mit.
Auch wenn Sie durch die Praxis laufen und an Patienten vorbeikommen, ist es selbstverstĂ€ndlich, zu grĂŒĂen. Ob mit oder ohne Namensnennung spielt dabei keine Rolle. Wer einen Patienten aus dem Wartezimmer abholt, grĂŒĂt zuerst alle Wartenden, um dann den nĂ€chsten Patienten namentlich aufzurufen. Begegnen Sie Patienten im privaten Umfeld, grĂŒĂen Sie ebenfalls zuerst. Trifft eine MitarbeiterIn ihren Chef oder dessen Partner, grĂŒĂt die MitarbeiterIn zuerst. Doch auch hier gilt: Wer den anderen zuerst sieht, grĂŒĂt diesen auch zuerst. Hierbei vergibt sich niemand etwas.
Der Praxisknigge fordert auch, das GrĂŒĂen im Team zu ritualisieren. So ist es kein guter Start in einen gemeinsamen Arbeitstag, wenn KollegInnen bei Dienstbeginn achtlos aneinander vorbeihasten, ohne GruĂ und ohne einen kleinen freundlichen Smalltalk. GrĂŒĂen ist also mehr als die bloĂe Kenntnisnahme anderer â GrĂŒĂen ist ein wichtiger Teil jeglicher Beziehungspflege.
Handschlag â ja oder nein?
In unserem Kulturkreis hĂ€lt sich der Handschlag als BegrĂŒĂungsritual, wĂ€hrend in anderen Kulturen per Wangen- oder gar Mundkuss, und sogar ganz ohne BerĂŒhrung, lediglich durch Verneigung, gegrĂŒĂt wird. Ob in einer Arzt- oder Zahnarztpraxis die BegrĂŒĂung mittels Handschlag erfolgt, mag jeder selbst entscheiden. Kommt jedoch der Patient mit ausgestreckter GruĂhand auf Sie zu, gehört es sich, diesen Handschlag zu erwidern. Ausnahme: Sie tragen Behandlungshandschuhe. Dann heben Sie beide HĂ€nde entschuldigend hoch, begrĂŒĂen den Patienten mit ein paar verbindlichen Worten und entschuldigen sich, dass Sie den Handschlag nicht erwidern können. Im Hinblick auf die Reihenfolge gilt auch hier: Der Ranghöhere gibt den Impuls zum Handschlag.
PRAXISKNIGGE KONKRET
Wie begrĂŒĂen Sie einen eintretenden Patienten? Reicht ein lockeres Hallo oder wird ein förmlicher GruĂ erwartet? Legen Sie als Knigge-Praxis verbindlich fest, ob Sie lieber einen lockeren oder einen förmlichen Umgangston pflegen wollen, auch ob Sie regionale GruĂformeln wie âServus, GrĂŒĂ Gott, Moin moinâ akzeptieren. Jede MitarbeiterIn muss wissen, welche GruĂformel verwendet werden soll.
In der Praxis ist es selbstverstĂ€ndlich, dass jeder, der einen Raum betritt, in dem bereits ein Patient sitzt, diesen grĂŒĂt. Betreten Sie den Raum nur kurz, etwa um etwas zu holen, ist keine persönliche Vorstellung nötig, der kurze, freundliche GruĂ ist ausreichend.
Behandler begrĂŒĂen Patienten hĂ€ufig per Handschlag, was von einer MitarbeiterIn jedoch nicht verlangt wird.
âDarf ich vorstellenâŠâ
Wenn Sie Menschen miteinander bekannt machen wollen, gibt es auch eine Reihenfolge zu beachten. MĂŒssen Sie Personen unterschiedlicher Ranghöhe miteinander bekannt machen, so informieren Sie erst den Höherrangigen: âDr. Meier, das ist meine Mutter Sabine MĂŒller. Mutter, das ist mein Chef Dr. Meier, der beste Chef den es gibt.â Damit es bei Vorstellungszeremonien nicht zu verkrampften Situationen kommt, ist ein bisschen Smalltalk angebracht, so wie im Beispiel oben. Aus der Mode gekommen ist hingegen die Erwiderung âAngenehmâ, nachdem man sich gegenseitig vorgestellt hat.
PRAXISKNIGGE KONKRET
In der Knigge-Praxis gehört es zum Standard, sich mit Vor- und Nachnamen, niemals jedoch mit âIch bin Frau Maierâ, âIch bin Herr Schmidtâ, vorzustellen. Es bedarf einer gewissen Gewöhnung, die veraltete Vorstellung âIch bin FrauâŠâ, âIch bin HerrâŠâ abzulegen, das berichten mir TeilnehmerInnen aller Altersklassen in meinen Seminaren. Aber wenn es dann einmal zur Gewohnheit geworden ist, kommt es ganz leicht und ganz selbstverstĂ€ndlich ĂŒber die Lippen und wird von Patienten ĂŒberaus geschĂ€tzt. Die Nennung des Vornamens ist ein Zeichen von Offenheit und damit ein Vertrauensbeweis fĂŒr den anderen.
Stellen Sie einen Patienten und eine Kollegin einander vor, wird zuerst die Kollegin dem Patienten vorgestellt: âHerr Patient, das ist Vera Schmidt, die Leiterin unserer Prophylaxeabteilung. Sie wird Sie nun wie vereinbart mit unserem Prophylaxekonzept vertraut machen. Vera, das ist Herr Patient, der sich fĂŒr ein fĂŒr ihn passendes Prophylaxeprogramm interessiert. Ich habe dir bereits von ihm berichtet.â
Im beruflichen Kontext macht es durchaus Sinn, Titel und Funktion im Unternehmen bei der Vorstellung mit zu erwÀhnen.
Telefonisch stellen Sie sich immer in der Ich-Form vor. Nicht: âSie sprechen mit Veronika Weberâ, sondern: âIch bin Veronika Weber.â Eine praxisknigge-geschulte Mitarbeiterin wird sich selbst niemals als âFrau Weberâ vorstellen, das gilt inzwischen national und international als provinziell.
Die Rezeptionskraft stellt sich dem neuen Patienten beim Erstbesuch persönlich mit Vor- und Nachnamen vor, die Kollegin aus der Assistenz bzw. aus der Prophylaxe ebenfalls. Der Praxisinhaber/die Praxisinhaberin stellen sich ebenfalls persönlich vor, allerdings hier ausnahmsweise mit Nennung des akademischen Titels. Das ist fĂŒr die Orientierung des Patienten wichtig.
NÀhe und Distanz im tÀglichen Miteinander
Gerade in BegrĂŒĂungssituationen gibt es noch einen wichtigen Punkt, der beachtet werden sollte: die Wahrung unterschiedlicher Distanzzonen. NĂ€her als einen halben Meter um einen Menschen herum sollte man Fremden niemals kommen. Wird diese als âIntimdistanzâ bezeichnete Zone verletzt, reagiert unser GegenĂŒber in aller Regel mit RĂŒckzug und versperrt uns den weiteren Zugang zu sich. Ein entspanntes Kennenlernen ist so kaum mehr möglich.
PRAXISKNIGGE KONKRET
Beim BegrĂŒĂen eines Patienten ist der ausgestreckte Arm die Messlatte der Distanz zwischen Ihnen beiden. Liegt oder sitzt der Patient auf dem Behandlungsstuhl, mĂŒssen Sie diese Distanz meist unterschreiten, um den Umhang umzuhĂ€ngen, zu assistieren, im Munde des Patienten zu arbeiten. Diese BerĂŒhrungen und diese NĂ€he sind berufsbedingt und werden natĂŒrlich akzeptiert. Dennoch sollten Sie darauf verzichten, Instrumente auf der Brust eines Patienten abzulegen, wie es leider immer noch einige Behandler völlig ungerĂŒhrt tun. In der Knigge-Praxis kĂŒndigt man zudem an, wenn die ĂŒbliche Distanzzone verletzt wird: âFrau Patientin, ich lege Ihnen nun den Umhang umâ bzw. âHerr Patient, ich verĂ€ndere jetzt Ihre Behandlungsposition, bitte nicht erschreckenâ.
Viel zu hĂ€ufig wird der Stuhl ohne jegliche Vorwarnung bewegt, was zu einiger Irritation beim Patienten fĂŒhren kann.
Titel und persönliche Anrede
Jeder Mensch trĂ€gt einen Namen und hört diesen auch gerne. Wer also seine WertschĂ€tzung zeigen will, merkt sich den Namen seines GegenĂŒbers und spricht ihn mit diesem an. Sind Sie vergesslich, hilft ein Blick auf die Visitenkarte bzw. auf die Karteikarte oder den Bildschirm. Doch auch Nachfragen ist keine Schande, sollte nur in der richtigen Form geschehen. âWie war doch gleich noch mal Ihr Name?â, wurde ich kĂŒrzlich wieder einmal am Telefon gefragt. Da ich diese unprofessionelle Nachfrage ĂŒberhaupt nicht schĂ€tze, nehme ich meinen GesprĂ€chspartner dabei gerne ein wenig auf den Arm. âVor meiner Heirat hieĂ ich Wagnerâ, antworte ich dann hĂ€ufig oder âWieso war, ich lebe doch nochâ. Die korrekte Nachfrage könnte z. B. lauten: âIch muss Sie noch mal um Ihren Namen bitten, er ist mir entfallen (ich habe ihn vergessen).â Oder: âMir fĂ€llt Ihr Name einfach nicht mehr ein, helfen Sie mir bitte.â Wer sich Namen generell schlecht merken kann, sollte sich Namen in Bildern merken oder andere geeignete Methoden zum GedĂ€chtnistraining anwenden. Die Anrede mit Namen schafft NĂ€he. Profis wissen und nutzen das.
Akademische Titel gehören zum Namen dazu und sind bei der Anrede zu beachten. TrĂ€gt jemand mehrere Titel, so wird nur der höchste genannt. Aus âProf. Dr. Dr. MĂŒllerâ wird schlicht âProfessor MĂŒllerâ. Einen Brief adressieren Sie im Ăbrigen an âHerrn Prof. Dr. Dr. MĂŒllerâ, die Anrede im Brief lautet âSehr geehrter Herr Professor MĂŒllerâ.
PRAXISKNIGGE KONKRET
Ein Arzt oder Zahnarzt stellt sich seinen Patienten mit Doktortitel vor. Der Patient darf den Arzt oder Zahnarzt dann auch âHerr Doktor, Frau Doktorâ nennen, dies ist in Patienten-Arzt-Beziehungen ĂŒblich. Die MitarbeiterIn eines Arztes nennt Ihren Chef jedoch nicht einfach âHerr Doktorâ, sondern fĂŒgt korrekt den Namen des Chefs hinzu.
AdelsprÀdikate
AdelsprÀdikate sind Bestandteil des Namens. Aus Herrn Karl Theodor zu Guttenberg,
Herrn von Dracula, Frau Baronin von Wetterstein wird keinesfalls Herr Guttenberg, Herr Dracula, Frau Wetterstein.
Wird ein adliger Patient aufgerufen, lautet die Anrede korrekt: âFreiherr von Roth, darf ich Sie bitten mitzukommenâ, âGraf Dracula, bitteâŠâ oder âFrau von WettersteinâŠâ.
Im Zweifelsfall fragen Sie den oder die Betreffende beim ersten Kontakt, wie die korrekte Anrede lautet. Auf keinen Fall lassen Sie das âvonâ einfach weg und rufen âFrau Wettersteinâ auf.
âDuâ und âSieâ im Praxisalltag
In den meisten Arzt- und Zahnarztpraxen ist das âDuâ im KollegInnenkreis verbreitet. Allerdings gibt es immer wieder Ausnahmen. So möchte manche MitarbeiterIn sich nicht mit ihren KollegInnen duzen. Auch wenn das zunĂ€chst im Team auf UnverstĂ€ndnis stoĂen mag, so wird man nicht umhinkommen, diesen Wunsch zu respektieren. Allerdings birgt das Verhalten der KollegIn möglicherweise die Gefahr in sich, dass sie sich selbst zur AuĂenseiterin stempelt.
Wahren Sie auch bei jĂŒngeren Kollegen und Kolleginnen und auch bei Auszubildenden beste Umgangsformen. Duzen Sie keinesfalls jemanden nur aufgrund der Tatsache, dass diese Person jĂŒnger ist als Sie, auĂer die junge Frau oder der junge Mann bietet es Ihnen explizit an. Auch junge Menschen haben Anspruch auf WertschĂ€tzung und Respekt. Wollen Sie Ihre Auszubildende duzen, fragen Sie nach, ob ihr das angenehm ist. So merken auch jĂŒngere Kollegen sehr schnell, dass die Praxis beste Umgangsformen...