Konversation und Geselligkeit
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Konversation und Geselligkeit

Praxis französischer Salonkultur im Spannungsfeld von Idealität und Realität

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Konversation und Geselligkeit

Praxis französischer Salonkultur im Spannungsfeld von Idealität und Realität

Über dieses Buch

Bis heute hält die Forschung an der negativen Perspektivierung höfischer Moralistik fest, an einer pessimistischen Anthropologie im Zeichen des amour-propre. Mit ihrer literaturwissenschaftlichen Untersuchung zur Konversation und Geselligkeit im französischen Salon zeigt Karin Schulz eine optimistische Lesart, welche die sozial-reflexive Produktivität moralistischen Denkens stärkt.

Auf der methodischen Grundlage der Erfahrungsdifferenz von Idealität und Realität hinterfragt sie das Selbstverständnis idealer Verhaltensnormen und zeichnet für den französischen Salon, ausgehend vom 17. Jahrhundert, eine Geschichte der konversationellen Programmatik mit Ausblick auf die Lehren kommunikativer Gegenwart.

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1.Einleitung


„Comme la Conversation est le lien de la societé de tous les hommes, le plus grand plaisir des honnestes gens, & le moyen le plus ordinaire d’introduire, non seulement la politesse dans le monde, mais encore la morale la plus pure & l’amour de la gloire & de la vertu: il me paroît que la Compagnie ne peut s’entretenir plus agreablement, ny plus utilement, dit Cilenie, que d’examiner ce que c’est qu’on appelle Conversation.“ (Scudéry 1686, 1)
Es gibt kein nützlicheres Unterfangen des menschlichen geselligen Beisammenseins als dessen zugrunde liegende Handlungspraxis zu beleuchten, so die Feststellung der Protagonistin Cilenie im Austausch mit einem dutzend anderer Interessierter. Sie sind sich einig: Die Konversation, „le lien de la societé“ (ebd.) garantiert das Zustandekommen sowie den Bestand menschlicher Geselligkeit – und zwar uneingeschränkt „de la societé de tous les hommes“ (ebd.). Die dabei geltenden Verhaltensregeln haben aufgrund ihrer Idealität einen vorbildhaften Charakter, der auf die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit positiv, das heißt tugendhaft anleitend ausstrahlt.1 Dies wiederum unterstreicht, ihrer Auffassung nach, die herausragende Bedeutung der Konversation für das menschliche Zusammenwirken und begründet die Auseinandersetzung mit der idealen Ausgestaltung und gesellschaftlichen Funktion.
Mademoiselle de Scudéry spiegelt und reflektiert in dem Kurztext De la conversation in beispielhafter Weise die gesellige Handlungspraxis ihrer Zeit.2 Sie skizziert einen wechselseitigen Austausch, bei dem die Teilnehmer ihre Erfahrungen kommunikativer Gesellschaftspraxis zusammentragen. Die Konversation wird dabei als eine selbstreferentielle Praxis eingeführt, die sich über einen ausgeprägten reflexiven Eigendiskurs begründet und definiert. Einvernehmliche Zielsetzung des geschilderten geselligen Austauschs ist es durch die Darlegung negativer, individueller Erlebnisse von Konversation den angeführten besonderen Wert der Handlungspraxis zu erläutern und herauszustellen. So fügt die Protagonistin Cilenie unter Zustimmung der anderen Beteiligten den oben angeführten, einleitenden Worten ergänzend hinzu:
„[I]l me semble qu’avant que de bien definir en quoy consiste principalement le charme & la beauté de la Conversation, il faudroit que toutes les Personnes, qui composent la Compagnie, se souvinssent des Conversations ennuyeuses qui les ont le plus importunées.“ (Ebd., 2)
Der gemeinschaftliche Konsens idealer Konversationspraxis begründet sich in einer aktiven kommunikativen Arbeit am diesbezüglichen Dissens: „Car en remarquant tout ce qui ennuye, on pourra mieux connoître ce qui divertit“ (ebd.).
Die Schilderungen der als negativ erfahrenen, kommunikativen Handlungsweisen zielen nicht nur auf eine allgemeine theoretische Formulierung und Herleitung idealer Verhaltensmaßstäbe, sondern der dabei angestoßene Prozess der Konsensfindung und die angestrebte Fundierung des Wissens über einen idealen geselligen Umgang spiegeln sich in der angepassten Interaktions- und Handlungsweise der Teilnehmer wider. Die von Mademoiselle de Scudéry geschilderte Konversation erweist sich als ein für alle Beteiligten gelungenes und belehrendes Erlebnis, als ein – wie von Cilenie benannt – gemeinschaftlich bindendes Vergnügen.
Die Wiedergabe der unterschiedlichen, individuellen Erfahrungen geschieht in einem inhaltlich fließenden Gespräch, bei dem die Teilnehmer ihre einzelnen Redebeiträge zueinander in Bezug setzen. Das jeweils Gesagte wird aufgegriffen und durch den Bericht eigener Erlebnisse ergänzt und fortgeführt.3 Es herrscht ein wechselseitiges Anregen und Belehren, niemand wird angegriffen oder abgewertet. Die ungezwungene Offenheit und Ehrlichkeit der Äußerungen4 bekundet ein gegenseitiges Vertrauen in Akzeptanz und Toleranz des gemeinschaftlichen Umgangs. Nicht der Einzelne, sondern die Sache selbst – die Konversation, der einvernehmliche Austausch und dessen kontinuierlicher Vorantrieb – stehen im Mittelpunkt eines kollektiven Handlungsinteresses. So kumulieren die inhaltlichen Einzelbeiträge zur Unangemessenheit kommunikativer Interaktion in einem gemeinschaftlichen Versuch, die eingangs gestellte Frage nach der Besonderheit der Konversation abschließend zu beantworten. „[D]equoy fautil que la Conversation soit formee, pour estre belle & raisonnable? Il faut que ce soit de tout ce que nous avons repris, repliqua agreablement Valerie, en soûriant.“ (ebd., 16). Die Teilnehmer erheben die von ihnen praktizierte kommunikative Umgangsweise in Abgrenzung von den individuell erfahrenen und gemeinschaftlich diskutierten, negativen Verhaltensweisen zu einer allgemeinen Bemessungsgrundlage idealer Konversation. Die Selbstreferentialität der Konversation findet ihren beispielhaften Höhepunkt in einem gemeinschaftlichen Handlungskonsens.
Die Praxis französischer Geselligkeits- und Konversationskultur des 17. Jahrhunderts begründet sich im Spannungsverhältnis von Idealität und Realität. Eine normorientierte und normsetzende, kommunikative Verhaltenspraxis ist keine Selbstverständlichkeit, sondern unterliegt einem aktiven Reflexionsprozess der alltäglich erfahrenen Differenzen.
Die einschlägigen Forschungsarbeiten zur französischen Konversationskultur lassen dies bisher außer Acht.5 In einer analytisch einseitigen, wenn auch berechtigten Tendenz wird die Entwicklung und Bedeutung der französischen Konversation ausgehend von ihrer als ideal gezeichneten, zum Teil überzeichneten Vergangenheit geschildert.6 An dieser Stelle soll ein neuer Zugang zum Idealitätsverständnis der kulturellen und gesellschaftlichen Praxis von Konversation geschaffen werden, der das normative Verhalten nicht mehr als gegeben voraussetzt oder nachzeichnet, sondern als Ergebnis eines handlungsgebundenen Entwicklungsprozesses begreift und aufarbeitet. Die Idealität des kommunikativen Umgangs ist, so die grundlegende These, an die negative Verhaltensrealität des Alltags rückgebunden und durch diese divergent angeleitet.
Vor diesem Hintergrund verzichte ich auf eine erneute Ausführung und Zusammenstellung der in ihrer zeitlichen Entwicklung heterogenen Ausprägungsformen geselliger Verhaltensideale.7
Im Mittelpunkt meiner Arbeit steht die Analyse der Konversationspraxis in den französischen Salons, die als Erfolgsorte der einleitend beschriebenen kommunikativen Umgangsweise gelten.8 Das konsensbasierte Zusammenwirken einer zwanglosen und freien Interaktion, wie es Mademoiselle de Scudéry beispielhaft skizziert, bildet die formale Handlungsgrundlage von Salongeselligkeit: Unter Anleitung und Aufsicht einer Salonnière9 pflegten die Gäste in ihren regelmäßigen Zusammenkünften einen wechselseitigen, ausschließlich dem Zweck der Konversation dienenden Austausch.10 In einer Vielzahl von Studien ist der französische Salon untersucht11 und dabei, ausgehend vom Ideal der dort geführten kommunikativen Interaktionen, vor allem die besondere soziokulturelle Bedeutung dieser Geselligkeitsform herausgearbeitet worden.12 Die ideale, gemeinschaftliche Handlungspraxis birgt ein analytisches Potential zur Erklärung gesellschaftlicher und kultureller Wandlungs- und Entwicklungsprozesse, das erkannt, jedoch nur unzureichend hinterfragt worden ist. Wie die Forschung zur allgemeinen Konversationskultur vermeiden auch die Arbeiten zur Salonkultur die kritische Frage nach den Entstehungsfaktoren und Bedingungen einer gemeinschaftlichen Handlungsnorm.
Die analytische Zurückhaltung begründet sich vor allem durch eine allgemein schwierige Quellenlage. Der Salon kennzeichnet sich als ein Raum ohne festgeschriebene Ordnungssätze oder dokumentierte Konversationsprotokolle.13 Die Idealität der geselligen Umgangsweise als Ergebnis eines mündlichen Handlungsprozesses erschwert eine zeitlich nachgeordnete, analytische Erfassung. Dies untermauert jedoch zugleich die aufklärende Notwendigkeit der vorliegenden These. Die Analyse der Konversationspraxis kann nur über eine fragende Annäherung an das Idealitätsverständnis des geselligen Umgangs der jeweiligen Zeit gelingen.
Ein Zugang zur Praxis der französischen Salonkonversation, der es erlaubt den Prozess der kritischen Auseinandersetzung mit der Handlungsrealität aufzuarbeiten, eröffnet sich durch die Texte der französischen Moralisten. In Rückgriff auf die Tradition antiker Moralphilosophen gründet ihr literarisches Werk auf eine skeptisch angeleitete Neugierde bezüglich des Charakters und Handelns des Menschen.14 Ihre ideengeschichtlich geformten Theorien und anthropologischen Verständnisse15 geben sich im Kontext des Handlungsfelds des Salons in ihrer unmittelbaren gesellschaftlichen Rückbindung zu erkennen.16 Der Salon gilt als maßgeblicher sozialer Interaktionsraum, den die Autoren für ihre anthropologischen Erkenntnisse nutzen. Ihre Texte gehen nicht nur aus einer gemeinschaftlichen Praxis hervor, sondern wirken wiederum handlungsanleitend auf diese zurück:17 Als Ausdruck und Produkt geselliger Konversation spiegeln sie das kommunikative Handlungsverständnis der Zeit.18
Unter der Prämisse der Aufarbeitung des reflexiven Eigendiskurses der Konversation stärkt die vorliegende Arbeit eine soziale Lesart moralistischer Texte19 und ermöglicht einen neuen Zugang zur Handlungsdiagnostik, der die innere Eigendynamik des Phänomens in den Vordergrund rückt.20 Den äußeren soziokulturellen Rahmenbedingungen, die bisher die Erklärung der Verhaltenspraxis im Salon dominiert haben,21 wird ein nachgeordneter, betont sekundärer Stellenwert eingeräumt.22 Der Fokus der Arbeit liegt auf einer textnahen Detailanalyse, die einen kritischen Blick auf den sich in der moralistischen Literatur wiederspiegelnden, zeitlich wandelnden Diskurs des Konversationsideals eröffnet.
Die literarischen Kurzformen, wie Essays, Maximen und Reflexionen, in denen die Moralisten ihre Erkenntnisse dokumentieren, sind Anschauungsbeispiel und belegendes Zeugnis des Prozesses negativ abgrenzender Verhaltensfindung mit dem Ziel idealer kommunikativer Praxis. Ausgehend von einem negativen anthropologischen Grundverständnis erklären die Moralisten des 17. Jahrhunderts die menschliche Verhaltensnorm als Kompromiss im Umgang mit der natürlichen Triebkraft des amour-propre,23 welche den Menschen unweigerlich zu einem egoistischen Handeln veranlasst.
Die Verhaltensnorm unterliegt im zwischenmenschlichen Umgang dem Kalkül der Eigenliebe und dem egoistischen Bestreben des Individuums nach sozialer Anerkennung. In besonderer Weise diagnostizieren die Moralisten dies für die Gesellschaft des französischen Hofs.24 Die Handlung der Konversation ist im höfischen Geschehen Vermittler sozialer Prestigewerte zur Befriedigung einseitiger Bedürfnisse des Einzelnen,25 wohingegen der Wert der Sache – die Konversation – nebensächlich und unbedeutend bleibt.
Der gesellschaftliche Raum, in dem dieses Handlungsverständnis eine bewusste Umkehrung erfährt, ist der städtische Salon im Paris des 17. Jahrhunderts.26 Hof und Salon stehen als soziale Handlungsräume in einer für die Konversationspraxis des 17. Jahrhunderts prägenden antagonistischen Wechselbeziehung der Abgrenzung, welche die Moralisten erkennen und für die Interaktion im Salon textuell zu funktionalisieren wissen.27
Das Erkennen und Verstehen des ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. 1. Einleitung
  7. 2. Konversationspraxis im 17. Jahrhundert. Herausforderung zwischen individuellem Pragmatismus und gemeinschaftlichem Idealismus
  8. 3. Eine Frage der Angemessenheit. Die Praxis der französischen Salonkultur im 17. Jahrhundert
  9. 4. Die Konversationspraxis der französischen Salonkultur im langen 18. Jahrhundert zwischen Wandel und Beständigkeit
  10. 5. Herausforderung der Innovation – Konversationspraxis der französischen Salonkultur im 19. Jahrhundert
  11. 6. Ein gedanklicher Ausblick. Virtuelle Geselligkeiten im Spiegel traditioneller, französischer Salonkultur
  12. 7. Schluss
  13. 8. Literaturverzeichnis