Artistic Research
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Artistic Research

Eine epistemologische Ästhetik

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Eine epistemologische Ästhetik

Über dieses Buch

»Artistic Research« ist in aller Munde – ein Modewort der Gegenwartsdebatte, das Vereinnahmungen ebenso provoziert wie Zurückweisungen. Doch was meinen wir, wenn wir von der Kunst als Forscherin sprechen? Kann Kunst als eine Einsichten generierende, reflexive Praxis angesehen werden, die sich in ästhetischen Artikulationen formuliert? Welche Einsicht über welche Welt könnte sie bereitstellen?

Eine umfassende epistemologische Ästhetik, die sich dem künstlerischen Forschen als Methode und Praxis annimmt, gibt es bisher nicht. In diesem Grundlagenwerk stellt sich Anke Haarmann den Fragen nach den originären Methoden, historischen Vorläufern, spezifischen Artikulationsformen und konkreten Handlungsweisen künstlerischen Forschens.

Häufig gestellte Fragen

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Information

Verzweigte Genealogie: Vorgeschichten ästhetischen Forschens

Zur Herkunft der Kunst als Forschung

Eine kontinuierliche Geschichte über das Aufkommen der Kunst als einer Einsichtspraxis zu erzählen, scheint unmöglich. Die forschende Kunst hat viele Eltern. Sie blickt auf eine verästelte Vorgeschichte zurück. Mindestens vier Herkunftslinien lassen sich identifizieren. Deren wechselvolle Überlagerungen bringen die Kunst als Einsichtspraxis im beginnenden 21. Jahrhundert hervor: Die Politisierung der Kunst und eine daraus erwachsende Befragung der Hierarchien und Autoritäten des Wissens spätestens seit den 1970er Jahren; die Konzeptualisierung der Kunst durch ihre ontologische Selbstbefragung seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts; die Akademisierung der Kunst unterstützt durch den hochschulpolitischen »Bologna-Prozess«, der kurz vor der Millenniumswende begann; sowie schließlich die zunehmende Ästhetisierung der Lebenswelt mit dem Aufkommen der medialen und visuellen Kultur der Gegenwart. Diese vier Entwicklungslinien entspringen unterschiedlichen Impulsen und Zeiten, verlaufen verschlungen oder parallel in verschiedenen Diskursen sowie Praxisfeldern und kulminieren zunehmend im Selbstverständnis von mancher Kunst als einer Praxis des kritischen oder konzeptuellen, ästhetischen oder institutionalisierten Forschens. Wenn wir diese Vorgeschichten rekonstruieren wollen, um die Herkunft der Kunst als Forscherin nachzuzeichnen und ihre Merkmale zu verstehen, so entfaltet sich dabei keine umfassende Kunstgeschichte, sondern eine verzweigte Genealogie. Der genealogischen Herkunftsanalyse geht es nicht um die Auflistung aller Positionen, die als prototypisch für die künstlerische Forschung interpretiert werden können. Das wäre eine monströse Aufgabe. Schon seit der Renaissance und den Ambitionen Leonardo da Vincis, die Malerei von einer manuellen Geschicklichkeit in den Rang einer Wissenschaft zu heben, muss davon ausgegangen werden, dass eine Fülle von künstlerischen Arbeiten reflexive Elemente enthielten oder sich Künstlerinnen und Künstler als Forschende begriffen. Die Überlegung ist jedoch nicht, dass eine kontinuierliche Akkumulation von künstlerischen Forschungsverfahren über die Jahrhunderte zu einer Konsolidierung der Kunst als Forscherin in der Gegenwart führt. Die Überlegung ist, dass unzusammenhängende, kunsthistorische, hochschulpolitische und kulturelle Entwicklungen seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entscheidend waren, um jener schon lange währenden, latenten Praxis des tätigen Forschens in der Kunst zu einer manifesten Dimension zu verhelfen. Eine Manifestation des ästhetischen Forschens, die sich als eine neue Wissenskultur durchsetzen wird.

Politisierung: Von der Anschauung zur Einmischung

Was ist politische Kunst

Eine der Herkunftslinien der künstlerischen Forschung führt auf das Terrain der politischen Kunst. Der Aufruhr bringt oftmals den Zweifel am herrschenden Wissen mit sich und im Zweifel am offiziellen Wissensfundus reichen sich dann das Politische und das Erkenntniskritische innerhalb der Kunst die Hände. Aber was ist überhaupt politische Kunst und wo fordert sie den Glauben an herrschende Wissenshorizonte heraus?
Das Politische in der Kunst hat den Anspruch, die Welt nicht nur ästhetisch zu deuten, sondern auch praktisch zu ändern. Wenn wir von dieser ersten Deutung des Politischen in der Kunst ausgehen, können wir uns klar machen, dass es bei dem Anspruch, die Verhältnisse ändern zu wollen, naheliegt, auch die Begründungslogik dieser Verhältnisse in den Blick zu nehmen. In den Worten der aktivistischen Künstlergruppe Group Material: »Unser Ziel ist klar. Wir laden jeden dazu ein, die gesamte Kultur, die wir für selbstverständlich genommen haben, in Frage zu stellen.«1 Mit diesem Willen zur Infragestellung forschen aktivistische Künstlerinnen und Künstler noch nicht. Aber sie beginnen zur Berechtigung ihres Tuns auch jener Wissenskultur kritische Aufmerksamkeit zu schenken, auf die sich die bestehenden Verhältnisse berufen. Eine misstrauische Form der Wissensanalyse wohnt tendenziell der künstlerischen Herrschaftskritik inne und so scheint es nur ein kleiner Schritt zu sein, vom veränderungswilligen Handeln zum forschenden Intervenieren – oder umgekehrt vom forschenden Intervenieren zum verändernden Handeln.
Gehen wir also dieser Fährte zum Verhältnis von kritischer Infragestellung und aktivistischer Kunst nach, um Vorläufer der Kunst als Forscherin im Feld der Kunst als Aktivistin ausfindig zu machen. Dadurch sind wir mit der Aufgabe konfrontiert, die eingangs vorgenommene, vorläufige Charakterisierung der politischen Kunst zu präzisieren. Denn wo suchen wir die politischen Vorläufer der künstlerischen Forschung? Wo fängt die politische Kunst an – historisch, praktisch und thematisch – und wo hört sie auf? Was sind die Kriterien ihrer Bestimmung? Diese Fragen erweisen sich als Herausforderung, denn mit ihnen ist eine andere, bisher ignorierte Frage verbunden: Existiert überhaupt eine politische Kunst und nicht vielmehr nur politisches Handeln auf dem Terrain des Künstlerischen? »But is it Art?« fragt daher die Kunsttheoretikerin Nina Felshin paradigmatisch im Titel ihres Buches, welches beansprucht, mithilfe verschiedener Spezialistinnen und Spezialisten aus dem Feld der Praxis und der Theorie den spezifischen »Geist der Kunst als Aktivismus« zu untersuchen.2 Hintergrund dieser Behauptung eines aktivistischen Geistes der Kunst ist die Beobachtung, dass der politischen Kunst ihr Status als Kunst ebenso regelmäßig abgesprochen wird, wie sie in Erscheinung tritt. Es scheint geradezu zum Spezifikum der politischen Kunst zu gehören, dass sie die Frage nach ihrer Existenz begleitet. Diese fortgesetzte Infragestellung des Kunstcharakters der Aktivistenkunst hat auch und wesentlich kulturpolitische Gründe und illustriert den Einsatz hegemonialer Diskurssysteme gegen die Vergabe von kultureller Aura an politische Eingriffe ins Bestehende. Philosophisch relevant für eine Bestimmung der politischen Kunst ist hier allerdings der Sachverhalt, dass im Grenzgebiet zwischen den künstlerischen Strategien einerseits und den politischen Taktiken andererseits tatsächlich die definitorischen Marksteine fehlen, die den Moment des Übergangs von reiner Kunst in reine Politik anzeigen, und zwar im Wesentlichen deswegen, weil dem Politischen gerade eine provokante Kunst der Grenzüberschreitung innewohnt und sich darüber hinaus das Politische und das Künstlerische in einer fundamentalen Gemeinsamkeit überlagern: beides sind Handlungen im Bestehenden. Die politische Kunst entdeckt das Handeln in Form von Aktionen, Happenings und Interventionen in den öffentlichen Raum oder in Performances. Dieses künstlerische Handeln überlagert sich mit dem Politischen, denn politische Praxis bestimmt sich ihrerseits durch gesellschaftliche Handlungen. Kunst und Politik handeln. Beide erschaffen mittels ihrer Handlungen eine kulturelle oder gesellschaftliche Realität. So liegt die Unschärfe des Phänomens der politischen Kunst in ihren beiden Qualitäten als Provokateurin einerseits und als Praktikerin andererseits. Darüber hinaus fehlt zur Bestimmung politischer Kunst – zumindest aus deutschsprachiger Sicht – »eine Geschichte von Aktivismus und Partizipation in der Kunst des 20. Jahrhunderts: eine andere Kunstgeschichte mit dem Fokus auf partizipatorischen Unternehmungen mit kritisch-emanzipatorischer Intention,« diagnostiziert Stella Rollig.3 Die Kunsthistorikerin benennt damit einen wissenschaftlichen Grund, warum das Phänomen der politischen Kunst bisher schwer greifbar geblieben ist – nicht notwendig für die, welche es praktizieren, wohl aber für den theoretischen Diskurs, der es zu erfassen und zu diskutieren beansprucht. In der Folge dieser Tendenz zur diskursiven Fragmentierung scheint es, als würde die politische Kunst immer wieder neu erfunden werden müssen oder als würde es sich immer wieder nur um einzelne, politisierte Episoden in der Kunstgeschichte handeln, welche ohne Zusammenhang und Konsistenz verbleiben. Daher müsse stetig um den Status und Charakter dieser Aktivistenkunst verhandelt werden. Rollig bringt nun eine Geschichte der Kunst als gesellschaftspolitischer Akteurin auf den Weg, wenn sie einen historischen Bogen spannt von den revolutionspolitischen Ambitionen des russischen Konstruktivismus in den 1920er Jahren, über britische Sozialkunst mit Obdachlosen in den 1960er Jahren, bis hin zur New Genre Public Art der 1990er Jahre, die in urbane Räume interveniert, um gesellschaftliche Kräftefelder sichtbar zu machen. Künstlerinnen und Künstler seien während des gesamten 20. Jahrhunderts damit beschäftigt gewesen, Diskurse und Praktiken des Politischen zu variieren.
Tatsächlich war es Anspruch aller dieser künstlerischen Positionen seit den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts, einzugreifen in das öffentliche Leben und die Realität des Sozialen zu verändern – verbunden mit dem Begehren, verbessernd zu wirken und nicht nur symbolisch zu bedeuten. Alle diese Positionen strebten an, den gesellschaftlichen Raum durch ihren künstlerischen Einsatz zu verändern und damit gewissermaßen die elfte Feuerbachthese von Karl Marx in einer Variation für die Kunst zu reformulieren: Die Künstler haben die Welt nur verschieden dargestellt, es kömmt darauf an, sie zu verändern. Dieser Anspruch – durch ästhetische Handlungen die soziale Welt umzugestalten – kennzeichnet das Politische der Kunst. Und auch die amerikanische Kunsttheoretikerin Felshin bestätigt diesen, wesentlich auf Veränderung ausgerichteten »Geist der Kunst als Aktivismus«, wenn sie charakterisiert, dass politische Kunstpraktiken einen innovativen Gebrauch vom öffentlichen Raum machen würden, um damit Themen von soziopolitischer und kultureller Signifikanz zu adressieren, und es ihnen darum ginge, öffentliche Teilhabe als Mittel zur Durchsetzung gesellschaftlicher Veränderungen zu ermutigen. Ausgehend von diesen Identifikationsmerkmalen hat sich aus der Sicht Felshins für den angelsächsischen Raum allerdings tatsächlich eher eine Kanonisierung der politischen Kunst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts eingestellt, als dass ein Mangel an Geschichtsbewusstsein zu diagnostizieren wäre. Mit dem einen Fuß in der Kunst und dem anderen im politischen Aktivismus sei in den 1970er Jahren ein bemerkenswerter »Hybrid« aufgetaucht, der sich in den 1980er Jahren ausweitete, um schließlich ein Jahrzehnt später schon in Aufsätzen, Museumsausstellungen, Kunstförderprogrammen und auf Konferenzen institutionalisiert zu sein, so Felshin. Mittels dieser Kanonisierung werden künstlerische Arbeiten als politisch identifiziert und hinsichtlich ihrer charakteristischen Merkmale diskutiert: »Aktivistische Kunst ist sowohl in ihrer Form als auch ihrer Methode eher prozess- als objekt- oder produktorientiert und sie findet gewöhnlicher Weise eher an öffentlichen Orten als im Kontext von Kunsträumen statt,«4 so die Bestimmung des Politischen in der Kunst in den Worten von Felshin. Kunst als politischer Aktivismus ist in dieser Diagnose gekennzeichnet durch Eingriffe und Prozesse sowie öffentliche Aktionsorte. Wie aber hängt diese handelnde Kunst auf dem Terrain des Öffentlichen zusammen mit der Forschung?

Wider die herrschenden Behauptungen

Mittels eines Diagramms macht die Kunsttheoretikerin und Praktikerin Suzanne Lacy einen Vorschlag, wie die aktivistische Politkunst, welche die Welt handelnd verändern will, in einem Kontinuum steht mit dem, was Lacy in den 1990er Jahren die »analysierende Kunst« nennt – eine Kunst, welche die soziale Welt untersuchen will.5 Das Kontinuum dieses Diagramms reicht von der Kategorie des Privaten zur Kategorie des Öffentlichen. Im Bereich des Privaten befinden sich die Künstler und Künstlerinnen als Erfahrende. Auf der Seite des Öffentlichen stehen die künstlerischen Aktivisten und Aktivistinnen. Dazwischen liegen berichterstattende und analysierende Künstlerpositionen. Gesellschaftlich orientierte Künstlerinnen und Künstler, so Lacy, operieren zu verschiedenen Zeiten im Rahmen ihrer künstlerischen Arbeiten an unterschiedlichen Punkten dieses Spektrums oder bewegen sich zwischen den erfahrenden, den berichtenden, den analysierenden und aktivistischen Strategien hin und her. Nahe beieinander stehen in dieser Beobachtung nun die analysierenden und die aktivistischen Strategie auf der Seite des Öffentlichen, weil in beiden Fällen die traditionellen Formen der Repräsentation von subjektiven Erfahrungswerten in der Kunst transzendiert werden. »Vom Berichten oder Präsentieren von Informationen zum Analysieren ist es eigentlich nur ein kleiner Schritt«, diagnostiziert Lacy. »Dieser Schritt impliziert aber eine enorme Verschiebung in der Rolle des Künstlers oder der Künstlerin. In den ersten beiden Arbeitsformen – erfahrend und berichtend – sehen wir eine Betonung der intuitiven, rezeptiven, erfahrungsbezogenen und beobachtenden Fertigkeiten«, so Lacy.
»Wenn Künstlerinnen und Künstler jedoch durch ihre Kunst soziale Situationen zu analysieren beginnen, übernehmen sie Fertigkeiten, die gewöhnlich mehr mit Sozialwissenschaftlern, investigativen Journalisten und Philosophen assoziiert werden.«6
Diese investigativen Künstlerinnen und Künstler beanspruchen dann nicht mehr nur Objekte zu formen, sondern intellektuelle Positionen einzunehmen. Die Erweiterung des künstlerischen Selbstverständnisses über die Gestaltung visueller Objekte hinaus, teilen die analytischen Künstlerpositionen mit den aktivistischen, zu denen sie in einem direkten Kontinuum der Praktiken stehen. Von der Analyse führt ein direkter Weg zum Aktivismus – zumindest im Terrain der sozialkritischen Kunst – denn mit der Untersuchung bestehender Verhältnisse werden Probleme identifiziert, deren Lösung ein Handeln erfordert. Die Tat steht mit der Analyse in einer ähnlich plausiblen Wechselwirkung, wie beim Arzt die Diagnose mit der Behandlung. »Martha Rosler«, so erläutert Lacy am Beispiel der nordamerikanischen Künstlerin, »hat die Stadt New York als Künstler-Analytikerin untersucht, aber man kann sagen, dass ihre Arbeit dabei in Aktivismus überging. Ihr Projekt ›If you Lived Here … The City in Art, Theory and Social Actions‹ ist eine Assemblage aus Ausstellungen, Symposien, Fotografien sowie Schriften und bezieht die Arbeit von Künstlerinnen und Künstlern sowie Aktivistinnen und Aktivisten ein, die sich mit der, in den USA seinerzeit aktuellen Krise der städtischen Wohnungspolitik beschäftigten.«7
Roslers Arbeit »erwog«, so Lacy, inwiefern Kunstschaffende selber von Obdachlosigkeit bedroht waren und sich inmitten einer Wohnungspolitik wiederfanden, die von Immobilienspekulationen beherrscht wurde. »Dabei wurde die Analyse von Wohnverhältnissen und Wohnungslosigkeit durch geplante und durchgeführte Interventionen unterstrichen, die zum Modell für aktivistische Praktiken avancierten.«8 Lacys Beschreibung der künstlerischen Arbeit von Rosler legt nahe, dass Analyse und Aktivismus wechselwirken, weil einerseits die Analyse selber durch das Ansammeln von entlarvenden Dokumenten über Wohnungsnot und Vertreibungspolitik einer Provokation nahe kommt und andererseits der Aktivismus schon deswegen in der Analyse wohnt, weil die Analysierenden teilweise Betroffene sind. »Die Teilnehmer/innen waren Künstler/innen in und außerhalb der Kunstwelt, Community-Aktivisten und Gruppen sowie Obdachlose als auch Einzelkünstler/innen oder Mitglieder unterstützender/beratender Gruppen.«9 Die Künstlerin Rosler kooperierte mit Akteuren, die nicht nur ein soziales, ökonomisches oder empirisches Wissen über Wohnungspolitik zum Ausstellungsprojekt beitrugen, sondern auch ein Wissen über Strategien der politischen Selbstorganisation in Zeiten der Immobilienspekulation kommunizierten. Rosler versteht ihre Arbeit als sowohl politisch wie auch analytisch. Durch ihren Fall wird anschaulich, wie Analysieren und Eingreifen durch die Figur der Betroffenen zusammenfallen oder sich gegenseitig bedingen. Das analysierende Forschen im Kontext der Kunst am Gegenstand der Wohnungspolitik ist zugleich ein politisches Handeln im Kontext der Kunst, weil der Analyseprozess als Sichtbarmachung von Unbedachtem die Position verändert, von der aus sich die Analysierenden tätig in den Gegenstandbereich ihrer Untersuchung einmischen. Von unwissend Getriebenen werden die ausstellenden Kunstakteure zu erkennend Agierenden. Die künstlerisch analysierende Praxis des Untersuchens der Wohnverhältnisse, das Sammeln von Dokumenten, das Arrangieren von Fakten, das Herausfinden und Visualisieren von Zahlen und Hintergründen, diese Feldforschung und installative Darstellung des Feldes ist forschende Analyse und zugleich tätige Intervention, weil ein Wissen bereitgestellt wird, dass sich in die Beantwortung der Frage nach der Wahrheit über das Wohnen einmischt und mittels einer Verschiebung des Wissenskanons das ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titleseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorab
  6. Einleitung
  7. Praxologie der Erkenntnis: Über forschendes Kunsten als tätiges Einsehen
  8. Verzweigte Genealogie: Vorgeschichten ästhetischen Forschens
  9. Ikontik: Zu einer Bedeutungstheorie künstlerischer Artikulation
  10. Kritische Epistemologie: Im Kontext der Kulturgeschichte des Forschens
  11. Zum Schluss: Eine nachdenkliche Methodologie
  12. Literaturverzeichnis