Alternative Wirklichkeiten?
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Alternative Wirklichkeiten?

Wie Fake News und Verschwörungstheorien funktionieren und warum sie Aktualität haben

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Alternative Wirklichkeiten?

Wie Fake News und Verschwörungstheorien funktionieren und warum sie Aktualität haben

Über dieses Buch

Fake News und Verschwörungstheorien haben Hochkonjunktur: Lügen werden als Informationen getarnt und fadenscheinige Theorien ziehen bisher anerkannte Wahrheiten in Zweifel. Und spätestens wenn mit dem Begriff »alternative Fakten« Wahlmöglichkeiten auf dem Feld der Tatsachen suggeriert werden, kommt die Frage nach der willkürlichen Manipulation der Wirklichkeit auf.

Doch was sind Fake News eigentlich? Wie funktionieren Verschwörungstheorien? Und warum sind wir dafür offensichtlich so anfällig? Katrin Götz-Votteler und Simone Hespers gehen den Gründen für den gegenwärtigen Erfolg dieser Phänomene nach und zeigen, wie kommunikative Mechanismen und Prozesse unbewusst auf unsere Meinungsbildung wirken. Der Sprache als wesentliches Kommunikationsmittel kommt hier eine ebenso große Bedeutung zu wie visuellen Codes und Bildern, die vor allem in Form von Fotografien ein »Fenster zur Welt« auch außerhalb der eigenen Erfahrungsmöglichkeiten öffnen.

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Information

Kapitel 1: Fake News

You are fake news.1
Donald Trump
Bereits während seines Wahlkampfs hatte Donald Trump ihm gegenüber kritischen Medienberichten und Medienhäusern immer wieder den Vorwurf gemacht, Fake News zu verbreiten. Gegen Ende seines ersten Amtsjahrs gab er dann am 17. Januar 2018 zunächst über sein privates Twitter-Profil @realDonaldTrump die Fake News Awards bekannt, kurz darauf wurden sie auch auf der offiziellen Website der Republikanischen Partei veröffentlicht.2 Diesen – auch in der eigenen Partei nicht unumstrittenen3 – Negativpreis erhielten Medien und ihre Vertreter·innen, deren Berichterstattung nach Trumps Dafürhalten unfair war oder gar der Verbreitung von Fake News diente.
Trumps Fake News Awards: Die Preisträger·innen
Insgesamt vier der elf Plätze gingen an den Fernsehsender CNN, zweimal wurde die New York Times bedacht, und auch ABC News, die Washington Post, Newsweek sowie das Time Magazine finden sich in der Liste wieder.
Auf Platz eins landete der amerikanische Ökonom Paul Krugman, Wirtschaftsnobelpreisträger des Jahres 2008. Krugman hatte als Kolumnist für die New York Times prognostiziert, aus Donald Trumps Wahlsieg würden negative Folgen für die Wirtschaft resultieren – eine Aussage, die er drei Tage später deutlich relativiert hatte.4
Die Plätze zwei und drei gingen an Fernsehreporter der Sender ABC News und CNN für Falschmeldungen zur Russland-Affäre bzw. über angebliche Verbindungen von Trumps Wahlkampfteam zu WikiLeaks. Beide Meldungen waren zeitnah korrigiert und der ABC-Reporter Brian Ross war vorübergehend suspendiert worden.5 Ähnlich verhielt es sich mit den Plätzen vier und fünf, die an einen Reporter des Time Magazine, Zeke Miller, und einen Journalisten der Washington Post, David Weigel, für falsche Tweets vergeben wurden. Miller hatte fälschlicherweise getweeted, Trump habe eine Büste von Martin Luther King aus dem Weißen Haus entfernen lassen, und Weigel hatte auf Twitter geäußert, eine Veranstaltung Trumps in Florida sei schlecht besucht gewesen. Beide Reporter hatten ihre Meldungen umgehend nach der Veröffentlichung korrigiert und sich bei Trump dafür entschuldigt.
Platz sechs ging an CNN für ein Video, das Trump neben dem japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe bei einer traditionellen Zeremonie des Koifütterns zeigt. In dem Video ist zu sehen, wie Abe lediglich kleine Mengen Fischfutter in den Teich streut, Trump jedoch, nach anfänglich ebenfalls sparsamer Dosierung, seine Schachtel vollständig ins Wasser kippt. Dass er hierin seinem Gastgeber folgte, ist allerdings nur in einer ungekürzten Version des Videos zu sehen.6
Für einen weiteren Bericht über die Russland-Affäre auf seinem Online-Portal landete CNN auf Platz sieben. Auch dieser Bericht war mit Verweis auf nicht eingehaltene redaktionelle Standards bereits zurückgezogen worden.7
Platz acht ging an Newsweek für die Meldung, die polnische Präsidentengattin Agata Kornhauser-Duda habe Trump einen Handschlag verweigert. Dabei hatte sie – wie das vollständige Video zeigt – zunächst Melania Trump begrüßt und sich erst anschließend der ausgestreckten Hand des Präsidenten zugewendet. Auch diese Meldung war durch Newsweek selbst richtiggestellt worden.
Es folgte auf Platz neun CNN mit der ebenfalls korrigierten Falschmeldung, der von Trump entlassene FBI-Direktor James Comey habe Trump niemals mitgeteilt, dass gegen ihn nicht ermittelt werde.
Platz zehn schließlich belegte die New York Times mit einem Bericht über einen US-Klimareport. Angeblich hatte die Zeitung in ihrem Beitrag behauptet, Trumps Regierung wolle den Klimareport verheimlichen. Die New York Times hatte allerdings getitelt: »Scientists Fear Trump Will Dismiss Blunt Climate Report«.
Der elfte Platz ging ganz allgemein an alle, die über Absprachen Trumps mit Russland während des Wahlkampfs berichtet hatten.

Nicht alle Falschmeldungen sind Fake News

Auf den ersten Blick erscheinen die Meldungen, für die die Fake News Awards vergeben wurden, sehr heterogen: Es handelt sich um einen bunten Mix aus Zeitungsbeiträgen, Twitter-Meldungen und Fernsehberichten. Auffällig ist zudem, dass die meisten als fehlerhaft aufgefallenen Meldungen offenbar zeitnah von den Medien selbst korrigiert wurden. Sind das trotzdem Fake News? Oder handelt es sich nicht eigentlich um Falschmeldungen, wie sie in der Presse immer mal wieder vorkommen (so genannte Zeitungsenten)? Worin unterscheiden sich beide voneinander? Betrachten wir also zunächst einmal den Begriff »Fake News« genauer, um uns anschließend erneut die Frage zu stellen, inwiefern es sich bei den Meldungen der Fake News Awards tatsächlich um Fake News handelt.
Schon die wörtliche Übersetzung von »fake news« als »gefälschte Nachrichten« weist darauf hin, dass nicht alle Falschinformationen Fake News sein können. Beginnen wir mit der Bedeutung von »news«, Nachrichten. Nachrichten sind Berichte über aktuelle Ereignisse (»Neuigkeiten«), die sich an eine Öffentlichkeit richten und in der Regel über Massenmedien wie Zeitungen, Fernsehen oder das Internet verbreitet werden. Von Nachrichten wird größtmögliche Objektivität, v.a. aber faktisch korrekte Berichterstattung erwartet (
Kapitel 5). Das Adjektiv »fake«, also »gefälscht«, verweist auf ein intentionales Moment der Täuschung. Wenn nun Informationen, die absichtsvoll falsch sind oder eine falsche Interpretation begünstigen, bewusst unter dem Deckmantel einer Nachrichtenmeldung an die Öffentlichkeit gebracht werden, liegt eine Täuschungsabsicht vor und man spricht von Fake News.8
Die Täuschungsabsicht dient somit als Unterscheidungsmerkmal für die Abgrenzung »echter« Fake News gegen andere Formen der Falschmeldung wie beispielsweise Zeitungsenten oder journalistische Irrtümer, die meist auf mangelnde Sorgfalt oder fehlerhafte Recherche zurückgeführt werden können. Diese sollten durch das Publikationsorgan selbst unmittelbar und in angemessener Weise richtiggestellt werden, was in Deutschland in einem Pressekodex festgeschrieben ist (
Kapitel 6).9
Sehen wir uns also noch einmal die einzelnen Meldungen der Fake News Awards an: Haben wir es hier tatsächlich mit Fake News zu tun? Der erste Platz wurde streng genommen gar nicht an eine Nachricht vergeben, sondern an eine Kolumne. Die Meldungen auf den Plätzen zwei, drei, vier, fünf, sieben und neun können aufgrund ihrer zeitnahen Richtigstellung durch die Journalist·innen bzw. Distributionsorgane selbst als Falschmeldungen klassifiziert werden. Auch der Bericht der New York Times über den Klimareport kann nicht als ein Fall von Fake News eingestuft werden. Denn, anders als von Trump behauptet, hatte die Zeitung nicht selbst die Befürchtung geäußert, der Bericht könne von Trumps Regierung zurückgehalten werden, sondern in der Schlagzeile die Wissenschaftler·innen, die den Bericht verfasst hatten, zitiert.10
Bleiben noch die Plätze sechs und acht: Handelt es sich bei ihnen um gezielte Täuschungsversuche durch gefälschte Informationen? In beiden Fällen basiert die Meldung auf echtem Filmmaterial, problematisch ist jedoch die Art und Weise, wie die Inhalte aufbereitet und verbreitet wurden. Das von CNN veröffentlichte Video (Platz sechs) etwa, das den japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe und Donald Trump beim Füttern von Koi zeigt, verfälscht den Ablauf der Szene entscheidend: Zunächst ist zu sehen, wie Abe und Trump aus ihren Futterschalen abwechselnd löffelweise Futter in den Karpfenteich streuen. Dann nimmt Trump seine Futterschale, dreht sie um und leert sie in den Teich. Weil das Video jedoch geschnitten ist, zeigt es nicht, dass zunächst Abe das in seiner Schale verbliebene Futter in den Teich gestreut hatte. Durch die Kürzung erscheint die Handlung Trumps plump, auch drängt sich die Vermutung auf, er habe möglicherweise gegen japanische Konventionen verstoßen, indem er das in seiner Schale verbliebene Futter einfach in den Teich kippte.
Auch die Newsweek-Meldung, die polnische Präsidentengattin Agata Kornhauser-Duda habe Trump den Handschlag verweigert (Platz acht), kann in dieser Form nicht aufrechterhalten werden. Das Video war während des Staatsbesuchs von Donald Trump in Polen im Juli 2017 gemacht worden. Es zeigt (von links nach rechts) Melania Trump, Donald Trump, den polnischen Präsidenten Andrzej Duda sowie dessen Ehefrau Agata Kornhauser-Duda bei einem öffentlichen Auftritt. Zunächst nehmen die vier Applaus entgegen und winken einem nicht zu sehenden Publikum, dann schütteln Trump und Duda sich die Hände. Als Trump seine Hand Agata Kornhauser-Duda entgegenstreckt, schreitet diese zielstrebig an ihm vorbei auf die First Lady Melania Trump zu, der sie die Hand reicht. Möglicherweise war es hier zunächst zu einem kommunikativen Missverständnis gekommen. Den nachfolgenden Handschlag zwischen Trump und Kornhauser-Duda unterschlägt das Video, womit die Szene ebenfalls entscheidend verkürzt wird.
In beiden Fällen werden also für das richtige Verständnis der Situation notwendige Informationsbestandteile aus dem Zusammenhang gerissen bzw. einfach unterschlagen. Dadurch wird der Interpretationsrahmen so verändert, dass Donald Trump als impulsiver und diplomatisch unversierter Staatsmann erscheint, der als Präsident der Vereinigten Staaten wenig repräsentativ wirkt. Während man bei den anderen Meldungen relativ klar ausschließen kann, dass es sich um Fake News handelt, ist bei diesen zwei Videos Folgendes festzustellen: Sie zeigen jeweils nur Ausschnitte, obwohl der Gesamtkontext eine andere Lesart nahelegen würde. Dass diese so ausgewählt wurden, dass sie Trump unvorteilhaft, ja sogar lächerlich aussehen lassen, spricht für eine absichtsvolle Täuschung. Folgt man oben genannter Begriffsbestimmung, wonach Fake News mit einer gezielten Täuschungsabsicht verbreitet werden, dann sind diese beiden Meldungen als Fake News einzustufen.
Wie die Beispiele zeigen, ist es nicht immer leicht, Fake News von wahrheitsgemäßen Nachrichten zu unterscheiden oder exakt zu bestimmen, ob es sich bei falschen Nachrichten um Täuschungsversuche handelt. Zudem sind nicht allein falsche Informationen trügerisch, auch an sich zutreffende Informationen kön...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Einleitung: Zwischen Wissensgesellschaft und postfaktischem Denken
  6. Kapitel 1: Fake News
  7. Kapitel 2: Verschwörungstheorien
  8. Kapitel 3: Krisen- und Umbruchsphänomene
  9. Kapitel 4: Das Weltbild des Donald Trump oder Was hat es mit »alternativen Fakten« auf sich?
  10. Kapitel 5: Die traditionellen Massenmedien
  11. Kapitel 6: Digitale Medien
  12. Kapitel 7: Sprache und die Erfassung von Wirklichkeit
  13. Kapitel 8: Die Macht der Bilder, Wirklichkeiten zu zeigen
  14. Kapitel 9: Populismus
  15. Schluss: Wie umgehen mit Fake News und Verschwörungstheorien?
  16. Literaturverzeichnis
  17. Abbildungsnachweise