Zeitschrift für Medienwissenschaft 17
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Zeitschrift für Medienwissenschaft 17

Jg. 9, Heft 2/2017: Psychische Apparate

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Jg. 9, Heft 2/2017: Psychische Apparate

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Über dieses Buch

Die Zeitschrift für Medienwissenschaft steht für eine kulturwissenschaftlich orientierte Medienwissenschaft, die Untersuchungen zu Einzelmedien aufgreift und durchquert, um nach politischen Kräften und epistemischen Konstellationen zu fragen. Sie stellt Verbindungen zu internationaler Forschung ebenso her wie zu verschiedenen Disziplinen und bringt unterschiedliche Schreibweisen und Textformate, Bilder und Gespräche zusammen, um der Vielfalt, mit der geschrieben, nachgedacht und experimentiert werden kann, Raum zu geben.

Heft 17, Psychische Apparate, hg. von Kathrin Peters und Stephan Trinkaus, geht den Verbindungen zwischen Medienwissenschaft und Theorien des Psychischen nach. Es fragt, ob sich Psychoanalyse als eine Theorie der Medialität verstehen lässt, der Verschränktheit von Innen und Außen, von Eros und Thanatos, Symbolischem und Imaginärem, Ab- und Anwesenheit, Individuellem und Sozialem.

Die Beiträge zeigen: Wo Theorien des Psychischen nicht lediglich als narratologische oder als Figuren-Analyse betrieben werden, tritt anderes hervor: eine grundlegend relationale Perspektive, die nicht nur Verhältnisse zwischen Menschen, sondern auch ihre Beziehung zu Apparaten, ja das Psychische selbst als Apparat oder Maschine beschreibbar macht.

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PSYCHISCHE APPARATE
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Atelier von Annette Kisling, 2007
PSYCHISCHE APPARATE
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Einleitung in den Schwerpunkt
«Psyche ist ausgedehnt, weiß nichts davon»,1 diese Bemerkung Freuds stand am Anfang unserer Überlegungen zu diesem Schwerpunkt. Wie dieser Satz zu verstehen ist, davon hängt einiges ab für das Verhältnis von Psychoanalyse und Medienwissenschaft. Er lässt sich jedenfalls schwer anders verstehen denn als Herausforderung unserer Vorstellung von Raum als etwas, worin wir uns befinden, das bestimmbar und gegeben ist. Ist das Unbewusste laut Freud zeitlos, so ist das Psychische nur als ein Ausgedehntes vorstellbar, dessen Innen/Außen-Grenzen instabil und veränderbar sind. Man könnte «das Unbewusste als ein internes Außen bezeichnen», schreibt JOAN COPJEC in ihrem Statement für diesen Schwerpunkt.2 Sie verweist damit auf die Unverfügbarkeit der eigenen Vergangenheit, auf eine Dringlichkeit, die von irgendwoher kommt und im «externen Außen» ihre Spuren hinterlässt.3 Die Beziehung der Medienwissenschaft zur Psychoanalyse hat – so eine unserer folgenden Überlegungen – etwas mit der Verhandlung dieser Grenzziehungen zwischen Innen und Außen zu tun und mit der Instabilität, ja Unmöglichkeit einer solchen Grenze.
Und, was weiß die Medienwissenschaft (noch) von der Psychoanalyse? Sicher, die Herkünfte von Medienwissenschaft sind vielfältig und ohnehin eine Angelegenheit der Rekonstruktion, dennoch, ohne die Psychoanalyse lässt sich eine Genealogie der Medienwissenschaft kaum denken.4 Uns ging es bei der Konzeption dieses Schwerpunkts allerdings nicht darum, alte Überzeugungen wiederzubeleben oder ihre immer währende Aktualität zu behaupten. Vielmehr fragen wir, wie sich die Beziehungen zwischen Psychoanalyse und Medienwissenschaft transformiert, ihre Begrifflichkeiten verschoben haben. Wo tauchen diese Beziehungen wieder auf? Wie und aus welchen Richtungen werden sie bestritten? Die hier versammelten Beiträge reagieren unterschiedlich auf diese Fragen. Vor allem arbeiten sie heraus, welche Probleme sich zwischen Medientheorien und Theorien des Psychischen gegenwärtig überhaupt stellen und welche Debatten sie auslösen. So ergeben die Beiträge ein Geflecht aus Quer- und Rückbezügen, mit Knotenpunkten, aber auch, um im Bild zu bleiben, mit Rissen. Damit lässt sich so oder so gut weiterarbeiten.
I.
In der früheren Geschichte der Beziehungen zwischen Theorien des Psychischen und des Medialen spielt die Apparatus-Theorie, die sich von den französischen Begriffen appareil und dispositif herleitet, eine bedeutsame Rolle. Für die Konzeption eines zuschauenden Subjekts und der filmischen Illusion, die die Apparatus-Theorie in den 1970er Jahren unternommen hat, ist die Psychoanalyse entscheidend. Denn das zuschauende Subjekt wird als Teil eines Dispositivs verstanden, einer Anordnung von Leinwand, Projektion und Film, zu der es kein Außen gibt und deren ideologischer Produktion dieses Subjekt nicht bloß ausgesetzt ist, sondern die es mitträgt und durch die es überhaupt erst subjektiviert wird.5 Die feministische Filmwissenschaft hat hier angesetzt und darauf hingewiesen, dass es innerhalb dieses filmischen Apparats eine Blickkonstellation gibt, die sich in ein Zum-Anschauen-Sein (to-be-looked-at-ness) und einen männlichen Blick (male gaze) spaltet.6 Dieses «Blickregime» ist, und das ist der springende Punkt der Argumentation, weitestgehend unabhängig von den jeweiligen Filmhandlungen und ihren Bedeutungsebenen wirksam.7 So heftig diskutiert und umstritten, revidiert und reformuliert diese Setzung auch sein mag,8 von ihr hängen Einsichten ab, die sich, so SULGI LIE in seinem Statement, längst nicht erledigt haben. Denn mit dem Aufgeben einer psychoanalytischen Argumentation, wie Laura Mulvey sie verfolgt hat, stehe auch eine spezifische Form der Kritik in der Filmtheorie auf dem Spiel, die für die Analyse einer gegenwärtigen visuellen Kultur mit ihrer autoaffektiven Struktur längst nicht ausgeschöpft sei. Auch LAURENCE A. RICKELS hält die Filmtheorie, soweit sie high theory ist, für geeignet, um uns durch die «Tumulte der Medieninnovationen hindurchzuführen».9
Dass filmischer und psychischer Apparat in einem Zusammenhang stehen, der weit mehr als metaphorisch ist, davon geht JOHANNES BINOTTO in seinem Beitrag aus. Zur Freud’schen Konzeption der Fantasie als einem Mischwesen, das zwischen Bewusstem und Unbewusstem changiert, findet Binotto eine Entsprechung in den filmischen Kompositaufnahmen der matte paintings – Hintergründe, die in die Filmaufnahme hineingemalt oder montiert sind. Zuweilen erscheint dieser technische Trick im Bild, wie Binotto an Spielfilmen der 1930er und 1940er Jahre darlegt: Dann zeigt sich, das der screen das Reale nicht nur abschirmt, sondern zugleich dessen Existenz zu erkennen gibt – und zwar nicht auf der Ebene der filmischen Illusion oder Narration, sondern in deren Zusammenbruch. SONJA WITTE wiederum thematisiert in ihrer Lektüre von Jean-Louis Baudrys zentralem Text zur Apparatus-Theorie 10 das Unheimliche jener Realität, die der kinematografische Apparat hervorbringt und die Unterscheidung zwischen medialem und psychischem Apparat destabilisiert. Die Psychoanalyse wird dabei von Witte als eine Möglichkeit des Antwortens auf den Schrecken dieser Ununterscheidbarkeitszonen oder Ambivalenzen aufgerufen – als eine Möglichkeit, nicht von der Ideologieproduktion des Apparats, sondern gerade vom Unheimlichen dieser Destabilisierung auszugehen.
Damit im Zusammenhang stehen die Diskurs- und Medienanalysen, die sich sowohl auf Sigmund Freud und Jacques Lacan als auch auf Jacques Derrida und Michel Foucault beziehen, aus denen in den 1980er Jahren auch die Medienwissenschaft entstanden ist. Dass technische Apparate nicht Mittel oder Vermittler sind, sondern Subjektpositionen verändern, sich in Fantasien und Phantasmen niederschlagen, daran erinnert auch MAI WEGENER mit Verweis auf die Bedeutung, die die Psychoanalyse für Friedrich Kittler hatte. Das Unheimliche der Maschine, das technologische Unbewusste, der mediale Wiedergänger – all das sind Topoi, die aus einer auch psychoanalytisch orientierten Theoriebildung mit ihrem Blick für Materialitäten und Signifikanten hervorgegangen sind.11 Sie richten die Aufmerksamkeit nicht auf den Gehalt, Inhalt oder ‹Sinn› von Texten, nicht auf Figuren oder Narration, sondern auf die Technologien und Apparate, in denen sie erscheinen – auf die Schrift, auf das Filmische oder auf das Digitale.12 CLEMENS APPRICHS Beitrag knüpft hier an: Er geht der soziotechnischen Paranoia nach, die durch Big Data angereizt wird: Spezifische Filterprozesse und Algorithmen, die weitgehend verdeckt bleiben, erzeugen – wie Apprich anhand von Googles Deep Dream Generator zeigt – eine eigene Realität, die allerdings eine ohnehin schon als wahr befundene Weltwahrnehmung bloß bestätigt und schließt. Anstatt dem Datenwahnsinn, so könnte man sagen, mit einer Datenparanoia zu antworten, liegt das Potenzial einer psychoanalytisch inspirierten Medientheorie für Apprich in der reparativen Wirkung, die ein Wissen über Medien entfalten könne.
II.
Von Freud über Lacan und Laplanche bis hin zu Winnicott oder Abraham/Torok 13 ist die Frage der Relationalität (in) der Psychoanalyse immer wieder neu gestellt worden: Handelt sie zuallererst von der Aufteilung der Welt in ein psychisches, immaterielles Innen der seelischen Prozesse und ein objekthaftes, verkörpertes Außen der materiellen Welt oder ist die Psychoanalyse nicht gerade die Auseinandersetzung mit dieser Aufteilung?
MICHAEL CUNTZ entfaltet in seinem Beitrag die Kritik dieser Aufteilung bei Isabelle Stengers und in der Ethnopsychiatrie Tobie Nathans, die zuletzt von Bruno Latour in seinem Existenzweisen-Projekt aufgegriffen wurde: 14 Die Psychoanalyse schließe gewissermaßen jene Welten der Geister und anderer Zwischenwesen aus, die weder über eine objektive Existenz verfügten, noch einfach Hirngespinste, Pro- oder Introjektionen seien. Damit stellt sich für Cuntz die Frage nach der Lokalisierung des Medialen in der psychoanalytischen Theorie und damit – so könnte man sagen – auch die nach dem Stellenwert, der Dekolonialität in der Psychoanalyse eingeräumt wird. Cuntz sieht die Psychoanalyse als universalistische Kolonialisierung der Welt durch die Moderne und ihre begrifflichen Dichotomien. In diesen Kontext stellt auch MICHAELA OTT die Analyse der senegalesischen sogenannten Besessenheitsriten, vor allem des rab, der von Marie-Cécile und Edmond Ortigues 1966 beschrieben wurde. Aus deren Buch Œdipe africain bringen wir hier einen Ausschnitt in (von Michaela Ott b...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Editorial
  4. Inhalt
  5. Psychische Apparate
  6. Bildstrecke
  7. Laborgespräch
  8. Extra
  9. Debatten
  10. Werkzeuge
  11. Besprechungen
  12. Autor_Innen
  13. Bildnachweise
  14. Impressum