Körper 2.0
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Körper 2.0

Über die technische Erweiterbarkeit des Menschen

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Körper 2.0

Über die technische Erweiterbarkeit des Menschen

Über dieses Buch

Erfährt der Mensch ein Update, wie es der Prothetiker Hugh Herr mit seiner Formel von den »Humans 2.0« prophezeit? Die Diskussion um die Hightech-Prothesen eines Oscar Pistorius oder um Aufsehen erregende körpernahe Medien wie die Google-Brille zeigen einen Wandel der Ideen von Körperlichkeit: Verbessernde Eingriffe in und um den Körper werden nicht länger als notwendige Kompensation von Defiziten begriffen, sondern als wünschenswerte Optimierung und Steigerung.

Werden Körper »machbar«? Karin Harrasser situiert diese aktuellen Diskurse und Praktiken des Körpers und entwirft einen anderen Blick auf sie. Wie lässt sich über Technologien, Medien und Körper aus der Perspektive von teilsouveränem Handeln und Parahumanität sprechen?

Häufig gestellte Fragen

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1. Gegenwarten des homo protheticus

Heute ist vom unvollkommenen Körper zu sagen, dass jeder selber schuld ist, wenn er ihn hat.
Elfriede Jelinek, Sportstück
In der Autobiographie des ohnbeinigen Läufers Oscar Pistorius[1] gibt es eine Szene, die lange vor seiner Karriere im Leistungssport auf die Frage zuführt, die mich hier beschäftigt: Wie sich gegenüber der potentiellen Steigerungslogik der technischen Bearbeitung des Körpers verhalten? Die Szene spielt in Oscars Kindheit. Mit elf Monaten wurden ihm beide Beine abgenommen, da er unter Fibulaaplasie litt. Die Fehlbildung besteht darin, dass die Wadenbeine und die äußere Seite der Füße fehlen. Auf Anraten der Ärzte ließen die Eltern die Amputation durchführen. Die Argumentation war, dass fehlende Gliedmaßen »einfacher« durch Prothesen zu ersetzen sind, als Fehlbildungen dauerhaft zu korrigieren. Diese Entscheidung der Eltern – es ist eine jener eigentlich nie sinnvoll zu treffenden Entscheidungen, wie sie die moderne Medizin häufig fordert – führt uns auf das schwierige Gelände zwischen Therapie und Normalisierung: Die Behandlung Pistorius’ war von vorneherein auf seine Chancen, ein möglichst »normales« Leben zu führen, ausgerichtet. Seit frühester Kindheit trug Oscar also Prothesen wie andere Kinder Schuhe oder Hosen. In seiner Autobiographie erzählt er nun davon, wie er mit seinem Bruder halsbrecherische Gokart-Fahrten auf steilen Straßen unternahm und davon, dass sein Bruder in besonders gefährlichen Situationen kurzerhand Oscars Prothese verwendete, um schnell zu bremsen. Die Eltern waren wenig erfreut über diese Eskapaden, da Oscars Prothesenverschleiß enorm war. Was hier als unschuldiger Jungen-Streich erzählt wird, führt ins Zentrum der Frage nach dem Wie-und-Wieviel technischer Körpermodifikation. Denn der medizinische Behelf ist im Spiel der Jungen bereits enhancement geworden: Das Prothesenbein ermöglicht erst die höhere Geschwindigkeit, denn es kann das Gefährt schneller abbremsen als ein organisches Bein. Und wenn es kaputt ist, wird es eben ersetzt.
Wir sind cum grano salis dazu bereit, technische Körpermodifikationen als legitim und sinnvoll zu erachten, wenn sie therapeutischen oder sozial integrativen Charakter haben. Wenn also die technische Modifikation, sei es eine Beinprothese, eine Brille, ein Medikament dem Anwender/der Anwenderin erlaubt, gesundheitliche Probleme zu überwinden und/oder am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, wird es kaum ernsthafte Einwände gegen (Bio-)Technologien geben. Aber bei genauerem Hinsehen tauchen schon an dieser Stelle Ambivalenzen auf. Denn was als gesund und als normal gilt, welches Leiden zumutbar ist und welches Leiden nicht, an welcher Stelle Heilung in Anpassung an soziale Normen umschlägt ist situationsabhängig und historisch hoch kontingent. Was für die eine akzeptabel ist – ein Leben mit einem fehlenden Körperteil etwa – ist für den anderen unerträglich. Selbst in Hinblick auf therapeutische Maßnahmen ist das Terrain also tief gefurcht. Noch komplizierter wird es, wenn man Körpermodifikationen als »Anthropotechniken« (Peter Sloterdijk[2], siehe auch unten S. 86-87) begreift und sie in Immunisierungs- und Steigerungstechniken differenziert. Erstere dienen demnach in erster Instanz dem Überleben des »Mängelwesens«[3] Mensch, seinem Schutz, seiner »Immunisierung« in einer gefährlichen Umwelt, für die er notorisch schlecht ausgestattet ist. Die Steigerungstechniken verortet Sloterdijk tendenziell im Rahmen von psychologischen Selbsttechniken der Askese, der Übung, der Selbstdisziplin. Er ortet innerhalb der abendländischen Kulturen eine »Vertikalspannung«, eine Sehnsucht nach Selbsttransformation und Perfektion. Konkrete biotechnologische Bearbeitungen des Körpers der Gegenwart erscheinen im Vergleich zu diesen alterwürdigen Formen der Selbsttransformation als Schwundstufe der traditionellen, spirituell-rituellen oder artistischen Methoden der Selbstbemeisterungen und -vervollständigungen. Wo sich die Menschen früher »autooperativ« verhalten haben, lassen sie sich heute operieren.[4] Eine solche Erzählung umgreift das Problem der technischen Erweiterung aber nur halb und bleibt meiner Meinung nach zu stark modernistischen Verlusterzählungen verpflichtet. Die Geschichte der Trennungen, der Entfremdung vom eigenen Erleben, von einem in der Vergangenheit existenten Heroismus der Autonomie eines reflexiven Subjekts ist für meine Begriffe zu sehr mit der Erzählung der erfolgreichen Selbstermächtigung des europäischen Menschen verbunden. Mit der Rede von den Anthropotechniken wird diese Erfolgsgeschichte mit umgekehrten Vorzeichen erzählt. Mir scheint es vielversprechender, die aktuellen Verwicklungen zwischen Selbststeigerungslogiken, Technologien und Körpern historisch zu situieren. Ich möchte sie nicht als unausweichliche Konsequenz einer allgemeinen Steigerungs-, Fremdbestimmungs- und Objektivierungstendenz »im Menschen« begreifen, sondern als eine historisch, epistemologisch und politisch höchst voraussetzungsvolle spezifische Konstellation. Sloterdijks Überlegungen sind zudem stets auf das Individuum gerichtet (sein Fokus liegt auf dem »Du« in Rilkes Aufforderung »Du musst dein Leben ändern!«). Damit erhalten aktuelle biotechnologische Modifikationen eine Tendenz zur Delegation der Selbststeigerung an externe Agenturen: Anstatt an sich selbst zu arbeiten, legt man sich unters Messer. Auch hier möchte ich eine andere Perspektive vorschlagen. Weder biotechnologische Körpermodifikationen noch andere Anthropotechniken können sich selbstverständlich auf ein Individuum als stabile Einheit beziehen. Denn das selbstreflexive Individuum, das Selbst, entsteht ja erst als eine historisch spezifische Prägeform im Knotenpunkt von Körpertechniken und Praktiken der Selbst- und Fremdbeobachtung. Und: Selbst der meditierende Eremit in der Wüste adressiert sein Handeln nicht nur an sich selbst, sondern an ihm äußerliche Akteure und Kräfte. Vielleicht nicht unbedingt an andere Menschen, aber an Gott, dem er seine Konzentration zueignet und an die Kräfte der Wüste, denen er sich aussetzt. Ich möchte den Fokus deshalb stärker auf die Interaktionen zwischen dem Begehren nach technischer Selbstüberarbeitung und dem jeweiligen Milieu dieses Wunsches richten. Welche technischen, wissenschaftlichen, ästhetischen, ökonomischen Kräfte bringen den Wunsch, das Begehren nach Selbsttransformation mit hervor? Der Impuls, sich überarbeiten zu lassen, ist nicht passiver und heteronomer als der Impuls, durch Yoga einen neuen Körper zu erhalten, die Effekte des einen oder des anderen Begehrens sind es aber wohl.
Wir haben es also im Feld der technischen Körperbearbeitung mit einer äußerst wackeligen Tektonik zu tun, die sich derzeit als neoliberale Techno-Biopolitik beschreiben lässt und die ein sehr weites Feld umspannt. Es reicht von Kosmetikprodukten und Fitnesscentermitgliedschaften bis hin zu Debatten um PatientInnenverfügungen und reproduktionsmedizinische, pränatale Interventionen. Überall stoßen wir auf ähnlich gelagerte Paradoxien: Wenn es eine Freiheit zur Selbstverbesserung gibt, wo und wie ist die Grenze der Selbstüberformung zu ziehen? Wo muss und wo darf das Individuum (noch) entscheiden? Wo sind Fragen der (Ressourcen-)Gerechtigkeit höher anzusetzen als das Recht auf Selbstverbesserung? Wie entfaltet sich die Dynamik von Freiheitsgewinn und in technische Anwendungen eingebaute Regulationen und Normalisierungen im jeweiligen Fall? Denn technische Modifikation heißt immer auch: Abgabe von agency an einen nicht-menschlichen Akteur. Das kann Genuss bereiten (siehe die rasenden G0kart-Fahrten der Pistorius-Brüder), öffnet aber auch Tür und Tor für Überwachungs-, Kontroll- und Normalisierungsstrategien. Für diese Situation gilt es, Begriffe, Erzählungen und Figuren zu entwickeln. Eine mögliche Figur für die unübersichtliche Gemengelage wäre – immer noch und vielleicht mehr denn je – die Cyborg.
Als ich Donna Haraways »Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften«[5] Mitte der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts las, hatte es für mich geradezu den Charakter einer Initiation. In dem Text stehen Sätze wie: »Gesellschaftliche Wirklichkeit, d.h. gelebte soziale Beziehungen, ist unser wichtigstes politisches Konstrukt, eine weltverändernde Fiktion.«[6] Die Idee, dass Fiktionen, ebenso wie Technologien, weltschaffende Kräfte sind, hat mich als Germanistin (oder eher: als Leserin), die gleichzeitig anfing, sich mit Computern zu beschäftigen, elektrisiert. Und dass Technologien, die mir bis dahin – geprägt durch ein ökobewegtes Elternhaus – als kalte Ausgeburt eines instrumentellen Weltverhältnisses vor Augen standen, vielfältiger, ambivalenter, unvorhersehbarer mit sozialen Beziehungen interagierten, war der nächste Augenöffner. Dass zudem das Ausloten des transformativen Potentials von Technologien und Fiktionen nicht zwingend zu Allmachtsphantasien à la Transhumanismus, Kryotechnik und Weltraumeroberung führen muss, hat mich damals davon überzeugt, dass es sinnvoll ist, die Cyborg als Denkfigur in meinen intellektuellen Horizont einzuschließen.
Immer wieder ertappe ich mich seither dabei, mich von der Cyborg als Weggefährtin verabschieden zu wollen. Denn von einigen Büchern und Filmen aus den 90er-Jahren abgesehen, so etwa Hans Scheirls Film Dandy Dust (1998) oder Marge Piercys He She It (1991), dominiert damals wie heute eine Vorstellung vom Cyborg als einem futuristischen Superhelden, der uns den Weg in eine hochgradig vernetzte, marktliberale, himmelschreiend ungerechte, militarisierte Zukunft weist. Dass diese Vorstellung manchmal in ihr dystopisches Gegenteil umschlägt, entkräftigt nicht die Erzählung, sondern installiert die Unvermeidbarkeit des technischen Fortschritts lediglich in einer anderen, erhabeneren Region der Vorstellungskraft. Beispiele von Supercyborgs aus der Populärkultur sind Legion und ihre Attraktivität ist nicht auf ein spezifisches gesellschaftliches Milieu beschränkt, etwa auf die Profiteure eines technischen Umbaus des Menschen. Als Vor- und Schreckensbilder proliferieren sie in globalen Medienwelten. Unmittelbare Profiteure der Supercyborg-Variante sind der kapitalstarke, militärisch-industrielle Komplex, die IT- und Robotik-Branche aber auch die Medizintechnik. Die uneingelösten Versprechen, die sich mit der technischen Erweiterbarkeit des Menschen verknüpfen, erschöpfen sich aber nicht diesen »Corporate Cyborgs«[7], sie besiedeln die Vorstellungskräfte vieler. So grassiert mehr denn je die in den Cyborg-Phantasien der 90er-Jahre angelegte Utopie einer netzwerkförmigen Vergesellschaftung, die ihre Politik nicht länger identitätspolitisch auf die Fiktion eines (natürlichen) Körpers, von dem sich dann Eigenschaften ableiten lassen, sondern auf die Fähigkeit zur freiwilligen Assoziation bezieht. Ihr rezentester Ausdruck ist Piratenpartei oder auch die Diskussion um die Funktion von Facebook und anderen Netz-Plattformen für die politischen Bewegungen in den arabischen Ländern. Ein anderer Schauplatz nicht-identitärer Kämpfe wäre die Forderung nach Zugang zu Reproduktionstechnologien für alle, also auch für Menschen, die aus heteronormativen Familienstrukturen ausscheren. In Bezug auf das Ende des Lebens werden ebenfalls Ansprüche auf die Transformierbarkeit des biologischen Körpers formuliert: Ganz ernsthaft ist vom Recht auf biomedizinische Techniken des ewigen Lebens die Rede, eine Idee, die etwa der Biogerontologe Aubrey de Grey propagiert. Und es gibt immer noch die Transhumanisten, sie sind nur etwas jünger und sympathischer geworden als ihre Schwarzenegger-lookalike-Gründerfiguren (Max More, Natasha Vita-More). Aber alle diese – ich nenne sie nur zögernd: sozialen – Bewegungen zeichnen sich durch eine Verengung des Cyborg-Begriffs aufs Technologische aus. Wenn eine linke Tageszeitung aktuell danach fragt, wer »Wir Cyborgs« denn heute sind, geht es wie selbstverständlich um Kameraaugen, Lasertastaturen, bionische Beine, elektronische Ohren und Mikroroboter.[8] Der Transmissionsriemen, der die Faktizität bestimmter Technologien mit Arbeitsverhältnissen und Zukunftsvorstellungen verbindet, scheint mit der Verengung aufs Technologische in ein Gefährt eingebaut, dess...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelei
  3. Inhaltsverzeichnis
  4. 1. Gegenwarten des homo protheticus
  5. 2. Maschinenmänner: Militär, Fabrik, Lifestyle
  6. 3. Meet the Superhumans
  7. 4. Normalisierung oder Parahumanität
  8. 5. Warum Medien keine Prothesen sind
  9. 6. Brillen und andere Gläser
  10. 7. Eine knappe Geschichte des verbesserbaren Menschen
  11. 8. ’Pataphysische Maschinen und warum wer A sagt, nicht B sagen muss
  12. 9. Teilsouveräne statt verbesserte Körper
  13. 10. Literatur