Schriften / Der mißhandelte Rechtsstaat. Schriften 6
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Schriften / Der mißhandelte Rechtsstaat. Schriften 6

Deutsche Reflexionen (3)

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Schriften / Der mißhandelte Rechtsstaat. Schriften 6

Deutsche Reflexionen (3)

Über dieses Buch

- Justiz-Interpellation - Vom Preis des Unrechts und der Rentabilität des Rechts - Jurisprudenz und Gesellschaft - Wie frei ist unsere Justiz? - Mißachtet unsere Justiz das Gebot demokratischer Rechtsstaatlichkeit? - Der mißhandelte Rechtsstaat in Erfahrung und Urteil bundesdeutscher Schriftsteller, Rechtsanwälte und Richter - Vorwort zu Lord Dennings Report zum Fall Profumo - Zu den Hintergründen des Falles Weigand - Der Fall Brühne-Ferbach-Strauß - Der Radikalenerlaß - Der Fall Peter-Paul Zahl - Die Sprache des Rechtes als Beugung des Rechtes der Sprache

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Zweite Abteilung

Leben wir in einem Rechtsstaat? (1966)

Zum ›Vertiefen‹ des hier Folgenden stehen dem Interessierten – abgesehen von den Artikeln im ›Spiegel‹ (Gerhard Mauz u. a.), in der ›Zeit‹ (Nina Grunenberg), der ›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹ (Vilma Sturm) und nicht zuletzt in den Münsteraner ›Westfälischen Nachrichten‹ (allen voran der deutlich parteiische Helmut Müller); nicht zu vergessen Frank Arnaus ›Der Fall Blomert. Eine kriminalwissenschaftliche Dokumentation‹ (München 1965) und Jürgen Kehrers ›»Schande von Münster«. Die Affäre Weigand‹ (Münster/New York/München/Berlin 1996) – allemal dann drei von Günter Weigand verfaßte Veröffentlichungen zur Verfügung: Verweigerte Gerechtigkeit. Stellungnahme zur erstinstanzlichen Verurteilung. In: Vorgänge 8–9/1966 (August/September), S. 313–315 / Der Rechtsstaat wird uns nicht geschenkt. Troisdorf 1979 / Vom Sinn und Widersinn des Geheimhaltens. In: Vorgänge 6/1985 (30. November), S. 106–112.
»Kein Drucknachweis« im übrigen bedeutet in den Fußnoten hier, daß Ulrich Sonnemann seine Kenntnis (vorrangig des Wolfgang de Boorschen ›Privatgutachtens‹, der Verteidiger-Plädoyers und der Weigandschen Flugblatt-Texte) all dem verdankt, worein Günter Weigand selber ihm Einblick gewährte.

I Zu den Hintergründen des Falles Weigand
Feature

Referentin: Am 25. August 1961, mittags zwischen eins und zwei, fielen im ehelichen Schlafzimmer des Rechtsanwalts in Münster Paul Blomert, Sozius des damaligen Oberbürgermeisters der Stadt, Peus, mehrere Gewehrschüsse. An einem von diesen, der seinen Schädel zerschmetterte, starb Blomert. Die herbeigerufene Polizei, die in Blomerts Wohnung außer seiner Gattin, Frau Ulla Blomert, ein mit dieser befreundetes, mit dem Hausherrn verfeindetes Ehepaar Krabbe und einen Arzt antraf, Dr. Tiwisina, besichtigte den Tatort nur oberflächlich. Der Tote war bereits vor ihrem Eintreffen abtransportiert worden. Blomerts Leiche wurde nicht obduziert, die Tatwaffe nicht sofort untersucht, andere Evidenz nicht sichergestellt, zunächst auch kein Schießexperte gehört, sämtliche Vorschriften über Tatbestands- und Spurensicherung und Untersuchung von gewaltsamen Todesfällen von den Behörden mißachtet. Statt ihre Meinung über die Todesursache auf eine erschöpfende Untersuchung zu stützen, begründete die Polizei ihre dilettantische Tatbestandsaufnahme mit der vorgefaßten Meinung, daß Unfall, und später, daß Selbstmord vorliege.
Kommentator: Begann damit, wie zu vermuten gewesen wäre, in der Kriminalgeschichte und Rechtschronik Münsters und der Bundesrepublik der Fall Blomert? Es begann damit eine ganz andere Affäre: die Affäre eines Mannes, der den Getöteten nicht gekannt hatte, in dessen Fall nicht verwickelt war, ja zum Zeitpunkt des Todes von der ganzen Geschichte nichts wußte. Einem Dr. Günter Weigand, seiner Ausbildung nach Diplom-Volkswirt, seinem Hobby nach ein Helfer und Beschützer zu Unrecht benachteiligter Mitmenschen, in welcher Eigenschaft er sich Sozialanwalt nannte, mißfiel mit jener Inkompetenz, Indolenz, oder was immer es war, der Behörden auch die schweigende Gleichgültigkeit der arbeitsamen Bürger der Stadt. Seine Angelegenheit, hinter der der düstere Schatten des unaufgeklärten Todes eines seiner Mitbürger steht, beschäftigt die deutsche Öffentlichkeit seit dem Herbst 1962 – aber was ist das, die deutsche Öffentlichkeit? Und was immer sie sein mag, wie sieht das aus, wenn eine Angelegenheit in ihrer Mitte, die das Rechtsgefühl herausfordert, sie beschäftigt? Nach Abraham Lincoln ist eine Sache erst geregelt, wenn sie gerecht geregelt ist, wie lange immer es dauert1; dauert es, wie in diesem Fall, dreieinhalb Jahre, so muß in der Sache etwas Heikles oder Schwieriges sein, etwas von der Rechtspflege des Staates restlos Aufzuklärendes und zu Regelndes. Mit diesem Schluß aber zwingt sich auch die zivilisierte Erwartung auf, daß Interesse und Anteilnahme der Mitmenschen bis zu solcher Bereinigung zunehmen, und daß die Öffentlichkeit argwöhnisch wird gegenüber dem Apparat der Justiz, wenn auch nach dreieinhalb Jahren noch sich das Dunkel um die Hintergrunde des zu klärenden Falles nicht lichtet. Diese natürliche und humane Erwartung wird in der Gesellschaft der Bundesrepublik nur von Minderheiten gerechtfertigt; im großen ganzen ist sie trügerisch.
Referentin: Wenige Dutzend Menschen drängten, als am 8. März 1966 Weigands Hauptverteidiger Dr. Müller-Voss sein Plädoyer begann, in den Zuschauerraum des Landgerichts der alten westfälischen Haupt-, Universitäts-, Bischofs- und Wiedertäuferstadt Münster. An deren Kirche St. Lamberti hängen noch heute zur Genugtuung des Bürgerstolzes die Käfige, in denen in christlicher Nächstenliebe die Anhänger einer Auffassung des Christentums die Anhänger einer andern den Raben zum Fraße anheimgaben. Und unter den Vertretern der Presse, von denen es insgesamt sieben gab, ließen ausgerechnet die Lokalblätter sich nicht mit eigenen Berichterstattern vertreten, vielmehr bedienten sie sich zur Informierung ihres Publikums einer journalistischen Überlandzentrale, der offiziösen deutschen Nachrichtenagentur dpa.
Kommentator: Sollte diese Gleichgültigkeit, Stumpfheit, mit der die Mitbürger Dr. Weigands und des gewaltsam ums Leben gekommenen Anwalts Blomert auf den Prozeß reagieren, schon in den Vorgängen eine Rolle gespielt haben, die die Affäre seinerzeit in die Welt setzten?
Zitatsprecher: Handwerker siehst du, aber keine Menschen, Denker, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen, Herren und Knechte, Jungen und gesetzte Leute, aber keine Menschen …2
Referentin: Friedrich Hölderlin, vor hundertsiebenundsechzig Jahren, über sein Volk.
Kommentator: Auf die Eigentümlichkeiten dieses Publikums im allgemeinen und der Münsteraner Gesellschaft im besonderen wird die Analyse des Falles Schritt für Schritt uns von selber zurückbringen. Vorerst will das Gedächtnis gestärkt, wollen diese Vorgänge, Ereignisse, chronologisch selbst noch einmal erzählt werden.
Referentin: Zunächst dürfen die Verwandten des Verstorbenen die Leiche nicht in Augenschein nehmen; aber noch vor der Beerdigung erzwingen sie sich, übrigens fest vertrauend, daß die Kriminalpolizei die Spuren gesichert habe, die Eröffnung des Sarges. Ihr Eindruck, daß Fremdtötung vorliegen müsse, bleibt folgenlos, da die Polizei ihre Akten geschlossen hat und den Fall nicht überprüft. Vater und Geschwister des Verstorbenen irren von Behörde zu Behörde, von der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm zum Friedhofsamt in Münster, vom städtischen Ordnungsamt Münster abermals zur Staatsanwaltschaft, dann zum nordrhein-westfälischen Justizminister und zum Landeskriminalamt in Düsseldorf: eine Stelle verweist sie an die andere. Eine Exhumierung lehnt die Staatsanwaltschaft Münster als ungerechtfertigt ab, ohne eine Begründung dafür zu erteilen, die auf die Sache selbst im leisesten einginge. Am 8. August 1962, fast ein Jahr nach dem Tode Blomerts, bevollmächtigt dessen Vater Weigand mit der Todesaufklärung. Am 9. stellt Weigand Strafantrag gegen Unbekannt, dazu weitere sachdienliche Anträge, die der Oberstaatsanwalt Duhme am 21. August sämtlich ablehnt. Es folgt ein Verbot für Weigand, die Amtsräume der Staatsanwaltschaft zu betreten, dann die teilweise Aufhebung des Verbotes durch die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm. Aber die Sache Blomert bleibt ausgenommen, das Amt muß sich für seine Untätigkeit in dem völlig unaufgeklärten Fall nicht rechtfertigen: dies ist die Situation, ehe Weigands erstes Flugblatt erscheint.
Zitatsprecher: Warum mußte Paul Blomert sterben?3
Referentin: So die Überschrift dieser ersten Veröffentlichung: der Sozialanwalt selbst verteilt sie auf den Straßen der Stadt. Dieses Flugblatt ist sachlich, sein Text enthält, und zwar entgegen dem Rat der Blomert-Familie, wie aus den aufgefundenen Arbeitsakten zu dem Dokument rekonstruiert werden konnte, noch keine unbeweisbaren Behauptungen, keine Anschuldigungen gegen irgendwelche bestimmte Personen; es fordert Aufklärung der Sache, restlose Aufklärung, weiter nichts.
Kommentator: Spätestens zu diesem Zeitpunkt, im Herbst 1962, hätten die übergeordneten Stellen die Unzulänglichkeit der Tatbestandsaufnahme durch die Polizei und die der Untersuchung überhaupt durch die Organe der Strafverfolgung ohne Beschönigung bekanntgeben und diesem Sachverhalt entsprechende Disziplinarverfahren einleiten müssen: daß das Verhalten der Behörden fehlerhaft gewesen war, wurde jetzt, wenn auch wie meist in Deutschland, wenn ein Amt etwas falsch gemacht hat, nur stillschweigend, von der Obrigkeit eingestanden: Blomerts Leiche nämlich wurde tatsächlich exhumiert.
Referentin: Und obduziert: in schon völlig in Verwesung übergegangenem Zustand. Diese Exhumierung und Obduktion war genau das, was Weigand gefordert und Oberstaatsanwalt Duhme verweigert, ja mit herrischer Autoritätspose als unbegründet verworfen hatte4. Eine polizeiliche Haussuchung bei Weigand, die zweifellos durch reinen Zufall zur gleichen Zeit stattfand und bei der er sich erstmals in einer Knebelkette sah, hinderte ihn an der Zeugenschaft bei diesen Bemühungen.
Kommentator: Danach wurde die Autoritätspose strafender, hochnäsiger, feindseliger. Zwar die Sache blieb unklar, einschließlich einer Veränderung des Zustands der Grabstätte wenige Monate nach Blomerts Tod, die dessen Verwandte entdeckt und sogleich – natürlich auch folgenlos – polizeilich gemeldet hatten. Die Bedeutung der Gesamtheit der Daten, soweit sie recherchiert, nicht verwischt wurden, ist bis zum heutigen Tage unter den Kriminologen umstritten –
Referentin: Triumphierend aber konnte die Münsterer Justiz-Pressestelle Anfang Dezember 1962 verkünden, daß es in der Leiche des Getöteten nur einen einzigen Schußkanal gab.5
Kommentator: Dieser Befund oder Bericht, der angesichts aller Umstände nicht für absolut gewiß gelten kann, ließ die Frage, ob Selbstmord oder Mord, völlig offen. Er schloß in einem bestimmten Punkt des Tatbestandes nur seinerseits aus, was je nach der Position eines zweiten Schußkanals einen Selbstmord ausgeschlossen, oder äußerst unwahrscheinlich gemacht hätte.
Referentin: Auf die kriminologischen Aspekte des Falles Blomert werden wir noch einmal zurückkommen. Zunächst ist festzuhalten, daß die viel zu verspätete Obduktion nichts mehr klärte. Aber diese Ungeklärtheit des Falles (auch die Gutachten der zugezogenen Kriminologen waren damals keineswegs schon erstattet) hinderte den Oberbürgermeister der Stadt und Sozius des Getöteten keineswegs, den Mann, dem das Dunkel um den Todesfall keine Ruhe gelassen hatte, am 3. Dezember 1962 nicht nur für einen Terrorisierer, sondern kurzerhand für geisteskrank zu erklären6. Vor dem versammelten Rat der Stadt und in Anmaßung von Funktionen ärztlicher Diagnose, die weder zu seiner persönlichen Kompetenz noch zu den Rechten seines Amtes gehörten.
Kommentator: Da es sich um kein fachwissenschaftliches Urteil handelte, was war es also? In dieser gesamten Verwicklung, in deren prozessualem Abschnitt es nun um üble Nachrede, Beleidigung, die Dr. Weigand verübt haben soll, geht, fielen die ersten persönlichen Diffamierungen durchaus nicht von seiner Seite, sondern zunächst einmal gegen ihn seitens des höchsten Würdenträgers der Stadt.
Referentin: Da es aber ein Oberbürgermeist...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Geleitwort
  6. Erste Abteilung
  7. Zweite Abteilung
  8. Editorische Nachbemerkung
  9. Glossar
  10. Personenregister
  11. Endnoten