Wildes Wissen in der «Encyclopédie»
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Wildes Wissen in der «Encyclopédie»

Koloniale Alterität, Wissen und Narration in der französischen Aufklärung

  1. 512 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Wildes Wissen in der «Encyclopédie»

Koloniale Alterität, Wissen und Narration in der französischen Aufklärung

Über dieses Buch

Machten sich die Autoren der großen Encyclopédie (1751–1772) von Diderot und d'Alembert im 18. Jahrhundert daran, das gesamte Wissen der Zeit zu sammeln, zu ordnen und kritisch zu reflektieren, so musste auch die gesamte Welt hineinpassen – und ihre Menschen. Doch wie sind diese zu beschreiben und wer sind sie überhaupt: Freund oder Feind? Fakt oder Fiktion? Tier oder – auch – Mensch? Dieser 'koloniale Andere' stellt im Schlüsselwerk der französischen Aufklärung eine veritable Herausforderung dar: für die Selbstverortung des europäischen philosophe, für die vernunftbasierten Kategorien des europäischen Wissens und insbesondere für die enzyklopädische Konstruktion und Narration.

Die vorliegende Studie verfolgt einen wissenspoetologischen Ansatz zur kontrapunktischen Analyse der narrativen Wissenskonstruktionen des kolonialen Anderen in der Encyclopédie. Daraus generieren sich neue Denkansätze für ein 'wildes Wissen' als Inszenierung von Alteritätswissen in der Encyclopédie; für eine spezifische kulturphilosophische Ambivalenztheorie der Alterität und für eine literaturwissenschaftlich operationalisierbare kontrapunktische Lektüre.

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Information

Jahr
2020
eBook-ISBN:
9783110658224
Projet, s. m. (Morale.) plan qu’on se propose de remplir ;
mais il y a loin du projet à l’exécution,
& plus loin encore de l’exécution au succès ;
combien l’homme forme-t-il de folles entreprises ! 1

1 Einleitung. Der koloniale Andere in der Encyclopédie: Koloniale Alterität, Wissen und Narrationen

Der Wilde in der Wollmanufaktur: Wer ist der Barbar? – Encyclopédie: Narrativ des kolonialen Anderen in der Moderne – Arbeitshypothesen – Selbstverständnis der Encyclopédie – Labyrinthe, Bäume und Weltkarten. Position des philosophe – Basale Wissenstypen: erlernte/angelesene «faits» und reflektierte «choses» – Praktisches Wissen: «know-how» – Wissen und Subjekt – Wissen und Imagination – Wissen in der Encyclopédie vs. enzyklopädisches Wissen – Wissenskonstruktion: 1. Kompilation 2. Komposition 3. Kreation – Wissen in der Encyclopédie mit Foucault: Epistemwechsel? – Wissen als Textkonstruktion: poetologische Grundannahmen – Wissenspoetologie nach Vogl – Poetik des Wissens nach Rancière – Literarizität der EncyclopédieLettres: Fakt und Fiktion in der Aufklärung – Narrativierung von Alteritätswissen – Wissen als koloniale Machtausübung: Encyclopédie als postkoloniales Archiv? – Begriff des kolonialen Anderen – Postcolonial Enlightenment – Phänomenologischer Alteritätsbegriff – Ambivalenz als Schlüsselbegriff – Archäologie nach Foucault – Kontrapunktische Lektüre nach Said – methodisches Vorgehen: archäologische, kontrapunktische, narratologische und intertextuelle Ansätze – Ambivalenzlektüren – Narratologische und intertextuelle kontrapunktische Lektüre – Editionsgeschichte der Encyclopédie – Die koloniale Welt in der Encyclopédie – Korpuskontur
Ein Wilder streift durch eine Wollmanufaktur. Mitleidig lässt er seinen Blick auf die mühevolle Arbeit an den ausgetüftelten Maschinen schweifen, fühlt kurz die Oberfläche eines gewebten Stoffes, lässt diesen dann aber mit freundlichem Kopfschütteln liegen. Sein Appell richtet sich an die Handwerker und an die Leserschaft: Sie sollen dem Schaf doch seine Wolle lassen, sich stattdessen mit Fell kleiden und in einfacher, naturbelassener Bescheidenheit leben. Diese klare Absage an alle vermeintlichen Errungenschaften der europäischen Zivilisation aus dem Mund eines Edlen Wilden ist nicht Teil einer exotischen Erzählung, eines philosophischen Essays oder eines selbstkritischen Märchens. Diese Szene wird in der berühmten Encyclopédie von Diderot und d’Alembert beschrieben, die sich anschickte, das Wissen der Zeit zu sammeln, zu kategorisieren und ohne tendenziöse oder manipulative Rhetorik die Menschen im 18. Jahrhundert in das Licht der Vernunft zu führen. Erstaunlich, dass eine derart ‹literarische›, affektbeladene und effekthascherische Passage in einem Enzyklopädie-Artikel Platz finden konnte. Hier zeigt der Enzyklopädist, 2 wie man Selbstkritik an der europäischen und zivilisierten Welt üben kann, hier bedient er sich poetischer Erzähl- und Redeweisen, um sein Publikum nicht nur zu bilden, sondern auch, um es zu fesseln, zu überzeugen, zum Nachdenken anzuregen.
Und doch dient dieser Andere aus der kolonialen Welt 3 dem europäischen philosophe 4 nicht nur zur zivilisationskritischen Selbstbespiegelung. In anderen Einträgen entzieht er sich nachgerade einer Definition, einer Einordnung in Wissenskategorien und lässt sich nur schwer in Worte fassen. Der koloniale Andere ist als erzählte Figur zwar schon lang in den Pariser Salons und im Alltag der französischen Gesellschaft angekommen; er wird als Wissensfigur aber zum Prüfstein für die europäische Aufklärung. Wer sind diese Menschen aus den Kolonien? Sind sie überhaupt Menschen? Und befinden sie sich eigentlich nur außerhalb von Europa? Wie kann der koloniale Andere auf Abstand gehalten werden, wenn seine Kolonialwaren und Geschichten bereits seit Langem in Frankreich angekommen sind? Anders gefragt: Wer und wo sind die Barbaren?
Die Encyclopédie, ou Dictionnaire raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers (1751–1772), herausgegeben von Diderot und d’Alembert, ist ein für die Aufklärung paradigmatisches Textkorpus für die Narrativierung des kolonialen Anderen als (aufklärerische) Wissensfigur der Moderne. Das Wissen über die koloniale Welt und den kolonialen Anderen ist im Zeitalter der Aufklärung eine veritable Herausforderung für den europäischen philosophe: für seine Selbstverortung, für die vernunftbasierten Konzepte und Kategorien des europäischen Wissens und nicht zuletzt auch für die enzyklopädische Beschreibung. Auch – oder geradete – in das Schlüsselwerk der französischen Aufklärung, der Encyclopédie von Diderot und d’Alembert, finden Figuren der kolonialen Alterität Eingang und müssen zugeordnet, beschrieben und oftmals auch ethisch-politisch beurteilt werden. Das ist keine leichte Aufgabe. In der Repräsentation des kolonialen Anderen problematisieren sich mehrere Verhältnisse: Inwiefern unterscheiden sich Wissen und Unwissen/Vorwissen als Mythos, Legende oder Aberglaube? Auf welche Weise kann man den kolonialen Anderen beschreiben? Und wie unterscheiden sich erklären und erzählen, berichten und kommentieren, definieren und fabulieren? Wie lassen sich das verstehende europäische Subjekt und das zu verstehende koloniale Objekt differenzieren und diskursivieren? Wie lassen sich die kolonialen Anderen auf Abstand halten? Und was bedeutet das für das selbstkritische, eurozentrische Selbstverständnis des europäischen Menschen? Um der Langlebigkeit dieses Umgangs mit dem kolonialen Anderen und den Überlegenheitsansprüchen auf die Spur zu kommen, um die Störmomente in der wissenschaftlichen Narrativierung durch den Menschen aus der kolonialen Welt sichtbar zu machen, verfolgt die vorliegende Studie einen wissenspoetologischen Ansatz zur kontrapunktischen Analyse der narrativen Wissenskonstruktionen des kolonialen Anderen in der Encyclopédie von Diderot und d’Alembert.
Die französische Aufklärung bietet sich für die Untersuchung des Spannungsverhältnisses zwischen kolonialer Alterität, Wissen und Narrativierung in besonderem Maße an, da sie eine spezifische historische wie epistemologische Hintergrundfolie bietet, vor der Selbst- und Fremdbilder aufs Neue konstruiert werden müssen – unter dem Primat einer rationalen Philosophie und einem Gesellschaftsentwurf, der sich maßgeblich auf Mündigkeit, Fortschritt, Freiheit und Glück gründen soll. 5 Literatur und Philosophie sind in dieser Zeit noch nicht voneinander getrennt. Jeder homme de lettre ist zugleich Experte auf seinem Gebiet und in einem weiten Wissenshorizont belesen. In den Encyclopédie-Artikeln spiegeln sich diese Anspruchshaltungen und Herausforderungen und ergeben ein vielschichtiges Bild der komplexen inhaltlichen wie formal-ästhetisch ausformulierten Interdependenz zwischen kolonialem Anderen und europäischem philosophe als ein Textkorpus, auf das machtvolle Diskurse einwirken, das aber selbst hochgradig wirkmächtig ist auf die Wirklichkeits- und Weltwahrnehmungsformung der Menschen der Aufklärung – bis heute. 6
Forschungsdesign. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird die Encyclopédie von Diderot und d’Alembert auf jene kolonialen Alteritätskonstruktionen im Spannungsfeld von Macht, Wissen und Narration hin untersucht. Die Encyclopédie von Diderot und d’Alembert wird als Wissensraum verstanden, in dem Wissen über den kolonialen Anderen repräsentiert, transformiert und verhandelt wird. Die beiden Grundannahmen der vorliegenden Arbeit bestehen in der machtvollen Reziprozität kolonialer Alterität und Identität und in der narrativen Konstruktion von Wissen über den kolonialen Anderen.
Die Analyse der enzyklopädischen Konstruktionen des kolonialen Anderen zielt
  • auf eine wissenspoetologische Re-Konzeptualisierung der Encyclopédie als Konstruktionsraum kolonialen Alteritätswissens. Die Encyclopédie stellt keine einfache mimetische Rekonstruktion eines prädiskursiven Kolonialismus in Form von objektiven, systematisierten und gespeicherten Fakten dar, sondern ist eine komplexe, ambivalente und poetologische Konstruktion von kolonialen Wissensfiguren. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden die Repräsentationen des kolonialen Anderen als inhaltlich-thematische Wissensfiguren und als formal-ästhetische Textfiguren analysiert.
  • auf die Entwicklung literatur- und kulturhistorischer Denkmodelle zur Relation von Kolonialismus und europäischer Aufklärung. Die Encyclopédie als Wissenstext ist in dieser Perspektive kein eurozentrischer, autoreflexiver Bedingungsraum für die Repräsentation von Alterität, sondern nachgerade das Experimentierfeld für die Konstruktionen und Phantasmen des kolonialen Anderen.
  • auf die kritische Fortschreibung der kontrapunktischen Lektüre als textanalytischer Zugang zum kolonialen Alteritätswissen. Dieser methodische Zugriff erlaubt es, die wechselseitige Bedingtheit kolonialer Identitäts- und Alteritätsbeziehungen in den Blick zu nehmen, indem das dichotome Macht-Ohnmacht-Verhältnis auf den Ebenen der Erzähl- und Intertextualitätsverfahren differenzierter untersucht und mittels eines spezifischen Ambivalenz-Begriffs dekonstruiert wird.
Ziel der Arbeit ist eine kontrapunktische Lektüre der wissenspoetologischen Konstruktionen kolonialer Alterität in der Encyclopédie. Daraus generieren sich neue Denkansätze für ein wissenspoetologisch vertieftes Verständnis der Inszenierung von Alteritätswissen in der Encyclopédie, für eine kulturphilosophische Ambivalenztheorie der Alterität, die immanent mit der europäischen Aufklärung und Moderne verquickt ist und für eine literaturwissenschaftlich operationalisierbare kontrapunktische Lektüre, die Ambivalenzen in den narratologischen und intertextuellen Erzählverfahren fokussiert.

1.1 Theoretischer Rahmen: Wissen – Alterität – Narration. Postkoloniale Wissenspoetologie

Steht der koloniale Andere als Wissens- und Textfigur der Encyclopédie im Zentrum der Analysen, bedarf es zunächst einer terminologischen Klärung, die den Wissensbegriff, den Terminus der Alterität und die Ebene der Narration in ihrem relationalen Gefüge bestimmt.
In der Encyclopédie selbst wird der Wissensbegriff intensiv diskutiert und explizit reflektiert. Das hier entwickelte Konzept von Wissen (das allerdings weit weniger konsistent ist, als es die programmatischen Überlegungen der Herausgeber vermuten lassen) entsteht vor dem Horizont der Aufklärungsphilosophie, wie insbesondere und Cassirer und Köhler aufgezeigt haben. Zur Akzentuierung der diskursiven Machtmechanismen, 7 die den Eintritt in die Encyclopédie regulieren, werden insbesondere in der Nachfolge von Foucault Wissen und Macht korreliert und durch einen postkolonial bestimmten Wissensbegriff ergänzt.
Wissen ist in der Encyclopédie immanent anthropologisch fundiert: Der Mensch ist Ausgangs- und Zielpunkt der Wissensproduktion. Diese anthropologische Ausrichtung ist historisch begründet, denn Wissen und Menschsein 8 ist im Zeitalter der Aufklärung in besonderer Weise korreliert: über das Prinzip der Vernunft, das alle Autoritäten, Dogmen und Gewissheiten hinterfragen, stören und in die Mündigkeit des wissenden Subjekts führen kann und soll.
Das Zentrum d...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. 1 Einleitung. Der koloniale Andere in der Encyclopédie: Koloniale Alterität, Wissen und Narrationen
  5. 2 Textlektüren. Macht und Ambivalenz in den Narrationen des kolonialen Anderen
  6. 3 Enzyklopädische Ambivalenznarrationen kolonialer Alterität. Zusammenfassung und Ausblick
  7. Literaturverzeichnis
  8. Stichwortverzeichnis