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Normalität und Subjektivierung
Eine biographische Untersuchung im Übergang aus der stationären Jugendhilfe
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Normalität und Subjektivierung
Eine biographische Untersuchung im Übergang aus der stationären Jugendhilfe
Über dieses Buch
Welche Bedeutungen haben Normalitätskonstruktionen von Care Leaver*innen aus biographischer Perspektive? Wie wird in der stationären Jugendhilfe Biographie konstruiert? Welches widerständige Potenzial entwickeln die jungen Erwachsenen und welche Rolle spielen hierbei Differenz- und Machtverhältnisse? Auf der Basis von biographischen Erzählungen gibt Angela Rein Einsichten in Subjektivierungsprozesse in der stationären Jugendhilfe. Ihre adressat*innenbezogene und subjektivierungstheoretisch inspirierte Studie leistet damit einen zentralen Beitrag zu bislang wenig beachteten Aspekten der Care-Leaver*innen-Forschung.
Häufig gestellte Fragen
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Information
Empirische Analysen
4Einführung in die Einzelfallanalysen
Im Folgenden werden drei Einzelfälle ausführlich dargestellt. Durch diese Form der Ergebnispräsentation in Einzelfällen, die in der Biographieforschung Tradition hat, kann die Komplexität der Bedeutung von Normalitätskonstruktionen in ihrer biographischen Dimension näher beleuchtet werden.1
Das Vorgehen führt dazu, dass auch Aspekte der Fälle in den Blick geraten, die nicht primär mit der Fragestellung in Verbindung stehen, aber für die biographische Selbstpräsentation relevant sind. Dieser doppelte Fokus war auch in der Analyse fest verankert: einerseits eine Fokussierung auf die Fragestellung und die Frage nach der Bedeutung von Normalitätskonstruktionen und andererseits das Prinzip der Offenheit. In einem ersten Schritt habe ich mich stark von der Logik des Materials leiten lassen (vgl. Kap. 3.3.5). Die Einzelfallanalysen repräsentieren einen komplexen Auswertungsprozess, der jedoch aus Darstellungsgründen linear und in bestimmte Themen gegliedert ist.
Die Auswahl der Einzelfälle begründet sich im Prinzip der maximalen Kontrastierung. So wurden auf der Grundlage der vorgenommenen Feinanalysen aller Fälle aus dem Sample sukzessive drei Eckfälle identifiziert, die kontrastreich hinsichtlich der biographischen Bedeutungen von Normalitätskonstruktionen sind. Somit ermöglichen die Fälle einen Einblick in die Variationsbreite der Bedeutung von Normalitätskonstruktionen. Im Fall von Elif Yıldız wird das Spannungsfeld zwischen Ent-Normalisierung, Handlungsfähigkeit und einer stark normalisierenden Form der Konstruktion der Biographie deutlich (vgl. Kap. 5). Bei Celina Schweizer hingegen zeigt sich eine problemorientierte Darstellungsweise (vgl. Kap. 6). Im Fall von Nazar Sautin wiederum wird eine biographische Konstruktion in zwei Teile sichtbar, in welcher der Biograph seine Heimgeschichte vom Rest seines Lebens abtrennt und sich hierüber auch selbst normalisiert (vgl. Kap. 7).
Die Einzelfalldarstellungen stellen weiterhin auch die Grundlage dar für den Fallvergleich (vgl. Kap. 8), der im zweiten Teil der empirischen Analysen erfolgt. Im Fallvergleich werden auch weitere Fälle aus dem Sample der Studie hinzugezogen.
Vom Aufbau her beginnen die biographischen Falldarstellungen mit einem Überblick über unterschiedliche Rahmungen der biographischen Erzählungen, die als Kontexte einen Einfluss auf die Biographien haben. Hierfür wird zunächst ein kurzer Überblick über den Fall in Form eines biographischen Kurzporträts gegeben. Das biographische Kurzporträt basiert auf den lebenslaufbezogenen Ereignissen, die aus der biographischen Erzählung rekonstruiert wurden. Damit entstanden diese Daten auf der Grundlage der subjektiven Rekonstruktionen der Lebensgeschichten durch die Biograph*innen und wurden dann für die Erstellung des biographischen Kurzporträts aus der Erzählung herausgearbeitet und in eine Lebenslauflogik transferiert. Vor diesem Hintergrund dient das Kurzporträt dazu, einen Überblick über lebenslaufbezogene Ereignisse aus der Erzählung zu geben, ohne dass diese dabei als ›objektive‹ Tatsachen zu verstehen sind. Vielmehr nimmt das biographische Kurzporträt Bezug zur Folie des Lebenslaufs, womit in der Darstellung und Hervorhebung von Ereignissen und dem Auslassen von anderen Erfahrungen auch normalbiographische Vorstellungen reproduziert werden.
Nach dem Kurzporträt erfolgt eine Darstellung der Anbahnung des Interviews. Die Anbahnung des Interviews wird auch als Kontext des Interviews verstanden, da hier gewisse Diskurse aufgerufen und in sozialer und kommunikativer Hinsicht situative Grundlagen geschaffen werden, die einen Einfluss darauf haben, wie und was erzählt wird. Danach gebe ich einen Überblick über das ›Wie‹ der Konstruktion des Interviews und den Interviewverlauf. Als letzten Teil der Darstellung der Rahmungen der biographischen Konstruktion wird eine Feinanalyse der Anfangssequenz des Interviews vorgenommen mit dem Fokus auf den Interaktionen zwischen Interviewerin und Biograph*innen und den damit verbundenen sozialen und kommunikativen Bedingungen.
Die Ergebnisdarstellung der Haupterzählung folgt der Logik der Prozessstruktur (vgl. Schütze 1984, S. 93) der Interviews. Es hat sich gezeigt, dass bei der Strukturierung der Biographien die Tatsache, dass die jungen Menschen in der stationären Jugendhilfe aufgewachsen sind, eine zentrale Rolle spielt. So wurde deutlich, dass in allen Biographien der zentrale Fokus der Haupterzählung auf der Beschreibung liegt, wie die Biograph*innen in die stationäre Jugendhilfe kamen. Aus diesem Grund erfolgt in der Betrachtung der Einzelfälle eine Einteilung in die ›Biographie bis zur Jugendhilfe‹ und ›in der stationären Jugendhilfe‹.
Neben diesen beiden Phasen, die Teil aller Falldarstellungen sind, werden noch jeweils fallbezogen weitere Aspekte vertieft, die sich aus der Logik des jeweiligen Falls in Bezug auf die Fragestellung ergeben. In der Darstellung der Phase ›Biographie bis zur Jugendhilfe‹ wird die sequenzielle Logik des Interviews übernommen. Bei der Darlegung der anderen Teile wird partiell mehr auf eine inhaltliche Logik der Darstellung fokussiert, wobei nicht alle Stellen im Interview in ihrer Sequenzialität herangezogen werden. Wo es passend war, wurden auch Abschnitte aus dem Nachfrageteil zur Ergänzung mit in die Interpretation einbezogen. Zur Verdichtung der Fälle werden jeweils zentrale Aspekte der einzelnen Kapitelteile in resümierenden Zwischenergebnissen zusammengefasst.
1 Als exemplarische Arbeiten, an denen sich auch die Darstellungsform der Einzelfälle in der vorliegenden Arbeit orientiert, sind die Forschungen von Bettina Kleiner (2015), Dorothee Schwendowius (2015) und Tina Spies (2010) zu nennen.
5Falldarstellung Elif Yıldız
Zwischen Handlungsfähigkeit und Zum-Opfer-gemacht-Werden
5.1Rekonstruktion biographischer Ereignisse – Biographisches Kurzporträt
Elif Yıldız steht zum Interviewzeitpunkt kurz vor ihrem 23. Geburtstag. Sie wurde in der Großstadt A als drittes Kind geboren. Ihre Schwester ist vier Jahre und ihr Bruder ein Jahr älter. Ihre Eltern kamen beide unabhängig voneinander als Arbeitsmigrant*innen in die Schweiz. Dort lernten sie sich kennen und heirateten kurz darauf. Über ihre Kindheit und frühe Jugend erzählt Elif Yıldız wenig, erwähnt aber kurz, dass sie sich mit ihren Geschwistern zu dritt ein Zimmer geteilt habe. In Bezug auf die Schule hebt sie hervor, dass sie aufgrund ihrer guten Leistungen ins Gymnasium gekommen sei.
Ab ihrem 16. Lebensjahr lebt Elif Yıldız in der stationären Jugendhilfe. Sie entscheidet sich nach einer gewalttätigen Eskalation durch ihren Vater und ihren Bruder dazu, sich Hilfe zu holen und ruft bei der Leiterin des Sozialdienstes der Polizei an. In der Folge wird sie zunächst im Kinderspital in einer Beobachtungsstation notuntergebracht und kommt dann in die Beobachtungsstation Baumstraße. Von dort geht sie schließlich ins Zentrum Storchengasse, eine Einrichtung für weibliche Jugendliche. Dort verbringt sie fünfeinhalb Jahre, bis sie im Alter von 21 Jahren ihre Ausbildung abschließt.
In der Folge des Übergangs ins Heim durchlebt Elif Yıldız eine Krise. Sie fühlt sich im Gymnasium mit den anderen Peers, welche sie als wohlbehütet wahrnimmt, nicht wohl und zieht sich immer mehr aus den sozialen Zusammenhängen am Ort der Schule zurück. Sie fängt an zu kiffen und bleibt der Schule regelmäßig fern. Nach einem Krisengespräch zur schulischen Situation mit Rektorin, Klassenlehrer und Bezugsperson entscheidet sie sich, das Gymnasium zu verlassen. Im Anschluss daran startet sie ein einjähriges Praktikum in der Pflege und beginnt danach eine Ausbildung zur ›Fachangestellten Gesundheit und Pflege‹ (FAGE auf EFZ-Niveau1). Parallel dazu macht sie die Berufsmaturität2. Während ihrer Ausbildung wechselt sie aufgrund fehlender Anleitung die Praxiseinrichtung und schließt die Lehre dann erfolgreich ab. Nach dem Lehrabschluss zieht sie im Alter von 20 Jahren aus der Einrichtung Storchengasse aus und mit ihrem damaligen Freund zusammen. Parallel dazu arbeitet sie als ›Fachangestellte Gesundheit und Pflege‹ in einer Einrichtung für ältere Menschen und absolviert erfolgreich die eidgenössische Maturität3, mit dem Ziel, an der Universität studieren zu können. Nachdem sie sich von ihrem Freund getrennt hat, zieht sie wieder bei ihren Eltern ein in das Zimmer ihrer Schwester, die kurz zuvor ausgezogen ist. Zum Interviewzeitpunkt sucht Elif Yıldız zusammen mit einer Kollegin aus der Wohngruppe Storchengasse eine Wohnung. Weiterhin plant sie, im kommenden Sommer Deutsch und Geschichte auf Lehramt zu studieren, mit dem Wunsch, einmal als Lehrerin am Gymnasium zu unterrichten.
5.2Anbahnung des Interviews und Reflexion der Interviewsituation
Wie bereits in Kapitel 3.3.2 dargestellt, erfolgte die Anfrage an die jungen Menschen über Einrichtungen der stationären Jugendhilfe. Auch Elif Yıldız wurde über die Einrichtung, in der sie zuletzt gelebt hat, angesprochen, ob sie Interesse an einem Interview habe. Nach ihrer Einwilligung nahm ich per SMS Kontakt mit ihr auf. In der SMS schrieb ich, dass ich mich für das »Erwachsenwerden« von jungen Erwachsenen interessierte, die in Heimen aufgewachsen sind, und ich sie daher gerne zu ihrer »Lebensgeschichte« und ihren »Erfahrungen« befragen würde.
Auf die SMS-Nachricht antwortete sie mir innerhalb von fünf Minuten und schlug gleich für den nächsten Tag einen Interviewtermin vor. Die schnelle Antwort, ihre Formulierung »ich stehe ihnen gerne für ein Interview zur Verfügung« sowie das Angebot eines zeitnahen Termins drücken grundsätzlich ihre Bereitschaft aus, an der Forschung teilzunehmen und zeugen von einer Motivation oder einem Anliegen, ein Interview zu geben und von den eigenen Erfahrungen zu berichten.
Das Interview war für mich das erste in der zweiten Phase der Erhebung. Wir trafen uns am darauffolgenden Tag in der Cafeteria einer Hochschule. Im Vorgespräch erzählte Elif Yıldız viel von ihrer Arbeit, und es war mir leicht möglich, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Nach einer Vorstellung des Anliegens meiner Forschung und einem kurzen Gespräch über das Projekt, in dem sie zum Ausdruck brachte, dass sie das Thema der Forschungsarbeit wichtig fände, leitete ich zum Interview über. Fragen zum Rahmen des Interviews stellte Elif Yıldız keine, unterstrich aber erneut ihre Bereitschaft für das Interview. Im Interview selbst zeigte sich, dass sie die Einrichtung, über die der Kontakt hergestellt wurde, sehr schätzt und mit den Mitarbeiterinnen regelmäßigen Kontakt hat. Ihr hohes Commitment, an der Studie teilzunehmen, kann auch an dieser positiven Verbindung zu der Einrichtung liegen.
5.3Konstruktion der Biographie – Übersicht Interviewverlauf
Das Interview dauerte eine Stunde und 20 Minuten, wobei die Haupterzählung 30 Minuten in Anspruch nahm. Nach einer ersten vorläufigen Koda, bei der Elif Yıldız einen Ausblick auf ihre Zukunft gibt und von ihrem Plan erzählt, im September an der Universität Deutsch und Geschichte zu studieren. Anschließend bilanziert sie die Beziehung mit ihren Geschwistern und geht dabei insbesondere auf ihre aktuelle Beziehung zu ihrem Bruder ein. Sie beendet schließlich auch diesen Teil mit einer Koda: »°das einmal ja°« (0; 6) und markiert damit das Ende ihrer Erzählung.
Insgesamt wird die Haupterzählung dominiert von beschreibenden und einigen argumentativen Teilen. Elif Yıldız stellt die Struktur ihrer Biographie insbesondere durch genaue Zeitangaben und Zeitabstände her. Dabei hat sie offensichtlich eine chronologische Struktur vor Augen, was an den detaillierten Datums- oder Altersangaben sowie der Benennung von zeitlichen Abständen sichtbar wird. Dies deutet darauf hin, dass sie sich mit ihrer Biographie und den Ereignissen schon beschäftigt und in der Folge einen Überblick über die zeitliche Abfolge erarbeitet hat.
In der Haupterzählung wechselt die Erzählweise an der Stelle, an der sie berichtet, wie es dazu kam, dass sie in die stationäre Jugendhilfe ging, in eine Narration. Hierfür unterbricht sie die geraffte und beschreibende Darstellung ihrer Kindheit und frühen Jugend und fokussiert auf die Erzählung der Ereignisse am Tag ihres Wegganges. Dieser Tag stellt den Auftakt dar für verschiedene Stationen in unterschiedlichen Einrichtungen der stationären Jugendhilfe. Nach dieser Erzählung zu ihrer Hilfebiographie wechselt sie wieder in eine beschleunigte Darstellungsweise von Ereignissen. Hierbei fokussiert sie noch auf Prozesse in unterschiedlichen Lebenslaufbereichen, die sie abschließend anfügt und dadurch den Bogen zur Gegenwart spannt. Durch diese Konstruktion ihrer Biographie steht im Zentrum ihrer Darstellung, wie sie in die stationäre Jugendhilfe kam, und welche Entwicklung sie danach bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt gemacht hat.
Nach der Haupterzählung bat ich Elif Yıldız im Nachfrageteil, mehr über ihre Kindheit zu berichten, weil sie da ja noch nicht so viel »rausgelassen« (19; 354) habe. Sie antwortet direkt, dass sie eine »happy« (20; 356) Kindheit gehabt habe. Nach dieser bilanzierenden, beschreibenden Aussage denkt Elif Yıldız kurz nach und sagt: »zu Hause ist=es (2) eigentlich so das Gegenteil gewesen« (20; 358). Im Versuch zu erzählen, was sich in ihrer Kindheit zu Hause zugetragen hat, verliert die Biographin die Fassung und formuliert sehr emotional nach einer längeren Pause: »also ich mag mich nicht an (1) so viele Sachen erinnern, ///mmh/// aus der Kindheit, ///mmh/// darum lasse ich glaube auch diese Lücke ((leicht lachend)),« (20; 362-364). Diese Aussage verdeutlicht die Strategie der Biographin, gewisse Teile ihrer Kindheit auszulassen. Sie ergänzt, dass sie Gewalt durch ihren Vater ausgesetzt war und sie diesen Teil nicht erzählt, um sich vor den damit verbundenen belastenden Gefühlen zu schützen. Riegel (2018, S. 572) weist in diesem Zusammenhang auf die Kompetenz von Jugendlichen hin, sich in biographischen Interviews zu schützen, und damit verbundene Strategien, mit belastenden Erlebnissen in ihrer Biographie umzugehen. An dieser Stelle zeigt sich, dass ich durch mein Nachfragen diese Strategie störte, mir dies aber auch erst durch die Reaktion sichtbar wurde.
Als Interviewerin nahm ich daraufhin einen Themenwechsel vor und stellte keine weiteren Rückfragen zu diesem Teil ihrer Biographie, da ich das Gefühl hatte, die Biographin durch die Nachfrage auf ein ›unsicheres Terrain‹ geführt zu haben. Rückblickend fragte ich mich, ob es angesichts der Lücke in ihrer Erzählung legitim war, darauf überhaupt in der Nachfrage so explizit hinzuweisen und nach Vertiefungen zu fragen, weil es in der Relevanzsetzung der Biographin offensichtlich nicht im Zentrum stand.
In diesem Zusammenhang sind auch Fragen zur Interviewführung und damit verbundene ethische Fragen zu berücksichtigen. Köttig und Rosenthal (2006, S. 195) heben als Anforderung für die Interviewführung die Notwendigkeit hervor, sensibel für belastende und potenziell auch traumatisierende Erfahrungen zu sein, die durch den Erinnerungsprozess bei biographischen Interviews reaktualisiert werden können. In Bezug auf das vorliegende Interview stellt sich die Frage, ob ich in der Situation nicht in eine Metaebene der Kommunikation hätte wechseln können. So hätte ich bspw. nachfragen können, ob es für sie in Ordnung wäre weiterzuerzählen, oder ob wir eine Pause machen sollten. Mein stillschweigender Themenwechsel kann ggf. auch an Erfahrungen ihrerseits anknüpfen, dass ihre G...
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titleseite
- Impressum
- Inhalt
- Dank
- Einleitung
- Teil I Kontext der Untersuchung
- Teil II Theoretische und methodologische Rahmung
- Teil III Empirische Analysen
- Anhang