Memoiren der Kurfürstin Sophie von Hannover
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Memoiren der Kurfürstin Sophie von Hannover

Ein höfisches Lebensbild aus dem 17. Jahrhundert

  1. 204 Seiten
  2. German
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Memoiren der Kurfürstin Sophie von Hannover

Ein höfisches Lebensbild aus dem 17. Jahrhundert

Über dieses Buch

Sophie von Hannover (1630-1714) war durch ihre Heirat Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg und Kurfürstin von Braunschweig-Lüneburg. Durch den »Act of Settlement" wurde sie 1701 designierte Thronfolgerin der britischen Monarchie. Bereits 1680 schrieb Sophie ihre Memoiren: Urteilsfreudig und mit feinem Humor erzählt diese bemerkenswerte Persönlichkeit vom Leben einer jungen Aristokratin im Spannungsfeld europäischer Dynastien. Sie wählt das höfische Französisch, um mit prägnantem Blick von Menschen und Ereignissen in einer Melange aus Raffinesse und Natürlichkeit unter dem Einfluss der Frühaufklärung zu erzählen. Ihre Schilderungen sind inspiriert vom freiheitlichen Schwung des Autonomiestrebens der Frühaufklärung.Nach der ersten Übersetzung von 1913 erscheint eine Neuübersetzung der Memoiren nun zu ihrem 300. Todestag am 8. Juni 2014 mit einem ausführlichen Kommentar und einer Einführung.

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Information

Memoiren
der
Kurfürstin Sophie von Hannover

Zu Hannover, 1680

In meinem Alter gibt es keine bessere Beschäftigung, als sich vergangener Zeiten zu erinnern; dem glaube ich mit dieser Schrift zu genügen; sie ist nur für mich bestimmt und ich will weder als Heldin der Geschichte erscheinen noch jene romantischen Damen nachahmen, die nur durch ihr prachtvolles Leben und ihre außergewöhnlichen Auftritte berühmt geworden sind.1 Ich beabsichtige damit nichts anderes, als mich während der Abwesenheit des Herzogs, meines Gemahls, zu zerstreuen, um die Melancholie zu meiden und mir meinen Humor zu bewahren.2 Denn ich bin überzeugt, daß dadurch die Gesundheit und das Leben, die mir sehr kostbar sind, erhalten bleiben.
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1630

Man hat mir gesagt, daß ich am 14. Oktober des Jahres 1630 geboren wurde und die zwölfte Frucht der Ehe meines Vaters des Königs und meiner Mutter der Königin war.3
Ich glaube, meine Geburt hat ihnen nur deshalb Freude bereitet, weil ich nicht mehr den Platz einnahm wie zuvor. Man war sehr unentschieden, welchen Namen und welche Paten man mir geben sollte, weil alle in Frage kommenden Könige und Prinzen schon mit den Kindern, die mir vorangegangen waren, ihre Last zu tragen hatten. Man schrieb verschiedene Namen auf mehrere Zettel und befand es für richtig, den meinigen auf diese Weise zu bestimmen; so gab mir der Zufall den Namen Sophie. Und um die Patinnen auszuwählen, die diesen Namen trugen, wählte der König die Pfalzgräfin von Birckenfeld und die Gräfin zu Hohenlohe aus, des weiteren die Gräfin von Culenburg sowie Madame von Brederode, die Gräfin von Nassau; die Staaten von Friesland4 wurden mir als Paten zugeteilt.
Als ich alt genug war und man mich wegbringen konnte, schickte mich meine Mutter die Königin nach Leyden, das nur drei Stunden vom Haag entfernt liegt, wo Ihre Majestät alle ihre Kinder fern von sich erziehen ließ, denn den Anblick ihrer Meerkatzen und Hunde zog sie dem unsrigen entschieden vor.5
Wir hatten in Leyden eine ganz und gar deutsche Hofhaltung. Alle Stunden des Tages waren geregelt, so wie unsere Verbeugungen. Meine Gouvernante6, eine Madame von Pless, hatte schon bei meinem Vater dem König diese Stellung eingenommen, woran man ihr Alter ablesen konnte. Ihre beiden Töchter, die älter als ihre Mutter zu sein schienen, halfen ihr bei dieser Aufgabe. Ihre Gesinnung war rechtschaffen, vor Gott wie vor den Menschen; sie weinten bitterliche Tränen für den einen, den anderen haben sie niemals etwas angetan, wenn auch ihr Äußeres fürchterlich anzusehen war und kleinen Kindern Angst machen konnte. Sie lehrten mich Gott zu lieben und den Teufel zu fürchten, und ich wurde in großer Ehrfurcht nach den Lehren Calvins erzogen. Man unterrichtete mich im Heidelberger Katechismus, der in deutscher Sprache geschrieben war.7 Ich konnte ihn vollständig auswendig, ohne ihn zu verstehen. Um sieben Uhr morgens stand ich auf und mußte jeden Tag im Hauskleid bei Mademoiselle Marie von Quadt erscheinen, einer der beiden Töchter, von denen ich gesprochen habe, die mich zu Gott beten und die Bibel lesen ließen. Sie brachte mir die Vierzeiler Pibracs8 bei, während sie sich den Mund spülte und sich die Zähne putzte, die es wahrhaft nötig hatten. Die Grimassen, die sie dabei schnitt, sind mir besser im Gedächtnis geblieben als alles andere, das sie mir beibringen wollte. Danach kleidete man mich an. Dieses geschah um halb neun Uhr, und ich sah dann für gewöhnlich einen Lehrer nach dem anderen zu mir kommen; dies dauerte bis zehn Uhr, falls ihnen der liebe Gott keinen Katarrh schickte, um mich zu retten. Nun wurde der Tanzlehrer willkommen geheißen, der mich bis elf Uhr unterrichtete, der Stunde des Diners. Dieses fand immer sehr zeremoniell an einer langen Tafel statt. Wenn ich in den Saal eintrat, waren meine Brüder alle in einer Linie aufgestellt, hinter ihnen ihr Gouverneur und ihre Hofkavaliere, immer in der gleichen Reihenfolge. Die höfische Etikette verlangte von mir, zuerst eine tiefe Verbeugung vor den Prinzen zu machen, dann eine kleinere vor den anderen, darauf noch einmal eine sehr tiefe, indem ich mich ihnen gegenüber aufstellte, dann noch eine kleine vor meiner Gouvernante, deren Töchter sich ebenfalls sehr tief vor mir verbeugten, wenn sie in den Saal traten. Ich mußte mich tief verbeugen, wenn ich ihnen meine Handschuhe übergab, dann noch einmal, wenn ich mich meinen Brüdern gegenüberstellte, eine Verbeugung machen, wenn mir die Hofkavaliere ein großes Handwaschbecken brachten, noch eine nach dem Gebet und eine letzte, bevor ich mich zu Tisch begab, was wohl, wenn ich richtig gezählt habe, insgesamt neun ausmacht. Alles war genau geregelt, man wußte an jedem Tag, was man essen würde, wie in einem Kloster. Sonntags und Mittwochs waren immer zwei Diener des Wortes Gottes zugegen oder zwei Professoren, die mit uns aßen.
Man glaubte, ich würde sehr gelehrt werden, weil ich eine schnelle Auffassungsgabe hatte; aber ich wollte einfach nichts anderes, als nicht mehr lernen zu müssen; damit ich das, von dem man wollte, daß ich es wissen sollte, eben nicht mehr mühevoll zu lernen hätte. Nach der Mahlzeit ruhte ich bis zwei Uhr nachmittags, bis die Angriffe auf mich wieder begannen; um sechs Uhr ließ man mich zu Abend essen und um halb neun zu Bett gehen, nachdem ich einige Kapitel in der Bibel gelesen und zu Gott gebetet hatte. Dieses Leben habe ich bis zum Alter von neun oder zehn Jahren geführt. Alle Streiche, die ich meiner Gouvernante, welche das Alter hat blind werden lassen, gespielt habe, übergehe ich stillschweigend, denn meine Geschichte soll keine Ähnlichkeit mit der von Lazarillo von Tormes9 bekommen. Ich möchte nur noch hinzufügen, daß die Königin meine heranwachsenden Brüder und Schwestern aus Leyden zurückkommen ließ, die Prinzen, um sie Reisen unternehmen zu lassen, und die Prinzessinnen, um sie bei sich zu haben.
Ich blieb mit einem kleinen Bruder dort, der nur ein Jahr jünger war und der im Alter von acht Jahren starb; die Königin war mit ihm schwanger, als sie die traurige Nachricht vom Tod des Königs, ihres Gemahls, erhielt.10 Das arme Kind wurde von einem Steinleiden gequält, seit es auf der Welt war, und man konnte sich deshalb schon fragen, wie es auch im Evangelium steht, ob er oder seine Eltern gesündigt hatten, weil er so elend geboren worden war; er war sehr hübsch.
Ich erinnere mich, daß die Königin uns beide an einem Nachmittag nach dem Haag kommen ließ, um uns ihrer Cousine, der Prinzessin von Nassau, zu zeigen, so wie man das auf einem Pferdegestüt zu tun pflegt, und daß Madame Gorin, als sie meinen kleinen Bruder und mich sah, sagte: »Er ist sehr hübsch, aber sie ist mager und häßlich, ich hoffe aber, sie versteht unser Englisch nicht.«
Ich verstand es aber nur zu gut, was mich bekümmerte und sehr traurig machte, weil ich glaubte, es gebe gegen mein Übel kein Mittel. Allerdings war es nicht so schlimm wie das meines armen kleinen Bruders, der bald darauf unter entsetzlichsten Schmerzen starb, wovon ich außerordentlich ergriffen und berührt war. Als man seinen Leichnam öffnete, fand man einen Blasenstein so groß wie ein Taubenei, umgeben von vier anderen sehr spitzen Steinen, und einen Nierenstein, der die Form eines großen Zahns hatte, den man mitsamt der Wurzel gezogen hat. Der Gedanke daran macht mich noch heute schaudern, zeigte sich doch die Unwissenheit der Ärzte, von denen er im Laufe seines kurzen Lebens so viele hatte.
Sein Lebensende bedeutete auch das Ende unseres Aufenthaltes am Hof zu Leyden, denn man wollte mich dort nicht alleine zurücklassen; ich empfand große Freude, aber auch einiges Bedauern darüber, meine alten Kindermädchen, die ihren Aufenthaltsort und ihre Gewohnheiten nicht verändern wollten, verlassen zu müssen. Ich liebte sie aus Gewohnheit und Anerkennung, denn zwischen dem Alter und der Jugend gibt es selten Sympathie. Sie wurden wegen ihrer Tugenden von jedermann geachtet, und nachdem sie wie die Heiligen gelebt hatten, sind sie auch so gestorben.
Im Alter von neun bis zehn Jahren kam ich nach dem Haag an den Hof der Königin11, meiner Mutter, und aus Unwissenheit bewunderte ich dort alles. Ich glaubte, dort alle Freuden des Paradieses zu genießen, bei so viel Abwechslung und so vielen neuen Menschen, und weil ich meine Lehrer nicht mehr sehen mußte. Es berührte mich auch nicht, dort drei Schwestern anzutreffen, die viel schöner und gebildeter waren als ich und die von allen bewundert wurden12; ich war damit zufrieden, mit meiner heiteren Art und meinem Witz alle Leute unterhalten zu können. Sogar die Königin fand daran Vergnügen und zeigte sich wohlgelaunt, wenn man mich ärgerte und meinen Witz herausforderte, damit ich mich verteidigen mußte. Ich brachte es immer wieder fertig, die Leute zu verspotten, worüber sich die geistreichen amüsierten, während sich die anderen fürchteten.
Zu diesen gehörte auch der Prinz von Tarent13, der mich mied wie die Pest, da er selbst nicht genug Witz besaß, um sich zu verteidigen. Unter den anderen befanden sich die Messieurs de Zulestem und Marigné. Der eine war ein Flame, ein natürlicher Sohn des Prinzen Heinrich von Oranien, und seine Späße waren nicht sehr höflich. Eines Tages fand ich sie zu indiskret, und um mich sogleich an ihm zu rächen und ihm gehörig den Kopf zu waschen, wollte ich mein Taschentuch in das Wasserbecken tauchen, aus dem die Hunde der Königin gewöhnlich tranken. Aber da es zu viele Hunde waren, fand ich das Becken leer, und so befeuchtete ich das Tuch an einem Ort, wo das Wasser nicht so rein war, und warf es ihm ins Gesicht. Mein Bruder Moritz, der Zeuge davon gewesen war, daß ich mich für meine Rache am Nachtstuhl der Königin bedient hatte, erzählte es sogleich allen Leuten, um den Spott zu steigern; der gute Flame geriet hierüber vollends aus der Fassung.
Der Franzose Marigné besaß viel mehr Geist und Benehmen. Um die Königin zu zerstreuen, schrieb er mir einen Brief im Namen aller Meerkatzen Ihrer Majestät, welche mich zu ihrer Königin machen wollten. Dieser Brief wurde mir vor aller Augen präsentiert, um zu sehen, ob ich meine Haltung bewahren würde. Aber ich fand ihn zu hübsch, um mich über ihn zu ärgern, und ich lachte darüber wie alle anderen.
Man wollte mir noch einen weiteren Streich spielen, und zwar mit dem Sohn des Botschafters aus Venedig, der Contarini hieß; er war sehr hübsch und spielte oft mit mir zusammen. Ein Engländer namens Vain, den man ständig wegen seines großen Kinns aufzog, schrieb nun einen Brief im Namen des kleinen Venezianers, nachdem dieser abgereist war; er übergab ihn mir, um eine Antwort zu entlocken, für die man mich verspotten könnte. Ich bemerkte seine Absicht und legte eine Gegenmine: ich gab ihm heimlich eine kleine Schachtel, die, wie ich ihm sagte, einen Ring zusammen mit einem Brief für den kleinen Venezianer enthielte. In die Schachtel hatte ich aber ein Stück vom Kot der Hunde der Königin getan. In dem Brief stand:
Pour Monsieur le confident
Je luy donne ce présent,
Il es long et de la forme
De son menton si déforme14
Es gab viele solcher Scherze, die aber nicht würdig sind, daß ich sie mir ins Gedächtnis rufe. Lieber wende ich meine Gedanken auf die Zeit, als ich anfing, ein wenig vernünftiger zu werden. Die Königin zog sich gewöhnlich im Sommer auf das Jagdschloß in Rhenen15 zurück. Ihre Majestät weilte gerade dort, als meine Schwestern beschlossen, zu ihrer Zerstreuung das Schauspiel Medea aufzuführen, an dem ich aber nicht mitwirken sollte, weil man dachte, ich sei nicht in der Lage, so viele Verse auswendig zu lernen. Das berührte mich so stark in meiner Ehre, daß ich gleich die ganze Tragödie lernte, obwohl ich bloß die Rolle der Nérine zu lernen brauchte, die man mir immerhin zugestanden hatte.16 Die Königin war’s zufrieden; eine Schneiderin fertigte das Gewand an, und eine Schauspielerin brachte mir die Gesten bei; von dem Text, den ich vorsprach, verstand ich nichts, aber weil ich noch jung war, konnte ich das verschmerzen, denn ich war erst elf Jahre alt.
Einige Zeit später erhielt die Königin, meine Mutter, Besuch von der Königin von England und ihrer Tochter Mademoiselle Marie, welche mit dem jungen Prinzen von Oranien verlobt war.17 Die Königin traf sich mit ihnen in Honslardick18, und ich wurde von meinen Schwestern als die geeignetste auserwählt, um der jungen Prinzessin, die nur etwas jünger war als ich, Gesellschaft zu leisten.
Durch die Porträts von Van Dyck19 hatte ich eine so schöne Vorstellung von englischen Damen, daß ich überrascht war, der Königin, die mir auf den Gemälden so hübsch erschienen war, als einer kleinen, auf ihrem Stuhl sitzenden Person zu begegnen, mit langen, dürren Armen, krummen Schultern und Zähnen, die wie Geschütze aus einer Festung aus ihrem Mund hervorstanden. Als ich sie näher betrachtete, fand ich jedoch, daß sie sehr schöne Augen, eine wohlgeformte Nase und einen wunderschönen Teint hatte. Sie beehrte sich mir zu sagen, ich sähe ihrer Tochter ein bißchen ähnlich; das gefiel mir so sehr, daß ich sie von da an eigentlich ganz hübsch fand.
Mir kam zu Ohren, daß einige Mylords mir schmeichelten, ich würde alle meine Schwestern an Schönheit übertreffen, wenn ich erst einmal erwachsen wäre. Das steigerte gleich meine Zuneigung für ihre ganze Nation, denn wenn man jung ist, liebt man es, hübsch gefunden zu werden. Meine Schwester Elisabeth, die schon damals sehr hübsch war, hatte schwarze Haare, einen frischen Teint, braune, strahlende Augen, schwarze und breite Augenbrauen, eine glatte Stirn, einen schönen, purpurroten Mund, wunderschöne Zähne und eine feine, dünne Nase, die jedoch leicht rot wurde. Sie liebte die Wissenschaften, aber alle ihre Weisheit hinderte sie nicht daran, daß sie ärgerlich wurde, wenn die Blutzirkulation ihre Nase unglücklicherweise rot färbte; dann versteckte sie sich vor allen. Ich erinnere mich, daß meine Schwester Prinzessin Luise, die manchmal etwas direkt war, bei einem solchen Vorfall fragte, ob sie sie nicht wie zur gewohnten Zeit zur Königin begleiten wolle. Prinzessin Elisabeth erwiderte: »Wollen Sie, daß ich mit dieser Nase dorthin gehe?« Die andere antwortete: »Soll ich etwa warten, bis Sie eine andere haben?«
War diese von einem lebhaften und natürlichen Wesen, war die andere sehr gelehrt. Sie verstand alle Sprachen und alle Wissenschaften und stand in regelmäßigem Austausch mit Monsieur Descartes20; aber dieses große Wissen ließ sie auch oft ein wenig zerstreut erscheinen und gab uns oft Gelegenheit zum Lachen. Prinzessin Luise war nicht so schön, aber meiner Ansicht nach war es ihre gute Laune, die sie liebenswert machte. Sie widmete sich vollständig der Malerei und wandte sich ihr so sehr zu, daß sie Leute malen konnte, ohne sie vor sich zu sehen.21 Aber während sie die anderen so schön malte, vernachlässigte sie sich selbst. Die Kleider schienen ihr auf den Körper geworfen zu sein, was Monsieur Harrington22 veranlaßte, sie in seinen Versen mit jenem Maler zu vergleichen, dem es nicht gelang, den Schweiß eines Pferdes abzubilden und der aus Wut darüber seinen Pinsel gegen die Staffelei warf, wobei ihm dann zufällig dieses Bild auf das beste geriet.
Meine Schwester Prinzessin Henriette glich den beiden anderen überhaupt nicht. Sie hatte aschblonde Haare, ihr Teint war, ich übertreibe nicht, lilien- oder rosenfarben, und ihre wohlgeformte, weiße Nase drohte ständig zu erfrieren; sie hatte sanfte Augen, schön geformte schwarze Augenbrauen, ihre Stirn und die Form des Gesichts waren wunderschön, der Mund hübsch, Hände und Arme waren wie gedrechselt, von ihren Beinen und Füßen will ich erst gar nicht sprechen; um sie zu loben reicht es zu sagen, daß sie denen aller anderen Frauen unseres Hauses glichen. Ihr Charakter war so, daß sie die Arbeit liebte und Konfitüren herstellte, wovon ich am meisten profitierte.
Ich muß auch einer Person gedenken, die mir die Demoiselles Quadt, da sie mich nicht selbst begleiten konnten, mitgeschickt hatten, damit sich stets jemand ihrer Gesinnung um mich kümmerte. Sie hatten ein altes Fräulein namens Galen empfohlen, das mir zu Diensten sein sollte, das ich aber nicht leiden mochte. Ich empfand sie als sehr unangenehm, und das ging nicht mir alleine so. Oft versteckte ich mich hinter irgendeinem Bettvorhang oder einer Tapisserie, damit sie Mühe hatte, mich im ganzen Haus zu suchen. Zuneigung faßte ich dagegen zu einem Mädchen aus England namens Carray, die mit meiner Schwester Prinzessin Henriette Umgang pflegte. Sie war eine junge und bescheidene Person, nicht hübsch, aber zierlich und stets von gepflegtem Aussehen. Sie hatte eine ältere Schwester von großer Klugheit und Urteilskraft, die Ehrenjungfer der Königin war. Die eine war mir von Herzen zugeneigt, die andere aus Gründen der Politik. Denn sie hatte erkannt, daß ich eines Tages an Geltung gewinnen und ihrem Glück dienlich sein könnte. Sie drängte ihre Schwester, für mein Äußeres zu sorgen, was nicht sehr schwer war, denn die Jugend schmückt stets am besten. Ich hatte hellbraune Haare mit Naturlocken, ein munteres, ungezwungenes Wesen und eine wohlgeformte, nicht allzu große Statur; eben die Haltung einer Prinzessin. An alles andere, das mir mein Spiegel jetzt nicht mehr zeigt, möchte ich mich nicht erinnern. Viel lieber ergötze ich mich an den Porträts, die von mir in jener Zeit gemacht worden sind, als jetzt eines von mir zu geben.
Der Haag war damals stark vom Hofklatsch beherrscht, es war unter den Schöngeistern regelrecht Mode, die Handlungen aller möglichen Leute zu kritisieren. Meine Schwestern, von denen ich soeben gesprochen habe, sorgten sich um mein Betragen und meine Manieren, so daß mir meine Lebensführung mehr Lob einbrachte als meine Schönheit. Es gab einen älteren Mylord Craven23, der sich sehr meiner annahm: man dachte daran, mic...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Sophie von Hannover – Ein Porträt
  6. Memoiren der Kurfürstin Sophie von Hannover
  7. Kommentar
  8. Zur Textgestalt der Memoiren und zu dieser Übersetzung
  9. Zeittafel
  10. Literatur