Der Kirchenrechtsprofessor nimmt Vernunft an, wird mit mir glücklich und stirbt
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Der Kirchenrechtsprofessor nimmt Vernunft an, wird mit mir glücklich und stirbt

  1. 404 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfügbar
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Der Kirchenrechtsprofessor nimmt Vernunft an, wird mit mir glücklich und stirbt

Über dieses Buch

Oktober 1977: Der Kirchenrechtsprofessor Johannes Neumann schmeißt hin und gibt seine kirchliche Lehrerlaubnis zurück. Bis dahin hatte er an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen gelehrt, deren Rektor er 1972 war. Von seinen Kollegen wurde einer Papst (Joseph Ratzinger), einer Kardinal (Walter Kasper) und einem wurde von seiner Kirche der Stuhl vor die Tür gesetzt (Hans Küng) - allerdings erst, nachdem er nicht mehr dessen juristischer Berater war. Er war einer der renommiertesten Vertreter "der Progressiven", bis kein Weg mehr an der Einsicht vorbeiführte: Der Kampf für eine menschenfreundliche Kirche ist zwecklos. Den Weg vom engagierten, aber immer kritischen katholischen Priester und Theologen zum Agnostiker und Kirchenkritiker zeichnet seine Frau nach. Die "gelernte Theologin" wurde Psychoanalytikerin. Die vollständig erhaltenen Briefe, Tagebücher, Dokumente jener Zeit geben ein authentisches Bild: ein Blick hinter die Kulissen und ein Blick in die Herzen. Es ist eine sehr persönlich und schonungslos ehrlich erzählte Geschichte von Liebe und Tod, Sex and Crime, Freundschaft und Intrige, Treue und Verrat. Sie zeigt, wie Angst, große Angst überwunden werden kann, überwunden worden ist.

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Information

Jahr
2017
ISBN drucken
9783743158436
eBook-ISBN:
9783744803250
Auflage
1

Im Krieg und in der Liebe … (Teil 1)

Am 1.2.1976 hatte ich in mein Tagebuch geschrieben, was das Dreiecksverhältnis anginge, sei ich mir klar geworden, »daß die Beratung das einzige sei, was ich von ihm verlangen würde«. Diese Bedingung hatte er erfüllt, weswegen ich nur zu gern die »Kontaktsperre« aufheben konnte.
Vom 23.4. bis 25.4 war Johannes mit seiner Fakultät in Budapest.
Samstag, 24.4.1976
Liebster!
… Mag Dich jetzt bei mir haben, mag mich jetzt – angesichts des Schnees draußen – eng an Dich schmiegen, Dich bitten: »Sag was auf ostpreußisch!« … Und Du befändest, daß man »Brüste« nicht auf ostpreußisch sagen könnte, das heißt, sagen könnte man’s schon, aber es wäre absolut unerotisch. Du würdest bestimmte Teile dieser Brüste zum Sprießen bringen – und ich andere Teile bei Dir.
Wahrscheinlich redest oder schweigst Du jetzt über Gott und Atheismus. Ich hoffe so, daß Du die Tage genießen kannst. Im Reisewetterbericht hieß es, daß an der Schwarzmeerküste die Temperatur 25 bis 30 Grad betragen würde. Ungarn ist zwar keine Schwarzmeerküste, aber vielleicht ist das Wetter genauso schön wie die Frauen dort, und hoffentlich verhindert der Sozialismus nicht, daß Du Essen und Trinken richtig balkanisch genießen kannst. … Ich werde heute abend Dein Kleid ausführen: Ich geh’ ins Theater – wie es einer künftigen Psychotherapeutin angemessen ist, in »Ödipus« …
Deine Geliebte
24.4.1976, 0.37 Uhr
Liebste Ursula!
Ob Du all das gesehen hast, was ich Dir zeigte? Hast Du gespürt, wie ich aus der Luft um 12.56 Uhr zum Fernsehturm hinübergrüßte? Wie wir in München im Schneesturm starteten und in Wien wie eine gedemütigte Horde von Polarhunden in die jämmerlichen Maschinen der Austrian Airlines getrieben wurden? Und in Budapest konnten wir 1 Stunde warten, bis uns die sozialistischen Brüder an der Paßkontrolle abfertigten … Dann war von 19 bis 22 Uhr Abendessen mit Zigeunermusik. Dann fuhren wir zu einem Kollegen. Dort erschütterndes Erlebnis: ein heftiger gruppendynamischer Prozeß, man hatte Angst voreinander! (Und zwar die Tübinger untereinander!) Ich bin sehr betroffen, wie tief das Mißtrauen reicht! Es ist abgrundtief!
24.4.1976, 18.05 Uhr
Liebste! – Um 8.30 Uhr (!!!) begann das Kolloquium mit Vortrag von Küng zum Atheismusproblem. Natürlich war kein Atheist dabei. So konnte man naiv darüber reden. Seit diesem Gespräch werde ich mich mit Atheismus beschäftigen. Da ich das sog. »Urvertrauen« (Küng) nicht habe, bin ich zum Atheismus verurteilt. Diese schlichte psycholog. Pseudotheol. erklärt vieles!
24.4.1976, 23.55 Uhr
Liebste Ursula!
…Es ging zum Abendessen mit dem Leiter des Außenamtes d. Bischofskonferenz (!). Die Hierarchie empfängt uns nicht und versuchte wohl auch über die staatl. Organe unser Kommen zu verhindern! Dann saßen wir (Küng, Auer, Oeing-Hanoff Greinacher und ich und 2 Ungarn) noch zusammen, wo Küng und ich aufeinanderprallten. Nicht schlimm; wir mögen uns, aber wir verstehen uns nicht.
Sonntag, 25.4., 8.06 Uhr
Liebste, ich bin sehr früh aufgewacht … Meine Gedanken suchen Dich … Ich habe unendliche Sehnsucht nach Dir. – Letztlich ist alles leer und freudlos, wenn Du nicht dabei bist. In Hamburg war es viel schöner … Ganz Dein Johannes
4.11.2014
Es ist merkwürdig. Wahrscheinlich zur selben Minute, als Johannes an jenem 25.4.1976 in Budapest an mich schrieb, klingelte bei mir das Telefon. Was sich ereignete, trug ich erst im Mai nach:
19.5.1976
»… Drei Tage danach, meine ich wenigstens, es war am 25.4., rief Martha morgens in aller Frühe an, Johannes war in Budapest. Sie wisse alles … Ach Gott, ich muß das doch detailliert schreiben. Aber nicht jetzt, jetzt bin ich müde und blau und glücklich. Mein Johannes!
22.5.1976
… Vor einem Monat – um den Bericht fortzusetzen, fragte ich: »Was wissen Sie alles?« – »Das mit Ihnen und Johannes.« – »Was?« – »Er hat mir alles gesagt.« Und ich, im Dämmerdussel, nahm das als bare Münze hin – jetzt bin ich froh um den Dämmerdussel, denn wenn ich richtig wach und wie verabredet reagiert hätte, hätte ich weiter geleugnet, was ich im Grunde eigentlich gar nicht wollte. Ich sagte nichts von mir aus, nur dementierte ich ihre Sätze nicht, daß ich viel mit ihm telefoniere, daß das seit Juli (!) gehe usw. »All das, was er jetzt Ihnen sagt, hat er mir gesagt. « Daß er auch ihr Stöße von Briefen geschrieben habe usw. Ich vergaß den Anfang des Gesprächs: Zuerst sagte sie, ich hätte mal gesagt, wir Frauen müßten solidarisch sein. Und jetzt müsse ich solidarisch mit ihr sein. Und was sie jetzt sage, müsse ich unter dem Siegel der Verschwiegenheit halten – etwas, was ich nicht versprach. Als ihr das später im Gespräch zum Bewußtsein kam, sagte sie: »Sie behalten das also nicht für sich?« Ich lachte: »Natürlich nicht.«
Sie wollte mir klarmachen, daß wir nicht in einer Zweizimmerwohnung hausen könnten, daß ihr die Hälfte vom Haus gehöre und daß sie nicht daran denke zu gehen. So leicht gebe sie ihn nicht auf, sie würde mit allen Mitteln kämpfen.
»Das ist eine Drohung«, konstatierte ich. »Wieso?« Sie war erstaunt, meinte dann, bei mir müsse man wohl die Worte auf die Goldwaage legen. Schließlich wollte sie mir klarmachen, daß er innerlich »so zerrissen« sei – er könne sich nicht entscheiden. Ich solle eben auf ihn verzichten, er könne nicht mehr arbeiten usw. usw. Als ich kühl sagte, das sei sein Problem, da könne ich ihm nicht helfen, er müsse sich entscheiden (etwas, was sie ihm gegenüber dann so darstellte, als hätte ich gesagt, er habe die Sache angefangen, jetzt müsse er sie auch ausbaden), jammerte sie weiter rum, er sei zu schwach, sich zu entscheiden (also: Wir müssen über ihn entscheiden!). Schließlich kam sie drauf, daß diese Geschichten ja in der Literatur häufig seien, deutete leise Selbstmordabsichten an und daß das für sie die Hölle sein würde. Sie habe nie jemandem den Mann weggenommen – und wie das dann bei Mia gewesen sei, lag mir auf der Zunge, ich verkniff es mir aber. Als sie schließlich sagte, sie habe nie etwas gegen mich getan, nie intrigiert, platzte ich kurz, da hätte ich andere Informationen. – Was denn? – Ich wolle nicht darüber sprechen. – Das sei ungerecht, ich müsse ihr die Gelegenheit geben, sich zu verteidigen. – Nein, ich wolle nicht. – Sie rief deswegen später noch mal an; als ich dann sagte, ich würde den Vorwurf des Intrigantentums mit dem Ausdruck größten Bedauerns zurücknehmen, verstand sie die Ironie gar nicht, sondern sagte, das gefiele ihr jetzt an mir.
Als sie realisiert hatte, daß ich nicht schweigen würde, sagte sie, dann würde sie abends, wenn Johannes aus Budapest zurückkäme, mit ihm sprechen. Das sei wohl das beste, meinte ich.
»Schützen Sie seinen Ruf«, sagte sie mehrmals, und ich erklärte mehrmals, daß ich nicht daran dächte, mich irgendwie anders als in diesem Sinn zu verhalten.
Ob ich es denn überstehen würde, wenn er mich verließe. Ich lachte wieder. Ganz ruhig und selbstverständlich, auf dem Fundament der Erfahrung des vergangenen Monats sicher ruhend, sagte ich: »Selbstverständlich würde ich das überleben.«
… Der Tag wurde entsetzlich lang. Wen würde er zuerst anrufen …? Kurz vor acht rief er an: »Schätzele«, begann er. »Ich schließe daraus, daß Du noch nicht informiert bist«, sagte ich. Und erzählte ihm kurz alles.
5.11.2014
Heute vor eineinhalb Jahren ist Johannes gestorben. Wenn es halbwegs gut geht, werde ich in seiner Todesminute im Auto sein und vom Qualitätszirkel der Renchtäler Ärzteschaft zurückfahren. Ich werde ein Referat gehalten haben. Über Suizid.
Heute sehe ich, dass es entgegen meiner Erinnerung für Marthas Suizid durchaus Warnhinweise gab. Der erste war 1975 bei ihrem gemeinsamen Urlaub in der Schweiz, als sie beim Anblick einer Axt drohte, ihn zu erschlagen, wenn er sie verließe, und andererseits am Rande eines Abgrunds meinte, er solle sie doch gleich da hinunterstoßen. Da war viel Mörderisches und Selbstmörderisches in ihr. Aber es berührt mich nicht sonderlich, dass ich diese Indizien nicht wahrgenommen habe. Es gab auch nicht einen Augenblick, in dem ich Schuldgefühle wegen ihres Todes gehabt hätte. Dazu war der Krieg, der in den folgenden Monaten von ihr geführt wurde, zu bedrohlich, zu gefährlich für mich und für Johannes. Wer bereit ist, die Situation auf ein existenzielles »Ich oder Du« zuzuspitzen, muss die Konsequenzen tragen. Suizid war schließlich die letzte ihr verbliebene Möglichkeit, uns und unsere Beziehung zu vernichten. Um ein Haar wäre das gelungen. Kurz gesagt: Es ist mir unmöglich, hinter dem grenzen- und maßlosen Vernichtungswillen noch die Frau zu sehen, die litt, die Angst um ihre Zukunft hatte, die entsetzlich gekränkt war. Das mögen andere tun. Mein Job ist das nicht.
Natürlich ist es alles andere als erfreulich, wenn der Mann, auf den man gebaut hat, fremdgeht. Selbstverständlich ist für mich die Wut, der Hass auf die neue Frau. Wobei ich immer wieder erstaunt bin, dass betrogene Frauen fast immer wütender auf die Rivalin sind als auf ihren betrügerischen Partner. Dabei ist es doch dieser, der ein implizit oder explizit gegebenes Versprechen gebrochen hat, nicht die »neue Frau«. Aber offensichtlich muss der Partner (bzw. die eigenen Gefühle für ihn) geschützt werden, indem man »die andere« zur allein Verantwortlichen macht. Eigentlich liegt darin eine Herabwürdigung des Partners zum »armen Verführten«. Nicht eben schmeichelhaft!
Aber: Es gibt keinen Zweifel, dass die betrogene Frau das Recht hat, mit harten Bandagen zu kämpfen. Und keine Frage: Es gibt moralischere Handlungen, als seiner Frau untreu zu werden oder einer anderen Frau den Mann wegzunehmen. Aber es gibt bei diesem Kampf Grenzen der Kriegsführung. Fast immer werden sie respektiert.
Irgendwann, als manches, was sie getan hatte, ans Tageslicht gekommen war, meinte Martha zur Rechtfertigung, sie habe Johannes vor sich selbst schützen müssen. Der berechtigte Kampf für die eigenen Interessen wurde umgemünzt in aufopfernde Fürsorge. Letztlich sollte ihr Tod in diesem Sinn als ein Opfertod verstanden werden. Er fand nicht zufällig an Ostern statt.
Ohne den religiös-kirchlichen Hintergrund hätte ihre Inszenierung der kommenden Monate nicht stattfinden können, zumindest nicht so. Dass ein Mann seine Frau zugunsten einer jüngeren verlässt, ist ein Ereignis, das insbesondere keinen Arbeitgeber interessieren würde. Bei Johannes war das anders. Er war als Priester zur Ehelosigkeit verpflichtet. Dass Martha sich andererseits »vor Gott« verheiratet fühlte und den Bischof aufgefordert hat, dieser müsse den »Ehebruch« bestrafen und die alte Ordnung wiederherstellen, ist zwar ein Bruch in der Logik, aber egal: Hier war Erpressungspotenzial, und zwar sowohl vonseiten Marthas als auch vonseiten der Kirche. Martha konnte die kirchliche Hierarchie instrumentalisieren und sie wurde selbst instrumentalisiert. Wobei ich überzeugt bin, dass der Rottenburger Bischof Moser nicht scharf war auf die ihm zugedachte Rolle des Kämpfers für Sitte und Ordnung. Aber wenn es nun einmal so war, dann konnte er die Situation wenigstens dahingehend nutzen, den Kirchenrechtsprofessor mit seinen arg liberalen Anschauungen zu größerer Zurückhaltung zu animieren – und andere Professoren gleich mit.
Was mich betrifft, so war ich, wie schon erwähnt, wegen meiner Anstellung im Kirchendienst unbesorgt. Denn bevor Johannes nicht von kirchlicher Seite offiziell des Konkubinats, also des Verstoßes gegen den Zölibat, bezichtigt wurde, konnte man mir nichts anhaben.
Man laufe nicht »jeder sehr billig zu habenden Verdächtigung« in diesem Bereich nach, erklärte 1989 Walter Kasper, der Nachfolger von Bischof Moser und vormaliger Tübinger Kollege von Johannes. Diese scheinbar weltmännische Großzügigkeit dient dem eigenen Schutz und nicht dem Schutz denunzierter Priester. Es ist die Bitte: Seid so nett und zwingt uns nicht, aktiv zu werden. Wir wollen selbst entscheiden können, wann wir von unserem Wissen über den Lebenswandel unserer Leute Gebrauch machen.
Ich erinnere mich immer noch mit Vergnügen – und das Vergnügen war in jenen Monaten dünn gesät – an eine Szene in Rottenburg im Spätherbst 1976, anlässlich der Einweihung des neuen Schulreferats mit drei Bischöfen und allem Pipapo. Ich – im Modellkleid, denn Johannes hatte Wert darauf gelegt, dass ich mich auch ja rausputze – saß auf dem Schreibtisch und schwatzte mit meiner Chefin Gabriele Miller. Da kam Bischof Moser herein, und ich rutschte mehr oder weniger elegant vom Schreibtisch herunter. Er schäkerte zunächst mit ihr, stürzte dann auf mich zu und fragte: »Und wer ist das?« Ich wurde vorgestellt. »Ah, Sie sind also die Frau Schweickhardt«, meinte der Bischof. »Ja, ich bin die Frau Schweickhardt«, erwiderte ich mit Betonung. Meiner Chefin erschloss sich der tiefere Sinn dieses Dialogs nicht, sie war ahnungslos. Bischof Moser meinte später zu Johannes, er habe mich den ganzen Abend beobachtet und ich sei so anders gewesen, als er gedacht habe: so zurückhaltend. Aha!
6.11.2014
Das Suizidreferat liegt hinter mir, ich denke, es war ganz gut. Auf alle Fälle verabschiedete ich mich gestern um 22 Uhr, packte mein Manuskript in die hübsche schmale Ledermappe, in die Johannes immer seine Manuskripte getan hatte, und fuhr in heftigem Regen heim. So hatte ich die Minute, in der Johannes vor eineinhalb Jahren gestorben war, für mich allein.
In dem Anruf von Martha an jenem 25.4.1976 war bereits angelegt, was uns die nächsten Monate erwarten sollte. Das, was bei mir nicht geklappt hat, nämlich mich zum Schweigen zu vergattern, hat bei einer ganzen Reihe anderer Personen gut funktioniert. Angefangen bei Bischof Moser bis zu etlichen Münchner und Tübinger Kollegen von Johannes, einschließlich seinem »Freund« Hans Küng.
Dass sie mich beschwor, den Ruf von Johannes zu schützen, ist leicht als Drohung zu übersetzen: Ich werde seinen Ruf zerstören. Einen Vorgeschmack hatte es schon gegeben. Wenn ich in dem Telefonat angedeutet hatte, dass ich sie für intrigant halte, so bezog sich das auf Folgendes: Sie hatte Anfang 1976 zu Peter Eicher gesagt, Johannes beabsichtige, mich wieder als Assistentin einzustellen und ihm zu kündigen. Weder Johannes noch ich hatten je einen solchen Gedanken gehabt. Das wäre auch einfach dumm gewesen – und keine Art gegenüber Peter.
Mit Peter war das eine heikle Geschichte. Er wusste, dass sein Chef etwas mit mir hatte. Aber sein Chef wusste nicht, dass er es wusste, und erst recht nichts von unserer früheren Beziehung. (Wann Peter von Johannes über uns »informiert« worden ist, weiß nun wiederum ich ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Inhaltsverzeichnis
  2. Begründung
  3. Vorspiel – weitgehend ohne Johannes
  4. Gebrannte Kinder »fallen in Liebe«
  5. Martha und Fragen der Moral
  6. Retardierendes Moment
  7. Kein »Weiter so!«
  8. Im Krieg und in der Liebe … (Teil 1)
  9. Rufmord oder: Desinformation geht ganz einfach
  10. Die Hand im Feuer
  11. Im Krieg und in der Liebe … (Teil 2)
  12. Ich sammle Mosaiksteine
  13. Die Tübinger Katholisch-Theologische Fakultät
  14. Herr Hans im Besonderen
  15. Herbst 1976 bis April 1977: Verwirrende und Verwirrte
  16. Bis der Tod uns scheidet
  17. Die Analytikerin geht ihrem Beruf nach
  18. Wer beerbt Martha?
  19. Der eine Knoten wird durchschlagen
  20. Der andere schließlich auch
  21. Happy und Ende
  22. Impressum