Vermischtes Sachgut
Mit unterschiedlicher Intensität hat sich Walter Borchers in seiner Zeit in Pommern den Lebensbereichen der Bevölkerung zugewandt, als Volkskundler mehr der Lebensweise auf dem Land mit ihrer materiellen Gegenständlichkeit, als Kunsthistoriker auch dem städtisch-zünftischen Kunsthandwerk und vor allem religiös-kirchlichen Kulturelementen. Wenn an dieser Stelle noch einige volkskundlich relevante Themenbereiche im Anschluss an die Dokumentationen von Borchers skizziert oder angedeutet werden, so soll damit dazu angeregt werden, dessen Beschäftigung mit pommerscher historischer Alltagskultur nicht als abgeschlossen, sondern eher als einen Anfang kulturhistorischer Forschung zu begreifen.
Rädertruhen
In einem seiner Erwerbungs- und Forschungsberichte informierte Borchers darüber, dass „riesige eichene Räderkastentruhen des 17. bis 19. Jahrhunderts mit Motiven im Stil der Renaissancezeit“ in den Besitz des Museums gelangt waren. Diesen Rädertruhen, „die in besonders stattlicher Aufmachung in der Belbucker Abtei zu finden sind“, testierte Borchers an anderer Stelle eine „Großartigkeit“. Sie tauchten gehäuft im Kreis Greifenberg auf, sollen aber auch im benachbarten Kreis Cammin und in Einzelstücken im Kreis Kolberg belegt gewesen sein. Borchers hat sich nach seiner Pensionierung intensiv mit den wichtigsten Belegstücken befasst und minutiöse handschriftliche Beschreibungen der auch in fotografischer Form vorliegenden Exemplare hinterlassen.
Räderkastentruhen im Raum Greifenberg, 18. Jahrhundert, dokumentarische Fotografien der 1930er Jahre in situ
Eichene Räderkastentruhen als mobile, jedenfalls vor allem im Gefahrenfall leichter transportable Möbeltypen sind auch außerhalb von Pommern vielerorts üblich gewesen. Sie standen häufig beispielhaft für großen Aufwand in der Herstellung und Repräsentation im Gebrauch, wurden also von den Nutzern teurer bezahlt und dementsprechend als hochwertig angesehen und tradiert. Nicht immer sind die Räder hinter Rahmen, Kufenverblendungen oder Winkelfüßen versteckt worden.
Räderkastentruhe, datiert 1751, Kreis Greifenberg, mit nachträglichen farblichen Hervorhebungen, Dokumentarfoto der 1930er Jahre
Die Räderkastentruhen aus den wohlhabenden nördlicheren Bauerngebieten des mittleren Hinterpommern haben für Borchers mitsamt ihrer allmählichen Ablösung durch Koffertruhen (von denen es auch einzelne frühe Exemplare mit Rädern aus dem 18. Jahrhundert gab) eines der möbelkundlichen Themen dargestellt, denen er sich noch einmal publizistisch zuwenden wollte. Sie sind in älterer Zeit nicht selten sogar als Meisterstücke im Tischlerhandwerk bezeugt. Auch das heutige Museum Europäischer Kulturen in Berlin (ehemals Museum für deutsche Volkskunde) verfügt über eine Räderkastentruhe von 1771 aus Zedlin bei Treptow/Rega im Kreis Greifenberg (nicht: Demmin).56
Borchers notierte zu diesen Flachdeckeltruhen, dass sie eine besondere Stellung in der „pommerschen Möbelkunst“ eingenommen haben und nicht nur ihre Größe auffallend war, sondern auch der für regionale pommersche Verhältnisse geradezu prachtvolle architektonische Schmuck der Schaufassaden mit durchweg zwei, in Ausnahmefällen auch drei oder vier Arkadenbögen und reich profilierten Füllungen. Die Truhen, von denen Borchers mehrere fotografische Belege zum Zwecke späterer wissenschaftlicher Beschäftigung nach Osnabrück mitnahm, waren bei formaler Grundähnlichkeit jeweils individuell gestaltet und stellten vielfältige Varianten eines stilistisch direkt an die Renaissance angelehnten Typus dar. Es fanden sich Datierungen zwischen 1677 und 1804.
In für pommersche Möbellandschaften verhältnismäßig eindeutiger Form weist die Gruppe von Räderkastentruhen auf eine kleinräumige handwerkliche Möbelproduktion hin mit gewisser Kontinuität, so dass Borchers sie geradezu als Greifenberger Truhen ansprach, die ihren Renaissancecharakter bis in die Neuzeit hinein bewahrt haben. Fritz Adler hatte in seinem Band zur Volkskunst in Pommern 1930 bereits ein Exemplar dieser auf Holzscheiben-Rädern beweglichen Kastenmöbel abgebildet57, das erkennbar auf das Jahr 1687 datiert war. Nach Adler gehörte es zum Bestand des Provinzialmuseums Stettin. Bereits 1928 war dieses Stück von Konrad Hahm, dem damaligen Leiter des Museums für Deutsche Volkskunde in Berlin, abgebildet worden, ohne die Datierung zu erkennen.58
Fotografisch bezeugt ist aus den 1930er Jahren ein weiteres Stück aus dem Kreis Greifenberg, das nur in geringfügigen Einzelheiten der geschnitzten Frontgestaltung von dem mehrfach abgebildeten abweicht und mittig an gleicher Stelle 1677 datiert ist. Es liegt nahe, die beiden Möbel geradezu als Zwillinge zu bezeichnen und sie recht eindeutig einer Werkstatt zuzuordnen. Ob wirklich beide Truhen zum Bestand des Stettiner Museums gehört haben oder sogar noch gehören, bedarf der Recherche.
Zu bedauern ist, dass die bis in die 1930er Jahre hinein namentlich bekannten Tischlerwerkstätten nicht, wie teilweise im Weizacker geschehen, näher dokumentiert werden konnten. Hier hätten sicher Werkstattunterlagen intensivere Blicke auf die Produktion und ihre vorsichtigen Veränderungen bzw. Abwandlungen, aufgrund von modischem Stilwandel oder auch Bestellerwünschen, über mehr als zwei Jahrhunderte ermöglicht.
Die Abwandlungen im Dekor wären es zudem wert gewesen, diese Objekte einer näheren stilistisch-vergleichenden und zugleich chronologisierenden Analyse zu unterziehen, um an einem solchen seltenen Einzelbeispiel klarere Aussagen zur historischen Möbelkultur der bäuerlichen Schichten in Mittelpommern im Übergang zum 19. Jahrhundert machen zu können. Walter Borchers hat hier nur wenige Beobachtungen hinterlassen, etwa für das letztdatierte Exemplar dieses Typus von 1804, das als einziges auch den Namen seiner Besitzerin trägt: „Betrachtet man die Fassadengliederung in den Einzelheiten genauer, dann sieht man, dass die aufgeleimten Ornamente in den vertieften Feldern eine Wandlung durchgemacht haben. Der Renaissancecharakter wird abgestreift, die rein abstrakte ornamentale Linienführung wandelt sich zu einer barocken figürlichen Darstellung“ mit Vögeln, Ranken und einem Reiter in Flachschnitzerei.
Zwei nahezu formengleiche Räderkastentruhen, Kreis Greifenberg, aus wohl ein und derselben Werkstatt, datiert 1677 und 1687, Fotografien des Pommerschen Landesmuseums Stettin
Die Greifenberger Räderkastentruhen aus dem 17./18. Jahrhundert dürfen für den Raum Pommern als Besonderheit gelten. In ihrer Konstruktion und renaissanceartig-mehrgliedrigen Gestaltung weichen sie freilich von zahlreichen ähnlichen Truhenmobiliargruppen in mehreren anderen nord- und nordwestdeutschen Kulturregionen nicht ab. Zumindest die Räder bilden aber ein gewisses Alleinstellungsmerkmal, das auf kleinräumige Produktion und Tradition verweist.
Die geschnitzten Kastentruhen auf Rädern standen „in einem gewissen Gegensatz zu den einfachen rot gestrichenen Hartholzmöbeln des Rügenwalder Amtes.“ Diese Laden, die mit „Kerbschnittmuster geschmückt“ waren, und wohl auch Schränke und Anrichten wirkten auf Borchers „eigenartig“, zumal er sie auch in den Kreisen Köslin, Schlawe und Stolp antraf. Bei zahlreichen Möbeln der jüngeren Vergangenheit des 19. und 20. Jahrhunderts aus fast ganz Pommern berichtete Borchers von einem roten Anstrich – dies darf als modisches Kennzeichen mit überregionalem Charakter betrachtet werden, denn der „rotbraun gelackte“ – und wohl generell preiswerteste – Anstrich wurde auch in Mecklenburg gegen Ende des 19. Jahrhunderts neuen ländlichen Möbeln mitgegeben.59
An anderer Stelle verwahrte Borchers sich dagegen, dass es sich bei der Möbelbemalung in Pommern insgesamt eher um einen „Anstrich“ als um eine Bemalung handeln würde. Schwierig zu beurteilen bleibt generell, seit welcher Zeit es in Pommern auch farbig gefasste Möbel gegeben hat über die jüngeren Formen volkskünstlerischer Reduktion des 19. und 20. Jahrhunderts hinaus.
Weberei
Eingebettet in die Entwicklungen der Zeit hat sich Walter Borchers als Sammler und als Forscher eingehend mit der „pommerschen Webkunst“ beschäftigt und gerade auf diesem Gebiet, auf einem tiefergehenden Interesse beruhend, vielschichtige Kompetenzen erworben. Das betraf sowohl die handwerklich betriebene als auch die Hausweberei, denen er ein hohes Niveau bescheinigte – ein Urteil, das nicht allein der NS-Kulturlinie geschuldet gewesen sein dürfte. Geradezu als „gelobtes Land der Weberei“ hat Borchers Pommern, insbesondere seinen östlichsten Teil mit seinen slawisch-kaschubischen Einflüssen, bezeichnet.
„Erworben wurde ein mit Stargarder Druckmodeln des 18. Jahrhunderts neu bedrucktes Leinentuch, das Josua und Kaleb mit der Weintraube und die Stadt Hebron zeigt.“60 Bis hinein in den 2. Weltkrieg existierten die letzten Damastwebereien in mehreren Städten im östlichen Pommern als Handwerksbetriebe., etwa in Friedrichshuld im Kreis Rummelsburg. Deren hochwertige Erzeugnisse wie vor allem Tisch- und Bettwäsche, nicht nur aus historischer Zeit, sondern auch aus der Produktion der letzten Vertreter ihres Faches, haben in Gestalt von ausgewählten Stücken, insbesondere Kopfkissenbezügen, Eingang in Museen Pommerns gefunden, etwa in Stralsund, Stettin, Belgard und Rügenwalde.
Die Bildlichkeit und das sowohl religiöse als auch profane Motivrepertoire in Verbindung mit textlichen Einträgen wirkten in ihrer Figürlichkeit und in blauweißen Farbigkeit geradezu plastisch. Solche Leinendamaste gingen nach den Recherchen von Borchers nicht selten auf holländische Vorlageblätter zurück, zeigten im Einzelfall aber auch andere Einflüsse.61 Die Art der blau-weißen Leinendamastweberei mit vielfachen rationellen spiegelbildlichen Wiederholungen war im Verlauf des 18. Jahrhunderts entstanden und hatte sich, insbesondere durch obrigkeitliche Förderung in Schlesien, über Sachsen in weitere Landstriche ausgebreitet.
Borchers, den augenscheinlich der „barocke Stilwille“ der historischen Stücke faszinierte, hatte sich zum Ende der 1930er Jahre offenkundig vorgenommen, die Archivüberlieferung von Blaudamasten als bäuerlichen Bilddamasten in den Städten Hinterpommerns systematisch auszuwerten, ganz im Sinne einer „historischen Sac...