Denken [will] gelernt sein, wie Tanzen gelernt sein will, als eine Art Tanzen [...] Tanzenkönnen mit den Füßen, mit den Begriffen, mit den Worten: habe ich noch zu sagen, daß man es auch mit der Feder können muß – daß man schreiben lernen muß? – Aber an dieser Stelle würde ich deutschen Lesern vollkommen zum Rätsel werden. <Friedrich Nietzsche>
Einleitung – Hier und Jetzt – Wie will ich leben? – Ich und die ökologische Krise – Meine Konflikte – Grundlagen und Eingrenzungen – Das Subjekt der Wissenschaft – Grundlagen – Die vielen Frieden – Energetische Frieden – Die transrationale Wende – Humanistische Psychologie – Ganzheitlich-systemischer Ansatz – Tiefenökologie – Mein Wandel – Mein Körper – Fünf Rhythmen – Flowing, Angst und Trägheit – Der Tanz der Personae – Struktur der Welle.
Diese Einleitung gestaltet sich wie erste Tanzschritte von jemandem, der tanzen nicht als etwas betrachtet, das erlernt werden müsste. Ich werde mich von meinen Schritten führen lassen und dabei sämtliche Inseln streifen, die ich auf meiner Reise noch ausführlicher zu besuchen gedenke. Themen und Begriffe werden in diesem ersten Teil ineinanderfließen, und erst zu einem späteren Zeitpunkt genauer erläutert werden. Ich lade die Leserin2 dazu ein, sich ebenso auf dieses Treiben einzulassen, und von meinen kleinen und größeren Schritten führen zu lassen. Im Übrigen werden manche Schritte weibliche, manche männliche Endungen haben. Im Gesamten soll dabei eine hermaphroditische Schriftform entstehen, die auf alle Umständlichkeit verzichten darf.
Eine Tänzerin, ein Sänger, ein Poet samt seinem Ich und mehrere Schauspieler werden durch die verschiedenen Teile führen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Teil meiner Person sind. Das gesamte Buch bezieht sich auf mich und meine Lebensrealität. In den meisten Fällen schreibe ich in der Ich-Form. In einigen Fällen benutze ich die Wir-Form und beziehe mich dann auf meine Ichs und meine Umgebung. Wenn ich von meiner Gesellschaft spreche, dann beziehe ich mich auf die mir nahe Gesellschaft, deren Teil ich bin. Was an dieser Stelle noch verwirrend wirkt, wird über die nächsten Seiten hinweg sehr verständlich.
Es gäbe nur zwei Tage im Jahr, an denen wir nichts zu tun vermögen, so habe Buddha gesagt. Gestern und morgen. Hier und Jetzt gilt es zu entscheiden, wie ich mein Leben leben möchte. Das Zusammenspiel von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist von fundamentaler Bedeutung für eine Auseinandersetzung mit mir und meiner Mitwelt. Auch wenn diese Frage für jede Einzelne hier und jetzt selbst beantwortet werden muss, bleibt sie doch eng mit Vergangenem und vermeintlich Zukünftigem verbunden.
Hier und jetzt ist eine zeitliche wie auch räumliche Eingrenzung. Es geht weder darum, einer Vergangenheit nachzuhängen, noch von einer (anderen) Zukunft zu träumen. Das, was ich jetzt tue, prägt mein Sein. Und das Sein ist entscheidend für Veränderungen, während das Haben an Vergangenem festhält. „Im Habenmodus ist der Mensch an das gebunden, was er in der Vergangenheit angehäuft hat: Geld, Land, Ruhm, sozialen Status, Wissen, Kinder, Erinnerungen.“3
Erich Fromm4 beschreibt das Hier und Jetzt als Ewigkeit, beziehungsweise als Zeitlosigkeit: „Auch die Zukunft kann man erleben, als sei sie das Hier und Jetzt.“5 Dies ist für ihn die Kunst des echten utopischen Denkens. Es geht dann darum, die Vorstellung eines zukünftigen Zustands so sehr ins Bewusstsein mit einfließen zu lassen, dass mein gegenwärtiges Tun dadurch geprägt wird. Diese Zeitlosigkeit, dieses Verschwimmen von heute und morgen, ist für Fromm das Gegenteil von bloßem Tagträumen.6 Die deutsche Kulturwissenschaftlerin Hildegard Kurt7 formuliert es nach meinem Geschmack am schönsten, indem sie schreibt: „Wir können auf die Zukunft hin denken und, bedeutsamer noch, von der Zukunft her.8 Und in der Art, wie wir das, was noch nicht Wirklichkeit ist, wahrnehmen, für wahr nehmen, oder auch nicht, formen wir es mit.“9
Außerdem verlangt das Hier und Jetzt nach einem Ort. „Suche deinen Ort und handle danach“10, lautet eine javanische Weisheit. Mein Leben, mein Sein, mein Tun – all das braucht einen Ort des Geschehens. Der Prozess der Globalisierung hat unsere Welt klein und uns glauben gemacht, dass wir als Weltgesellschaft11 global zu agieren haben. Ich möchte keinesfalls bestreiten, dass es globale Zusammenhänge zu verstehen und zu beachten gilt. Dennoch soll in diesem Buch aufgezeigt werden, dass wir bei allem globalen Handeln die Nähe zu unseren lokalen und naheliegenden Orten zu verlieren drohen. Niemand ist auf der ganzen Welt zu Hause. Der norwegische Philosoph und Begründer der Tiefenökologie Arne Naess12 formuliert es so: „Wo das Selbst günstige Entwicklungsbedingungen vorfindet, betrachtet der betreffende Mensch seine eigene Umgebung, aber auch die ganze Natur mit Wohlwollen und positiven Gefühlen.“13 Mein Hier und Jetzt bedeutet die Verbundenheit zu einem Ort und eine klare Vorstellung davon, wie ich an diesem Ort leben möchte.
Es spricht nichts dagegen, sich auf der ganzen Welt zuhause zu fühlen. Es spricht aber auch vieles dafür, sich an einem Ort besonders zu Hause zu fühlen, Wurzeln zu schlagen und sich selbst und seine Umwelt dort wachsen und gedeihen zu lassen. Denn dafür braucht es Zeit und Aufmerksamkeit. Und diese erscheint mir reichlich knapp, sollte ich sie auf die ganze Welt verteilen wollen. Ähnlich problematisch verhält es sich bei der Vorstellung einer geeinten Welt. Der bekannte Slogan „global denken, lokal handeln!“ übersieht die banale Tatsache, dass er schlicht zu etwas Unmöglichem auffordert. Die amerikanische Tiefenökologin Dolores LaChapelle macht das deutlich, wenn sie uns Menschen auf unser Dasein als Säugetiere aufmerksam macht: „Ein Säugetier kann nicht wirklich über den Planeten reden, weil es den Planeten nicht sieht. Dieser schöne Slogan von der ‚Einen Welt‘ wird nicht funktionieren. Ein Säugetier muss den Ort, über den es läuft, sehen, um sich darum zu kümmern.“14 Dementsprechend sei diese eine Welt eine künstliche Idee, ein gesellschaftliches Hirngespinst. „Wir können die Erde nicht lieben. Was wir lieben können, ist unser Platz auf dieser Erde.“15 Obwohl diese Aussage auf den ersten Eindruck eher paradox anmutet, werden die kommenden Seiten eine solche Ortsverbundenheit auch in ihrer Verbindlichkeit darstellen.
Braucht auch die Utopie einen Ort, um nicht als bloßer Wunschtraum zu verpuffen? Die Utopie wird niemals zu einem Ort werden, so viel steht fest. Die Utopie, als Nicht-Ort, kann als Plan, Konzept oder Vision verstanden werden, um sich einen anderen Ort vorzustellen, dessen Erreichen bereits durch den Namen verunmöglicht wird. Ich kann die Utopie aber sehr wohl mit meinem Ort verbinden und sie als „Möglichkeitsraum“ nutzen. „Utopien sind ein großartiges Mittel, um Denken und Wünschen zu üben: sich einen wünschbaren Zustand zu imaginieren, macht den Status quo zu lediglich einer Variante von vielen möglichen Wirklichkeiten.“16
Der deutsche Sozialpsychologe Harald Welzer17 kritisiert die Ökologiebewegung dafür, das anregende Mittel der Utopie gänzlich außer Acht zu lassen: „Die Ökologiebewegung war nie utopisch. [...] Es geht [ihr] weniger positiv um die Frage, wie die Gesellschaft sein solle und zu denken wäre, sondern negativ und immer präsentistisch darum, wie sie gerade nicht sein sollte.“18 Möchte ich so leben, wie ich momentan lebe? Möchte ich als Teil einer Gesellschaft leben, die ihre Mitwelt ausbeutet und zerstört? Und was kann ich dagegen tun?
Die entscheidende Frage wird sein, ob ich mir eine andere Welt vorstellen kann – ob ich mir überhaupt vorstellen kann wie es aussehen könnte, sollte sich etwas ändern. Untergangsszenarien sind rasch gemalt, bei anregenden Zukunftsvisionen geizen aber auch die grünsten Politikerinnen gerne mit Farbe.
Vorstellungen, wie wir unser Leben nicht leben möchten, vernehme ich dauernd und überall. Die Tänzerin möchte nicht ihr ganzes Leben in einer Großstadt verbringen. Der Sänger möchte nicht bis er 70 ist in einem Büro ohne Fenster arbeiten. Das Ich des Poeten möchte nicht jeden Tag im Stau stehen, nicht einmal im Jahr für zwei Wochen nach Mallorca fliegen und es möchte kein genmanipuliertes Hühnchen auf seinem Teller. Umgekehrt wird es schon deutlich schwieriger: Wo möchte ich mein Leben verbringen? Wie sieht meine ideale Arbeit, meine Freizeit, meine Ernährung etc. aus? Eine Vorstellung davon zu haben, wie ich leben möchte, setzt voraus, dass ich mich mit mir selbst auseinandersetze – mich und meine Bedürfnisse kenne.
Es kann durchaus als (eurozentristischer) Luxus betrachtet werden, sich diese Frage überhaupt stellen zu können. So sitze ich hier an meinem Schreibtisch, tippe Worte in meinen Laptop und sinniere über das Leben. Hunger zu erleben, kein Dach über dem Kopf zu haben oder gar erschossen zu werden – all das brauche ich momentan nicht wirklich zu fürchten. Es kann aber auch als Faulheit oder Arroganz betrachtet werden, sich diese Frage in einer gewaltträchtigen Konsumgesellschaft nicht zu stellen. Denn sie bedeutet nichts anderes als sich bewusst mit dem eigenen Leben auseinanderzusetzen und Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen.
Meine Gesellschaft erlebe ich als höchst erfolgreich dabei, mich von mir selbst abzulenken, eine Vielzahl an bemerkenswert absurden Wünschen in mir aufkommen zu lassen und mich derart gut zu unterhalten, dass meine (kritischen) Fragen im Hintergrund verschwinden. Und ich als Teil dieser Gesellschaft trage dazu bei.
Vor welchem Leben fürchten wir uns? Was bezeichnen wir als schlechtes Leben? Die Frage nach dem guten Leben scheint mir und meiner Umgebung eine ambivalente zu sein. Bei all unserem Wissen der so genannten Moderne erleben wir uns als unwissend, wenn es um die grundlegendsten Fragen der menschlichen Existenz geht.19 Wenn gutes Leben den Prinzipien Gesundheit, Sicherheit, Nachhaltigkeit und Kosteneffizienz kompromisslos folgen muss, dann „fragen wir uns nur noch, wie wir möglichst lange leben beziehungsweise überleben können“20.
Die Frage nach dem eigenen Leben setzt etwas voraus, das der Sicherheit gerne als gegenteilig betrachtet wird21: Die Freiheit zur Selbstbestimmung. Ich muss über mein Leben selbst bestimmen können, um es entsprechend meinen eigenen Vorstellungen zu gestalten. Zu einem selbstbestimmten Leben gehört n...