Hölderlins Landschaft
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Hölderlins Landschaft

Essay

  1. 88 Seiten
  2. German
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Hölderlins Landschaft

Essay

Über dieses Buch

Köllings Hölderlin-Essay verortet den Schlüssel zum Gesamtwerk des Dichters in dem berühmten Gedicht »Hälfte des Lebens«. Mit dem Bruch, den dieses Gedicht markiert, konnte Hölderlin sich nicht länger als Dichter-Priester, als Verkünder des Göttlichen oder Heiligen empfinden. Stattdessen wurde er zum Wanderer, zum Eingeweihten der Landschaft. Dies blieb nicht ohne Folgen für den hymnischen Spätstil. Dieser nimmt seinen Anfang im Jahr 1800 in der Ode »Heidelberg«. Mit ihr wird Hölderlin zum Magischen Realisten, mit Klopstock als einzigem Vorläufer. »Hölderlins Landschaft«, der äußeren Form nach eine Auslegung der Heidelberg-Ode von Strophe zu Strophe, bettet den Ertrag der Lektüre zugleich auf die knappe Weise einer dichten Beschreibung in die Geschichte der Hölderlin-Philologie ein. Die Linie der Interpretationen Walter Benjamins, Peters Szondis und Theodor W. Adornos wird fortgesetzt. Der Begriff des Mythos, unter den man Hölderlins Spätwerk noch heute gerne stellt, wird als unzureichend erkannt. Stattdessen wird, worin die poetischen, theologischen, philosophischen und politisch-revolutionären Dimensionen von Hölderlins Werk zusammenfließen, unter einen Satz von Hugo Ball gestellt: »Wo kein Sakrament existiert, ist keine Empörung möglich.« Ein Epilog über die Hölderlin-Lektüre Carl Schmitts beschließt den Essay, der im Medium der Hölderlin-Auslegung eine eigene Poetologie formuliert.

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Information

HÖLDERLINS LANDSCHAFT

I. Gehalt und Gegenstand

Hölderlins Ode »Heidelberg« ist eines der schönsten Gedichte in deutscher Sprache. Es teilt seinem Leser einen spezifischen, unverwechselbaren Gehalt mit, in dem es zugleich, als Gedicht, allererst gründet. In dieser formellen Konstitution unterscheidet es sich nicht von anderen Gedichten. Was ein Gedicht zum Gedicht macht, ist weder der Inhalt, noch ist es die Form, sondern es ist der Inhalt und Form aneinander vermittelnde, beide durchwirkende, beide sich zuordnende, hierarchisch sich realisierende Gehalt. In der identischen Repräsentation des Gehalts erfüllt sich das Wesen des Gedichts als Mitteilung. Wenn wir Gedichte lesen – das ist ihr Zauber –, erfahren wir, was eine Mitteilung ist. Das Gedicht ist das Paradigma der (jeder möglichen) Mitteilung.
»Identisch« nennen wir die Repräsentation des Gehalts im Gedicht deshalb, weil sie nicht »Umsetzung« einer Substanz (eines Inhalts) ist, die ihr als Grund vorausliegen würde. Insofern ist die Rede vom Gehalt eines Gedichts paradox (bzw. pleonastisch). Das Wort bringt gerade zum Ausdruck, daß das Gedicht keine Bedeutungen kennt, die auf ein Außerhalb seiner selbst verweisen würden. Jedes Gedicht – sonst wäre es keines – ist die Realität, die es mitteilt, und enthält aufgrund dieser Absolutheit (seines Gehalts) denn auch, formell oder philologisch betrachtet, sämtliche Elemente, die zu seinem Verständnis unentbehrlich sind. Die kontingente Interpretierbarkeit des Gedichts widerspricht diesem Befund nicht, sondern schließt sich ihm an und setzt ihn voraus.
Insofern es jedes Gedicht nur einmal gibt, ist auch der Gehalt eines jeden Gedichts ein einmaliger. Es gibt keine zwei Gedichte, die einander gleichen, und diese substantielle Unterschiedenheit des Gedichts von allen anderen Gedichten definiert denn auch die Unterschiedenheit seines Gehalts von jedem anderen Gehalt. Zwei Gedichte können den identischen Gegenstand haben, nicht aber den identischen Gehalt. Über den Rang ist damit noch nichts gesagt. Wenn wir den Gehalt des Gedichts »Heidelberg« einen spezifischen, unverwechselbaren nennen, so deshalb – und über die formelle Konstitution des Gehalts jetzt hinausgehend –, weil er sich von dem Gehalt vieler weniger bedeutender Gedichte aus den Federn weniger bedeutender Lyriker darin unterscheidet, daß er nicht abgeschlossen in einer Vergangenheit ruht, als deren zeitgebundener ästhetischer Ausdruck er sich darböte.
Gewiß, auch qualitativ sehr tiefstehende Gedichte vermögen zukünftigen Lesern etwas zu sagen, können von ihnen schön gefunden, als existentiell bedeutsam oder auf andere Weise als aktuell wahrgenommen werden. Aber darum geht es nicht. Jeder Text, der einmal geschrieben und nicht wieder vernichtet worden ist, bleibt lesbar, das ist klar. Hölderlins Ode reicht nicht aufgrund ihrer schieren Lesbarkeit als Text, nicht aufgrund ihrer grundsätzlichen Genießbarkeit für die lesende Subjektivität in unsere und jede kommende Gegenwart, sondern kraft ihrer im Gehalt liegenden geschichtlichen Wahrheit. Das Gedicht »Heidelberg« transzendiert die Sphäre des Ästhetischen, stößt ins Theologische vor und ist gleichsam der Ort, an dem Hölderlins dichterisches Werk insgesamt auf den Grund oder in den Ungrund dieses Durchbruchs gestellt wird. Was wir an dem Gedicht als Schönheit wahrnehmen, und zwar als eine nicht zu steigernde1, tief in das Geheimnis von Hölderlins Schicksal und Botschaft eingesenkte Schönheit, ist der Hauch dieser dauernden, gleichsam alle Aktualitäten und das Prinzip der Aktualität selbst überdauernden Gegenwärtigkeit. Es ist das geschichtliche, das heißt überzeitliche, aber nicht zeitlose Wesen des mit den Mitteln und in die Kategorien des Ästhetischen nicht faßbaren Kunstwerks, so wie es auch in der Landschaft ein überzeitliches, aber nicht zeitloses Wesen ist, das ihre Schönheit begründet und uns in dem Bewußtsein dieser Schönheit zu befestigen vermag.
Hölderlins Gedicht beschreibt eine bestimmte Landschaft. Aber gerade in ihrer Bestimmtheit (und deshalb Bestimmbarkeit für den Leser) ist diese Landschaft ein Fenster zum Wesen der Landschaft überhaupt, zum Land als nicht abstrakt-materiellem, sondern gestalthaft-geistigem Element der Erde, dem alle menschlichen Dinge verbunden sind, und von dem sie bis zum Jüngsten Tag nicht getrennt werden können.
Auch die Kunst gründet in diesem Element. Sie folgt denselben (irdischen) Gesetzmäßigkeiten jener repräsentativen Sichtbarkeit – denn in der Landschaft gibt es nur Sichtbares –, die wir »Gestalt« nennen. Kunst und Landschaft gehören ein und derselben Realität an. Diese überzeitliche, aber nicht zeitlose Realität ist Gegenstand und Gehalt von Hölderlins Gedicht. Sie ist es in dem Sinne, daß das Gedicht allererst das Fenster ihrer Erkennbarkeit geöffnet hat bzw. noch öffnet.
Nachfolgende Reflexion folgt Deutungen, die das Hölderlin-Bild im zwanzigsten Jahrhundert grundlegend verändert haben, ohne daß diese Veränderung bereits als Ertrag greifbar wäre. An diesem Ertrag aber hängt das Bleibende von Hölderlins Namen, das kein Bleibendes im Sinne des Klassizismus, des Ästhetizismus und ihrer Fiktion eines Ewigen in der Kunst ist. Neben und in allem, was es sonst noch beschreibt, beschreibt Hölderlins Gedicht den Untergang dieser Fiktion und die Vergängnis des Ewigen. Es beschreibt diesen Untergang, diese Vergängnis in bewußter Paradoxie als geschichtsphilosophische Wahrheit der Kunst.
Die Grenzen einer Gedichtinterpretation im strengen oder herkömmlichen Sinne des Wortes werden im folgenden nicht beachtet. Wir lassen sie in dem Maße hinter uns, wie der Gehalt von Hölderlins Gedicht dessen Gegenstand übersteigt. Gleichwohl ist der philologische Zweck der Reflexion ein eng begrenzter. Es geht um die Stellung der Heidelberg-Ode in Hölderlins Gesamtwerk, und das heißt: in der Genese seines vielbesprochenen und geheimnisumwitterten Spätstils.

1 Alles Schöne ist schön, weil und sofern es in seiner Schönheit nicht steigerbar ist. Die Empfindung des Schönen schließt die Empfindung bzw. Erkenntnis von dessen Steigerbarkeit aus. Ist das, worin wir die Qualität von etwas erkennen, in dieser Qualität steigerbar, so handelt es sich nicht um Schönheit, sondern um etwas anderes, das wir, wenn wir es »schön« nennen, mit der Schönheit bloß verwechseln bzw. an deren Stelle setzen aufgrund unserer rein subjektiven Interpretation, also Fehldeutung, des Begriffs. Gewiß, jedes Schönheitsempfinden ist ein subjektives Empfinden. Ein solches ist es aber nicht der begrifflichen Seite nach. Daß ich etwas als schön empfinde, heißt noch nicht, daß alles, was ich so nenne, auch dieser Empfindung entspricht und deren tatsächliche Reflexion im Begrifflichen ist.

II. Erste Strophe: Das »kunstlos« Gedichtete

Gehalt und Gegenstand: ihr Verhältnis ist mit dem bisher Gesagten noch nicht erschöpfend beschrieben. Die Feststellung, daß ein Gedicht kein Außerhalb seiner selbst kennt, daß es also nichts repräsentiert als die Repräsentation, die es ist, bezieht sich rein auf die Sphäre des Gehalts. Von selbst versteht sich, daß, obzwar ein Gedicht erkenntnistheoretisch betrachtet keine ihm vorausliegende Materie kennt, sein Gegenstand dennoch der reellen Welt zugehören kann, welche, um zu existieren, nicht der Dichtung bedarf. Die Existenz von Dinggedichten ist dafür der unmittelbar einleuchtende Beweis.
Dennoch – oder gerade deshalb – ist der Gehalt nicht »Umsetzung« des Gegenstandes; selbst für das Dinggedicht gilt das nicht. Der Gehalt ist deshalb absolut, weil das Reelle in ihm schon dialektisch vermittelt ist. Es ist transfiguriert. Ohne in seiner grundsätzlichen Andersheit gegenüber der poetischen Sphäre negiert zu sein, liegt es vor als das Reelle des Gehalts: als eines seiner Glieder und gewissermaßen als ein Fenster, durch welches der Gehalt sich selbst anblickt. Der Gehalt eines Gedichts ist seine nicht allein formgebende, sondern auch substanzsetzende Kraft – das also, was der Dichter anhand des von ihm aufgegriffenen Gegenstandes realisiert. Diese réalisation ist keine poetische Wiederholung der oder einer »ersten« Wirklichkeit, sondern Erzeugung von poetischer Wirklichkeit und, qua Wirklichkeit, denn auch nicht erst eine »zweite«. Jede Wirklichkeit, so auch die poetische, ist die eine, ganze und ursprüngliche.
Aus alledem folgt, daß, was wir in unreflektierter Weise oft den »Inhalt« eines Gedichts nennen, streng genommen nicht existiert. Der »Inhalt« eines Gedichts ist sein Gehalt, während das, was wir eigentlich meinen, wenn wir von der spezifischen Realität (der inneren Form) des Gedichts einen »Inhalt« abstrahieren, der in den Gehalt bzw. von ihm noch nicht verwandelte Gegenstand ist. Die Kategorie des »Inhalts« liegt in dem abstrakten Nichts zwischen dem Gegenstand eines Gedichts und dessen Gehalt.
Walter Benjamin hat in seiner im Winter 1914/15 geschriebenen und zu Lebzeiten nicht veröffentlichten Studie über Hölderlins Gedichte »Dichtermut« und »Blödigkeit« den Gehalt eines Gedichts als dessen »Gedichtetes« bezeichnet. Gehalt und Gedichtetes sind identisch, doch gehört der logischen Zuordnung nach der Begriff des Gehalts in die im engeren Sinne poetische oder poetologische, der Begriff des Gedichteten in die philosophische, theologische oder mythische bzw. mythologische Sphäre.
Das Verfahren der Poesie als mythisches zu erweisen, war denn auch das Anliegen des jungen Benjamin, für den die Frage nach der Lebensunmittelbarkeit eines Werkes sich nicht in der herkömmlichen Weise stellte, weil ihm das »Leben« in der Sphäre des Gedichteten nicht mehr als »individuelle Lebensstimmung des Künstlers«, sondern als ein »durch die Kunst bestimmter Lebenszusammenhang« erschien. »Je früher«, sagt Benjamin, »die Analyse des Gedichts, ohne auf Gestaltung der Anschauung und Konstruktion einer geistigen Welt zu stoßen, auf das Leben selbst als sein Gedichtetes führt, desto […] stofflicher, formloser, unbedeutender erweist sich die Dichtung.« Und zuvor: »Gerade die schwächsten Leistungen der Kunst beziehen sich auf das unmittelbare Gefühl des Lebens, die stärksten aber, ihrer Wahrheit nach, auf eine dem Mythischen verwandte Sphäre: das Gedichtete.«2
Legen wir Benjamins Maßstab an, so scheint es sich bei Hölderlins Ode »Heidelberg« um ein unbedeutendes Gedicht zu handeln, das uns kaum mehr bietet als ein Bekenntnis subjektiven Lebens und Erlebens. Die erste Strophe sagt es in aller Deutlichkeit: um ein »kunstloses Lied« soll es sich handeln, und der Dichter singt es einzig zu dem persönlichen Z...

Inhaltsverzeichnis

  1. Inhaltsverzeichnis
  2. Motto
  3. Friedrich Hölderlin: Heidelberg
  4. Anmerkung
  5. Hölderlins Landschaft
  6. Epilog
  7. Impressum