Kommunikation
& Vertrauen
Die Grenzen der Manipulation
Spin-Doctors und Imageberater kreieren den Politiker als Gesamtkunstwerk. Dadurch wird er künstlich. Allerdings kann man die Persönlichkeit eines Menschen normalerweise nicht völlig auf den Kopf stellen, ohne dass dieser danach seltsam und unecht wirkt. Angela Merkel könnte z.B. nicht plötzlich anfangen, extrovertiert zu gestikulieren. Denn dann verliert sie an Authentizität. Sobald ihre Körpersprache nicht mehr natürlich, sondern gecoacht wirkt, werden Menschen unglaubhaft – so die Ergebnisse des Mehrabian Experiments. Typische Gesten hierfür sind das Winken oder das Deuten ins Publikum von eigentlich zurückhaltenden Menschen. Oder ein unnatürlicher Ablauf von Gesten und Worten. Wenn Sie z.B. »Erstens, zweitens und drittens« sagen, ihre Hand die Zahlen aber erst mit einer kleinen Verzögerung anzeigt, so etwas fällt auf. Deshalb hatte Hillary Clinton als Konkurrentin Obamas, immer wieder gegen ein »kaltes und unnatürliches« Image zu kämpfen. Die mangelnde Authentizität war bei ihr besonders eklatant, da sie sich früher als First Lady noch völlig anders verhalten hatte. Der Mangel an Konsistenz macht Sie ebenso unglaubwürdig wie der Mangel an Authentizität.
Dem Publikum des politischen Theaters gelingt es also regelmäßig, die ihm dargebotenen Inszenierungen zu durchschauen. Sie sehen die Spin-Doctors zwar nicht bei ihrer Arbeit als Maskenbildner und Imagegestalter – aber die Illusion ist manchmal nicht gut genug, zu aufgesetzt, zu gewollt. Eine grinsende Hillary Clinton war allzu oft eher furchteiflößend als sympathisch. Hier haben wir einen großen Unterschied zwischen dem Theater, das Werbung und Verkäufer aufführen, um ihr Publikum zu manipulieren, und dem Theater der Politik. Von Verkäufern erwartet das Publikum eine schmeichelnde Inszenierung, um vor einem Kauf zu diesem verführt zu werden. Das erhöht die Befriedigung am neuen Besitz. Von Politikern erwartet das Publikum ebenfalls eine Inszenierung, aber nur als Bestätigung tief einsitzender Vorurteile gegen die Kaste der Spitzenpolitiker. Wie der kanadische Soziologe Erving Goffman bereits 1959 beschrieben hatte, spielen wir alle Theater. Ob wir nun als Väter, Friseure, Polizisten, Wutbürger oder Politiker auftreten. Es ist also nicht das politische Schauspiel als solches, das uns abstößt. Durch die Aufführung des immer gleichen Stücks mit den immer gleichen Angeboten sind Politiker aber ein Ensemble, das Verdruss erzeugt.
Wenn sich nun alle Politiker durch die Kastenzugehörigkeit »Politiker« und durch die Kompetenz »Schauspieler« ähneln, schaffen sie Alleinstellungsmerkmale für Politiker, die sich als Gegenentwurf inszenieren können; als Anti-Polit-Establishment-Politiker. Alle anderen Politiker spielen im selben Ensemble. Sie stellen zwar unterschiedliche Rollen dar, wie den gewieften Konservativen oder den kompromissbereiten Sozialisten, aber sie sind eben doch nur Charaktere eines von seinem Publikum klar getrennten Ensembles. Ihre Gegenentwürfe als Anti-Politiker treten hingegen alleine auf einer anderen Bühne auf. Dabei kommt es nicht darauf an, dass sie sich ebenfalls inszenieren. Wir alle spielen Theater. Wir alle legen uns ein bestimmtes Verhalten, ein bestimmtes Können und ein bestimmtes Äußeres zu, weil wir als soziale Wesen von der Resonanz anderer abhängen. Entscheidend bei einer Inszenierung als Außenseiter ist es, dabei authentisch zu bleiben. Emmanuel Macron war 2016 als Kandidat fürs französische Präsidentenamt mit einer neuen Partei und einem Image erfolgreich, das zwar jenseits des etablierten politischen Spektrums auftritt, aber immer noch für die allgemein akzeptierte Ethik steht. Wenige Monate zuvor hatte der Milliardär Donald Trump beim US-Wahlkampf eine deutlich extremere Strategie gewählt. Die Rolle eines unbeherrschten, gewalt- und selbstverliebten, menschen- und umweltverachtenden, sexistischen Turbokapitalisten hat sich noch kein Bewerber auf ein öffentliches Amt jemals davor zugetraut. Trump war für diese Rolle perfekt, weil er sich hier treu bleiben konnte. Seine Fans und seine Feinde spürten das Authentische. Dabei müssen die Argumente und Inhalte noch nicht einmal konsistent sein. Es reicht aus, dass der Kandidat sein Image ausfüllt. In Trumps Fall zuverlässig und provozierend, nichts zurücknehmend und sich niemals für etwas entschuldigend. Dass er im Wahlkampf das garstige Image nicht nur gespielt hatte, war spätestens zu erkennen, als er auch als US-Präsident dieselbe Person blieb. Eine politische Galleonsfigur, die das Würdelose zum Konzept erhoben hat. Damit steht seine Wahl, neben vielen anderen Rückschlägen des erfolgsverwöhnten westlichen Politkonzeptes, auch für eine tiefe Krise der Inszenierung. Die Professionalisierung persuasiver Kommunikation ist einem trotzigen Naturtalent unterlegen, das sich eben genau so benimmt, wie man es nicht(!) tun sollte. Führte das Bedürfnis der politischen Kaste, die Erwartungen ihres Publikums zu erfüllen, zu einer Übersättigung, deren Medizin die Unvernunft ist? Zumindest ein zunehmender Teil der Bevölkerung scheint sie zu genießen. Solange der Beruf des Politikers die Entscheidungskompetenz über das Schicksal von Millionen Bürgern beinhaltet, ist das eine gefährliche Entwicklung.
Woher wissen wir, ob jemand authentisch ist, oder spielt? Wir Menschen haben ja offenbar nicht nur die Tendenz zu sehr schnellen Urteilen, sondern auch ein recht gesundes Empfinden für unser Gegenüber. Eher zufällig bemerkten Forscher der Universität Parma 1996, dass bestimmte Gehirnregionen bei Affen nicht nur dann aktiv werden, wenn sie selbst nach einer Nuss greifen, sondern auch dann, wenn es der Forscher tut. Sie »spiegelten« also dessen Handlung. Ein von da an »Spiegelneuronen« genanntes Resonanzsystem im Gehirn, empfängt und aktiviert die Gefühle und Stimmungen anderer Menschen in uns selbst. Uns überfällt Müdigkeit, wenn jemand gähnt, und Fröhlichkeit, wenn uns jemand anlächelt. Haben Sie schon einmal bemerkt, dass Sie bei längeren Unterhaltungen mit Intimfreunden dieselbe Körperhaltung einnehmen? Vielleicht liegt in den »Spiegelneuronen« unsere Fähigkeit zum Mitleid und zur Nächstenliebe.
Welche Möglichkeiten gibt es unsere empathische Intelligenz zu täuschen?
Anfang des 16. Jhs. hat der Karrierist Niccolò Machiavelli, ein politisch philosophisches Multitalent aus dem mächtigen Florentiner Stadtstaat, seinen Fürstenspiegel »Il Principe « geschrieben. Unaufgeregt erklärte er Moral als eine für Fürsten untaugliche Tugend und empfahl Propaganda als staatstragende Philosophie. Den Gedanken, dass Inszenierung gleichbedeutend mit Macht ist, begründete er mit der Einsicht, dass Menschen optisch sehr leicht zu täuschen sind. »Sehen nämlich kann jeder, verstehen können wenige. Jeder sieht, wie du dich gibst, wenige wissen, wie du bist.«17 Unsere Fähigkeit andere einzuschätzen, hielt er demnach für leicht manipulierbar. Der Schlüssel scheint darin zu liegen, wie überzeugt Sie selbst von der eigenen Vorstellung sind. Die Harvard Psychologin Amy Cuddy lehrt körpersprachliche »Power Poses«. Die sollen nicht nur eine mentale Optimierung Ihrer sozialen Präsenz bringen, sondern auch einen messbaren Anstieg entsprechender Hormone wie Testosteron und Dopamin. Sie fordert ihre Schüler auf, über die goldene Regel der Selbstinszenierung »Fake it ’till you make it« hinaus zu gehen. Sie verkündet: »Fake it ’till you become it«. Also vom Ansatz, etwas solange zu machen, bis man es automatisch kann, zur Idee, dass man über einstudierte Körpersprache ein damit identisches neues Selbstbild erreicht. Von der bewussten Inkompetenz über die unbewusste Kompetenz bis zu Verinnerlichung als Selbstbild. Wir sollen also zu einem Darsteller werden, der vollständig vom eigenen Spiel gefangen genommen wird. Das hat den Vorteil, dass unser Glaube an die einst gespielte Rolle, sie zum Teil unserer Identität macht. Dadurch teilt das Publikum unseren Glauben, so dass »nur noch der sozial Desillusionierte irgendwelche Zweifel an der Realität des Dargestellten hegt.«18
Damit ist auch Authentizität nur eine Frage des Trainings. Hier bietet sich vor allem die visuelle Kommunikation an, da sie anders als verbale Inhalte nicht automatisch zum Zweifeln und Hinterfragen anregt. Bilder können unsere kritische Wahrnehmung leicht unterlaufen. Sie können sogar den relativ verlässlichen Sinn für Authentizität austricksen. Das ist das Gefährliche an visueller Kommunikation. Bilder können ebenso lügen wie Worte, aber wir vertrauen ihnen aufgrund unserer evolutionären Disposition intuitiv. Dieses Intuitive müssen wir in einem Prozess der Reflexion erst ins Bewusstsein holen, um Bilder zu hinterfragen. Und dieser Schritt findet in den meisten Situationen visueller Wahrnehmung nicht statt.
Bildkommunikation ist im politischen Alltag nichts Neues. Beinahe das ganze Mittelalter hindurch hatten repräsentative Akte mit visuellen Demonstrationen Rechtsgültigkeit geschaffen. Dadurch wurde mangelnde Staatlichkeit kompensiert. Der König reiste mit seinem Gefolge permanent durchs Land und führte immer wieder typisch königliche Handlungen durch, um als solcher von möglichst vielen Menschen wahrgenommen zu werden.19 Die Akte dienten dabei der öffentlichen Bestätigung von Tatsachen, die zuvor von den Mächtigen verhandelt worden waren. Sie zeigten gerade so viel politisch-juristische Transparenz wie es im Mittelalter möglich war. Wenn nun aber genau diese Akte im Sinne Machiavellis verwendet werden, um Tatsachen durch symbolische Scheinpolitik zu verdecken, von der man denkt, dass sie dem Machterhalt förderlicher sei als die Kommunikation der Tatsachen selbst, erleben wir einen Kommunikationswandel. Der vollzieht sich von institutioneller Repräsentation zu symbolischer Visualisierung. Also von der öffentlichen Kommunikation von Tatsachen zum Verbergen von Tatsachen durch öffentliche Kommunikation. Das geschieht mit Hilfe von inszenierten Scheinereignissen, die mediale Aufmerksamkeit auf ein Thema lenken, damit andere Handlungen im Verborgenen erledigt werden können. Diese Tendenzen sehen Experten heute im kritischen Bereich, da die Allgegenwart der Medien, v.a. des Fernsehens, den Politikern einen permanenten Legitimationsdruck auferlegt. Das ist genau genommen auch die Aufgabe demokratischer Medien. Allerdings »….reagiert das politische System auf diesen strukturellen Zwang mit dem Phänomen »symbolische Politik«, d. h. der oft nur verbal oder visuell-symbolisch dargestellten Politik und häufig weniger durch reale Entscheidungen.«20 Die Lückenlosigkeit der Öffentlichkeit beraubt die Politik demnach ihrer Spielräume. Diese werden zurückerobert, indem nach außen mit Ablenkungen kommuniziert wird, die zuweilen fundamental vom eigentlichen Handeln getrennt sind.
Politiker erscheinen zuverlässig nach Katastrophen wie Hochwassern, weil hier von Medien und Publikum vor allem Sichtbarkeit erwartet wird. Hinter sportlichen Großereignissen wie Fußballweltmeisterschaften lassen sich wichtige Entscheidungen verbergen. Im Juni 2012 verabschiedete der Bundestag das neue Meldegesetz mit dem Ämter die Daten von Bürgern an Firmen und Adresshändler weitergeben dürfen, wenn die Bürger vorher nicht ausdrücklich widersprochen haben. 28 von 631 möglichen Abgeordneten waren anwesend und winkten das Gesetz in einer Minute durch. Zeitgleich spielte Deutschland im EM Viertelfinale gegen Italien. Solchen Machtmissbrauch nutzen dann wieder die Medien, um eine politische Kultur zu kritisieren, die im Verborgenen agiert. Der Übergang von Inszenierungen und Scheinereignissen ist fließend zu symbolischen Handlungen, die politisches Handeln dokumentieren. Hierbei denken wir z.B. an den Händedruck Kohls und Mitterands 1984, der die deutsch-französische Achse als Rückgrat Europas bekräftigte oder an den Kniefall Willy Brandts vor dem Mahnmal des Warschauer Ghettos 1970, der einen Anstoß für das Ende der Eiszeit im deutsch-polnischen Verhältnis gab.
Andererseits braucht Politik auch das verborgene Handeln. Ohne Visualisierungsreserven wäre politisches Arbeiten gar nicht möglich. Das widerspricht allerdings einem Prinzip der Aufklärung, deren Vertreter ja verlangt hatten, dass alles, was die Öffentlichkeit angeht, die Öffentlichkeit auch erfahren soll. Die Medien liefern die Plattform, auf der Visualisierungen inszeniert werden können. Nur Medien ermöglichen aber auch einen Blick hinter dieses gewollt Sichtbare, auf Fehlverhalten und Missstände, um diese dann in einem öffentlichen Prozess zu skandalisieren.
Hier stehen wir vor einem Mediendilemma. Anhänger der funktionalistischen Strafrechtstheorie würden sagen, je größer die Gefahr ist, dass ein Skandal aufgedeckt wird, desto größer die Angst vor Verstößen. Dies wäre vergleichbar mit der Idee, dass die harten Gerichtsurteile in den USA zu weniger Verbrechen führen werden. Die Theorie der Shifting Baselines besagt hingegen, dass wir Werte niemals absolut einordnen können, sondern immer nur in Relation. Deshalb führt die sehr dichte Kommunikation über politische Skandale, eher zur allgemeinen Einschätzung, in einer Bananenrepublik zu leben. Das hat einen Vertrauensverlust der Bürger in die Politik zur Folge. Ebenso fördert es in der Politik die Einstellung, dass die Kunst nicht darin besteht, sauber zu bleiben, sondern darin, sich nicht erwischen zu lassen. Und wenn, sind die Konsequenzen überschaubar harmlos. Letztlich tun es ja der Mediendarstellung entsprechend alle.21 Dadurch wird eine Bananenrepublik natürlich erst zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Der Ausweg ist allerdings schwer, denn wer zu mehr medialer Besonnenheit aufruft, trifft schnell auf das Totschlagargument »Zensur« und die Frage, ob man etwa nicht mehr über Skandale berichten solle?
Die Versuchung für die Politik ist also groß. Wer das Theater der Visualisierung beherrscht, kann seine Macht erhalten und es sich einfach machen. Unangenehme Wahrheiten bleiben unter der Decke symbolischer Scheinpolitik. Damit umgehen Politiker das Dilemma ihres Berufs: Das Ziel von Politikern ist Macht. Die Aufgaben von demokratischer Politik gehen aber weit darüber hinaus. Im Wesentlichen geht es darum, Einigungen in allen wichtigen Grundfragen im Interesse des Gemeinwohls zu finden. Dazu braucht man eine gewisse Machtbefugnis ebenso wie Sachkenntnis, Überzeugungskraft und v.a. Kompromissfähigkeit. Was dann im Interesse des Gemeinwohls liegt, kann auch eine sehr unpopuläre Notwendigkeit sein. Die ist leider oftmals schädlich für den Machterhalt. Denn dieser hängt in repräsentativen Demokratien vom Wähler ab. Auch deshalb liegt die Versuchung nahe, mit diesem über Inszenierungen zu kommunizieren, anstatt ihn zu regieren. Schafft das eine neue Art von rein ästhetischen Politikern? Derartiges attestieren zumindest Politikwissenschaftler: »Eine Schlüsselrolle spielen bei der Funktionsweise politischer Öffentlichkeit Strategien der Verkörperung und der Visualisierung sowie auf sie gestützte Formen der Inszenierung des Politischen. Sie stehen in andauernder intensiver Wechselwirkung mit einer allgemeinen sozio-kulturellen Entwicklung hin zu einer Inszenierungsgesellschaft. «22
Politik und Image
Dass es in der politischen Kommunikation mit den Wählern die Tenden...