Die Methoden der Fundraiser
Welches Bild sich Spendensammler, die hohe Erträge erzielen wollen, von den Spendern machen, konnte im vorangegangenen Kapitel ausschnittweise besichtigt werden. Nun geht es darum, diese Urteile, Erkenntnisse und Ansichten in klingende Münze umzuwandeln. Bei der Zusammenschau des hochentwickelten Instrumentariums im modernen Fundraising wird zweierlei deutlich. Erstens zielen alle diese Maßnahmen auf die Erschließung möglichst hoher und möglichst regelmäßiger Zahlungsleistungen ab, die jedoch nicht prinzipiell nur für die Finanzierung der Endprojekte eingesetzt werden müssen – vielmehr wird es billigend in Kauf genommen, daß von einem erheblichen Teil der so eingeworbenen Mittel wiederum neue Einwerbungen finanziert werden – mitsamt den dazugehörigen Drucksachen, Gehältern und allen sonstigen Kosten. Es wird spannend sein, die Angaben derselben Autoren, die all diese Aktionen empfehlen, hinsichtlich der Kosteneffizienz der von ihnen befürworteten Aktivitäten genauer unter die Lupe zu nehmen. Sie als Leser dürfen sich darauf gefaßt machen, daß spätestens dadurch die These vom überwiegenden Selbstzweck des Fundraising-Apparats hinreichend untermauert wird. Zweitens fällt bei den meisten Maßnahmen auf, wie sehr sie darauf ausgerichtet sind, die Gefühle und den Verstand des potentiellen Spenders auszutricksen, den Spender also zu überrumpeln.
Es geht dabei nicht um Betrug oder richtige Unwahrheiten, wie sie im Zusammenhang mit Veruntreuungsskandalen immer wieder in die Medien kommen. Es geht um die feinsinnigen Spielarten einer sich auf anerkannt „seriösem“ Terrain bewegenden Täuschungskultur, die sich bewußt die Affekte des Spenders sucht, die sie sich dienstbar macht. Zahlen macht frei: Ein wesentliches Element ist dabei der soziale Druck, dem man einen Spender absichtlich aussetzt, um ihn zu seiner Zahlung zu bewegen. Ein weiteres Element ist die Ausbeutung der kognitiven Dissonanz: Unbehagen wird absichtlich mit Hilfe von bedrückenden Bildern und Texten geschürt, um auch hier den Spender zu einer Geldzahlung zu drängen. Gleichzeitig inszenieren Organisationen und Spendensammler eine Kulisse aus zeitlosen positiven Werten wie Philanthropie, Verläßlichkeit, Hilfsbereitschaft und menschlicher Nähe. Diese Imagearbeit greift tief in die Trickkiste des Marketings: Unpersönliche Bettelbriefe bekommen einen Anstrich aus artifizieller Persönlichkeit, am Telephon und im direkten Gespräch gehen die Spendensammler in außergewöhnlich einfühlsamer Weise mit den Interessenten um, und mit gemeinsamen Aktivitäten wird der Kundenkreis in Konsumlaune gehalten. Das Wir-Gefühl der Weltverbesserer kostet jedoch ebenfalls Eintritt, denn nur wer spendet, wird Spender.
Hinter dem vorgeblich lockeren Geplänkel stecken jedoch eiskaltes Kalkül, knallharte Kosten-Nutzen-Rechnung und immer wieder die Überbewertung der zusätzlichen, nicht ergebnisbezogenen Dienstleistung. Organisationen rechnen durch, wieviel sie in einen neuen Spenderkontakt investieren wollen, sie ermitteln die voraussichtliche finanzielle Ausbeute, die aus jedem Spender herauszuholen ist, und sie versuchen permanent, den Spender auf eine höhere Stufe seines Engagements zu bugsieren. Wann hätten Sie oder ich jemals von irgendeinem Hilfswerk zu hören bekommen: „Danke schön, liebe Frau Müller, Sie haben in letzter Zeit viel gespendet, jetzt läuft unser Projekt, wir haben vorläufig keinen weiteren Geldbedarf.“ Das würde keine Initiative tun, denn sie könnte sich denken, daß Frau Müller dann sofort zu einer anderen Initiative abwandert. Aus zweckrationaler Sicht ist es also viel sinnvoller, fortwährend neuen Bedarf anzumelden – und zwar steigenden Bedarf. Schließlich bleibt nicht jeder Spender bei der Stange, und diesem ständigen Spenderschwund meint man nur mit Neuakquise und „Upgrading“ begegnen zu können. Der Markt freier Interessenten gibt jedoch schon lange nichts mehr her, wie sich an der Rücklaufquote jeder beliebigen Aussendung eines Spendenbriefs ablesen läßt. Deshalb richten die Fundraiser ihre Aktivitäten verstärkt auf die Erhöhung der Spendenquote der bereits vorhandenen Förderer.
Weil es so überaus schwierig geworden ist, ganz neue, frische Spender zu gewinnen, lassen sich externe Vermittler ihre fette Beute fürstlich bezahlen. Wer von denen an der Haustür geworben wird, bezahlt zunächst einmal einen oder sogar zwei Jahresbeiträge in den Säckel der dahinterstehenden Werbeagentur. Wenn Initiativen mit dem Spruch „Jeder Euro hilft!“ auf Spenderfang gehen, dann verstehen sie ihn so, daß durch die erste Spende die Werbung finanziert wird, die dann zur zweiten bis zehnten Spende führt. Den Geldgebern ist diese Mechanik jedoch überhaupt nicht klar, weil sie nicht darüber informiert werden. Beispielrechnungen zufolge setzen auch seriöse Organisationen schon einmal 6.200 Euro ein, um hundert neue Spender zu finden. Auch das mag zweckrational sein, es ist aber insofern skandalös, als die Spender, von denen dieses Geld stammt, natürlich davon ausgehen, daß davon Brunnen in Afrika gebaut oder das Dach einer Schule in Asien befestigt wird. Und auch die mit diesen Mitteln neu geworbenen Spender müssen, wenn Brunnen und Dach doch noch realisiert werden sollen, selbst zunächst einmal 62 Euro pro Person spenden, noch ohne den Menschen von den Plakaten zu helfen. Erst dann sind sie kostenneutral, erst danach kommen ihre Spenden überhaupt im Apparat an. Und dort verbleibt zunächst ein weiterer Teil der Gelder in den Verwaltungsstrukturen.
Der Selbstzweck im Fundraising äußert sich vor allem da, wo immenser Aufwand an Zeit und Kosten getrieben wird. In dem Beispiel von 6.200 Euro für hundert neue Spender steht dem erheblichen Aufwand noch ein Zugang gegenüber, der aus Sicht des Fundraisings den Aufwand vollauf legitimiert, weil die zu erwartenden Einnahmen die „erforderlichen“ Ausgaben übersteigen. Dennoch ist dieser Ansatz aus den genannten Gründen zu kritisieren.
Noch weitaus kritikwürdiger sind Aktivitäten, die sehr viel Geld verschlingen, dabei jedoch nicht einmal einen adäquaten Ertrag einspielen. Es wird in diesem Zusammenhang oft von der Werbewirkung und dem Umwegnutzen schwadroniert, doch sind diese Gegenwerte weder quantifizierbar noch unmittelbar hilfreich im Sinne der Projekte. Viele Organisationen setzen Spendengelder für die Öffentlichkeitsarbeit und Bewußtseinsbildung ein. Der Spender bezahlt dann letztlich für das Gesinnungskino, das ihm und den anderen präsentiert wird. Natürlich: Damit sich dies ändert, brauchen wir andere Spender. Es ist aber zweifelhaft, ob sich die Gesellschaft mit dieser Strategie überhaupt ändern ließe, ganz abgesehen von der Frage, ob die Gesellschaft überhaupt verändert werden will. Viele Dinge erscheinen in einem klareren Licht, wenn man sie mit der alten Frage traktiert: „Cui bono?“132
Egal, wie es um den finanziellen Ertrag von Aktionen bestellt ist: Denen, die sie durchführen, bringen sie stets Lohn und Brot. Sofern diese Leute selbst über die Durchführung von Aussendungen, Kampagnen, „Events“ und all das entscheiden, haben sie es besonders leicht. Wenn sie ihre Kraft zunächst darauf richten müssen, Vorständen und anderen Entscheidungsträgern einzuflüstern, wie sinnvoll die von ihnen vorgeschlagenen Schritte sind, haben sie es ein bißchen schwerer, kommen mit Geschick und Überzeugungskraft aber trotzdem meistens ans Ziel. Externe Dienstleister, beispielsweise Agenturen, schlagen die Aktionen vor, die sie dann auch selbst durchführen können, und sie werden im Normalfall nicht davon abraten, einen Teil der Spendengelder auf diese Weise zu verwenden. Aufgrund dieses erheblichen Eigeninteresses können wir von keinem Fundraiser oder Berater erwarten, eine Aktion nicht zu empfehlen, die ihm persönlich erheblichen Nutzen verspricht. Aus diesem Grund ist es unter Fundraisern und Organisationen kein Thema mehr, daß aus Spendenmitteln das ganze Marketing finanziert wird. Natürlich können sie damit argumentieren, daß eine Organisation, die massiv in die Öffentlichkeit tritt, dadurch dann auch höhere Spendeneinnahmen erwirtschaftet – Spendeneinnahmen, die das eingesetzte Geld in vielen Fällen deutlich übersteigen. Diese Argumentation ist aber aus den bereits genannten Gründen nicht so nobel, wie sie erscheint: Sie erlaubt den zweckfremden Einsatz der Spenden und führt zur Täuschung der Geber.
Besonders unangenehm fällt die Etablierung dieser Denkrichtung dann auf, wenn sie sich in Anleitungen niederschlägt, mit denen junge Fundraiser ihr Handwerkszeug erlernen. Sie wachsen unter dem Eindruck von Selbstverständlichkeiten in diesen Beruf hinein, deren Legitimation niemand mehr überprüft. Die Autoren, die ineffiziente Werkzeuge noch mit dem unsäglichsten Argument empfehlen, dem der allgemeinen Öffentlichkeitswirkung und Umwegrentabilität, leiten den Nachwuchs ihrer Branche dazu an, Spendengelder als grundsätzlich disponibel anzusehen und sich von der reinen Zweckbindung der Mittel zu verabschieden, zu der durchaus auch die Finanzierung des notwendigen Verwaltungsaufwands zählt. Erst diese Haltung hat das Substrat geschaffen, auf dem heute eine breite Vielfalt scheinbar witziger Ideen sprießt, mit denen die breite Masse und vor allem ihre finanziellen Mittel erreichen will. Die suggestiven, manipulativen und pädagogischen Konzepte, die hierfür bemüht werden, sind zahlreich.
Eine Autorin stellt ihren Lesern die Überlegung anheim, „…wie Sie von der Marktforschung anderer Branchen profitieren können. Immer wenn die Altersgruppe ab 50 Jahre erwähnt wird, sollten Sie besonders aufmerksam werden.“133 Weil man dort nämlich in der Regel die höchsten „Profite“ einfährt. Eine derartige Zielgruppe macht Fundraising zur leichten Ernte, und die anderen, reflektierter handelnden Spender müssen eben diversifiziert werden, vor allem in den Macher-Typ, den Wohltäter-Typ, den passiven und den suchenden Typ. Die Wahl der Werkzeuge, die man auf sie ansetzt, richtet sich nach der Härte und Struktur der jeweiligen Nuß.
„Der Macher-Typ ist gewohnt, selbst zu handeln, zu gestalten, Verantwortung zu übernehmen und Kontrolle auszuüben“, entnehmen wir einem der maßgeblichen Standardwerke zum Fundraising. „Er ist unzufrieden mit dem Ist-Zustand, sucht nach dem Fehlenden und ist überzeugt von der Notwendigkeit, einen Beitrag zu leisten. In seinem Herangehen ist er enthusiastisch, von Idealen geleitet, impulsiv, manchmal streitlustig und den Widerstand suchend. Auch die Rolle des opferbereiten Märtyrers steht ihm gut.“134 Der Zynismus dieser Charakterisierung sollte nicht von ihrer Scharfsichtigkeit ablenken, schließlich äußert sich in dieser Beschreibung eine scharfe Beobachtungsgabe. Der Macher-Typ wird ja dadurch auch gar nicht kritisiert, sondern als ein Typus unter anderen vorgestellt, dessen Seelenleben nur mit dem Interesse untersucht wird, es besser ausnutzen zu können.
Auch die nächste Figur im großen Spenderkabinett wird mit dieser Sicht auf die Dinge analysiert: „Der Wohltäter-Typ liebt das Rampenlicht. Er will wahrgenommen werden, sich präsentieren und positionieren. Nicht selten gibt er sich in falscher Bescheidenheit. Er pflegt den Anschein des Altruismus und zögert nicht, Abhängigkeiten herbeizuführen. Die Motive des Gebens und Schenkens des Wohltäter-Typs basieren auf einem starken Bedürfnis nach öffentlicher Anerkennung. Oft geht es darum, sich zu verewigen.“135 Auffallend ist dabei, daß dieser Typus zwar als Wohltäter bezeichnet, aber als Selbstsüchtiger beschrieben wird. Aus der Kälte der Beschreibung spricht Verachtung.
Nicht viel wohlwollender gehen die Autoren mit den anderen Spendertypen um. „Der passive Personentyp ist harmoniebedürftig, weicht Problemen lieber aus und kann eine gewisse Trägheit, Inaktivität und Unbeweglichkeit nicht abstreiten. Er erkennt insgeheim den Handlungsbedarf für Veränderungen, kann sich jedoch nicht zum eigenen Handeln motivieren. Entscheidet sich der passive Personentyp zum Geben und Schenken, so basieren die zugrundeliegenden Motive meist auf einem schlechten Gewissen. Der passive Personentyp ist betroffen vom Unglück anderer und schämt sich diesbezüglich seines eigenen Wohlergehens, das ihm trotz seiner Trägheit zuteil wurde. Für ihn stellen Geben und Schenken einen Ausweg aus einem persönlichen Dilemma dar.“136 Auch diesem armen Tropf kann geholfen werden, denn jeder gute Fundraiser, der seine Beweggründe durchschaut, kann ihm ein passendes Angebot für die schnelle Befriedigung seiner innerlichen Unzufriedenheit machen. Und noch direkter und analytischer liest sich die Beschreibung des letzten dieser vier Grundtypen. Die Abschätzigkeit dieser Charakterisierung wird besonders deutlich, wenn wir uns vor Augen halten, mit welchem Maß an gespielter Freundschaftlichkeit und berechnetem Einfühlungsvermögen professionelle Fundraiser den Spendern um die Beine schnurren.
Aber lassen wir nochmals die Fundraising Akademie zu Wort kommen: „Der suchende Personentyp ist einsam, schüchtern und vom Leben verunsichert. Selbstzweifel plagen ihn, er möchte sich anlehnen...