1 - Nordkorea
Bereits wenn der Name „Nordkorea“ in den Medien auftaucht, werden Schreckensmeldungen vermutet. Nicht zuletzt deshalb, weil dieses Land von den meisten Menschen - zumindest in der westlichen Welt - schlichtweg verteufelt wird.
Doch bevor man sich mit der Gegenwart Nordkoreas auseinandersetzt, muss man dessen Geschichte kennen, um sich überhaupt in die Gedankenwelt der dort lebenden Menschen hineinversetzen zu können. Aus meiner Sicht wird Frieden dort nur möglich sein, wenn man versteht, woher diese Menschen überhaupt kommen und welche Ereignisse aus der Vergangenheit diese Nation prägten und heute noch prägen.
Die Entstehungsgeschichte Nordkoreas
Im Jahre 1945 warfen US-amerikanische B-29 Superfortress Langstreckenbomber zwei Atombomben über Japan ab. Die beiden Städte Hiroshima und Nagasaki wurden dabei zu einem großen Teil vollständig zerstört, gleichzeitig starben etwa eine viertel Million Menschen.1
Das alles geschah in der unmittelbaren Nachbarschaft zu Nordkorea und natürlich auch zu anderen Ländern wie China. Dieser Angriff der USA - oder Vergeltungsschlag, je nachdem, von welcher Seite er betrachtet wird - zeigte der gesamten Welt, welche Gefahr von diesem Land ausging und meiner Meinung nach bestand genau darin auch das (oder: ein) Kalkül der Vereinigten Staaten. Denn damit zeigten die USA, dass sie nicht nur in der Lage sind, jedes Land auf diesem Planeten mehr oder minder zu vernichten, sondern dass sie auch die Entschlossenheit dazu besitzen.
Jetzt stellen Sie sich einmal vor, in Ihrer direkten Nachbarschaft wird plötzlich ein Haus in die Luft gesprengt und es dauert nicht lange bis allgemein klar wird, diese Bombe stammte von einem Großgrundbesitzer, der drei Ortschaften weiter entfernt von Ihnen wohnt. Zusätzlich greift weder die Polizei ein, noch werden sonst irgendwelche Anstrengungen unternommen, um diesen Verrückten zur Rechenschaft zu ziehen. Die meisten Familienmitglieder Ihres Nachbarn, den Sie zumindest kennen, auch, wenn sie nicht immer ein freundschaftliches Verhältnis pflegten, wurden bei diesem Angriff getötet.
Wie werden Sie künftig über diesen Großgrundbesitzer denken, oder wie werden Sie sich ihm gegenüber verhalten, sollten Sie jemals in Kontakt mit ihm treten? Richtig, Sie werden sich fragen, ob Sie an der Reihe sind und Sie werden versuchen, Maßnahmen zu ergreifen, um sich vor diesem Typen zu schützen.
Genau das ging mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Köpfen der Staatsoberhäupter sämtlicher asiatischer Länder vor und natürlich auch in der nordkoreanischen Führung.
Ich denke, es ist klar ersichtlich, dass die USA generell - vielleicht mit Ausnahme von Europa - eher kritisch oder zumindest aus einer distanzierten Position heraus betrachtet werden. Der Grund liegt darin, dass die Vereinigten Staaten von Amerika in den meisten Regionen dieses Planeten entweder Kriege führten, kriegsähnliche Militäraktionen durchführten (entweder direkt oder durch Unterstützung regional ansässiger Militärapparate) oder mittels Sanktionen starken Druck auf Bevölkerung und Regierung ausübten. Einzig in Europa traten die USA nach dem Zweiten Weltkrieg bislang als Unterstützer auf, vielleicht mit Ausnahme von Ex-Jugoslawien.
Der Atombombenabwurf zählt sicherlich zu einem der Hauptgründe, weshalb viele Länder schlichtweg Angst vor diesem mächtigen Land haben.
Was geschah weiter, nachdem die beiden Atombomben auf Japan abgeworfen wurden? Diese Bombenabwürfe beendeten schließlich den Zweiten Weltkrieg und sie führten zu einer Loslösung Koreas aus der Kontrolle Japans.2 Lediglich von 1897 bis 1910 war der kleine Staat selbstständig. Zuvor war die Geschichte Koreas eng mit jener von China verbunden, ab dem 17. November 1905 stand es schon unter japanischem Protektorat und 1910 wurde es endgültig annektiert und unter dem Namen Chōsen als japanische Kolonie geführt.3 Erst nach der Kapitulation des Japanischen Kaiserreichs am 15. August 1945, galt Korea - mal wieder - als freier Staat.
Diese Freiheit währte jedoch nicht lange, da bereits kurz darauf sowjetische Soldaten (im Norden) und amerikanische Militärs (im Süden) das Land besetzten, wobei die Grenze entlang des 38. Breitengrades gezogen wurde. Dieser Schritt wurde im Rahmen der offiziellen amerikanischbritisch-chinesischen Bedingungen für die Kapitulation Japans - die in der sogenannten „Potsdamer Erklärung“ festgehalten wurden - vereinbart. Unter Punkt sieben der Potsdamer Erklärung stand: „Bis diese neue Ordnung erreicht und der japanische Kriegsapparat ausgeschaltet sei, würde es eine gezielte Besetzung Japans durch die Alliierten geben.“4
Dies betraf auch Korea, obwohl es theoretisch nicht mehr dem Japanischen Kaiserreich angehörte. Es waren dort jedoch nach wie vor zahlreiche Soldaten der Kaiserlich Japanischen Armee stationiert. Diese mussten sich - vereinbarungsgemäß - dem sowjetischen und amerikanischen Militär ergeben.
In der Folge verhandelten die beiden Supermächte bis zum Jahre 1947 über ein vereintes Korea, und als diese Verhandlungen ergebnislos blieben, trugen die USA die „Koreafrage“ an die Vereinten Nationen weiter. Dies führte schließlich am 14. November 1947 zu einer UN-Resolution, die den Abzug aller ausländischen Truppen sowie zusätzlich freie Wahlen und die Installierung einer UN-Kommission vorsah. So kam es zum Truppenabzug seitens der damaligen Sowjetunion, der bis Ende 1948 abgeschlossen war. Bereits am 10. Mai 1948 kam es zu Neuwahlen im südlichen Teil Koreas, worauf Rhee Syngman offiziell die Regierungsgeschäfte von der US-amerikanischen Militärregierung übernahm. Die Antwort des Nordens ließ nicht lange auf sich warten und es wurde - unter sowjetischer Führung - am 9. September 1948 die Demokratische Volksrepublik Korea mit Kim Il-sung als Präsident gegründet.5
Damit lag die Chance auf einen einheitlichen Staat Korea in etwa so fern wie eine gemeinsame Staatenlösung zwischen Israel und Palästina, um ein Beispiel aus heutiger Zeit zu nennen. Nachdem also die Truppen der Supermächte abgezogen waren, standen einander plötzlich zwei Länder gegenüber, die jeweils für sich den Anspruch auf die Führung und Kontrolle gesamt Koreas geltend machten. Jegliche Friedensbemühungen gingen unter dem Einfluss der ehemaligen Besatzungsmächte USA und Sowjetunion unter, wodurch es schließlich am 25. Juni 1950 zur unvermeidlichen Eskalation kam: Nordkorea griff den Süden an.
Der Koreakrieg
Schon bald nach Kriegsbeginn schalteten sich zwei Supermächte ein - diesmal jedoch der alte Bekannte USA und ein neuer Akteur, nämlich China - und so sorgten amerikanische sowie chinesische Panzer und Bomben für eine beispiellose menschliche Tragödie. In den Jahren von 1950 bis zum Kriegsende am 27. Juli 1953, als die UNO und Nordkorea in Panmunjom ein Waffenstillstandsabkommen schlossen, verloren in diesem Konflikt über 4,5 Millionen Menschen ihr Leben. Zu einer Million getöteter Südkoreaner kamen 2,5 Millionen Nordkoreaner und etwa eine Million Chinesen im Laufe dieses Krieges um. Außerdem starben in diesem Krieg knapp 37.000 US-Amerikaner sowie etwa 3 000 UNO-Soldaten. Alleine von US-amerikanischer Seite wurden knapp eine halbe Million Tonnen an Bomben von Kampfbombern auf Nordkorea abgeworfen und das bei einem Land, das mit einer Landfläche von 120 538 Quadratkilometern gerade mal ein Drittel von Deutschland (357 385 Quadratkilometer) aufweist. Recherchen ergaben, dass wirklich jede Familie in Nordkorea in diesem Krieg Familienmitglieder verloren hat.6
Zum Vergleich: Im Verlauf des gesamten Zweiten Weltkrieges (1938 bis 1945) warfen die Alliierten insgesamt zwei Millionen Tonnen an Bomben über Deutschland ab. Die USA deckten also ein Land mit der Größe von etwa Österreich und der Schweiz zusammen (Gesamtfläche: 125 163 Quadratkilometer) mit einer Menge an Bomben ein, die noch nie ein einzelner Staat zuvor - und danach - abgeworfen hatte.
Nordkorea heute
Die Demokratische Volksrepublik Korea umfasst neben der bereits erwähnten Gesamtfläche von über 120 000 Quadratkilometer mehr als 24 Millionen Einwohner, wodurch es zu einer Bevölkerungsdichte von 200 Personen pro Quadratkilometer kommt, in etwa vergleichbar mit Deutschland, das auf 231 Personen kommt. Seit 1960 verdoppelte sich die Bevölkerung, wobei die Lebenserwartung mit 67,2 Jahren bei Männern und 74,1 Jahren bei Frauen unter jener in Gesamteuropa mit 75 und 81 Jahren liegt und am besten mit der Lebenserwartung der Menschen in Osteuropa verglichen werden kann (68 und 78 Jahre).7 Die Sterberate bei Säuglingen lag im Jahre 2008 lt. offiziellen Angaben Nordkoreas bei knapp unter zwei Prozent und die Fertilität pro Frau lag 2016 bei 2. Somit gibt es pro Familie zwei Kinder.8
Wer in Nordkorea als junger Mensch studieren möchte, kann auf eine der 27 Universitäten bzw. Fachhochschulen des Landes gehen.9 Zuvor muss er jedoch die schulische Grundausbildung absolvieren, die grundsätzlich kostenlos ist und insgesamt 11 Jahre dauert. Nach der Schule gehen wohl die meisten koreanischen Männer zum Militär und nur ein geringer Prozentsatz besucht die Oberstufe als Vorbereitung zur akademischen Weiterbildung.10
Es handelt sich also durchaus um ein gebildetes Volk und nicht um einen rückständigen und ungebildeten Bauernstaat, in dem primär Analphabeten leben, wie Nordkorea in den Medien gerne unterschwellig dargestellt wird. Die Alphabetisierungsrate Nordkoreas - darunter wird eine Person verstanden, die im Alter von 15 Jahren lesen und schreiben kann - liegt bei 99,9 Prozent und damit befindet sich dieses Land noch vor Nationen wie beispielsweise Italien, Ungarn, Spanien oder Kroatien.11
Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes ist natürlich geprägt von umfangreichen Sanktionen. Da Nordkorea lediglich über geringe eigene Bodenschätze verfügt und auf Zukäufe aus dem Ausland angewiesen ist, kommt es hier immer wieder zu gefährlichen Engpässen im medizinischen Bereich, aber auch in der Versorgung mit Nahrungsmitteln für die Bevölkerung, wodurch es immer wieder zu Hungersnöten - wie zuletzt 1996 und auch teilweise in den vergangenen Jahren12 - kommt. Durch diese Umstände beläuft sich auch das Pro Kopf Bruttoinlandsprodukt mit etwa 600 US-Dollar nur auf etwa ein Vierzigstel dessen von Südkorea.13
Auch der Tourismussektor - als mögliche zusätzliche Einnahmequelle - stagniert auf einem ausgesprochen niedrigen Wert: Etwa 4 000 bis 6 000 Touristen besuchen jährlich das Land.14 Kein Wunder, angesichts von Fällen wie jenem des US-amerikanischen Studenten Otto Frederick Warmbier, der nach der Entwendung eines Plakates im Jahre 2016 zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt wurde und 2017 verstarb, kurz, nachdem er - im Wachkoma liegend - in die USA ausreisen konnte. Die Hintergründe, die zum Tod des Amerikaners führten, konnten bislang nicht geklärt werden und auch der Verdacht auf Folter in Nordkorea konnte nie bewiesen werden.
Gerade in einem Land, das als isoliertester Staat der Welt gilt, finden derartige Ereignisse in den weltweiten Medien weitaus mehr Beachtung, als vergleichbare Fälle in beliebten Urlaubsländern wie beispielsweise in Mexiko, Ägypten, Großbritannien, Deutschland oder irgendwo in den USA, die übrigens das Land mit der weltweit höchsten Rate an Gewaltverbrechen sind.15 So wurde beispielsweise in Baltimore, der größten Stadt im US-Bundesstaat Maryland, im Jahr 2017 jeden Tag ein Mensch ermordet, statistisch betrachtet.16
Mit diesem Vergleich soll das Schicksal Otto Warmbiers keinesfalls verharmlost werden, im Gegenteil: Jegliche Form von Misshandlung und Gewalt muss kompromisslos verurteilt werden. Ich möchte damit aufzeigen, dass Nordkorea höchstwahrscheinlich ein genauso sicheres Urlaubsland darstellt wie viele überaus attraktive Urlaubsziele an anderen Orten dieser Welt.
Die nordkoreanische Armee zählt mit etwa 1,3 Millionen aktiven Soldaten und 4,7 Millionen Reservisten neben China, Indien und den USA zu einer der zahlenmäßig größten Streitmächte der Welt. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl handelt es sich bei Nordkorea ohnehin bei Weitem um das am stärksten militarisierte Land überhaupt. Hingegen wird bezüglich der Waffen und der Ausrüstung von insgesamt veralteten Technologien ausgegangen.
Seit einigen Jahren betreibt Nordkorea ein ambitioniertes Raumfahrtprogramm. Dabei plant der Führer des Landes - Kim Jong-un - nicht nur eine Mondlandung unter nordkoreanischer Flagge, sondern nach seinen Vorstellungen sollen seine Astronauten künftig sogar fremde Planeten erforschen.17 Dieses Weltraumprogramm mag ehrgeizig klingen, jedoch startete am 12. Dezember 2012 eine Rakete, die einen Satelliten erfolgreich in die Erdumlaufbahn brachte.18
Für mich passt es irgendwie nicht zusammen, wenn ein Staatsoberhaupt - wie in diesem Fall Kim Jong-un - ein Raumfahrtprogramm ehrgeizig vorantreibt, um den Mond oder sogar andere Planeten zu erforschen (wie ambitioniert dieser Plan auch immer sein mag), gleichzeitig die Erde mit Atomraketen in einen Dritten Weltkrieg verwickeln möchte. Auch passt das Bild des barbarischen Diktators - wie er auch häufig in den Medien dargestellt wird - nicht zum Ausbau von Universitäten in Nordkorea. Als die Bilder der Eröffnung der Olympischen Winterspiele 2018 in Südkorea mit dem gemeinsamen Auftritt der nord- und südkoreanischen Sportler um die Welt ging, war für mich klar, dass wir es hier nicht mit einem verrückten Staatsoberhaupt zu tun haben, das mit aller Gewalt einen Konflikt mit den USA anzuzetteln versucht, um diesen Planeten in Schutt und Asche zu legen. Alle diese Bilder passen nicht zusammen und darin lag unter anderem auch meine Motivation, dieses Buch zu schreiben. Das Thema Raumfahrtprogramm führt beinahe automatisch zum nächsten Punkt, und zwar jenem, der wohl für den meisten internationalen Zündstoff sorgt: dem Nuklearprogramm Nordkoreas.
Im Rahmen dieses Programms fand im Jahre 2006 auf nordkoreanischem Boden erstmals eine Kernwaffenexplosion statt, die für heftige internationale Kritik sorgte.19 Damit stieg das Land zur Gemeinschaft jener Staaten auf, die Nuklearwaffen besitzen. Übrigens verfügen weltweit acht weitere Länder über ein militärisches Atomwaffenprogramm und von den weltweit etwa 15 000 offiziell existierenden Nuklearsprengköpfen befinden sich in Russland und den USA mit jeweils rund 7 000 Stück die meisten, gefolgt von Frankreich (300), China (270), Großbritannien (215), Pakistan (130 bis 140), Indien (120 bis 130) und Israel (80 Nuklearsprengköpfe). Nordkorea wird auf 10-20 dieser verheerenden Waffen geschätzt.20
Wie gefährlich ist Nordkorea wirklich?
Diese Frage lässt sich nicht beantworten. Ebenso wenig, wie sich eine Frage nach der Gefährlichkeit von Deutschland, Russland, Frankreich, Israel, Großb...