...und Montag kommt der MDK
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Altenpflege am Abgrund

  1. 156 Seiten
  2. German
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Altenpflege am Abgrund

Über dieses Buch

...und Montag kommt der MDK- Altenpflege am AbgrundAls sie sich vor über sieben Jahren als Quereinsteiger in die Altenpflege vermitteln ließ, hatte Emma Lexa das Ziel dazu beizutragen, alten Menschen, die in einem Heim leben ein würdevolles Leben mit umfassender Versorgung und Pflege zu geben. Hoch motiviert startete sie mit vierzig Jahren in die Ausbildung zur Altenpflegerin und schildert unbeschönigt und mit klaren Worten den ganz alltäglichen Wahnsinn in Deutschlands Pflegeeinrichtungen, der geprägt ist von permanenter Unterbesetzung, Dienststrecken von zehn oder mehr Tagen am Stück, Querelen unter dem Personal und Minimalversorgung für die Bewohner. Ihr Fazit nach sieben Jahren: Altenpflege in Deutschland ist ein schönes Märchen Namens PFLEGEPLANUNG, geschrieben für den MDK.

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Information

Vor sieben Jahren hatte ich plötzlich und aus heiterem Himmel auf einmal das dringende Bedürfnis, endlich in meinem Leben mal etwas wirklich Vernünftiges zu machen.
Sie müssen wissen, ich habe ein ziemlich bewegtes Leben hinter mir. Mein Leben war eigentlich schon immer die reinste Achterbahnfahrt und ich habe schon alles Mögliche gemacht … meistens waren es Dinge, die nichts getaugt haben - und zwar sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich.
Aber dann, eines Tages an der Schwelle zur 40, kam mir nach etlichen Fehlschlägen und genau so vielen depressiven Phasen der Gedanke, dass es nun wirklich an der Zeit sei, endlich mal was Gescheites zu tun, und so ließ ich mich in die Altenpflege vermitteln, zunächst einmal als Arbeitsgelegenheit.
Irgendwie war ich von Anfang an von dem Gedanken der Altenpflege begeistert, weil ich den Sinn, der hinter dieser Tätigkeit steht, klar erkennen konnte. Man pflegt eben alte Leute.
Punkt. Ganz einfach. Und zwar so lange, bis sie sterben.
Ich fand und finde das auch heute noch eine tolle und sinnvolle Sache - so gehört sich das. Meine ich jedenfalls. Und es stimmt mir wohl fast jeder zu, wenn ich sage, dass wohl niemand gerne in seinen eigenen Ausscheidungen liegen.
möchte, nur weil er nicht mehr in der Lage ist, sich selbst zu versorgen.
Irgendwie kommt ja keiner um das Altwerden herum (natürlich außer man stirbt jung) und jeder wünscht sich dann vermutlich auch für sich ein menschenwürdiges Da-Sein. Schließlich hat man ja keine Garantie darauf, dass man bis zum Ableben top in Form ist und für seine Bedürfnisse selbst sorgen kann - so schön dieser Gedanke auch sein mag.
Ich hab in den sieben Jahren, die ich in der Altenpflege gearbeitet habe ziemlich oft von anderen Leuten Kommentare gehört wie:“ Das könnte ich nicht“ oder so etwas … und oft habe ich mir dann überlegt, was ich so alles nicht könnte … und da gibt es Vieles. Das können Sie mir glauben.
Ich könnte zum Beispiel kein Haus bauen. Also wenn die Menschheit darauf angewiesen wäre, dass ich die Häuser baute, sähe es schlecht aus mit Unterkünften. Ich kann noch nicht mal mit einem Presslufthammer umgehen. Oder einen Sattelschlepper fahren oder was weiß ich. Ich könnte hier zahlreiche Dinge aufführen, die ich im Vergleich zur Altenpflege sehr viel schwerer finde und die ich ganz bestimmt nicht könnte.
Sicher verstehe ich, dass nicht jeder seinen Berufswunsch darin sieht, alte und pflegebedürftige Menschen zu waschen, ihren Stuhlgang wegzuwischen und sie zu füttern (das nennt man natürlich offiziell „anreichen“ … deswegen bleibt es aber trotzdem füttern …), aber schließlich muss es nun mal auch Leute geben, die das tun. So einfach ist die Sache.
Wenn man in der Pflege arbeitet, dann sollte man die Arbeit auch wirklich gerne und von Herzen machen, ansonsten sollte man es lieber bleiben lassen. Denn die Arbeit ist körperlich ziemlich hart und anstrengend, man muss sich bei der Arbeit hunderte Male am Tag bücken und bekommt dadurch im Laufe der Zeit Rückenschmerzen.
Man arbeitet in ständig wechselnden Schichten, hat selten am Wochenende und an Feiertagen frei und reich wird man in diesem Beruf auch nicht. Ganz im Gegenteil. Die Bezahlung ist eher ziemlich mies. Also macht es irgendwie am meisten Sinn, in der Altenpflege zu arbeiten, wenn man sich tatsächlich dazu „berufen“ fühlt.
Naja … ich fühlte mich auf jeden Fall berufen und war völlig beseelt von dem Gedanken, endlich mal eine Tätigkeit auszuüben, die wirklich einen Sinn macht, und ich hatte große Ideen und Pläne, wie ich den alten Leuten ihre Tage von nun an verschönern wollte, auch wenn ich anfangs noch nicht die geringste Ahnung davon hatte, wie es in einem Altenheim zugeht.
Wer noch nie in einem Altenheim war, der hat vielleicht die Vorstellung von netten Senioren und Seniorinnen mit weißen Löckchen und viel 4711, die gemeinsam Bingo oder Mensch-ärgeredich-nicht mit übergroßen Figuren spielen. Solche Bilder schwebten vor meinem ersten Arbeitstag auch in meinem Kopf herum, und ich stellte mir vor, wie ich die „Omis“ aufmischte und mit ihnen die tollsten Sachen machte.
Das hat sich aber dann ziemlich schnell gelegt, denn die Realität in einem Altenheim sieht dann doch ziemlich anders aus.
Die Einrichtung, in der ich meine Arbeitsgelegenheit antrat, hatte vier Wohnbereiche und insgesamt etwa 110 Bewohner. Ich wurde dem Wohnbereich 3 zugeteilt und nachdem ich das Procedere mit Betriebsarzt und Einkleidung hinter mir hatte, trat ich dann an einem Montagmorgen in meinen noch völlig steifen, neuen Arbeitssachen zum ersten Mal einen Dienst in der Altenpflege an. Alles in allem kam ich mir in den weißen Klamotten im ersten Moment ein bisschen komisch vor. Andererseits fand ich es auch irgendwie cool, dass ich nun ein Namenschild mit Foto und allem Drum und Dran an meiner Arbeitskleidung trug, was dem Gesamtbild doch irgendwie ein ziemlich professionelles Aussehen verlieh.
Für das Pflegepersonal fing der Frühdienst um 6.30 Uhr an. In der Zeit von 6.30 Uhr bis 7 Uhr erfolgte dann die Übergabe durch die Nachtschicht, bei der die Nacht jedes einzelnen Bewohners durchgesprochen wurde. Dabei ging es um den Allgemeinzustand des jeweiligen Bewohners, eventuell anstehende Arztbesuche oder Medikamentenänderungen, etwaige Auffälligkeiten im allgemeinen Verhalten, Hautbeobachtung, Essverhalten und Ausscheidungen.
Soviel, wie in der ersten halben Stunde meines ersten Dienstes hatte ich vorher noch nie auf einmal über Ausscheidungen gehört. Innerlich musste ich jedes Mal grinsen, wenn die Nachtschwester bei einem Bewohner berichtete, dass er „schön“ abgeführt hatte und stellte mir vor meinem geistigen Auge vor, wie man „schön“ kackt. In meinem Kopf hatte „schön“ so was Blumiges … also als würden kleine Blümchen aus dem Hintern kommen oder so etwas … aber ich merkte ziemlich schnell, dass in diesem Zusammenhang „schön = viel“ bedeutete. Also, wenn jemand im Altenheim „schön“ abgeführt hat, heißt das auf Deutsch, er hat einen Riesenhaufen gekackt.
Nachdem diese Informationen weiter gegeben worden waren, verabschiedete sich der Nachtdienst und die Stationsschwester, die am Kopf des Tisches saß, schrieb Zettel, auf denen die Bewohner für die morgendliche Grundversorgung auf die anwesenden Arbeitskräfte aufgeteilt wurden.
Ich weiß noch genau, dass an meinem ersten Arbeitstag eine Menge Leute bei der Übergabe anwesend waren - also es waren bestimmt sechs oder sieben Personen - und da ich nicht die geringste Ahnung hatte, wie es in der Altenpflege zugeht und da alle Anwesenden die gleiche weiße Arbeitskleidung trugen, dachte ich in meinem naiven Kopf, das seien alles Altenpfleger/innen oder zumindest Schüler. Wie gesagt, zu der Zeit hatte ich noch überhaupt keine Ahnung, wie Pflege in Deutschland so abläuft und ich war ziemlich beeindruckt von dem ganzen geschäftigen Gewusel um mich herum, das alles einen ziemlich professionellen Eindruck machte.
Immer, wenn jemand neu auf dem Wohnbereich anfing, musste derjenige erst mal einen oder zwei Tage „mitlaufen“, je nachdem wie lange es dauerte, bis derjenige die grundlegenden Handgriffe beim Waschen und Anziehen kapiert hatte. Anschließend wurde man dann auf die Leute losgelassen und musste halt zusehen, wie man klar kam. Natürlich versorgte man am Anfang nur „einfache“ Bewohner - das bedeutet: Solche, die noch halbwegs mobil waren.
Vieles in der Altenpflege ist „learning by doing“ und mit jedem Tag, den man arbeitet, hat man die Handgriffe besser raus und bekommt mehr Routine.
Ich wurde also an meinem ersten Arbeitstag mit einem etwa 18-jährigen, jungen Mann eingeteilt und musste erst mal „mitlaufen“. Wir steuerten also das erste Bewohnerzimmer an, in dem wir einen völlig dementen Mann, der aber noch mobil war, zu versorgen hatten. Mobil hieß in diesem Fall, dass der Mann noch alleine mit seinem Rollator laufen konnte. Ansonsten musste er jedoch komplett vom Pflegepersonal gewaschen und angezogen werden.
In dem Moment, in dem man in der Pflege ein Zimmer betritt, geht es dann auch sofort zur Sache.
Anklopfen, Licht an - „Guten Morgen“ - Anwesenheit an … und los geht´s.
Es dauerte allerdings nicht besonders lange, bis mir klar wurde, dass der junge Mann, der mich da unter der Fittiche hatte, selbst keine allzu große Ahnung von der Pflege hatte. Während wir gemeinsam den verschlafenen Mann, der keine große Lust zum Aufstehen zu haben schien, ins Bad bugsierten, unterhielten wir uns ein bisschen und ich erfuhr, dass er Praktikant war und selbst erst seit ein paar Wochen in der Einrichtung arbeitete. Er besuchte die Fachoberschule und musste ein Jahr lang jeweils an drei Tagen in der Woche ein Praktikum in einer Pflegeeinrichtung absolvieren - und das tat er eben hier.
Ich muss sagen, ich kam mir schon ein bisschen blöd vor, als er mir dann stockend und ziemlich umständlich erklärte, wie man jemanden wäscht.
Ich wasche mich selbst ja schließlich auch und bin überdies Mutter von zwei erwachsenen Kindern, die ich logischerweise früher auch gewaschen habe. Aber um den Jungen nicht aus dem Konzept zu bringen, ließ ich mir nichts anmerken und ihn reden.
Morgens von 7 Uhr bis 7.45 Uhr werden im Altenheim die mobilen Bewohner gewaschen, damit sie um Punkt 8 Uhr zum Frühstück im Aufenthaltsraum sitzen. Das heißt, der Erste, der auf der Liste steht, hat quasi die Arschkarte gezogen und wird um sieben Uhr aus dem Bett geschmissen, auch wenn er eigentlich den ganzen Tag nichts vorhat. Aber irgendeiner muss halt „dran glauben“, denn sonst wird man mit der Versorgung der Bewohner einfach nicht fertig.
Wenn man davon ausgeht, dass jede Arbeitskraft (und in der Pflege werden auch Praktikanten und Fachoberschüler als vollwertige Kraft gezählt) 2- 3 Bewohner vor dem Frühstück zu versorgen hat, dann weiß man ungefähr, wie groß das Zeitfenster für eine Grundversorgung so in etwa ist.
Soviel hatte ich schon am ersten Tag kapiert, denn ich hatte bei der Übergabe am Morgen mitgezählt, wie viele Bewohner es gab, und mir ausgerechnet, wie viele jeder vom anwesenden Personal in etwa zu versorgen hatte. Und ich sah auch ganz klar, dass der junge Mann selbst nicht so genau wusste, was er tat und dass das alles ziemlich lange dauerte. Irgendwann - ziemlich bald - hatte ich es dann leid, ihm dabei zuzuschauen, wie er den alten Mann wusch, und bezog in der Zwischenzeit schon mal das Bett und räumte das Zimmer auf. Bei der zweiten Bewohnerin, die auf unserer Liste stand, schlug ich vor, dass wir es anders herum machten, und ich hatte ein bisschen das Gefühl, dass er mit dieser Regelung ganz zufrieden war. Nachdem er mir kurz erklärt hatte, was zu beachten war, legten wir los.
Während ich die Bewohnerin wusch und anzog, machte der junge Mann das Bett und räumte das Zimmer auf. Die Frau war ebenfalls völlig verwirrt, hatte aber ein sehr freundliches Gemüt.
Man konnte zwar nur einen Teil von dem verstehen, was sie erzählte, aber sie quasselte fröhlich und ohne Gebiss drauflos und erkundigte sich zwischendurch immer wieder nach dem Wetter.
An der Art, wie sie sprach, konnte man merken, dass sie früher wohl ziemlich vornehm gewesen war - ganz besonders, als ich dann mit ihr im Bad war und sie ihre Zähne im Mund hatte. Die Versorgung machte mir richtig Spaß und alles ging recht flott und reibungslos über die Bühne.
Das lag aber auch daran, dass die Frau sehr gut bei der Versorgung mitarbeitete und nicht so widerspenstig war wie der Bewohner, den wir zuvor versorgt hatten. Eine Viertelstunde später verließen wir in einer Wolke von 4711 und Haarspray das Zimmer und lieferten die Bewohnerin im Aufenthalts- und Speiseraum des Wohnbereichs ab. Beim dritten Bewohner hatten wir uns dann schon so aufeinander abgestimmt, dass wir Hand in Hand arbeiteten und nach kurzer Zeit konnten wir auch diesen Bewohner gewaschen und gestriegelt zum Frühstück im Aufenthaltsraum abliefern. Da wir zu zweit so gut in der Zeit lagen, konnten wir noch schnell zusammen das Bett beziehen, und ich war ziemlich zufrieden mit dem Resultat meines ersten Einsatzes. Danach war dann auch meine Einarbeitungszeit zu Ende, zumindest was die Grundversorgung anging.
Um viertel vor 8 wurden dann die Essenwagen aus der Küche nach oben auf den Wohnbereich geholt und das Frühstück wurde vorbereitet. Was ich ziemlich lustig fand, war, dass sämtliche Arbeitskräfte zu diesem Zweck einen Überwurf über die Arbeitskleidung ziehen mussten. Diese Schutzkittel waren in Einheitsgröße gefertigt und sahen irgendwie an jedem Mitarbeiter unterschiedlich aus. Aber irgendwie immer lustig.
Während der Überwurf bei dem jungen Mann, mit dem ich unterwegs war, wie ein Minikleidchen wirkte, ging er mir dagegen bis an die Waden. Auf eine gewisse Weise sah das Gewand aus wie eine Mischung zwischen einer Pipi-Langstrumpf-Schürze und einer Clownsjacke.
An den Seiten wurden die Teile mit Druckknöpfen zu gemacht und vorne hatten sie zwei riesige Taschen. Das Ganze sah in Kombination mit den bunten Croques, die fast alle trugen ziemlich schräg und farbenfroh aus.
Alle anderen Mitarbeiter außer der Stationsschwester wirbelten im Aufenthaltsraum schon geschäftig durcheinander, wo inzwischen an allen Tischen Bewohner saßen. Es wurden Tabletts ausgeteilt und Kaffee eingeschenkt, die Bewohner bekamen riesige Lätzchen umgebunden, Brote wurden kleingeschnitten und jeder Bewohner bekam vor dem Frühstück seine Medikamente mit ein paar Löffelchen Quark vermischt verabreicht. Der größte Teil derer, die im Speiseraum frühstückten, war noch halbwegs in der Lage, selbst zu essen und so musste nur einer vom Personal im Aufenthaltsraum bleiben, um die Bewohner während des Frühstücks zu beaufsichtigen und bei dem Einen oder Anderen zu helfen.
Nachdem dann um 8 Uhr das Frühstück an die mobilen Bewohner ausgeteilt worden war und jeder sein Tablett vor sich stehen hatte, verteilte sich dann das restliche Personal auf die beiden Flügel des Wohnbereichs, um den bettlägerigen Bewohnern das Frühstück anzureichen. Ich zog also in meinem riesigen Anreich-Gewand und mit einem Tablett bewaffnet im Schlepptau des jungen Mannes los zu einem Zimmer, an dem selbstgemalte Namenschilder mit einem Mandala darauf hinwiesen, dass hier Frau Erna und Frau Amalie wohnten. Der junge Mann klopfte an und drückte als erstes im Zimmer an der Gegensprechanlage den Anwesenheitsknopf. Auf dem Flur leuchtete ein grünes Lämpchen auf, das signalisierte, dass jemand vom Personal im Zimmer war. Ich folgte ihm mitsamt meinem Tablett in das Zimmer und schloss die Türe hinter mir.
Und dann stand ich zum allerersten Mal in meinem nicht mehr allzu jungen Leben in so einem Doppelzimmer, in dem zwei schwerstpflegebedürftige alte Frauen lagen und ließ erst mal den Anblick auf mich wirken. Und den Duft. Denn da die bettlägerigen Bewohner immer erst nach dem Frühstück versorgt wurden, hatte noch niemand in dem Zimmer gelüftet und in der Luft hing ein Mief, der irgendwie eine Mischung aus Urin, Stuhlgang und uraltem Mensch war.
Da mein Wohnbereich in einem historischen Gebäude unterm Dach lag, hatten dort alle Bewohnerzimmer eine Dachschräge, wodurch die Zimmer von vorneherein viel kleiner und drückender wirkten, als sie es eigentlich waren. Im ersten Moment war ich durch den Anblick des Zimmers regelrecht „geplättet“. Das war also das, was am Ende vom Leben noch übrig blieb.
Wenn man sich die Wandfarbe in Altenheim-Zimmern mal ganz genau betrachtet, dann bemerkt man, dass die Leute, die die Farben für die Zimmer aussuchen, ganz offensichtlich sehr viel mit Körperausscheidungen zu tun haben.
Meistens ist es gar nicht so einfach, auf Anhieb die Farbe der Wände zu benennen. In diesem Fall stand ich jedenfalls in einem Zimmer mit der Farbe „helles Pissgelb“. Rechts und links an der Wand stand jeweils ein Pflegebett mit hochgefahrenen Bettgittern. Im Gegensatz zu den Betten der Bewohner, die wir vor dem Frühstück versorgt hatten, waren in diesem Zimmer jedoch die Betten so hoch gefahren, dass sie auf Arbeitshöhe für das Personal standen. Die Kopfenden waren jeweils an der Wand und die Betten standen so in den Raum hinein, dass man von beiden Seiten daran arbeiten konnte. An den Kopfenden waren lieblos ein paar Bilder und Fotos an die Wand gehämmert und neben jedem Bett stand ein Nachtschränkchen auf Rollen mit einem ausklappbaren Brett, auf dem man das Tablett abstellen konnte. Vorne am Eingang des Zimmers gab es eine Nasszelle und Einbauschränke auf jeder Seite. An den Schränken klebten Zettel, auf denen Anweisungen wie „ in den Schränken bitte Ordnung halten“ oder „Bewohner nur noch rechts/ links lagern“ und solche Sachen standen.
Und in den Betten lagen dann eben Frau Erna und Frau Amalie. Oder sagen wir mal lieber: die Körper von Frau Erna und Frau Amalie.
Ich erlaube mir es jetzt einfach mal, das so auszudrücken, denn Frau Erna zum Beispiel habe ich sieben Jahre lang gepflegt. Und zu der Zeit, als ich zum ersten Mal in ihrem Zimmer stand, lag sie bereits seit 8 Jahren in diesem Zustand im Bett.
Dass Frau Erna und Frau Amalie sich über die Dinge des Alltags keine Gedanken mehr machen brauchten, sah man auf jeden Fall sofort. Um genau zu sein, konnte man im ersten Moment wirklich noch nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, ob die beiden überhaupt noch lebten. Die zwei hüpften wahrscheinlich bereits irgendwo in einer anderen Welt oder im Himmel über die Blumenwiese, während hier in den Betten eigentlich nur noch ihre völlig maroden Körper lagen, die mit Medikamenten und Pflege am Leben erhalten wurden.
Der junge Mann jedenfalls stellte völlig unbeeindruckt von diesem Anblick das Frühstückstablett auf das eine Nachtschränkchen und ich tat das Gleiche mit meinem Tablett auf der anderen Seite des Zimmers.
Auf den Tabletts gab es jeweils einen Schnabelbecher voll Milchkaffee, eine Scheibe Weißbrot mit Margarine und Marmelade und einen Joghurt. Außerdem ein rotes Medikamententöpfchen mit allerhand Pillen. Ich schaute zu, wie der junge Mann das Brot zuerst mit Kaffee einweichte und dann mit einer Gabel klein knatschte, anschließend wurde die fehlende Menge Kaffee im Schnabelbecher mit stillem Wasser aufgegossen, damit der Kaffee nicht mehr heiß war, der der entsprechende Bewohner schnell trinken konnte und schon beim Frühstück eine Einfuhr von 300 ml Flüssigkeit bilanziert werden konnte. Denn bei den bettlägerigen Bewohnern wurde eine Bilanzierung über die Ein- und Ausfuhr von Flüssigkeit geführt.
I...

Inhaltsverzeichnis

  1. Über das Buch
  2. Textbeginn
  3. Impressum