1. Erste Eindrücke
Erste Eindrücke, 24. Januar 2008 - Mein erster Tagebucheintrag in Kambodscha. Ich habe noch nie Tagebuch geführt – außer auf längeren Reisen. Doch dies ist nach insgesamt drei Jahren in den USA und Japan mein erster Auslandsaufenthalt als Berufstätige und noch dazu in einem Entwicklungsland6 . Deshalb habe ich mich entschlossen, meine Erlebnisse festzuhalten. Ich bin nun schon zwei Wochen im Land. Momentan logiere ich im Gästehaus des DED7 in Phnom Penh. Wenn ich all die neuen Eindrücke aufschreiben wollte, müsste ich jetzt schon fast einen Roman, mindestens aber eine Novelle schreiben. Deshalb wähle ich lediglich ein paar Eindrücke aus.
Zum Beispiel das Klima: Zurzeit haben wir fast täglich 30 Grad und Sonnenschein. Ab und zu sieht man mal ein paar Wölkchen und es weht des Öfteren ein laues Lüftchen. Nachts kühlt es etwas ab, ähnlich wie an einem schönen Hochsommertag in Deutschland. Den nächsten Regen erwarten wir im April.
Obwohl Kambodscha eines der ärmsten Länder der Welt ist, bekommt man in Phnom Penh an Alltagsgütern fast alles, was das Herz begehrt. Es gibt Restaurants in jeder Preisklasse und für jeden Geschmack, von Russisch über Spanisch bis Japanisch. In westlichen Supermärkten kann man fast die gesamte Produktpalette von Nivea erstehen. Mit dem Leben der Mehrheit der Bevölkerung hat das natürlich wenig zu tun.
Aber vom Wetter und den Konsummöglichkeiten zu zwei aktuellen Themen. Beim Ersten geht es um HIV bzw. Aids: Am letzten Wochenende habe ich mir eine sehr eindrucksvolle Dokumentation angesehen. Es ging um eine Studentengruppe aus den USA, die von ihrer Universität nach Phnom Penh geschickt worden war, um in Aids-Waisenhäusern mit den Kindern Kunstprojekte durchzuführen. Ziel war es, Kunst als kreative Ausdrucksform und Vehikel für eigenständiges und kritisches Denken einzusetzen. Klang also erstmal ein wenig abgehoben.
Aber der Regisseur sollte da sein und ich wollte mir das sogenannte Meta House, den Veranstaltungsort, sowieso mal ansehen. Das Meta House8 ist nämlich das Projekt eines Deutschen und wird vom Goethe-Institut unterstützt. Wird also quasi wie ich mit Steuergeldern finanziert.
Abgesehen davon, dass die Dokumentation gut gemacht ist und eindringlich herüberkommt, bringt es den amerikanischen Studenten natürlich viel, Zeit in diesem Land und mit den betroffenen Kindern zu verbringen. Aber darüber hinaus?
Die Zahl der Kinder (und Erwachsenen), die mit HIV infiziert sind, ist in Kambodscha höher als sonst irgendwo in Asien. Die Krankheit wird hier immer noch als (gerechte) Strafe angesehen. Kinder werden immer wieder ausgesetzt bzw. ihre Eltern sterben und die Verwandten können oder wollen sich nicht um sie kümmern. Die Medikamente, die den Ausbruch der Krankheit hinauszögern, sind natürlich für kambodschanische Verhältnisse sehr teuer und für die meisten Betroffenen unbezahlbar.
Die Dokumentation zeigt auch Wayne Dale Matthysse, einen ehemaligen US-amerikanischen Missionar, der es sich nach einer Kambodscha-Reise zur Lebensaufgabe gemacht hat, sich um diese Kinder zu kümmern. Ein sehr charismatischer Typ, der es immer wieder schafft, Spenden für Medikamente, z.B. von der Bill Clinton Stiftung, zu akquirieren. Die Kinder bekommen ein Dach über dem Kopf, Medikamente, Schulbildung und so viel Liebe wie eben in einem Waisenhaus möglich. Außerdem kümmert sich seine Wat Opot Children’s Organisation auch um Kinder, die noch bei ihren Familien wohnen, und betreut sie stundenweise.
Wer mit mir schon mal im Kino war weiß, dass ich nicht gerade wasserfest bin, und der Film hat mir einige Male die Tränen in die Augen getrieben. Die Kinder sind unglaublich lebensfroh und tapfer und kümmern sich umeinander. Betreut von der Gruppe amerikanischer Studenten haben sie wunderschöne Bilder von ihren Zukunftsträumen an die Mauern des Waisenhauses gemalt. Da sie sich meistens ihres Schicksals allzu bewusst sind, zeigen die Bilder viele Krankenhäuser, aber auch ganz normale Motive wie Lehrerinnen oder Piloten in ihrem Jet. Ob die Amerikaner ihnen kritisches Denken beigebracht haben, sei mal dahingestellt. Doch es sind auch kambodschanische Studenten involviert und immerhin ist ein Ergebnis des Projekts, dass diese jungen Khmer aus der Oberschicht nun ein eigenes Projekt gestartet haben und in den Waisenhäusern als Freiwillige arbeiten. Einige der amerikanischen Studenten haben eine Art Patenschaft für die Ausbildung eines der Kinder übernommen oder sind sogar nach Kambodscha zurückgekehrt, um an Hilfsprojekten mitzuarbeiten.
Und ich habe mich für einen Besuch im Waisenhaus angemeldet. Laut Aussage des Leiters werden dort Kinder im Alter von ein paar Monaten bis sechzehn Jahren betreut. Nach den drei Unterrichtsstunden in Khmer, die ich bisher bekommen habe, reicht es noch nicht mal für eine Unterhaltung mit einer Dreijährigen. Aber ein Baby auf den Arm nehmen und knuddeln kann man ja auch ohne Sprachkenntnisse.
Das zweite Thema, über das ich schreiben möchte, ist Darfur. Das liegt doch in Afrika und nicht in Asien, würde man denken. Richtig! Ich war auch zunächst etwas verwundert, bin aber dann doch zu der Veranstaltung „Dream for Darfur, Cambodia“ mit der US-Schauspielerin Mia Farrow gegangen.
Dass im Sudan die in der Region Darfur lebende Minderheit seit fünf Jahren systematisch vertrieben, vergewaltigt, ausgehungert und ermordet wird, verdränge auch ich die meiste Zeit. Viele sprechen aufgrund der Ausmaße von einem Genozid. Passiert ist wenig, es gibt eine Resolution der Vereinten Nationen, die Afrikanische Union stellt (zu wenige, schlecht ausgestattete) Truppen.
Den Organisatoren des international agierenden Projekts „Bring the olympic dream to Darfur”, darunter Mia Farrow, geht es darum, im Vorfeld der Olympischen Spiele 2008 auf das Thema aufmerksam zu machen. Sie sehen innerhalb der internationalen Gemeinschaft vor allem China, den Ausrichter der Spiele, in der Pflicht, Druck auszuüben. Denn China ist der größte Handelspartner Sudans. China bastelt im Zuge der Olympiade eifrig an einem neuen positiven Image. Die Billigung der Menschenrechtsverletzungen in Darfur (und im eigenen Land) aufgrund von Wirtschaftsinteressen passt natürlich nicht so gut ins Bild. Inwieweit die Regierung des Sudans Einfluss auf die Mördertruppen hat, ist umstritten. Aber das nur am Rande.
Die Idee der Initiative ist es, in Ländern in denen ein Genozid stattgefunden hat, gemeinsam mit Überlebenden die olympische Fackel zu entzünden und so Gedenken an die Opfer und Solidarität mit Darfur zum Ausdruck zu bringen. In Ruanda und Deutschland beispielsweise hat die Aktion bereits Station gemacht.
Zurück nach Kambodscha. Der lokale Partner ist das Center for Social Development (CSD)9 und die Zeremonie sollte in Toul Sleng, der ehemaligen Folterstätte und dem Gefängnis der Khmer Rouge, stattfinden. Heute ist Toul Sleng ein Museum und ein Ort, um der Opfer zu gedenken. Der US-Botschafter hatte seine Teilnahme zugesagt und es sollte eine kleine Feierlichkeit mit diversen Ansprachen geben. Natürlich war China von der Aktion nicht gerade begeistert. Und was passiert? Die Aktion wird verboten, das Museum, sonst 365 Tage im Jahr geöffnet, bleibt geschlossen. Die Veranstalter rudern letztendlich zurück: kein Fackelentzünden, keine Reden. Aber die Delegation, die neben Mia Farrow aus einem Überlebenden aus Ruanda, einem Flüchtling aus Darfur und aus Opfern der Khmer-Rouge bestand, wollten Lotusblumen niederlegen, um der Toten zu gedenken.
Das Museum blieb trotzdem geschlossen und es wurden Straßensperren um ein Gebiet von mehreren Häuserblocks errichtet. Ich war dort, als die Delegation an der Sperre vorbei ins Museum ziehen wollte. Nichts zu machen, obwohl die Delegation eine gute Stunde um Durchgang bat. Am Ende wurden sie und wir übrigen Demonstranten, sowohl Khmer als auch viele Ausländer, von Militär und Polizei zurückgedrängt, weil wir den Verkehr behindern würden. Außer einer kleinen Rangelei passierte nichts, aber es war schon ein komisches Gefühl, zwischen den Einsatzkräften und einheimischen Reportern zu stehen. Wir Ausländer hatten uns dort positioniert, damit die Einheimischen nicht verscheucht werden konnten. Trotzdem war es für mich eigentlich eine harmlose Situation, denn was sollte mir schon passieren. Bei den vielen Fotografen waren aber sicher auch einige dabei, die gezielt die einheimischen Teilnehmer abgelichtet haben.
Wieso schreibe ich davon so ausführlich? Zwei Dinge: Zunächst kann man natürlich der kambodschanischen Regierung völlig zu Recht vorwerfen, dass sie die Rede- und Versammlungsfreiheit der Menschen verletzt hat. Aber China ist der größte Investor in Kambodscha und pumpt mehr Gelder ins Land als die übrigen Geberländer zusammen. Entwicklungshilfe schafft also auch Abhängigkeiten und ist fast immer durch handfeste Wirtschaftsinteressen motiviert. Zudem hat es mich sehr beeindruck, dass sich in Kambodscha Menschen für eine Lösung der humanitären Katastrophe in Darfur einsetzen. Menschen die sagen, wir haben das erlebt und können nicht zusehen, dass es wieder passiert.
Die „internationale“ Presse war übrigens auch da: Ich habe im Netz einen Videobericht der BBC10 gefunden. Mia Farrows Engagement kam sehr echt rüber. Klar ist sie Schauspielerin, doch das Thema ist ihr wohl wirklich wichtig und sie investiert offensichtlich viel Zeit dafür.
Von der Militärpolizei abgeschirmt
Ringetausch im Kreis der Eltern
2. Heiraten auf Khmer
Heiraten auf Khmer, 1. Februar 2008 - Nach meinem ersten Bericht über Aids-Waisen und dem Gedenken an Völkermord möchte ich mich heute einem fröhlicheren Thema widmen: Am letzten Samstag war ich auf einer Hochzeit. Eingeladen hatte mich Samrithy, mein DED-Sprachlehrer, zur Hochzeit seines jüngeren Bruders, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Doch diese vage Verbindung war schon Grund genug für eine Einladung. Nicht, dass ich mich beschweren will, denn es war ein einmaliges Erlebnis. Mein erstes großes Fest in Kambodscha!
Heiraten auf Khmer ist eine ausgiebige Angelegenheit. Normalerweise wird drei Tage lang gefeiert. Soviel hatte ich schon mitbekommen, da momentan Hochsaison für Hochzeiten ist und buchstäblich an jeder Ecke eine Hochzeit stattfindet. Musik (LAUTE Musik) ist dabei unglaublich wichtig, sodass ich über die Dauer der Festlichkeiten aufgrund der Feiern in meiner Nachbarschaft sehr genau im Bilde war. Für gewöhnlich beginnt der Soundcheck zwischen vier und halb fünf Uhr morgens. Man will ja schließlich sicher gehen, dass alles richtig funktioniert. Um sieben beginnen dann die eigentlichen Zeremonien. Meine neureichen Nachbarn haben es bis nachts um halb drei ausgehalten, wobei nicht durchgefeiert wurde, sondern eine längere „Mittagspause“ von eins bis halb fünf eingehalten wurde.
Einschub: Gewöhnlich gehen die Khmer eher früh zu Bett, auch in Phnom Penh sind die Straßen gegen 21 Uhr leer, auf dem Land oft schon um 19.00 bis 19.30 Uhr. Dafür geht es morgens meist spätestens um sechs Uhr raus aus den Federn. Natürlich hat hier niemand ein Federbett, aber die Redewendung lässt sich nicht so einfach auf kambodschanische Schlafverhältnisse ummünzen11. Das Leben richtet sich nach den Sonnenstunden, und auch mein Körper hat sich dem Rhythmus hier schon gut angepasst.
Samrithys Bruder und dessen angehende Frau haben die Drei-Tages-Feier auf eineinhalb Tage reduziert. Am Freitag kamen die Mönche ins Haus der Braut, um das Ehepaar zu segnen. Am Samstag ab sieben Uhr fand das Hauptfest statt. Zunächst einmal begab sich eine Prozession vom Haus des Bräutigams zum Haus der Braut und brachte jede Menge Gaben mit. Da das Elternhaus des Bräutigams am anderen Ende der Stadt lag, haben wir uns mit einem symbolischen 100 Meter langen Zug begnügt. Dieser wurde vom Bräutigam und seinen Eltern sowie einigen Musikern angeführt. In Zweierreihen und streng nach Art der Gaben sortiert, trugen wir silberfarbene Schalen mit Obst, frischen Nudeln, Plätzchen, Kuchen und in Bananenblätter eingepackten Leckereien sowie Getränkedosen (Cola und Heinecken!) und Schweinebeine (roh!) zum Haus der Braut. Dort wurde alles in einem festlich geschmückten Raum auf dem Altar (die Schweinebeine) sowie auf dem mit Teppichen ausgelegten Boden platziert. Während das Brautpaar und die engere Familie sich im Kreis um die Gaben auf dem Boden niederließen, wurden wir Träger mit Frühstück belohnt. Es gab eine sehr schmackhafte Reissuppe und Obst sowie Gebäck. Da Samrithy klar war, dass wir – eine ebenfalls gerade erst eingereiste DED-Kollegin, ihr Mann und ich – uns natürlich sehr für die Hochzeitsbräuche interessierten, wurden wir eingeladen, uns zur Familie zu setzen.
In den ...