Die Riesen kommen!
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Die Riesen kommen!

  1. 262 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Die Riesen kommen!

Über dieses Buch

"Die Riesen kommen!" (orig. "The Food of the Gods and How It Came to Earth") ist ein 1904 erschienener Science-Fiction-Roman des englischen Schriftstellers H. G. Wells.

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Information

Erstes Buch – Der Morgen des Nährstoffs

Die Entdeckung des Nährstoffs

I

In den mittleren Jahren des neunzehnten Jahrhunderts trat in dieser unserer wunderlichen Welt zum ersten Male eine Klasse von Menschen wuchernd auf, von Menschen, die zum größten Teil dazu neigten, ältlich zu werden, Menschen, die man, und zwar sehr richtig, trotz ihrer lebhaften Abneigung gegen diesen Titel »Naturwissenschafter« nennt. Sie haben eine solche Abneigung gegen dieses Wort, daß es aus den Spalten der » Natur« – und sie war von Anfang an ihr besonderes und charakteristisches Blatt – ebenso sorgfältig verbannt wird, als wäre es – jenes andere Wort, das in England die Basis jeder wirklich schlechten Sprache ist. Aber das große Publikum und seine Presse weiß es besser, und »Naturwissenschafter« sind sie, und wenn sie zu irgendwelcher Berühmtheit auftauchen, werden sie zu »bedeutenden Naturwissenschaftern«, und die äußersten Titel, die wir ihnen geben, sind »hervorragende Naturwissenschafter« und »in weiten Kreisen bekannte Naturwissenschafter«.
Sicherlich verdienten sowohl Mr. Bensington wie Professor Redwood all diese Titel längst, ehe sie jene wunderbare Entdeckung machten, von der dieser Bericht erzählt. Mr. Bensington gehörte der Royal Society an und war Vorsitzender des Chemikerverbandes gewesen; und Professor Redwood war Professor, Professor der Physiologie im Bond Street College der Londoner Universität, und er war von den Antivivisektionisten ein über das andere Mal angegriffen worden. Und beide hatten von frühester Jugend auf ein Leben akademischer Auszeichnung gelebt.
Natürlich waren es Leute, die nach gar nichts aussahen; das tun alle wahren Wissenschafter. Ein Schauspieler von dem allermildesten Benehmen hat mehr persönliche Distinktion als die ganze königliche Akademie zusammen. Mr. Bensington war kurz und sehr, sehr kahl, und er ging leicht gebeugt; er trug eine goldene Brille und Tuchstiefel, die wegen seiner zahlreichen Hühneraugen an vielen Stellen aufgeschnitten waren, und Professor Redwood war in seiner Erscheinung ganz gewöhnlich. Bis sie auf die Nahrung der Götter trafen (denn so muß ich sie nennen), führten sie ein Leben von so hervorragender und eifriger Obskurität, daß es schwer ist, auch nur irgend etwas zu finden, was man dem Leser von ihnen erzählen könnte.
Mr. Bensington gewann sich die Sporen (wenn man von einem Herrn in geschlitzten Tuchstiefeln einen solchen Ausdruck gebrauchen kann) durch seine glänzenden Forschungen über die Giftigeren Alkaloide, und Professor Redwood erhob sich zur Bedeutung – ich entsinne mich nicht genau, wie er sich zur Bedeutung erhob! Ich weiß, er war sehr bedeutend, und das ist alles. Solche Dinge wachsen allmählich. Ich glaube, ein umfängliches Werk über Reaktionszeiten mit zahlreichen Platten sphygmographischer Zeichnungen (jede Berichtigung ist willkommen) und mit einer bewunderungswürdigen neuen Terminologie machte die Sache für ihn.
Das allgemeine Publikum sah von diesen beiden Herren wenig oder nichts. Bisweilen sah es an Orten wie der Royal Institution oder Kunstvereinigung Mr. Bensington gewissermaßen, wenigstens seine errötende Kahlheit und ein wenig von seinem Kragen und Rock, und es hörte Fragmente eines Vortrags oder Aufsatzes, von dem er sich einbildete, er lese ihn hörbar; und einmal entsinne ich mich – eines Mittags in der entschwundenen Vergangenheit – als die British Association zu Dover tagte, da traf ich auf die Sektion C. oder D. oder einen ähnlichen Buchstaben, die in einem Wirtshaus Quartier genommen hatte, und ich folgte zwei ernsthaft aussehenden Damen mit Papierpaketen aus bloßer Neugier durch eine Tür, die die Aufschrift »Billard« trug, in eine skandalöse Dunkelheit, die nur durch einen Laterna magica-Kreis mit Redwoodschen Zeichnungen unterbrochen wurde.
Ich beobachtete, wie die Laternenplatten kamen und gingen, und lauschte einer Stimme (was sie sagte, habe ich vergessen), und ich glaube, es war Professor Redwoods Stimme. Von der Laterne her kam ein Summen, und ich hörte noch einen anderen Ton, was mich, immer noch in bloßer Neugier, dort hielt, bis das Licht unerwartet aufgedreht wurde. Und da merkte ich, daß dieser Ton das Kauen der »Buns« und Butterbröte und so weiter war, die unter dem Schutz der Dunkelheit bei der Laterna magica zu essen die Herren von der British Association dorthin gekommen waren.
Und Redwood, entsinne ich mich, redete immer weiter, während das Licht schon wieder aufgedreht war, und schlug auf die Stelle, wo seine Zeichnung auf dem Schirm hätte sichtbar sein sollen – und sie war auch wieder sichtbar, sobald die Dunkelheit wieder hergestellt war. Ich entsinne mich seiner von damals als eines ganz gewöhnlichen, leicht nervös aussehenden, dunklen Mannes, der den Anschein erweckte, als sei er mit etwas anderem beschäftigt und tue, was er eben da tat, unter der unerklärlichen Empfindung einer Pflicht.
Einmal – in den alten Tagen – habe ich auf einer Erziehungskonferenz in Bloomsbury auch Bensington gehört. Wie die meisten hervorragenden Chemiker und Botaniker redete Mr. Bensington sehr apodiktisch über Lehrmethoden – freilich bin ich überzeugt, eine durchschnittliche Schulklasse hätte ihn in einer halben Stunde zum Wahnsinn getrieben – und so weit ich mich noch entsinne, setzte er eine Verbesserung von Professor Armstrongs heuristischer Methode auseinander, mit deren Hilfe ein Durchschnittskind von einer besonderen Art starrer Gründlichkeit um den Preis von sechs bis achttausend Mark für Apparate, einer vollständigen Vernachlässigung aller anderen Studien und der ungeteilten Aufmerksamkeit eines Lehrers von ungewöhnlicher Begabung im Laufe von zehn bis zwölf Jahren fast ebensoviel Chemie sollte lernen können, wie man sich aus einem jener anfechtbaren Handbücher zu einer Mark holen konnte, die damals so verbreitet waren ...
Ganz gewöhnliche Leute, wie man sieht, außerhalb ihrer Wissenschaft. Oder, wenn schon irgend etwas, so auf der unpraktischen Seite des Gewöhnlichen. Und das, wird man finden, ist über die ganze Welt hin mit den »Naturwissenschaftern« als einer Klasse der Fall. Was groß an ihnen ist, ist ihren Mitwissenschaftern ein Ärgernis und dem großen Publikum ein Geheimnis. Was nicht groß an ihnen ist, liegt auf der Hand.
Was nicht groß an ihnen ist, darüber existiert kein Zweifel, kein Menschengeschlecht zeigt so augenfällige Kleinheit. Sie leben, soweit menschlicher Verkehr in Betracht kommt, in einer engen Welt, ihre Forschungen fordern unendliche Aufmerksamkeit und fast mönchische Abschließung; und was übrig bleibt, ist nicht sehr viel. Wenn man irgendeinen wunderlichen, scheuen, mißgestalteten, grauköpfigen, selbstgefälligen, kleinen Entdecker großer Entdeckungen sieht, der lächerlich mit dem weiten Band eines Ritterschaftsordens geschmückt ist und einen Empfang von Genossen abhält, oder wenn man den Notschrei der »Natur« über die »Vernachlässigung der Naturwissenschaft« liest, sobald der Engel der Geburtstagsehrungen an der Royal Society vorübergeht, oder wenn man einem unermüdlichen Flechtenforscher lauscht, der über das Werk eines andern unermüdlichen Flechtenforschers redet, so zwingen einen solche Dinge zu der Erkenntnis von der unentwegten Kleinheit des Menschen.
Und trotz allem ist das Riff der Wissenschaft, das diese kleinen »Wissenschafter« erbaut haben und noch bauen, so wundervoll, so ungeheuerlich, so voll von halbgeformten Versprechungen für die gewaltige Zukunft des Menschen! Sie scheinen nicht zu wissen, was sie tun! Ohne Zweifel hatte vor langer Zeit, als er seinen Beruf wählte, als er sein Leben den Alkaloiden und verwandten Verbindungen widmete, selbst Mr. Bensington eine dunkle Ahnung von der Vision, – mehr als eine dunkle Ahnung. Welcher junge Mann würde sein Leben ohne eine solche Inspiration nur um solcher Ehren und solcher Stellung willen, wie sie ein »Wissenschafter« erwarten kann, solcher Arbeit hingeben, wie es junge Leute tun? Nein, sie müssen das Glorreiche gesehen haben, sie müssen die Vision gehabt haben, aber so nah, daß sie sie geblendet hat. Der Glanz hat sie geblendet, erbarmungsvoll, so daß sie die Fackeln des Wissens für den Rest ihres Lebens in Ruhe tragen können – damit wir sehen!
Und vielleicht erklärt es Redwoods Anflug von Zerstreutheit, daß er – jetzt kann daran kein Zweifel mehr bestehen – unter seinen Kollegen anders war, er war anders insofern, als etwas von der Vision noch in seinen Augen schimmerte.

II

Die Nahrung der Götter nenne ich ihn, diesen Stoff, den Mr. Bensington und Professor Redwood zusammen herstellten; und wenn man bedenkt, was er bereits vollbracht hat und was alles er sicherlich noch vollbringen wird, so liegt in dem Namen gewiß keine Übertreibung. Ich werde den Stoff also meine ganze Erzählung hindurch weiter so nennen. Aber Mr. Bensington hätte ihn kalten Blutes so wenig so benannt, wie er seine Wohnung auf Sloane Street mit königlichem Scharlach und Lorbeerkranz bekleidet verlassen hätte. Die Phrase war von seiner Seite nichts als ein erster Schrei des Erstaunens. Er nannte den Stoff nur in seiner ersten Begeisterung und im ganzen höchstens eine Stunde oder so die Nahrung der Götter. Nachher entschied er, er sei absurd. Als er zum erstenmal an die Sache dachte, sah er gleichsam einen Durchblick ungeheurer Möglichkeiten – buchstäblich ungeheurer Möglichkeiten, aber bei dieser blendenden Vision schloß er nach einem Starren der Verblüffung die Augen, wie es ein gewissenhafter »Naturwissenschafter« eben soll. Später klang die Nahrung der Götter beinahe unanständig schrill. Er war erstaunt, daß er den Ausdruck gebraucht hatte. Aber trotz allem blieb etwas von jenem klaräugigen Moment an ihm hängen und brach immer von Zeit zu Zeit wieder heraus ...
»Wahrhaftig, wissen Sie,« sagte er, rieb sich die Hände aneinander und lachte nervös, »das hat mehr als theoretisches Interesse.«
»Zum Beispiel« – er sprach vertraulich, brachte das Gesicht dem des Professors ganz nahe und senkte die Stimme zum Flüstern – »es würde sich, wenn man es richtig anfaßt, verkaufen lassen« ...
»Gewiß,« sagte er, indem er forttrat, »als Nahrungsmittel. Oder wenigstens als Nahrungszusatz.«
»Angenommen natürlich, daß es schmackhaft ist. Das können wir nicht wissen, ehe wir es nicht präpariert haben.«
Er machte auf dem Kaminteppich kehrt und studierte die sorgfältig gezeichneten Schlitze auf seinen Tuchschuhen.
»Name?« sagte er, indem er auf eine Frage die Augen hob. »Ich für meinen Teil neige zur guten alten klassischen Anspielung. Sie – sie macht die Naturwissenschaft so ehr–. Gibt ihr einen Anflug altmodischer Würde. Ich habe gedacht ... Ich weiß nicht, ob Sie es absurd von mir finden ... Ein wenig Phantasie ist doch gelegentlich erlaubt ... Herakleophorbia. Eh? Die Nahrung eines möglichen Herakles? Sie wissen, es könnte ...«
»Natürlich, wenn Sie meinen, lieber nicht –«
Redwood sann nach, die Augen ins Feuer gerichtet, und erhob keinen Einwand.
»Sie meinen, es ginge?«
Redwood bewegte ernst den Kopf.
»Es könnte auch Titanophorbia heißen, wissen Sie. Nahrung der Titanen ... Sie ziehen das erste vor?«
»Sie sind ganz sicher, Sie finden es nicht ein wenig zu – –«
»Nein.«
»Ah! das freut mich.«
Und so nannten sie den Stoff während ihrer ganzen Untersuchungen Herakleophorbia, und in ihrem Bericht – dem Bericht, der nie veröffentlicht wurde, weil die unerwarteten Entwickelungen all ihre Arrangements umstießen, wird er unabänderlich so benannt. Drei verwandte Substanzen wurden präpariert, ehe sie auf die eine stießen, die ihre Spekulation vorausgesagt hatte, und von ihnen sprachen sie unter den Namen Herakleophorbia I, Herakleophorbia II, He...

Inhaltsverzeichnis

  1. Die Riesen kommen!
  2. Erstes Buch – Der Morgen des Nährstoffs
  3. Zweites Buch – Der Nährstoff im Dorf
  4. Drittes Buch – Die Ernte des Nährstoffs