Geschichten, die das Leben schreibt
Krise – was jetzt?
Es kam zum Crash. Wir alle kennen den Begriff, wenn es an der Börse rasant abwärts geht, die Kurse von jetzt auf nachher sich im freien Fall befinden. So geschah es auch bei mir in meinem persönlichen Leben.
Nach einer Zeit in Wohlstand befand ich mich plötzlich im freien Fall. Ich, gerade fünfzig geworden, stand an der Schwelle zum Abstürzen. Nach jahrzehntelanger Selbständigkeit in Textilhandel und Industrie, aufgehoben an der Seite eines Unternehmers, befand ich mich in der Krise. Im Zeichen des Kämpfers geboren, sah ich, dass jede Krise auch eine Chance, wenn auch manchmal nur eine kleine Chance, beinhaltet.
Also machte ich mich, nachdem die Zeit des Selbstmitleids vergangen war, daran, Bewerbungen zu schreiben. Kein leichtes Unterfangen für mich, denn ich war mit vielen Fähigkeiten versehen, habe mich immer „gemeldet“, wenn es Arbeit gab, und mich als Mädchen „für alles“ einsetzen lassen.
Ich war die fast perfekte Mutter und Hausfrau, Gärtnerin und Handwerkerin, Einkäuferin und Verkäuferin für unser Textilgeschäft, Beraterin in Kollektionsfragen und bei Besprechungen in der Fabrik, Messeberaterin, wohnte Shootings für Werbekampagnen in aller Welt bei, war mindestens zwei Sterne Köchin für Geschäftsessen, eine hervorragende Gastgeberin, Dekorateurin, Anzeigenexperte. Verhandeln bei Banken hatte ich gelernt, mit Versicherungen kannte ich mich aus. War für die Personalbetreuung zuständig, der Fuhrpark wurde von mir betreut und nebenbei kam ich meinen Ambitionen als Mutter und Ehefrau nach, pflegte den Garten, griff nicht auf Fertiggerichte zurück und brachte auch die Katzen zum Tierarzt.
Wie aber sollte ich mich für eine neue Arbeit positionieren?
Eine Frau über fünfzig, ganz passabel, aber in ihrem Selbstwert beschädigt, ausgestattet mit einer Chefallergie. Zugegeben, ich habe keine hundertsechzig Bewerbungen geschrieben, aber es sind doch einige gewesen. Und ein Headhunter war zusätzlich von mir kontaktiert worden.
Nach mehreren Absagen bekam ich von einem bekannten Modelabel aus dem Umfeld der Münchner Modeszene die Absage: „SIE sind zu alt für unser junges Team.“
Es traf mich wie ein Hammer. Ging es um Alter oder um Qualifikation? Noch heute klingt es in meinen Ohren. Diese Ladenkette hat mich als Kunde fortan nie mehr gesehen. In einer Fachzeitschrift sah ich ein Bild des „jungen Teams“ und dachte nur: ‚Na ja, alles graue Mäuse.’
Ich beschloss dem Stress zu entgehen und das angefangene Jahr auf dem Golfplatz zu verbringen, in der Hoffnung, auch dort über Kontakte neue Wege zu finden. Nicht ganz einfach für mein Ego mich zu outen, denn wir waren seit Jahren etablierte Mitglieder und jetzt war ich auf der Suche nach einem Job. Ich fühlte mich der Häme ausgesetzt.
Längst hatte sich meine Situation herumgesprochen. Ein Club hat Eigenschaften wie eine kleine Dorfgemeinde: Neuigkeiten, Liebschaften und Gerüchte verbreiten sich sofort.
Sag niemals nie
Eines Tages sprach mich ein Unternehmensberater, attraktiv und mit glücklicher Ausstrahlung versehen, auf dem Golfplatz an, ob ich Lust hätte zu einem Infoabend nach Darmstadt zu kommen. „Beauty-Wellness“, fügte er als Bemerkung hinzu. Ich dachte an Kosmetikerin und lehnte sofort ab.
Gerne ließ ich mich behandeln, aber ich würde doch nicht … selbst Hand anlegen, nein, das war nicht mein Ding. Unser Kontakt beschränkte sich also weiter aufs Golfen.
In Bezug auf Jobsuche ereignete sich nicht viel. Nach ein paar Wochen bekam ich von einem anderen Unternehmensberater aus dem Bereich Chemie erneut eine Einladung zu einem ALOE VERA Infoabend, wiederum in Darmstadt. Ich sah schon rot, Aloe Vera … Darmstadt … die beiden Herren waren befreundet, wie ich erfuhr. Ich lehnte mit dem klaren Hinweis ab, dass ich niemals mit Aloe Vera arbeiten würde. Aber, man sollte bekanntlich nie NIE sagen.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich in meinem Leben mit Network Marketing, MLM, keinen Kontakt gehabt, wusste nicht, was es wirklich bedeutet. Nie war jemand zuvor an mich herangetreten, um mir ein Produkt zu verkaufen oder gar eine Geschäftsmöglichkeit anzubieten. Vermutlich hätte ich auch kein Ohr dafür gehabt. Network war für mich ein Begriff aus der EDV, und Aloe Vera hielt ich für ein zweitrangiges Produkt. Es war mir damals noch nicht bewusst: Chancen sind wie Sonnenaufgänge, wer zu lange wartet, verpasst sie! Die beste ungenutzte Chance ist wertlos.
Also golfte ich weiter einen schönen Sommer lang und ließ die Zeit verstreichen.
Mein Hirn war nicht wirklich offen und ich verharrte in starren Vorstellungen, wie ich das Leben sehen wollte. Denn eigentlich wollte ich alles so haben wie bisher, das tun, was ich gelernt hatte, was ich konnte und was zu meiner Gewohnheit geworden war, Dinge wie: diskutieren und entscheiden über Stoffe, Farben, Design, Knöpfe, Verkauf, meinen Garten pflegen, Leute bekochen ... Alles das gefiel mir, was mir flott von der Hand ging.
Jede Woche studierte ich nun in FAZ und TM die Anzeigen und fand mich unter- oder überqualifiziert, oder die Ausschreibungen waren nicht für meinen Berufszweig gedacht. Mich irgendwo einzuordnen fiel mir schwer.
Für einen Quereinsteiger in andere Berufswege fühlte ich mich zu schwach, es bot sich ja auch nichts Passendes an.
In meiner Not wandte ich mich an einen Headhunter. Zu unseren besten Zeiten erhielten wir oft Telefonate von diesen Unternehmen, weil man die Vermittlung meines Exmannes in die Führungsposition eines anderen großen Unternehmens der Branche interessant und lukrativ gefunden hatte. Für mich gab es jetzt eine Position in Österreich – das wäre machbar, teilte man mir mit. Ein Vorstellungsgespräch gäbe es bei einem dazwischen geschalteten Unternehmensberater aus Süddeutschland, und wenn ich dort erfolgreich wäre, stände mir der Weg offen, meine Heimat zu verlassen und ein neues Arbeitsleben zu beginnen. Dieser Weg war nicht lange für mich offen, ich bekam eine Absage. Der Unternehmensberater hatte sich nach meinem Sternbild erkundigt, da er bei Bewerbungen auch die Sterne einbezog. Als Widder geboren war ich wohl zu anstrengend. Eine Begründung gab es bei der Absage nicht.
Doch an einem Wochenende entdeckte ich eine Ausschreibung in der FAZ, die hatte Niveau, die sprach mich an. Da standen Attribute wie: selbständiges Arbeiten, Entscheidungsfreiheit, internationales Geschäft, geringe Investition, finanzielle Unabhängigkeit, Trendmarkt Nr.1, Standort unabhängig, Karrierechancen!
Ich meldete mich über die Verbindungsdaten, bekam einen Vorstellungstermin innerhalb einer Woche, war voller Hoffnung und durchaus motiviert.
Als ich das Bürozentrum betrat und die Sekretärin mich bei meinem Gesprächspartner anmeldete, sah ich eine Glasvitrine mit ALOE Produkten. Reinste Aloe Vera stand dort, Millionen eigener Pflanzen, die einzige Pflanze mit der Regenbogenaura. Ich schwitzte sofort, denn das wollte ich ganz bestimmt nicht: mit Aloe Vera arbeiten! Wie konnte ich jetzt dem Büro wieder entkommen? Ich sah nicht wirklich eine Möglichkeit, weglaufen wäre aus einer Sicht sehr unhöflich und peinlich gewesen. Also harrte ich der Dinge, die auf mich zukamen.
Und das war ein gebräunter, sportlicher Mann jungen Alters, der mich zu einem Gespräch in eines der Büros einlud. Es folgte eine spannende Stunde, mit Visionen, Fakten, Informationen und … meinem Eintrag als Vertriebspartner des internationalen amerikanischen Unternehmens!
Überrascht über die Qualifikation meines Gegenübers und darüber, dass ein Mann vom internationalen Vertriebsaufbau im Wellness-Gesundheitsbereich sprach, machte mir Mut. Ich erkannte aus dem Gespräch etwas anderes als ein Hausfrauenbusiness, für das ich mich selbstverständlich als überqualifiziert sah.
Zufrieden, motiviert und mit neuen Ideen verließ ich diese Unterhaltung mit zwei Tragekisten (Touches) mit hochwertigen Aloe Vera Produkten. Eine Kiste für meinen eigenen Gebrauch und zum Kennenlernen. Einen Touch (Starter Set) zum Arbeiten, zum Verkauf oder als Muster, denn ich wollte ja ein Geschäft starten, nach dem Motto: „Auf zu neuen Ufern!“ Hatte er doch gesagt: „Sie wollen beruflich nach oben? Diese Branche macht es möglich!“
Der Haken war ...
Zuhause angekommen hatte ich ein Problem. Wen sollte ich anrufen oder kontaktieren? Einen warmen Markt, Freunde und Bekannte hatte ich kaum noch. Frühere Geschäftskontakte wollte ich mir nicht antun oder ich hatte sie aus meinem Gedächtnis und meinem Adressbuch gelöscht. Mein Ego rebellierte. Eine Namensliste erstellte ich nicht, denn die Menschen, die mir geblieben waren, mussten nicht „so was“ machen. Sie waren und blieben gut situiert und leisteten sich Pflegeprodukte aus einem angesehenen Beautyunternehmen des Einzelhandels, das jedem bekannt ist.
Also ging ich weiterhin zum Golfen, bekam auch dort ein paar nette Kunden, jedoch keine Geschäftspartner. Das Geschäft entwickelte sich zäh und langsam im Vergütungsplan nach oben, denn da wollte ich ja hin.
Ich wurde zum fleißigen Seminarteilnehmer, verpasste kein Firmenevent, nahm Fahrt- und Übernachtungskosten in Kauf, alles das, um schnellstens mein Wissen zu erweitern und diese Branche zu kapieren. Aber auch, um den Haken an der Sache zu finden, bis ich merkte: Der Haken war ich! Die Paradigmen in meinem Kopf, Erfolgsverhinderungsprogramme boykottierten jeden Erfolg. Ich sollte lernen, mich um zu programmieren.
Aus meiner Familie kamen Aussagen wie:
„Die da, die wollen doch nur dein Geld!“
„Bekommst du das bezahlt?“
„Kann man da denn Geld verdienen?“
„Nur die da oben verdienen wirklich.“
„Ich hab gelesen, das könnte eine Sekte sein.“
„Das geht sicher schief.“
Sogar mein Exmann schickte eine Mail mit der Frage, ob ich es nötig hätte auf den Strich zu gehen und Klinken zu putzen.
Mein Sponsor hatte Erfahrungswerte und gab mir seinerzeit den Rat: „Zerreiße die negativen Nachrichten und spüle sie ins Klo. Mache den energetischen CUT, das hilft, schlage ein Ei drüber. Lass dich nicht runterziehen, orientiere dich an denen, die das erreicht haben, was du erreichen willst. Schaue nach oben, nicht dahin, wo die sind, die es nicht geschafft haben oder schaffen werden.“
Wir hatten uns auf das respektvolle „DU“ geeinigt, so wie es im Network Marketing üblich ist, von unten nach oben, von oben nach unten. Norddeutsch geprägt fiel es mir zu Anfang schwer, mich daran zu gewöhnen. Doch dieses respektvolle DU ist hilfreich, es schafft Vertrauen und Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Menschen, die in dem gruppendynamischen Prozess ein gemeinsames Ziel haben: Mit Freude, Spaß und Einsatzbereitschaft wirtschaftliche Erfolge zu erreichen!
Ich ging also den schweren Weg und begann Kaltakquise übers Internet und mit Briefen, hin und wieder war ein Telefonat dabei. Je kürzer die Ansage, desto besser die Chance zum Erfolg, hatte ich gelernt. Ich schaltete Anzeigen, machte eine Anrufansage und, und, und ... ich wartete auf das, was sich daraufhin ereignen würde.
Ein paar neue Kontakte entstanden, auch Vertriebspartner wurden mit einer ID Nummer versehen. Gleichfalls hatten die Neuen die Aufgabe ihr Geschäft zu starten. Das geschah mit mehr oder weniger Erfolg, und es entstand ein Team mit großer Fluktuation. Man stieg ein und aus, denn das ist sehr einfach im Network Marketing. Außerdem gibt es kein Risiko, wer nicht mehr will, hört einfach wieder auf. Vertragliche Bindung ans Unternehmen ist ausgeschlossen, jeder ist sein eigener Unternehmer. Aufgrund der tollen qualitativen, hochwertigen Produkte blieben gesponserte Partner oft treue Kunden. Ja, ich lernte, man kann in ein Geschäft ohne Risiko einsteigen und wenn es nicht funktioniert, kann man problemlos wieder „adé“ sagen, nichts ist passiert, kein Kredit, keine Schulden, keine Verpflichtung. Einfach und perfekt!
Ich ließ mich nicht unterkriegen und dachte immer lösungsorientiert. Loslassen war nicht meine Stärke, ich hielt fest und versuchte krampfhaft mein Bestes zu geben. Hatte ich doch ein internationales Spitzenunternehmen gefunden. Ein Unternehmen, bei dem die drei Säulen stimmten:
- ein gutes Konzept mit super Produkten,
- eine innovative Geschäftsleitung und
- eine perfekte Logistik für ein internationales Geschäft.
Beste Voraussetzungen für eine gute Zusammenarbeit.
Meetings motivierten mich und ich war offen, alles zu erlernen, was mir fehlte. Beflügelt und positiv beeinflusst fuhr ich jedes Mal nach Hause, um dort festzustellen – alles war wie bisher.
Mein Geschäft entwickelte sich nicht so, wie ich es wünschte, zu langsam ohne Sog, dabei hörte sich alles so einfach an. Zweifel am Tun taten sich auf. War ich wirklich auf dem richtigen Weg, würden meine Hoffnungen sich in diesem Business erfüllen? Wusste ich doch aus der Vergangenheit: Karriere und Erfolg sind planbar.
Die Empfehlung lautete: Suche fünf Partner, suche fünf Kunden und los geht e...