Kunststück Gesundheitsverhalten
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Kunststück Gesundheitsverhalten

Körperliche Aktivität und das Un[ter]bewusstsein

  1. 140 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Kunststück Gesundheitsverhalten

Körperliche Aktivität und das Un[ter]bewusstsein

Über dieses Buch

Die "moderne Welt" befreit von jeglicher körperlichen Belastung. Vieles ist einfacher und anscheinend besser geworden. Tatsächlich ist dies jedoch ein Trugschluss. Zahlreiche Krankheitsbilder lassen sich auf den Mangel an Bewegung zurückführen. Ausgehend von dem Problem einer "Gesellschaft ohne Bewegung" beleuchtet das Buch die Bedeutung eines körperlich aktiven Lebensstils. Betrachtet man die körperliche Aktivität aus einem interdisziplinären Blickwinkel, so wird klar, dass ein bewegtes Leben einem Kunststück gleicht, einer Kunst, die nicht immer rational erklärbar ist. Wo die aktuelle Gesundheitspsychologie und die Sportwissenschaft an ihre Grenzen stoßen, spannt diese Arbeit den Bogen zur Neurowissenschaft und dem menschlichen Un[ter]bewusstsein.Das Buch ist sowohl für Studenten, Sportwissenschaftler, Gesundheitspsychologen und Neurowissenschaftler als auch für Freizeitsportler und Laien interessant.

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1. Einleitung

Bereits im 17. Jahrhundert warnte der französische Philosoph Blaise Pascal vor mangelnder Bewegung, und auch Hippokrates war die positive Wirkung von körperlicherAktivität bewusst. Dennoch sind im 21. Jahrhundert immer weniger Menschen körperlich aktiv. Zwar ist der Nutzen eines gesundheitsfördernden Lebensstils und damit die Bedeutung eines sportlich aktiven Lebens gemeinhin bekannt, doch an dessen Umsetzung sowie der Vermeidung von Risikoverhalten wie Rauchen, Alkoholkonsum, Sonnenbaden oder körperlicher Inaktivität mangelt es nach wie vor. So ist es nicht verwunderlich, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO 2006) die körperliche Inaktivität zu den meist verbreiteten gesundheitlichen Risiken in den Industrieländern zählt. Tatsächlich lassen sich zahlreiche Morbiditäts- und Mortalitätsfälle (Krankheits- und Todesfälle) auf mangelnde Bewegung zurückführen. Hält man sich dies vor Augen, so stellen sich eine Reihe grundlegender Fragen: Wie lässt sich gesundheitsgefährdendes Verhalten erklären? Was bewegt uns trotz der Kenntnis der Gefahren beziehungsweise der Einsicht in den Nutzen einer gesunden Lebensweise zu unserem Verhalten? Was hält uns von einer gesundheitsfördernden Lebensweise ab, und warum sind wir oftmals nicht in der Lage, ein für die Gesundheit förderliches Verhalten aufzunehmen? Fragt man nach diesem Warum, so forscht man nach der Kunst eines gesunden Lebens, denn das Gesundheitsverhalten scheint eine einzigartige, komplizierte Kunst, ja ein Kunststück zu sein. Unter einem Kunststück verstehen wir allgemein eine besonders komplizierte Handlung, die besonderer Leistungen und Fähigkeiten bedarf. Auch die hohe Kunst eines gesunden Lebens basiert auf dem Wissen um Fähigkeiten und Fertigkeiten, die nicht allen Menschen zugänglich zu sein scheinen. Offensichtlich bedarf es sehr viel mehr als ausschließlich guter Vorsätze, um das „Kunststück Gesundheitsverhalten“ zu meistern. Zahlreiche Disziplinen sind schon lange damit beschäftigt, die genauen Mechanismen dieser Kunst zu untersuchen und zu verstehen. Die aktuelle Gesundheitspsychologie beispielsweise begegnet den oben genannten Fragen mit rationalen, also vernunftorientierten Theorien, wie zum Beispiel Der Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen 1985) oder dem Sozial-kognitiven Prozessansatz gesundheitlichen Handelns (Schwarzer 1992). In vielerlei Hinsicht haben sich diese Modelle bewährt. Dennoch sind sie immer wieder der Kritik ausgesetzt, essenzielle Faktoren menschlichen Verhaltens außer Acht zu lassen. Denn gerade der rationale Verstand, der uns so einzigartig und zu einer vermeintlich überlegenen Art auf diesem Planeten macht, scheint sich oftmals unter ein unbekanntes, unbewusstes Wissen um Formen, Funktionen, Zusammenhänge und Vorlieben unterzuordnen. Dabei tauchen in diesem Zusammenhang immer wieder das Bauchgefühl, die Intuition, das Un[ter]bewusste oder die impliziten Einstellungen auf. Doch gerade diese Begriffe hinterlassen in unserer weitgehend rationalen und nüchternen Welt einen mystischen Eindruck. Die Vorstellung, in bestimmten Situationen nicht überlegt zu handeln, bereitet vielen von uns Angst. Dennoch, müssen wir uns wohl, den Erkenntnissen der kognitiven Psychologie und der Neurowissenschaft über unbewusste Prozesse entsprechend, damit abfinden, dass tausende Entscheidungen in unseremAlltag unbewusst gefällt werden. Damit stellt sich auch angesichts der aktuellen Modelle der Gesundheitspsychologie die Frage, ob das menschliche Verhalten allein durch rationales, bewusstes Abwägen und Entscheiden erklärbar ist, oder ob es um eine unbewusste Komponente erweitert werden sollte. Besonders in der Sozialpsychologie wird seit Langem explizit auf das Einwirken von automatischen, unbewussten Prozessen auf das Verhalten verwiesen. Die sozialpsychologische Verhaltensforschung geht bei der Verarbeitung von Informationen über sich und über die Umwelt von einem expliziten, kontrollierten und einem impliziten, unkontrollierten Modus aus. Danach können Einstellungen auf einer bewussten und einer unbewussten Ebene existieren. Besonders mit Blick auf das Gesundheitsverhalten und insbesondere hinsichtlich der körperlichen Aktivität spielen kontrolliertes, bewusstes sowie unkontrolliertes, unbewusstes Verhalten eine wichtige Rolle. Jedoch wird bislang die Erforschung automatisch, unbewusst ablaufender Prozesse, speziell in Zusammenhang mit körperlicher Aktivität, vernachlässigt. Betrachtet man indes die eingangs erwähnte Brisanz eines inaktiven Lebens, so erscheint ein Ausklammern des Unbewusstseins geradezu fahrlässig. Im Folgenden sollen deshalb die neueren Erkenntnisse über unsere unbewusste Steuerung aufgezeigt werden. Ziel ist es, eine Brücke zwischen den unterschiedlichen Disziplinen der Sportwissenschaft, der Gesundheitspsychologie und der Neurowissenschaft zu schlagen.
Zentrales Anliegen dieses Buchs ist dabei das Aufzeigen der existenziellen Notwendigkeit eines körperlich aktiven Lebensstils. Hinterfragen wir gemeinsam die Ursachen eines körperlich inaktiven Lebens und verschaffen wir uns mithilfe der Verhaltensmodelle der Gesundheitspsychologie, der Sozialpsychologie und der Neurowissenschaft einen Einblick in das menschliche Verhalten und besonders in die „Macht des Unbewussten“, um das gesammelte Wissen schließlich in ein neues Modell zu integrieren. Dabei wird deutlich werden, dass mit steigender Kenntnis über das menschliche Verhalten und unsere unbewussten Prozesse das Gesundheitsverhalten einem Kunststück gleicht, bei dem oftmals ein „Sportmuffel“ im Un[ter]bewusstsein die Fäden zieht.

2. Verhalten und Gesundheit

2.1 Verhalten

Der Mensch ist, wohl einzigartig auf dieser Welt, fähig, sein Verhalten zu reflektieren und zu beeinflussen. Er ist in der Lage, zu erkennen und zu begreifen, was das eigene Verhalten für ihn und zum Beispiel für seine Gesundheit bedeutet. Doch gerade mit Blick auf das Gesundheitsverhalten hat es den Anschein, dass diese Fähigkeit bei vielen Menschen verkümmert oder einfach nicht greift. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO 1995) sind in den Industrieländern 70 bis 80 Prozent der Todesfälle auf den Lebensstil bezogene Krankheiten zurückzuführen (vgl. Weitkunat & Moretti 2007, S. 18). Auch zahlreiche Autoren berichten davon, dass bestimmte gesundheitsrelevante Verhaltensweisen das Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko erhöhen (vgl. Schlicht & Brand 2007; Fuchs, Göhner & Seelig 2007; Brehm et al. 2006; Fuchs 2003; Woll 2004; Woll et al. 2004). Zudem kann man heutzutage aufgrund unzähliger Gesundheitsförderungskampagnen davon ausgehen, dass die negativen Wirkungen von bestimmten Risikoverhaltensweisen wie zum Beispiel dem Rauchen oder körperlicher Inaktivität hinreichend bekannt sind. Vor diesem Hintergrund wirkt ein ungesunder Lebensstil unverständlich und seltsam. Doch warum fällt es uns so schwer, gesundheitsbewusst zu leben? Weitkunat und Moretti liefern eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen: „[Die Menschen sind,] des Lebens überdrüssig […]. Tatsächlich gehört der Suizid zu den häufigsten Risiken, die mit Infektionen und anderen Todesursachen um die Daseinsverkürzung konkurrieren. Begehen also Raucher und Trinker in Wirklichkeit eine Art Suizid in Zeitlupe?“ (Weitkunat & Moretti 2007, S. 20). Viele würden diese Aussage entschieden verneinen. Doch stellen wir uns dazu einige hypothetische Fragen: Würden wir uns freiwillig einer Überdosis an Medikamenten aussetzen oder von einem Hochhaus springen, obwohl die Konsequenzen bekannt sind? Sicherlich nicht, und dennoch liegen wir Jahr für Jahr an den Stränden der Welt und lassen unsere Haut von der Sonne „schmoren“. Auch hier sind uns die Konsequenzen bekannt. Zur Erinnerung: Im Jahre 2006 wurden in Deutschland 8.470 Neuerkrankungsfälle von malignem Melanomen der Haut, schwarzem Hautkrebs, bei Frauen diagnostiziert, Tendenz steigend. 1.021 Fälle führten 2006 zum Tode. Als externer Hauptrisikofaktor wird dabei UV-Exposition durch Sonne und Solarium angegeben (vgl. Robert-Koch-Institut, 2010). Sind wir der Freitodhypothese doch näher, als wir glauben, oder einfach nur töricht?
Leider ist die Erklärung nicht so einfach und offenkundig, denn die Ursachen für ungesundes Verhalten sind vielfältig. Das menschliche Verhalten ist ein komplexer Prozess, der immer noch nicht vollständig erforscht ist. Heute geht man in der neueren Verhaltensforschung davon aus, dass menschliches Verhalten nicht ausschließlich auf bewusste Entscheidungen zurückzuführen ist. In vielen alltäglichen Situationen wirken externe Faktoren auf uns ein. Zudem werden wir ständig sowohl von kontrollierten als auch von unkontrollierten Prozessen wie zum Beispiel Gewohnheiten beeinflusst. Ob bewusst oder unbewusst, eine bedenkliche Abweichung von einem vernünftigen Lebensstil ist offensichtlich.
Die WHO unterstreicht diese Brisanz in ihrem Weltgesundheitsbericht von 1995. In diesem Report führt sie zahlreiche Beispiele für verhaltensbezogene Krankheiten auf:
Lebensstilbezogene Krankheiten und Bedingungen sind verantwortlich für 70-80 Prozent der Todesfälle in den entwickelten Ländern und für 40 Prozent in der sich entwickelnden Welt. Beispiele sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes, chronische Bronchitis, Fettleibigkeit, Fehlernährung, psychische und Verhaltensstörungen, Unfälle und Gewalt, Alkohol- und Drogenabhängigkeit, HIV/Aids und andere sexuell übertragbare Krankheiten, durch Impfungen vermeidbare Infektionskrankheiten, durch Vektoren und Lebensmittel übertragbare Infektionen sowie ein geringes Körpergewicht. (WHO 1995, S. 12 zitiert nach Weitkunat & Moretti 2007, S. 18)
Wir können also durch unseren Lebensstil entscheidend zu einem intakten Gesundheitszustand beitragen. Diese Erkenntnis eröffnet uns zum einen große Chancen für die Vermeidung von Krankheiten, zum anderen birgt sie eine große Verantwortung für jeden Einzelnen. Hollmann und Strüder sehen in dieser Eigenverantwortung die zentrale Aufgabe des Kranken. „Der Patient seinerseits muss lernen, nicht primär nach der Tablette des Arztes zu verlangen, sondern die Gesundung durch Eigenaktivität zu erreichen“ (Hollmann & Strüder 2009, S. VI). Dabei ist diese Auffassung kein Verdienst der neueren Wissenschaft. Bereits 500 v. Chr. erläuterte der griechische Philosoph Demokrit: „Die Menschen erbitten sich Gesundheit von den Göttern. Daß [sic!] sie aber selbst Gewalt über ihre Gesundheit haben, wissen sie nicht“ (Demokrit 500 v.Chr.; zitiert nach Hollmann & Strüder 2009, S. VI). Demokrit spricht damit bereits im Altertum die Eigenverantwortlichkeit und die Brisanz eines ungesunden Lebens an. Heute kann man aufgrund zunehmender Erkenntnisse über die Risikofaktoren und das Gesundheitsverhalten davon ausgehen, dass wir Menschen wissen, dass die Gesundheit in unseren eigenen Händen liegt. Doch auch mit dieser Einsicht scheint es uns nicht leichtzufallen gesundheitsbewusst zu leben und damit das eingangs erwähnte Kunststück Gesundheitsverhalten zu meistern. Nicht zuletzt deshalb hat sich das Gesundheitsverhalten in den letzten Jahren als zentrale Größe in der Gesundheitsförderung etabliert. Da das Gesundheitsverhalten eng mit den Themen Gesundheit und Gesundheitsverständnis sowie Gesundheits- und Risikoverhalten in Verbindung steht, bedarf es einer kurzen Einführung in diese Bereiche.

2.2 Gesundheit und Gesundheits-Risikoverhalten

Bevor man sich dem Gesundheitsverhalten nähert, muss man sich mit dem Terminus der Gesundheit befassen. Gesundheit erscheint im ersten Moment als eindeutiger Begriff. Jeder von uns könnte aus dem Stehgreif kurz erläutern, was er unter Gesundheit versteht. Befragt man auf der Straße Menschen nach ihrem Gesundheitsverständnis, kommt man zu folgenden Ergebnissen: 1.) „Gesundheit ist für mich, nicht krank zu sein. Mir meine Flexibilität und Handlungsfähigkeit zu erhalten.“ 2.) „Gesundheit ist für mich Wohlbefinden und das Fehlen von Schmerzen.“ Bei näherer Betrachtung dieser Aussagen verflüchtigt sich die scheinbare Eindeutigkeit sehr schnell, und man muss feststellen, dass diese Definitionen sehr subjektiv und für eine allgemeine Terminologie nur schwer zu verwenden sind. Auch in der Wissenschaft konnte man lange Zeit keine eindeutige Definition von Gesundheit finden. Das gesamte Gesundheitsverständnis, das Gesundheitswesen und der Gesundheitsbegriff unterlagen in den letzten 50 Jahren einem ständigen Wandel. Dadurch wurde eine Vereinheitlichung der Terminologie schwierig. Ein Grund dafür ist sicherlich der Wandel der Krankheitsbilder. Während bis Mitte des 20. Jahrhunderts noch Infektionskrankheiten vorherrschten, sorgen heute chronisch-degenerative Krankheiten wie Herzinfarkte oder Krebs für ein vorzeitiges Ableben (vgl. Weitkunat & Moretti 2007, S. 18). Mit den Krankheiten haben sich auch die Definitionen von Gesundheit im Laufe der Jahre weiterentwickelt. Dabei entstanden einige dieser Definitionsansätze in unmittelbarerer Konkurrenz zueinander.
Das Modell der Salutogenese von Antonovsky (1979) wird in der Literatur oftmals als ein zentrales Konzept vorgestellt (z. B. Faltermaier 2005; Werle, Woll & Tittlbach 2004; Fuchs 2003). Antonovsky beschäftig-te sich mit der Frage, was uns Menschen trotz vielfacher Risiken und gefährlicher Bedingungen gesund hält (Salutogenese). Er entwickelte ein Gesundheits-Krankheits-Kontinuum. Auf diesem Kontinuum platzierte er alle Menschen zwischen den beiden extremen Polen völliger Gesundheit und völliger Krankheit (vgl. Faltermaier 2005, S. 65). Somit können Individuen in unterschiedlichem Ausmaß krank oder gesund sein. Nach Antonovsky versuchen die Menschen mit sogenannten Widerstandsressourcen, ein Gleichgewicht, eine Homöostase, zwischen Belastungen und Widerstandsquellen aufrechtzuerhalten (vgl. Fuchs 2003, S. 37). Unter diesen Widerstandsressourcen versteht Fuchs „personale, soziale und materielle Ressourcen, die einer Person in der Auseinandersetzung mit den alltäglichen Anforderungen und Belastungen zur Verfügung stehen“ (2003, S. 37). Somit kann eine gute körperliche Konstitution oder ein geregeltes soziales Umfeld helfen, die Homöostase aufrechtzuerhalten. Antonovsky sieht in Gesundheit insofern das Ergebnis eines dynamischen Wechsels zwischen Widerstandsressourcen und Risikofaktoren (vgl. Werle, Woll, & Tittlbach 2006, S. 33). Voraussetzung für das erfolgreiche Einsetzen der Widerstandsressourcen ist das Kernstück dieser Theorie, das Köhärenzgefühl oder Sense of Coherence. Unter diesem Gefühl versteht Antonovsky eine tiefe Überzeugung, dass das Leben „[…] im Prinzip verstehbar, sinnvoll und zu bewältigen ist“ (Faltermaier 2005, S. 68). Wie nützlich dieses Konzept für die Gesundheitsförderung wirklich ist, darüber ist man sich in der Wissenschaft auch aufgrund des niedrigen Grades der empirischen Bestätigung nicht einig. Sicher ist jedoch, dass mit diesem Modell eine neue Denk- und Arbeitsweise zugänglich wurde (vgl. Vogt 2006, S. 156). Vor Antonovskys Ansatz stand in der medizinischen Forschung das „Krankmachende“ (Pathogenese) im Mittelpunkt. Traditionell galt Gesundheit dabei schlicht als das Fehlen von Krankheit. In diesem frühen biomedizinischen Modell wurden Körper und Geist getrennt voneinander betrachtet (vgl. Knoll, Scholz & Rieckmann 2005, S. 20). Im Jahre 1986 definierte die WHO in ihrer Präambel der Ottawa Charta Gesundheit als einen „Zustand völligen physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur als die Abwesenheit von Krankheit oder Gebrechen“ (WHO 1986; zitiert nach Diesfeld & Jahn, 2006, S. 1205). Dieser Ansatz wurde viel kritisiert. Unter anderem vernachlässigt diese Definition, indem Gesundheit als ein Zustand beschrieben wird, den von Antonovsky eingeführten Prozesscharakter.1 Entscheidend für dieses Buch ist jedoch, dass mit dem Einbeziehen von psychischen sowie sozial-gesellschaftichen Faktoren zu einer Öffnung der Gesundheitsdiskussion beigetragen wurde. Dieser Durchbruch führte dazu, dass heute mit dem biopsychosozialen Modell eine Vorstellung die Denkart bestimmt, die dem Individuum eine aktive Rolle zuspricht. Ein wesentlicher Teil der Verantwortung für die eigene Gesundheit liegt folglich bei der Person selbst (vgl. Knoll, Scholz & Rieckmann 2005, S. 20f.).2
Auch Werle, Woll & Tittlbach (2006) sehen in der Erkenntnis, dass wir durch unser Gesundheitsverhalten einen Beitrag zur Erhaltung und zur Förderung unserer Gesundheit leisten können, eine Grundannahme der Gesundheitswissenschaft. Zentraler Fortschritt des biopsychosozialen Modells ist folglich die Erkenntnis unserer ureigenen Verantwortung für die persönliche Gesundheit. Fraglos werden jetzt einige denken: „Wenn das nur so einfach wäre“. Uns Deutschen scheint eine gesunde Lebensweise in der Tat einige Schwierigkeiten zu bereiten. Zu diesem Ergebnis kam das Zentrum für Gesundheit der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS) in der Studie „Wie gesund lebt Deutschland“. Im Auftrag der Deutschen Krankenversicherung (DKV) wurden von der DSHS die aktuellen Lebensstile der Deutschen erhoben. Der Mehrzahl der Bürger scheint die gegebene Verantwortung nicht klar zu sein. Die Deutschen sind aus verschiedenen Gründen vermeintlich nicht in der Lage, ein gesundes Leben zu führen. Den erhobenen Ergebnissen zufolge leben lediglich 14 Prozent der deutschen Bevölkerung gesund. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass 86 Prozent der Deutschen ungesund leben3 (vgl. DKV-Report 2010, S. 3).
Tatsächlich dürfen wir bei aller Eigenverantwortung und allen erschreckenden Statistiken aber nicht vergessen, dass ein ungesunder Lebensstil oftmals nicht so einfach verändert werden kann. Die Vielfältigkeit der bestimmenden Faktoren des menschlichen Verhaltens macht die Aufnahme eines gesundheitsfördernden Verhaltens schwierig und bringt, wie im Folgenden noch aufgezeigt wird (s. Kapitel 4), selbst die in der Forschung gängigen Modelle der Gesundheitspsychologie an ihre Grenzen. Zugleich wird daraus aber auch de...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titelseite
  2. Inhaltsverzeichnis
  3. 1 Einleitung
  4. 2 Verhalten und Gesundheit
  5. 3 Körperliche Aktivität
  6. 4 Gesundheit fördern, Verhalten erklären
  7. 5 Diskussion und Ausblick
  8. 6 Schlussbemerkung
  9. 7 Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
  10. 8 Literaturverzeichnis
  11. Danksagung
  12. Impressum