Italien
Shlomi muss immer wieder allein sein.
Nicht nur in San Damiano
Goethe war mehr als einmal in Italien. Auch Shlomi ist von diesem Land fasziniert. Immer wieder. Immer neu. Immer anders. Das „Dolce vita“ ist es nicht. Berühmte Städte wie Rom oder Florenz, Mailand oder Venedig sind es auch nicht. Assisi im herrlichen Umbrien – das ist es. Und wohl auch ein wenig die Adria.
Die Heiligen Francesco Bernardone und Clara de Offreducio sind dort inzwischen Shlomis Hauptbezugspersonen. Auch wenn sie schon lange tot sind. Er seit 1226. Sie seit 1253. Aber sind sie denn überhaupt tot? Ihr „Geist“ ist offensichtlich sehr lebendig und vielerorts anzutreffen.
Von San Damiano vor den Mauern der mittelalterlichen Stadt am Berg ging alles aus. Die franziskanische Bewegung hat hier ihren Ursprung. Das von seinem Biografen verbürgte Gespräch zwischen dem Kreuz und dem jungen Francesco hat endgültige Weichen gestellt. Eine Kirche in Armut. Eine Kirche nach dem Evangelium. Weg von Pracht und Prunk! Weg von Gold und Geld! Weg von Beherrschen und Besitzen! Das alles sind äußerst unbequeme Forderungen. In diesen alten Mauern verbringt Shlomi viele Stunden, manchmal ganze Tage. Sozusagen ein kleines Zuhause. Mit der Franziskanerin Sr. Angelika hat Shlomi schnell und guten Kontakt. Eine Nonne in Dienstkleidung auf dem Moped! Das hat schon was. Der Klostergarten „hinten raus“ wird mit der Zeit ein ziemlich „hartnäckiger“, besser: nachhaltiger, Anziehungspunkt.
Natürlich ebenso der Kreuzgang mit Brunnen im Innenhof. Und Claras Sterbeort oberhalb der Kirche. Und die Reste der alten Ausstattung. Und vor allem die Kapelle mit dem „Franziskus-Kreuz“. Obwohl: Das Original wurde einst von den Klarissinnen „geklaut“ und grüßt seitdem in S. Chiara die Pilger aus aller Welt. Doch der kleine Garten ist noch etwas anderes. Francesco hat dort 1225 den berühmten „Sonnengesang“ geschrieben. Es hat ihn in dieser Zeit ein übles Augenleiden gequält. Er war vorübergehend zum Leben im Dunkel gezwungen. In diesem Zustand dichtete er dieses „Hohe Lied der Schöpfung“: alles miteinander verwandt! Alles mit dem Einen verbunden! Nur ein wenig von dieser Spiritualität! Wir hätten kaum die ökologischen Probleme, Engpässe oder Sackgassen, die für den Globus so gefährlich geworden sind. Die Grünen wären die meistgewählte Partei in der einen Welt.
Dann findet Shlomi genau dort eine Version dieses „Sonnengesangs“ für die gegenwärtige Zeit, das gegenwärtige Weltbild und das gegenwärtige wissenschaftliche Niveau.
FUND 11: TRANSFORMATION SONNENGESANG
Einfach nur du – Gott
unser Woher und Wohin
Der du
das Leben
geschwisterlich
entworfen und gemeint
alles
mit dir verwandt
und deshalb
alles
auch untereinander verwandt
gemacht hast
Wir alle
eine kosmische Familie
der Wurm mein Bruder ebenso wie der Saturn
die Sonne meine Schwester ebenso wie die Ratte
die hellen Fixsterne und die schwarzen Löcher
der Mond in seiner faszinierenden Fülle
und als filigrane Sichel am Firmament
Regenbogen und Sonnenwind
Geschwister
mit allem was daraus folgt
die Farbe der Rose und der Duft vom Heu
das Lächeln der Säuglinge und das Horchen der Sterbenden
die Hoffnung der Verdammten und der Stolz der Glücklichen
die irdische Musik und das Schweigen des Alls
Geschwister
längst bevor wir uns kennenlernten
die unaufhaltsame Wucht der Bakterienstämme
die unerschöpfliche Fantasie der Gene und die unheimliche Gewalt der
Atome
die unverwüstlichen Möglichkeiten menschlicher Liebe
die Sehnsucht der Religionen und das Konzert der Kulturen
Geschwister
ohne Möglichkeit zum Widerspruch
die Heuschrecke mit ihrer Sprungkraft
das Chamäleon mit seinen Verwandlungskünsten
die Lachse und ihre rätselhaften Reisen durch die Ozeane
die Spinne mit ihrer Geduld und die Nachtigall mit ihrem Gesang
der Maulwurf in der Finsternis der Erde und der Kondor in lichter Höhe
die Krokodile mit ihrer Reaktionsgeschwindigkeit und die Kraniche mit
ihrer Eleganz
Geschwister
mit Chancen und Grenzen allzumal
mein Lob ist
dass ich für deinen Willen durchlässig bleibe
dass ich ohne dich nicht sein kann und will
Einfach nur du – Gott
weil
unser Woher und Wohin
Shlomi liegt auf dem Subasio und ahnt,
was Schalom sein könnte
Der Subasio! Von dort oben, von der flachen Bergkuppe aus, ist der weite Blick über die Spoleto-Ebene und auf das Appenninen-Gebirge einfach grandios. Nach hier oben hat sich Francesco immer wieder zurückgezogen. Es waren eben nicht nur Strapazen. Es waren wichtige Auszeiten.
Zum Relaxen und zum Meditieren. Shlomi ist querbeet unterwegs. Auch auf den Seitenwegen. Von dort gibt es zwischen den Büschen und Bäumen überraschende Momentaufnahmen dessen, was da unten, im Westen nach Perugia hin und im Norden nach Gubbio hin, zu sehen ist.
Berge haben was! Berge sind was Besonderes! Und das schon immer.
Berge im Leben des Franziskus von Assisi und Berge im Leben des Jesus von Nazareth. Auf so manchem Berg muss Shlomi an den einen Berg, der Geschichte geschrieben hat, denken: den Predigt-Berg nahe Jerusalem! Der Ort der „Berg-Predigt“. Merkwürdig: Wenn es so was wie Reformationen (oder Revolutionen) gegeben hat, war sie „im Spiel“. Nicht nur, aber vor allem, die sogenannten Seligpreisungen. Sie beschreiben (oder malen sie ihn sogar aus?) den Schalom. „Schalom“ übersetzt Shlomi meist mit „heil und ganz sein“.
Der Subasio!
Es ist, als ob der Schalom hier seine Heimat hätte. Hier scheinen Ruhe, Frieden und Glück ihre Zelte aufzuschlagen. Hier scheint Liebe zu einer selbstverständlichen Normalität gefunden zu haben. Kein Wunder, dass Shlomi in ihren mitgebrachten Texten stöbert. Die hat sie auf jeder Reise als treue Begleiter im Gepäck. Auf diesem wunderbaren Fleckchen Erde liest sie ganz langsam eine „Transformation der Seligpreisungen“. Alles lässt Shlomi auf sich wirken. Wie glücklich könnte doch der Mensch auf seinem einzigartigen „blauen Planeten“ sein!
FUND 12: TRANSFORMATION BERGPREDIGT
Vom anderen, aber eigentlichen Glück
Glücklich werden sein, die mit dem leeren Herzen.
Denn der Himmel hat dort seine Heimat.
Und der Frieden seinen Startplatz.
Macht wird zum Glück nicht gebraucht.
Glücklich werden sein, die fähig sind zur Barmherzigkeit.
Denn sie schauen ohne Angst auf morgen.
Und der Frieden behält einen langen Atem.
Bei den Ohnmächtigen.
Glücklich werden sein, die ihr wahres Gesicht zeigen.
Man wird ihnen das Rückgrat nicht brechen.
Und der Frieden bleibt keine Parole.
Trotz Super-Mächte.
Glücklich werden sein die Benachteiligten.
Denn der Rücken an der Wand ist zwar oft die Hölle.
Aber Boden unter den Füßen wird zum himmlischen Frieden.
Mit unsrer Macht ist da nichts getan.
Glücklich werden sein, die mit dem Leid auf dem Rücken.
Denn sie wissen, was Trost ist, am besten.
Und der Frieden erhält dadurch Wärme.
Auch ohne Macht.
Glücklich werden sein, die mit dem sanften Mut.
Denn das Unrecht auf Erden wird ihnen nichts anhaben.
Und der Frieden wird menschlich.
Keine Macht kann das verhindern.
Glücklich werden sein, die mit dem Hunger nach Gerechtigkeit.
Denn sie werden satt werden.
Weil der Frieden Hab und Gut verteilt.
Nur die ewig Gestrigen pokern mit der Macht.
Glücklich werden sein die Jesus-Ähnlichen.
Sie haben selten Erfolg. Erreichen aber das Ziel.
Weil, was sie tun, aus Liebe geschieht.
Und weil im Chaos der Zeit
die Macht der Liebe allein eine Chance hat.
Shlomi stutzt am Südtor von Assisi und glaubt,
sie war schon mal hier
Seltsam. Oder auch nicht seltsam. Jedenfalls immer, wenn Shlomi zum uralten Süd-Tor pilgert, hat sie das Gefühl, schon mal hiergewesen zu sein. Es ist eines der ziemlich gut erhaltenen Stadttore von Assisi. Auch die flachen robusten ursprünglichen Steintreppen hinunter zum Tor sind gut begehbar. Das Erdbeben Ende der Neu...