
- 100 Seiten
- German
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Über dieses Buch
Obwohl sich die beiden nie begegnet sind, lieferten sie sich ein Duell mit weitreichenden Folgen: Heinrich Heine und August Graf von Platen. Ihre Waffe waren die Feder und die gegenseitigen Verletzungen gravierend. Der Dichterstreit zwischen Heine und Platen gilt bis heute als einer der skandalösesten der deutschen Literaturgeschichte. Am Ende standen beide als Verlierer da: Heine galt als vulgärer Nestbeschmutzer und ging nach Frankreich, Platen wagte sich kaum noch aus Italien nach Deutschland. Es geht in diesem Stück von Gerd Scherm um viel mehr als den augenfälligen Konflikt zwischen dem konvertierten Juden Heine und dem homosexuellen Grafen. Es ist das Aufeinanderprallen von Welt(an)sichten, von tiefen, persönlichen Überzeugungen, von unterschiedlichen Auffassungen, was Literatur kann und soll. Es ist eine Kontroverse von Lebensentwürfen, von Klassizismus und überwundener Romantik, von ironischem Rebellen und dünkelhaftem Adeligen und es wirft die Grundfrage aller Dichter auf: Was bleibt?
Häufig gestellte Fragen
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Information
Sag‘ mal, ganz ehrlich, würdest Du nicht viel lieber den Heine spielen?
Weiß nicht.
Nun sag‘ schon! So unter uns.
Ich weiß es wirklich nicht.
Du willst es nur nicht zugeben. Der Heine ist doch als Schriftsteller wesentlich bedeutender als der Platen. Der wird viel mehr gelesen. Wer liest heute noch Platen?
Was willst Du mir damit sagen? Meinst Du, Du bist viel bedeutender als ich? Glaubst Du, Du bist der bessere Schauspieler? Nur weil Du schon mal an einem Staatstheater am Bühnenrand gestanden bist?
Unsinn! Das hat damit gar nichts zu tun.
Nein, nein, das glaube ich Dir nicht.
Das ist absoluter Unsinn. Das hat mit unserer Inszenierung hier nichts zu tun.
Doch, doch, das hat es! Du denkst, weil Du die Rolle des Heine bekommen hast, bist Du der bessere Schauspieler. Du sagst: Wer kennt schon den August Graf von Platen?
So habe ich das nicht gemeint. Aber Fakt ist, dass der Graf wesentlich weniger gelesen wird als Heine.
Mir ging es nur um die Attraktivität der Rollen an sich.
Übrigens: der Hubert Fichte hat den Heine einmal als Aas bezeichnet! Nur damit Du mal weißt, was große Denker von Deinem Star-Dichter gehalten haben.
Aber nun sag endlich, was Du gegen meine Rolle hast?
Nichts habe ich gegen Deine Rolle. Der Platen ist schon interessant, so als Typ. Einer der ganz in der Poesie aufgeht – l’art pour l’art, Kunst nur um der Kunst willen. Warum nicht…
Höre ich da nicht einen leisen geringschätzigen Unterton? Stören Dich etwa Platens homoerotische Neigungen?
Also bitte! Ich habe nichts gegen Schwule.
Absolut nichts! Und gegen Adlige habe ich auch nichts, falls Du darauf hinaus willst.
Dass Dein dichtender Graf schwul war, ist mir völlig egal.
Dann hast Du also etwas gegen mich persönlich? Woher diese Animositäten?
Nun mach mal einen Punkt! Konzentrier Dich lieber auf Deine Arbeit!
Wer hat denn mit den Sticheleien angefangen? Du willst mir bloß meine Rolle madig machen. Du kannst doch Deinen Part so schlecht spielen, wie Du willst – in Deiner Judenrolle genießt Du immer Artenschutz. Da wagt Dich eh keiner zu kritisieren!
Bitte beruhige Dich! Wir machen beide nur unseren Job, und den machen wir gut.
Findest Du?
Ja doch. Es passt schon so, wie es ist.
Schön, dass Du das so siehst.
Ich kann ja auch nichts dafür, dass ich in diesem Stück die bessere Rolle bekommen habe. Allerdings, wenn man bedenkt, was und wo ich schon gespielt habe…
Von wegen: Bessere Rolle!
Beim Platen gibt es viel mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Der Heine ist doch inzwischen der große Held, zu dem alle aufschauen. Den kann jeder spielen! Der Platen ist mehr der legendäre Typ. Der früh Verstorbene. Live fast, die young!
Wen die Götter lieben, den holen sie jung zu sich.
Als Liebhaber? Platen ein Mundschenk der Götter?
Du willst mich schon wieder provozieren.
Ich Dich provozieren? Nein, Du hast schon genug Adrenalin im Blut.
Lass uns anfangen, Platen, man wartet auf uns!
Das bekommst Du zurück! Du…
Du Heine, Du!
Wie oft zeigte mir meine Mutter unser beider Bild im Spiegel. Sie deutete auf mich, sang mir die Worte „Süßer Junge, süßer Junge“ ins Ohr, wieder und wieder. In dieser Kristall-Welt dort bin ich herangewachsen – in der silbernen Welt der Abbilder. So habe ich mich zuallererst in der anderen Realität erfahren, in dieser wunderbaren Distanz, in dieser herrlichen Ästhetik der unkörperlichen Spiegelung, in der unberührbaren Kunstwelt. Das war die Heimat, das war mein Zuhause.
Meine Mutter war eine Madonna und ich ihr über alles geliebte Kind. So in die Welt zu treten ist etwas Großes. Es ist so verheißungsvoll.
Haben die Engel dazu gesungen?
Meine Mutter, die engelsgleiche Artemis war es, die sang. Nur für mich. Und so vereinten sich unsere Spiegelbilder mit dem Wohlklang ihrer Stimme.
Sicher ist es nicht leicht, als Altarbild aufzuwachsen.
Schweigen Sie! Was weiß er schon von Altarbildern? Seinem Volk ist die Kunst der Malerei doch völlig fremd. Wer hörte je von einem großen jüdischen Maler?
Wohl war. Die Sprache ist unser Metier, die Logik der Gedanken. Die Sprache, dieses Werkzeug des Verstandes.
Und von Lug und Trug, von Schmeichelei und Beleidigung.
Wahrlich, da nehme ich die Worte lieber für die Poesie, als damit schmählichen Handel zu treiben.
Die Kunst ist es, die aus meinen Worten spricht, ans Hohe will ich hinschreiben, es mir Wort für Wort erringen.
Ich war kein hochwohlgeborenes Kindlein, kein kleiner Graf von und zu. Ich war nur der Harry Heine, der den gleichen Vornamen trug wie der Esel des Dreckmichels, der den Unrat von den Straßen in Düsseldorf kratzte und auf seinen Karren schmiss. „Harrüh*!“, schrie er seinen Esel an und so schrien meine Schulkameraden hinter mir her. „Harrüh!“
Ich war der Junge, der den gleichen Namen trug wie der Esel vom Mistkarren. Harrüh Heine, der Eselsjude.
Jeder so, wie es das Schicksal für ihn bestimmt. Ich wurde in der Ansbacher Judengasse geboren – ausgerechnet ich an einem Ort namens Judengasse! Ich musste in einem Haus aufwachsen, das zu allem Übel auch noch einem Juden gehörte.
Dennoch war darin ein hoher Geist beheimatet, der mir alles Edle gab. Meine Mutter stand stets treu zu mir und erkannte früh meine Talente. Sie führte mich zur Dichtkunst und stimmte meinen Sinn für Höheres.
Bei mir war es das „Rote Sefchen“, die meinen Sinn fürs Poetische erweckte. Sie war des Henkers Tochter, die Josefa, und ich liebte sie. Sie zeigte mir das Richtschwert ihres verstorbenen Vaters und sang dazu:
Du wirst wohl nicht die letzte sein -
Sprich, willst du hängen am hohen Baum?
Oder willst du schwimmen im blauen See?
Oder willst du küssen das blanke Schwert,
Was der liebe Gott beschert?
Ich will nicht schwimmen im blauen See,
Ich will küssen das blanke Schwert,
Was der liebe Gott beschert!1
Kein Lehrer konnte mir je einen solchen Zugang zur Literatur verschaffen wie das „Rote Sefchen“.
Das ist doch fürchterlicher Kitsch! Bauerntölpel-Romantik!
Was will man von einem Sechzehnjährigen schon erwarten, der für eine rothaarige Henkerstochter entflammt ist? Mir verlangte eben nicht nach einem Ganymed oder einem Hyazinth oder gar, wie dem Narziss, nach dem Abbild meiner selbst.
Der „Harrüh“ durfte als Judenjunge ja nur dank Napoleons Herrschaft über Düsseldorf das Lyzeum besuchen. Aber so etwas bedenken Sie mit Ihrer adeligen Herkunft ja gar nicht. Wie auch, wenn man immer auf roten Teppichen schreitet und nur mit seinesgleichen verkehrt.
Neid! Neid! Immer nur der Neid! Wir waren zwar von Adel, aber leider nicht mit Reichtum gesegnet.
Ich hatte keinen Bankier zum Onkel!
Neid! Neid! Neid! Was nützt der reiche Bankiersonkel, wenn er einem freiwillig nichts gibt und man um jeden einzelnen Taler kämpfen muss?
Und wenn man dann endlich etwas bekommt, klebt stets Verachtung daran.
Jedes Mal wenn sie uns ein Stück Geld zuwerfen, werfen sie uns zugleich ein Loch in den Kopf… Ja, die Kunst des schönen Gebens wird in unserer Zeit immer seltener, wie die Kunst des plumpen Nehmens, des rohen Zugreifens täglich allgemeiner gedeiht.2
So scheint es, dass die Dichtkunst alle Poeten gleich macht – gleich arm. Oder ist es die Voraussetzung dafür, den Pegasus zu reiten? Neigen sich die Musen nur dem wirklich zu, der nicht an Besitz gekettet ist? Spricht das große Wort nur aus denen, die arm sind an Irdischem?
Der Weimarer Dichterfürst ließ sich seine Wohlhabenheit gut gefallen. Dem forderte keine Muse den Besitz ab, bevor er zur Feder griff. So ein sicheres Schreibstüblein hat schon einen gewissen Reiz. Es nimmt einem die Steine von der Brust und die Angst vor den Gläubigern. Da lässt es sich gleich viel leichter dichten und räsonieren und ein Gutmensch sein…
In Hardenbergs Franken war kein gutes Auskommen mehr für einen gediegenen Oberforstmeister des abgedankten Markgrafen. Spötter nannten meinen Vater süffisant „einen dienstfertigen Mann und erzguten Narren.“ Vor allem aber war er nicht begütert.
Das soll in den besten Familien vorkommen. Armu...
Inhaltsverzeichnis
- Titelseite
- Inhaltsverzeichnis
- Die Personen
- Ausstattung & Hintergrund
- Das Drama
- Zeittafel
- Quellen
- Der Autor: Gerd Scherm
- Anhang
- Impressum