1. Kapitel: DIE GÖTTIN-RELIGIONEN ALS URSPRUNG DER KULTUR
Teil 1: Die uralte Muttergöttin
Von der Urgöttin des Paläolithikum zur Erdmutter
der sesshaften Ackerbauvölker
„Chorführer:
Und nun hinein ins heilige Rund, in den
Blütenhain der Göttin, auf das froh sich tummle, wer an unserm
Gottgefälligem Feste teilnimmt
Führer des Frauenchores: Ich aber will mit den Mägdlein
und Frauen dorthin ziehen, wo sie der Göttin
das Nachtfest feiern, und ihnen mit heiliger Fackel leuchten!“
(Aristophanes, Die Frösche)
Gab es bei Beginn der Sesshaftwerdung einen männlichen Gott? Finden wir nicht in der Antike überall noch Göttinnen, die den wichtigsten Bereichen der Menschen, dem Ackerbau, dem Handwerk und der Produktion im Tempel vorstehen? Wie kommt es, dass alle Welt glaubt, die herrschenden Götter der Antike seien Vatergötter gewesen? Wurde das Sippensystem der Alten falsch verstanden, weil man die Funktion des Vaters darin nicht richtig verstand? Ist nicht denkbar, dass eine falsche Bewertung der gentilen Familienverbände zu einer falschen Analyse des Götterpantheons führte?
Die Erdgöttin der Alten ist es, aus der die spätere Sippe der Himmelsgötter erst hervorging. Der Mythos aller Völker zeigt sie uns an der Spitze des ältesten Götterpantheons, an dessen Beginn sie allein thront. Nichts ist weit und breit zu sehen von einem monotheistischen Vatergott, und je weiter wir an den Beginn von Gemeinschaft und Kultur zurückgehen, desto weniger sind männliche Gottheiten überhaupt nachweisbar. Diese Urgöttin trug viele Namen, bei jedem Volk einen anderen. Rheia, Demeter, Ceres, Neith, Shing-Moo, Agdistis, Bona Dea, Ana-Perennia, Rhoma, Nerthus, Cailleach Bhiarach, Fir Dea, Bu-Anu, Anaitis, Bellona, Harmonia, Kybele, Coatlicue,– um nur einige zu nennen. Schomalonga, Muttergottheit der Erde nennen die Völker des Himalaya ihren heiligen Berg, dem wir den Namen Mount Everest gaben. Ge oder auch Gaia (Damater) nannten die frühen Griechen ihre Erdmutter, deren Heros Poseidon ebenfalls ein erdverbundener Gott war, der noch in später Zeit als „Erderschütterer“ galt, der die Erdbeben hervorrief. Dies sind Namen der Großen Erdmutter, die wir weltweit bei allen alten Stämmen, Kulturen, Völkern und den ersten entstehenden Hochkulturen als älteste Gottheit vorfinden. Und ebenfalls weltweit sind Schlange und Drachen ihre mythischen Symbole, welche die Völker in ihrem sakral-symbolisch geprägten Kunsthandwerk, auf ihren Webstoffen oder ihrer Keramik verarbeiteten.
„Die ältesten, ehrwürdigsten Gottheiten, vor denen alle oberen Götter sich beugen, sind ursprünglich alles Erdmütter, die den Schicksalsfaden der ganzen Welt spinnen und das tiefe Geheimnis in Mysterien bewahren.“ (1)
In der Jungsteinzeit verehrten die Menschen ihre Göttin analog zu ihren Produktionsbedingungen. Die ackerbautreibenden Völker als die ewig fortlebende Mutter Erde, (indische Dravidas: Ma, Mata = Mutter oder schwarze Erde, Homo/Humus), die ackerbauhassenden Nomaden der Arier und Semiten aber als Himmelskuh, Weibgestirn in Dreierform (Venus), oder aber als dunkle Mondgöttin. Auch unsere biblische Eva, (hebräisch Chava) in der Proto-Kanaanäischen Sprache Um Chavu genannt, war als „Mutter Schlange“ die Mutter alles Lebenden, wie Professor Richard Steiner in Jerusalem anhand von Pyramidentexten des ägyptischen Pharao Unnas in Saqqara bewiesen hat. In ihren Kulten floss der heilige Rauschtrank, der indische Soma war ein solcher „Mondwein“, wie der Misteltrank der Kelten im uterinen Mondlicht gewachsen – und geerntet worden. Vermutlich enthielten diese Getränke auch Substanzen aus Fliegen-, oder anderen Pilzen und weiteren pflanzlichen Drogen, auch Milch und Honig, wie man sie vielleicht auch in den hebräischen Schriftrollen der Essenergemeinde vom Toten Meer nachgewiesen hat. (2) Solche berauschenden Getränke wurden im religiösen Kult eingesetzt, was auch den „Wahnsinn“ erklären dürfte, der etwa die Mänaden des Dionysos regelmäßig befiel, auch der mythische Wahnsinn des Herakles dürfte ebenfalls seinen Grund hierin gehabt haben. Die Göttin Hekate trug so auch den Namen Antea, was soviel wie „Geberin der Visionen“ bedeutet, doch konnte sie bekanntlich auch mit Wahnsinn schlagen. Die Göttin Kybele schlägt im Mythos ihren eigenen Sohn Attis mit Wahnsinn, sodass er sich entmannte, nachdem er sich in die Königstochter (oder Nymphe) Sagaritis verliebt hatte. Attis hatte angeblich versprochen, seiner Mutter treu zu bleiben, weshalb diese ihn bestrafte. Es ist gut möglich, dass auch der „Geist“ Gottes in Form pflanzlicher Drogen über die Anhänger der verschiedenen religiösen Richtungen der Hebräer kam. Sie hatten bekanntlich Abgrenzungsschwierigkeiten zu den kanaanitischen Göttinnen-Religionen der Phönizier und Philister sowie ihren auf ungehemmter Sexualität beruhenden Kulten. Aber ihre Richter, Richterinnen und Propheten kannten offenbar, wie alle mit schamanistischen und magischen Praktiken bewanderten Visionäre und Gottesmittler, ebenfalls solche Techniken und pflanzliche Stimulanzien, die sie ihrem Gott bei rituellem Gebrauch nahe brachten.
„Ebbe und Flut, Wachsen und Schwinden, Auflösung des Fleisches, Gärung und Verwandlung der Weine, Fosforeszenz, Fäulnis der Hölzer, Eibrut, leichte Geburt treiben unter ihr.“
Sumpfzeugung und Sumpfgeburt des Adels in weiblicher Linie rechnet Johann Jakob Bachofen ihr zu, oder deutet diese zumindest an. Als Isis gleitet die Göttin auf der himmlischen Barke, der Mondsichel durch das obere Fruchtwasser (des Nils), als Große Göttin fährt sie auf dem Kultwagen der Nomadenvölker einher. Als Nordgöttin (Nerthus) wird sie auf einem Schiff (wie Isis und Athene) in heiligen Prozessionen übers Land gezogen, oft von Weberinnen begleitet, da sie ja selbst die „Große Weberin“ allen Lebens ist und den Menschen den Schicksalsfaden spinnt.
„Siehe, das Netz ist geworfen, es breitet sich weithin das Garn aus. Eilends dringen herzu durch die Mondnacht die Scharen der Thune.“
Diese dunkle Metapher spricht der griechische Seher Amphilytos anlässlich der Machtübernahme des Peisistratos zu Athen, der Historiker Herodot überlieferte sie uns. Er spricht dabei ausdrücklich von einem „gottbegeisterten Seher“. Auf welche Gottheit sich diese Begeisterung bezog, liegt offen zu Tage. Wir erkennen sie schon an der Netzsymbolik. Es ist die Große Mutter, die Weberin der Netze und Schnüre, deren Symbole: Fäden, Stricke und Vulven wir bereits in die Höhlenwände der Altsteinzeit eingegraben finden. So ist sie denn zugleich auch die schreckliche Mutter, Welche die Toten wieder in ihren uterinen Schoss aufnimmt. Sie, die das neue Leben gibt, überträgt sogar noch in der späten Antike bei vielen Stämmen die Macht auf den Herrscheradel. Ihre „Söhne“ sind es, die man inthronisiert. Herodot beschreibt, wie zu Argos auf dem spartanischen Peloponnes einlässlich eines Festes zu Ehren der Hera die heiligen, zum Opfer bestimmten Zugstiere nicht rechtzeitig zur Verfügung standen. Sie sollten den Kultwagen der Göttin zum Heiligtum ziehen. Da nahmen die Söhne der Königin, Kleobis und Biton eigenhändig die Deichsel des Wagens, damit zugleich aber auch die Stelle der Opfertiere ein. Herodot beschreibt es so:
„Und nachdem sie dies getan hatten, wurde vor den Augen der Menge ihnen der schönste Tod zuteil und die Gottheit offenbarte an ihnen, dass der Tod für den Menschen besser ist, als das Leben. Denn als die Männer sich um sie herum versammelten und ihre Stärke priesen, die Frauen aber ihre Mutter glücklich priesen über solche Kinder, da trat die Mutter, hocherfreut über die Tat und über das Lob, vor der Göttin Bild und flehte, dass sie ihren Söhnen Kleobis und Biton, die sie so hoch geehrt hatten, das Schönste verleihen möchte, was ein Mensch erlangen kann. Nach diesem Gebet begingen sie das Opfer und hielten das Festmahl, und danach legten sich die Jünglinge im Heiligtum nieder zum Schlaf und standen nicht wieder auf, sondern fanden dort ihres Lebens Ziel.“
Die Argeier aber ließen Bilder von ihnen machen und weihten sie in Delphi (= Mutterschoß), als solche von Männern, die große Tugend bewiesen hatten. Die Große Göttin gebot aber auch dem Totengott der Unterwelt. Minos, Rhadamantis, Osiris, die Mythen dieser Könige berichten uns davon, wie sie durch die Heilige Hochzeit, den hieros gamos, von Heroen der Göttin zu Königen erhoben wurden und dann eine zeitlang auf Erden herrschten. Schließlich tötete man sie rituell nach Ablauf einer kalendarischen Frist, ursprünglich wurden sie sogar kultisch zerstückelt, was auch noch in den Jesuslegenden und ihrem „Gottessen“ anklingt. Die Zerreißung des Osiris in 13 Teile, die bis auf den Penis in die Äcker der 12 ägyptischen Gaue vergraben wurden, (daher konnte Isis diesen auch nicht wiederfinden, denn er schwamm längst in einem Worfelkorb, dem liknos, im Meer) zeigt, ebenso wie die anschließende Zeremonie der rituellen Wiederbelebung des Vegetationsgottes und frühen Königs Osiris, dass die Göttin Isis selbst den Totengott Anubis beherrschte. Wir sehen hier einen typischen Brauch der frühen, mutterrechtlichen Ackerbauvölker (James G. Frazer hat sie in seinem interessanten Werk „Der goldene Zweig“ beschrieben), der bei einigen Völkern weit bis in die Spätantike hineinreichte. (3) Natürlich geschah die anschließende Wiederauferstehung, die uns übrigens auch an Jesus den Christus und die Essenersekte von Qumran denken lässt im nächsten Frühjahr, wenn die Göttin erneut die neue Vegetation aus der Erde sprießen ließ, damit sie die magische Kraft dafür besaß.
Da machte sich bereits der nächste Darsteller des Gottes Osiris auf Zeit bereit, über die Heilige Hochzeit (hieros gamos) mit der Göttin-Königin, die Rolle seines Vorgängers zu übernehmen. Die dreizehn Teile des Gottes geben uns Aufschluss über den Zeitraum, in dem vermutlich der frühe Priesterkönig herrschte:13 Mondmonate nämlich, ein ganzes Mondjahr oder besser gesagt, ein ganzes altes matriarchales Jahr. Denn der Mondkalender beherrschte die alte Welt, bestimmte die Daten der Feste und der Aussaat, den Kreislauf der Jahreszeiten, bevor Cäsar den Sonnenkalender mit religiösen Neuerungen in Rom einführte. Nach ihrer kurzen Herrschaft und der anschließenden rituellen Tötung avancierten die frühen Könige im Mythos zu Richtern und Herrschern im Totenreich, übernahmen wie König Minos von Kreta Funktionen in der Unterwelt des Hades, die sie auch im Leben ausgeübt hatten. Ein König starb daher nach diesem animistischen Denken nicht, vielmehr erhielt er durch sein Opfer den Kreislauf der Natur aufrecht und bei vielen Kulturen wurde seine Seele rituell auf den Nachfolger übertragen. Im Leben wie im Tode sorgte er so dafür, dass die Fruchtbarkeit in der Ackerbaugesellschaft erhalten blieb. Er nahm seine sakrale Aufgabe als Herosgott des Wachstums für die Schöpfergöttin – und analog damit für die ganze menschliche Kultur der Frühzeit wahr. Wenn Jesus sich in diese alte Tradition des „Ur-Adam“ stellt und sein Bruder Jakobus der „Gerechte“ genannt wurde, oder auch der „Aufrechtstehende“, wobei die Metapher vom „Opferlamm“ für diese Heroen Verwendung fand, dann ist hier wohl auch dieses Prinzip des adligen Menschenopfers für die frühe menschliche Kultur-Gemeinschaft bezeichnet. Wie uns Strabon und Pomponius Gallus überlieferten, verboten die Römer nach der Eroberung Galliens solche traditionellen Menschenopfer und Kaiser Augustus hat später den Römern die Teilnahme an der Religion der Druiden generell gesetzlich untersagt.
Wie Osiris der Isis, so finden wir den Mann der Frau in den frühen Zivilisationen der matrifokalen Gesellschaften untergeordnet, er ist der passive Teil der matriarchalen Tribes und Gesellschaften gewesen. Er führte aus, was die „Herrin des Hauses“ anordnete und regelte die gesellschaftlichen Aufgaben des Clans nach außen. Sie dagegen empfing ihre – und folglich auch seine Gäste – wie die Königin Arete auf der Phäakeninsel Scherie den Fürsten Odysseus und seine griechischen Freunde und Begleiter in ihrer Halle empfing. Der „Vater“ der Erbprinzessin, der König Alkinoos, (4) bietet dem Fürsten Odysseus in der „Ilias“ die Hand seiner Tochter Nausikaa an. Er schlug ihm vor, er möge doch da bleiben und sich „mein Eidam“ nennen, er würde ihm Tochter, Haus und Besitztum geben. Odysseus jedoch lehnte wohl aus gutem Grund das Angebot des Königs ab, in Befolgung der matrilokalen Sitten der Insel in sein Haus zu ziehen und die matriarchale Erbpinzessin zu ehelichen. Er ahnte wohl, was ihm kurz über lang blühen würde und überdies wäre er als Gatte der Königin in ihrer Sippe ganz ohne Einfluss gewesen, da er ihr nicht blutsverwandt war. Folglich hätte er höchstens als königlicher Repräsentant auf Zeit gedient und später als Opfer, weshalb viele der antiken Völker ursprünglich gern Ausländer zu ihren Königen machten.
Dem griechischem Mythos nach war seine Gattin Penelope die erste Frau Griechenlands, die ihre Sippe verließ und patrilokal zu ihrem Gatten an seinen Fürstenhof auf der Insel Ithaka zog. Die Fürstin Penelope tat das der Überlieferung nach durchaus gegen den Willen ihrer Eltern, oder besser gesagt, ihrer eigenen Sippenverantwortlichen in weiblich-agnatischer Linie, zu der wir auch ihren Mutterbruder, den „pater familias“ und geschäftsführenden Vorsteher der mütterlichen Sippe nach außen rechnen dürfen. Bereits in den ältesten Kulturen der Menschheit von denen wir Kunde haben, bei den paläolithischen Mammutjägern, fanden sich die Idole der uralten Muttergöttin, zumeist in den von den Dörfern der Menschen abgesonderten Höhlen der den Göttern nahen Schamanenpriestern. So ist unsere Annahme mehr als berechtigt, dass sie die älteste Form des Göttlichen darstellt, das wir Menschen in den Frühkulturen der Vorzeit verehrten. In den Steinzeithöhlen sehen wir die Symbole ihrer Religion abgebildet und im steinzeitlichen Kult vor allem durch viele Darstellungen von Netzen und Vulven gekennzeichnet. Wodurch sie uns als „Mutter allen Lebens“, aber ebenso auch als eine wiederaufnehmende Gottheit der Toten erscheint. Neben ihr findet sich noch im späten Neolithikum nicht die leiseste Spur eines männlichen Gottes. Als der zuerst im frühen Pantheon erscheint, ist er entweder ein Sohn- oder Herosgott der mächtigen Muttergöttin, aber noch lange kein allmächtiger Vatergott aus eigenen Gnaden.
Lewis H.Morgan, der etliche Jahre bei den Irokesen lebte und ihre innere Stammesstruktur genau kennenlernte, hat in seiner darauf beruhenden „Urgesellschaft“ beschrieben, dass die australischen Aborigines neben ihrem späteren Clan- und Totemsystem zwei ältere Klassen kannten: nämlich die nach dem Geschlecht von Frau und Mann. Die frühen neolithischen Ackerbaustädte von Catal Hüyik und Hacilar in Anatolien, die um ca. 7000 vor unserer Zeitrechnung entstanden, zeigen uns Begräbnispraktiken, die nach dem Geschlecht unterschieden wurden. Während nämlich die Gebeine der Männer offenbar achtlos in Massengräbern verscharrt wurden, bekamen die Frauen dieser Kultur fürstliche Einzelgrabbestattungen mit entsprechenden Grabbeigaben, die bereits einen Glauben an ein Weiterleben im Jenseits – oder aber eine spätere Wiederkehr der Toten nahelegen. In den späteren sesshaften Ackerbaukulturen ist es wiederum die Große Mutter, um deren Wasser- und Hainheiligtümer herum die ersten Städte entstehen. Wenn es auch im frühen Rom eine Wolfspriesterin (Völva) gab, welche die fürstlichen Stadtgründer Romulos und Remus an einem Naturheiligtum des Tiber aufzog, ist dies nur ein Beleg mehr für unsere These. Die Erziehung eines privilegierten Adelsstandes an abgelegenen Naturheiligtümern der Göttinnen lässt sich noch in der Klassischen Antike belegen, wie nicht nur die Tätigkeit der Dichterin Sappho zeigt. So ist die Große Mutter die erste große kulturschöpferische Gottheit, die sich in der Geschichte der Menschheit nachweisen lässt. Die ersten komplexen Stadtstaaten der Sumerer im Lande zwischen Euphrat und Tigris entstehen nach der Sintflut in ihrem Namen und dem ihrer Religion erstmals zu der hohen Kulturblüte, die wir noch heute so bewundern. Und bereits die älteste Kultur Europas, die „Donauzivilisation“ entstand in ihrem Namen, wie die vielen Funde der Göttinnen-Statuetten und Idole gezeigt haben. (Maria Gimbutas, 1991)
Diese uralte Religion der Muttergöttin wurde ökonomisch zuerst über eine frühe kollektive Tempelwirtschaft ausgeübt, die ersten alten Siedlungen und Stadtgründungen wurden um solche Heiligtümer herum gegründet, die für die Wirtschaft, Handel und die gerechte Verteilung der erwirtschafteten Güter zuständig waren. (Distribution) Denn Geld gab es natürlich noch nicht und die Güter mussten untereinander ausgetauscht werden, wofür ein ritueller Akt im Tempel notwendig war. Noch die Griechen tätigten ihre Handelsgeschäfte nur mit dem Segen der Götter unter einem Eid auf sie. Die Tempel wurden später die ökonomischen Zentren einer hochentwickelten, theokratisch über sie gelenkten Gesellschaften der Bronzezeit. Wir dürfen bei den Königssitzen der mykenischen Griechen und Kretas unterstellen, dass sie auch noch solche sakralen Tempelstädte waren und keine Königssitze im mittelalterlich-feudalen Sinne. Weshalb auch die „Könige“ dieser Kulturen nichts anderes waren, als magisch repräsentierende Priesterkönige auf Zeit, welche wie in den orientalischen Königtümern für die Fruchtbarkeit, sowie die Organisation des Feldbaus des weiblich gedachten Landes und natürlich auch seine Verteidigung nach außen zuständig waren. Diese frühen Stadtstaaten funktionierten noch ausschließlich theokratisch, was selbstverständlich auch auf die Inthronisation und Nachfolge des Königs bezogen werden darf. Vom Tempel und seinen Priestern her wurden sowohl die Aussaat der Felder, als auch die sakrale Bestellung derselben organisiert. Alle männlichen Mitglieder der Clan-Gemeinschaft produzierten ursprünglich kollektiv, wie uns beispielhaft die kretische „Schnittervase“ zeigt. Sie wurden offenbar im Austausch für ihre Produkte vom Tempel entlohnt, der auch den Außenhandel zentralisierte und die Lebensmittelverteilung an die einzelnen Sippenverbände und Clans nach ihrer Arbeitsleistung und Bedeutung vornahm. Natürlich bekamen auch die Götter ihren Anteil daran, wie die Schriftarchive zeigen, die man in diesen Tempelpalästen ausgrub.
Weil diese frühe Art der Produktion bald komplexe bürokratische Hilfsmittel erforderlich machte, entstanden die Schrift und folglich das ganze System der Aufzeichnung von Verwaltungsdaten entweder auf Tontafeln oder auf Schilfträgern. Der frühe Tempel funktionierte also wie eine heutige Bank, die nicht nur Kredite vergab und die Produktionsmittel stellte, sondern auch den Handel mit Produkten nach außen organisierte und die gerechte Verteilung der Güter zwischen den Clans, Sippen und Stämmen der frühen mutterrechtlichen Gentilgesellschaft besorgte. Dadurch erklären sich die umfangreichen Magazine und Warenlager, welche die Ausgräber in den „Palästen“ des Nahen Ostens fanden. Vermutlich wurde die Technik der Aussaat des Getreides auch von den Priesterinnen der Großen Mutter entdeckt, wenn diese ihrer Göttin Naturalspendeopfer darbrachten. Auf diese Weise besaßen die magischen Zwecken dienenden naturalen Spende- und Opfergaben einen geheimnisvollen und kulturstiftenden Nebeneffekt, den die Frauen zuerst entdeckten und sicherlich der Menschheit schnell über den schon lange existierenden Gartenanbau zugänglich machten. Durch den Kornanbau und seine gezielte Verbreitung wurde es erstmals in der Geschichte der Menschheit möglich, Nahrungsmittelüberschüsse zu produzieren, was ein Anwachsen der menschlichen Populationen zur Folge hatte, die vordem nicht möglich gewesen war. Ja, war es nicht geradezu eine Bestätigung der großen Muttergöttin mit dem Füllhorn der Gaben (Amalthea), wenn im nächsten Frühjahr die neue Saat wieder aufkeimte, die den Überfluss an Nahrung in die Speicher brachte, welche die Menschen im Winter überleben ließ? Auf solche Weise brachte die Göttin den Menschen den Kornanbau, den Weinstock, die Olivenbäume sowie die Veredelung und Bearbeitung ihrer agrarischen Produkte. Und natürlich auch alle anderen wichtigen Kulturleistungen, die in den frühen sesshaften Ackerbaukulturen entdeckt wurden.
Deshalb war es auch selbstverständlich, dass die Götter in allen frühen Systemen der Lagerhaltung und Archivierung von Nahrungsmitteln ihre Speisen und Opfergaben ebenso zugeteilt bekamen, als seien sie lebende Wesen, die ihren Verbrauch von Gütern des täglichen Lebens selbst für sich einteilten. Oder sollten sie vielleicht ursprünglich auch real unter den Menschen gelebt, geliebt und gelitten haben? Kannten sie womöglich Eifersucht und Hader, Missgunst und Neid, wie wir gewöhnlichen Menschen? Gab es womöglich sogar auch menschliche Abbilder dieser Götter auf Erden, die eine Zeitlang ihre Stelle einnahmen? Es lassen sich tatsächlich sehr starke Anhaltspunkte dafür finden, wir werden später noch auf dieses spannende Kapitel früher Menschheitsgeschichte zurückkommen. Jedenfalls ist es eine feststehende Tatsache und nicht weiter verwunderlich, dass alle antiken Völker noch in später Zeit die Entdeckung all ihrer großen Kulturleistungen ihren Großen Göttinnen zuschrieben. Der Mythos von Aktaion zeigt uns dies anschaulich. Wie der ägyptische Gott Osiris trat er als Kulturbringer der Griechen auf, der die Menschen das Leben und die Künste der Sesshaftigkeit lehrte. Der Jüngling, zuerst selbst noch ein Jäger, Sohn der Nymphe Kyrene und des Gottes Apollon – und von diesem nach der Geburt an das Heiligtum der Erdmutter Gaia gebracht, die das Götterkind an ihrem Heiligtum aufzog (!), wurde nach seiner Erziehung zu einem Kulturheros, der den Menschen die kulturstiftenden Gaben der Großen Göttin überbrachte.
Von den Horen hatte Aktaion sein ganzes Wissen erlernt, die Heilkunst, das Bogenschießen, die Weissagung, aber auch die Kunst des Landbaues, die der Bienenzucht, sowie auch der Käsezubereitung und des Olivenanbaues. So lebte der Heros als Prophet der Mutter im Tempetal und brachte seinen Bewohnern, die noch allesamt nomadisierende Jäger waren, den Ackerbau und die Viehzucht und handwerkliche Fähigkeiten bei. Sein Wissen, seine Weisheit und Fertigkeiten waren so groß, dass man ihn alsbald wie einen Gott verehrte. Schließlich erwählte er sich die Prinzessin Autonoe, eine Tochter König Kadmos von Theben zur Frau, die er als Göt...